Wie der Beruf das Denken formt: Berufliches Handeln und soziales Urteil in professionssoziologischer Perspektive
Von Lukas Neuhaus
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Wie der Beruf das Denken formt - Lukas Neuhaus
Lukas Neuhaus
Wie der Beruf das Denken formt. Berufliches Handeln und soziales Urteil in professionssoziologischer Perspektive
© Tectum Verlag Marburg, 2010
Zugl.: Univ. Diss. Universität Bern, 2010
ISBN 978-3-8288-5643-1
Bildnachweis Cover: gestempelte Schrift © Lukas Neuhaus
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-2507-9 im Tectum Verlag erschienen.)
Besuchen Sie uns im Internet unter www.tectum-verlag.de
www.facebook.com/Tectum.Verlag
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
INHALT
1. Einleitung
2. Begriffe, Konzepte, Vorüberlegungen
2.1. Klassifizierung, Klassifikation, Gesellschaftsbild
2.2. Ein klassischer Befund und anhaltende Verwirrung
2.3. Paradigmatische Studien zu Gesellschaftsbildern
2.3.1. Ossowski: Klassenstruktur im sozialen Bewusstsein
2.3.2. Willener: Images de la société et classes sociales
2.3.3. Popitz et al.: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters
2.3.4. Habermas et al.: Student und Politik
2.3.5. Auswahl weiterer klassischer Befunde
2.4. Synthese und Ausblick
2.5. Missverständnisse und Operationalisierungsprobleme
Exkurs 1: Das Denken über Berufe
3. Das Forschungsvorhaben
3.1. Forschungsprojekt und Fragestellungen
3.2. Analytischer Fokus
3.3. Methodisches Vorgehen
4. Empirischer Teil
4.1. Pädagogische Berufe
4.1.1. Die berufliche Handlungsstruktur
4.1.2. Materialanalysen
4.1.2.1. Erika Tschannen, Realschullehrerin
4.1.2.2. Claudia Fillinger, Primarlehrerin
4.1.2.3. Sonja Neuberger, Primarlehrerin
4.1.2.4. Regula Christen, Primarlehrerin
Exkurs 2: Professionssoziologische Positionen
4.1.3. Kontrastmaterial: Die deutschen Lehrerinnen
4.1.3.1. Dagmar Windler, Realschullehrerin
4.1.3.2. Stefanie Kron, Sonderschullehrerin
4.1.3.3. Maike Folkerts, Berufsschullehrerin
4.1.3.4. Helga Mosbach, Realschullehrerin
4.1.4. Pädagogisches Feld: Synthese
4.2. Medizin und Pflege
4.2.1. Die berufliche Handlungsstruktur
4.2.2. Materialanalysen
4.2.2.1. Caroline Wegmüller, Intensivpflegerin
4.2.2.2. Gerda Aufenanger, Altenpflegerin
4.2.2.3. Franziska Kraimer, Spitex-Pflegerin
4.2.2.4. Christian Frege, HNO-Pfleger
4.2.3. Kontrastmaterial: Die Ärzte
4.2.3.1. Anna Reinhardt, Orthopädin
4.2.3.2. Bruno Teuscher, Anästhesist
4.2.4. Feld der Medizin und Pflege: Synthese
Exkurs 3: Eine Analyse wertender Urteile über Hausärzte
4.3. Ingenieurwesen und Architektur
4.3.1. Die berufliche Handlungsstruktur
4.3.2. Materialanalysen
4.3.2.1. Alfred Itten, Maschinenbauingenieur
4.3.2.2. Bastien Grange, Architekt
4.3.2.3. Thierry Mueller, Tiefbauingenieur
4.3.3. Feld der Architektur und des Ingenieurwesens: Synthese
4.4. Das juristische Feld
4.4.1. Die berufliche Handlungsstruktur
4.4.2. Materialanalysen
4.4.2.1. Theophil Nievergelt, Gerichtspräsident
4.4.2.2. Jürg Schwitter, Rechtsanwalt
4.4.2.3. Kurt Neiger, Rechtsanwalt
4.4.3. Juristisches Feld: Synthese
4.5. Die Unterstellung von Berufsklassenhomogenität
5. Schlussfolgerungen und Résumé
Literatur
Verzeichnis der Tabellen und Schemata
Empirischer Anhang
DANK
Die vorliegende Arbeit wurde Ende Mai 2010 von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern als Dissertation angenommen. Ohne die Unterstützung durch eine Vielzahl wohlgesinnter Personen wäre sie nicht entstanden.
Herzlich danken will ich namentlich: Claudia Honegger für die Einführung in das soziologische Denken; Martin Schmeiser für zahllose substanzielle Anregungen und für die Gelegenheit, die Dissertation im Rahmen des von ihm initiierten Forschungsprojekts zu verfassen; Peter Schallberger dafür, mir das hermeneutisch-rekonstruktive Forschen näher gebracht zu haben. Denis Hänzi, Andrea Hungerbühler, Caroline Arni, Rohit Jain, Chantal Magnin und Marianne Rychner danke ich für nütz- und erbauliche Hinweise; Christian Zingg und den anderen Verrückten für die willkommene Zerstreuung; Adrian Schild und Stefan Müller für die langjährige Verbundenheit. Katrin und Esther Neuhaus danke ich dafür, mir das Lesen und das Schreiben beigebracht und so den Grundstein zum Gelingen dieser Arbeit gelegt zu haben. Margrit Neuhaus-Rubi und Werner Neuhaus danke ich für Katrin und Esther und für den niemals versiegenden Rückhalt in all seinen Formen. Schließlich und endlich danke ich Tina Maurer für das Glück und für vergangene und kommende gemeinsame Jahrzehnte.
Bern, im September 2010
»In Wahrheit handelt es sich nicht darum, zu wissen, ob durch Berührung mit einem Spechtschnabel Zahnschmerzen geheilt werden, sondern vielmehr darum, ob es möglich ist, in irgendeiner Hinsicht Spechtschnabel und Menschenzahn ›zusammenzubringen‹ […] und durch solche Gruppenbildungen von Dingen und Lebewesen den Anfang einer Ordnung im Universum zu etablieren. Wie immer eine Klassifizierung aussehen mag, sie ist besser als keine Klassifizierung.«
Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken (1968: S. 20 f.)
»La société suppose […] une organisation consciente de soi qui n’est autre chose qu’une classification.«
Emile Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse (1991 [1912]: S. 734)
»Worauf es bei der Arbeit zuallererst ankommt, ist, ob sie anstrengend ist oder nicht. Die am wenigsten anstrengende Arbeit haben vor allem die Beamten, die Freiberufler, wobei die Ärzte allerdings eine psychisch sehr aufreibende Arbeit ausüben. Der Beamte hingegen leistet seine acht Stunden, geht nach Hause, hat seine festen Bezüge, also ein gesichertes Leben. Nach dieser Kategorie folgen die Händler. Je größer ihr Geschäft, desto weniger anstrengend ist es. Dann kommen die Handwerker, die sich in etwa mit mittleren Angestellten, Facharbeitern und Technikern auf eine Stufe stellen. Nach diesen kommen dann die Arbeiter.«
Algerischer Koch, ca. 1965, aufgezeichnet von Pierre Bourdieu, Die zwei Gesichter der Arbeit (2000: S. 150 f.)
1. EINLEITUNG
Das Denken über den Aufbau der Gesellschaft, über die gesellschaftliche Ordnung und über die Stellung der Berufe lässt sich auf vielgestaltige Art und Weise erforschen. Für die vorliegende empirische Studie wurde ein indirektes Vorgehen gewählt, mit welchem die Repräsentationen rekonstruierbar werden, die sich Angehörige verschiedener Berufsgruppen von der gesellschaftlichen Welt machen, in der sie leben. Dass die berufsspezifischen Handlungsprobleme und -routinen und die beruflichen Milieus wichtige Quellen von Denkweisen und Überzeugungen darstellen, dürfte sowohl intuitiv unmittelbar einleuchten wie auch soziologischer Mindestkonsens sein. Diesen Quellen empirisch auf den Grund zu gehen, ist indes ein Vorhaben, das mit vielerlei Tücken verbunden ist und über das sich trefflich streiten ließe. Insbesondere stellt sich die Frage, welche von den beobachtbaren und rekonstruierbaren Elementen plausibel mit der beruflichen Tätigkeit in Verbindung gebracht werden können – von der Entdeckung ›kausaler Zusammenhänge‹, die von vielen sich als wissenschaftlich verstehenden Köpfen als notwendige Bedingung für valable Forschungsergebnisse erachtet werden, soll hier gar nicht erst die Rede sein.
Wer sich mit einem standardisierten Fragebogen ins Feld begibt, stellt bald einmal fest, dass sich die Klassifikationen ähneln, dass viele der Befragten die Berufe gleich oder sehr ähnlich beurteilen und dasselbe oder Ähnliches erzählen, und man ist schon versucht, die Übung abzubrechen. Bis Muster aufzuscheinen beginnen, die es sich zu verfolgen lohnt. Und man hinter den oberflächlich sich ähnelnden Klassifikationen unterschiedliche generative Logiken und unterschiedliche Prozesse der Klassifizierung erahnt.
Die Studie ist im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekts Soziale Klassifizierungen: Neue Dichotomien der gegenseitigen Wahrnehmung von Berufsgruppen? zustande gekommen. Das leitende Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit war der Zusammenhang zwischen der potentiell problematischen Struktur des beruflichen Handelns und den Mustern sozialer Klassifizierung. Da dieser Zusammenhang sich bei den in der Soziologie gemeinhin als Professionen bezeichneten Berufen besonders akzentuiert zeigt (bzw. dort überhaupt erst aufweisbar ist), stehen vier professionalisierte bzw. professionalisierungsbedürftige Berufsfelder im Mittelpunkt: die pädagogischen, die pflegerisch-medizinischen und die juristischen Tätigkeiten sowie das Feld der Architektur und des Ingenieurwesens. Für zwei dieser Felder stellt das erhobene empirische Material Anhaltspunkte zur Verfügung, die den Zusammenhang zwischen einem beruflichen Dilemma und den Mustern sozialer Klassifizierung stützen. Im Fall der Jurisprudenz und des Ingenieurwesens ist der Zusammenhang nicht direkt aufweisbar – was indes wiederum theoretisch erklär- und begründbar scheint: es liegt in diesen Feldern kein berufliches Dilemma im engeren Sinne vor. Entlang der Akutheit des Dilemmas können innerhalb der Berufe zudem Bereiche unterschieden werden, die mutmaßlich in unterschiedlichem Grade professionalisierungsbedürftig sind.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert: In einem ersten Schritt arbeite ich anhand einer kritischen Rekonstruktion einiger klassischer Studien und von Untersuchungen, die an selbige anzuschließen versuchten, zentrale Begriffe und Konzepte rund um den vielschichtigen Themenkomplex des Gesellschaftsbildes heraus (Kapitel 2). Dieser Teil bildet das begriffliche und konzeptuelle Fundament der Studie. Hier wird insbesondere deutlich, dass eine Reflexion zentraler Begriffspaare (Klassifizierung und Klassifikation, Dichotomie und Antagonismus) viel zum Verständnis der zu untersuchenden Phänomene beizutragen vermag.
Im Anschluss an die begrifflichen Rekonstruktionen leite ich zum eigentlichen Forschungsvorhaben über und erläutere Forschungsinstrument, Vorgehen und Fragestellung (Kapitel 3.1.). Ebenfalls in diesen Teil fallen die theoretischen Vorüberlegungen zur analytischen Trennbarkeit der drei Faktoren Biografie, Sozialstruktur und Struktur des beruflichen Handelns (Kapitel 3.2.) sowie eine Darlegung des methodischen Vorgehens (Kapitel 3.3.).
Das empirisch-materiale Herzstück der Studie bildet Kapitel 4: hier werden exemplarische Fälle aus den vier untersuchten Berufsfeldern ausgiebig rekonstruiert. Zunächst wird für das pädagogische Feld (Kapitel 4.1.) deutlich, dass die drei als analytisch isolierbar postulierten Faktoren Biografie, Sozialstruktur und Struktur des beruflichen Handelns bei allen Fällen eine Rolle spielen, dass letzterer Faktor indes besonders bei den noch ungenügend professionalisierten Fällen mit hoher Dilemmaexposition sinnfällig wird. Dieser Befund wird zur These verdichtet, dass sich eine ungenügende Professionalisierung bei bestehender Professionalisierungsbedürftigkeit in den Mustern der sozialen Klassifizierung dokumentiert. Mit dieser These im Handgepäck werden schließlich drei weitere berufliche Felder (das Feld der Medizin in Kapitel 4.2., das Feld des Ingenieurwesens und der Architektur in Kapitel 4.3. sowie das juristische Feld in Kapitel 4.4.) auf entsprechende Zusammenhänge hin befragt.
In der Synthese (Kapitel 5) werden die Erkenntnisse auf vier wesentliche Punkte zugespitzt: Erstens reklamiere ich einen begrifflich-theoretischen Gewinn aus der Rekonstruktion der klassischen und neueren Studien zu ›Gesellschaftsbildern‹, zweitens postuliere ich die analytische Isolierbarkeit der beruflichen Handlungsstruktur als prinzipiell von Biografie und sozialer Lage unabhängiges Element der Logik sozialer Klassifizierung, drittens stelle ich zur Diskussion, ob die Muster der sozialen Klassifizierung als Dokumente fehlender Professionalisierung identifiziert werden können. Viertens schließlich zeige ich, dass die Erkenntnisse der Studie auch zur Kritik an der gängigen Unterstellung von Berufsklassenhomogenität dienen können.
2. BEGRIFFE, KONZEPTE, VORÜBERLEGUNGEN
Wer es sich zum Ziel setzt, soziale Klassifizierungen zu untersuchen, ist gut beraten, sich zunächst einmal eine ungefähre Vorstellung davon zu machen, was der Begriff Klassifizierung bezeichnen und wie dem Phänomen der sozialen Klassifizierungen auf die Spur gekommen werden könnte. Im Folgenden beabsichtige ich nicht in erster Linie Definitionen aneinanderzureihen, sondern eine Art Abriss der Begriffs- und Ideengeschichte zum Themenkomplex Klassifizierung, Klassifikation und Gesellschaftsbild zu präsentieren.
2.1. Klassifizierung, Klassifikation, Gesellschaftsbild
Ein fruchtbarer Ausgangspunkt für ein Untersuchungsvorhaben zur Logik sozialer Klassifizierungen ist die breite soziologische Forschungstradition über Gesellschaftsbilder. Im Anschluss an die 1957 erschienene klassische Studie Das Gesellschaftsbild des Arbeiters von Heinrich Popitz, Hans Paul Bahrdt, Ernst August Jüres und Hanno Kesting hat sich die Forschung eine Zeitlang intensiv mit den Gesellschaftsbildern weiterer Berufsgruppen auseinander gesetzt. So sind beispielsweise die Gesellschaftsbilder von Ingenieuren (Hortleder 1970), Juristen (Weyrauch 1970), Studierenden (Habermas et al. 1961), Stadtplanern (Berndt 1968), Gymnasiallehrern (Schefer 1969) oder Angestellten (Jaeggi und Wiedemann 1966; Braun und Fuhrmann 1970) zum Gegenstand soziologischer Betrachtung geworden. Seither ist diese Tradition der Gesellschaftsbildforschung allerdings beinahe vollständig zum Erliegen gekommen, da ihre Fragestellungen weitgehend in der Milieu- und Lebensstilforschung aufgegangen sind (vgl. zur Milieuforschung als Überblick Vester et al. 2001). Innerhalb der soziologischen Disziplin gibt es indes nach wie vor keinen Konsens über Begriff und Inhalt von Gesellschaftsbildern. Dies – so meine Vermutung – dürfte auch mit der mangelnden Differenzierung der Begriffe Klassifizierung und Klassifikation zu tun haben: während Popitz und seine Kollegen nämlich bei den Hüttenarbeitern vor allem auf der Ebene der Klassifizierung dichotomische (oder präziser: antagonistische) Vorstellungen gefunden haben, versuchten viele (vornehmlich quantifizierend verfahrende) Folgeuntersuchungen eine Dichotomie auf der Ebene der Klassifikation festzustellen oder zu widerlegen, etwa indem den Probanden zwei- bzw. mehrgliedrige Gesellschaftsschemata vorgelegt wurden (vgl. für die Zeit nach Popitz et al. etwa Mayntz 1958, Moore und Kleining 1959, Mayer 1975, Sandberger 1977). Dieses Unterfangen war allerdings von vornherein zumindest partiell zum Scheitern verurteilt, denn auch mehrgliedrige Gesellschaftsbilder können einer idealtypisch antagonistischen Logik folgen, wie Ossowski (1972) in Anlehnung an die marxsche Synthese schon früh plausibel gemacht hat; ein Umstand, der von den Nachfolgestudien meines Erachtens zu wenig gewürdigt wurde und der es verdient hätte, für die aktuelle Ungleichheitsforschung wiederbelebt zu werden. Meist wird also der Begriff Klassifikation unterschiedslos für die Bedeutung als forma (Gestalt) wie für jene als formatio (Gestaltung) verwendet. Die Unterscheidung zwischen Klassifikation (forma) und Klassifizierung (formatio) wird hier in der Folge konsequent berücksichtigt, weil sie mir analytisch sinnvoll erscheint. Ich komme weiter unten noch mehrmals auf diesen Punkt zurück.
Klassifizieren und Klassifikation
Im Fokus der grundsätzlichen begrifflichen Überlegungen steht also unter anderem die analytische Trennung der in der bisherigen einschlägigen Literatur überwiegend synonym verwendeten Begriffe Klassifizieren und Klassifikation. Die Differenzierung besteht darin, dass mit Klassifizieren der Prozess des Herstellens einer Ordnung gemeint ist, während die Klassifikation das Ergebnis eines solchen Prozesses benennt, mit anderen Worten eine hergestellte Systematik. Wenn eine Klassifikation als Taxonomie bezeichnet werden kann (Desrosières 2005: S. 271), dann wären die in der vorliegenden Arbeit untersuchten soziale Klassifizierungen als spontane Ordnungsbildungen eine Art ›Ethnotaxonomie‹.¹ »Ordnung einführen heißt Unterscheidung einführen, heißt die Welt in entgegengesetzte Wesenheiten aufteilen«, so Bourdieu (1993: S. 369). Das Klassifizieren kann damit als basaler Modus des Welterkennens und der Weltauslegung verstanden werden. Eine Klassifikation wäre dann ein geordnetes System solcherart klassifizierter Elemente.
Klassifizieren als basaler Modus des Welterlebens
Das Klassifizieren ist eine universelle Basisoperation der Wahrnehmung, die in vielen Fällen einer dichotomen Logik folgt, wenn beispielsweise in Oben und Unten, Links und Rechts, Groß und Klein etc. differenziert wird.² Zur dichotomen Qualität von Klassifizierungen bestehen indes mindestens zwei sich widersprechende Thesen (vgl. z. B. Schwartz 1981, insbesondere S. 10–33). Einerseits kann anthropologisch (bzw. biologistisch) argumentiert werden: Lévi-Strauss beispielsweise verweist auf die mutmaßlich binären Strukturen des Bewusstseins, an welche jegliche Wahrnehmung zwangsläufig gebunden sei. Oder aber man argumentiert soziologisch und greift beispielsweise auf Durkheim zurück, der in der dichotomen Klassifizierung ein Resultat der sozialen Erfahrung sieht (hier insbesondere der Erfahrung zweier Geschlechter) und die Dichotomie der Klassifizierung daher wohl ein ›fait social‹ nennen würde. Paradigmatisch deutlich wird dies in der durkheimschen religionssoziologischen Gegenüberstellung von Profanem und Heiligem (vgl. Durkheim 1991 [1912]). In der durkheimschen Perspektive wäre die Rede von sozialen Klassifizierungen redundant, da hier gar keine außersozialen Klassifizierungen denkbar sind.
Es besteht also entweder die symbolische Fundierung der sozialen Kategorien in der dichotomen Funktionsweise des Gehirns oder aber die soziale Fundierung der symbolischen Kategorien beruht auf der gesellschaftlichen Erfahrung. Lévi-Strauss postuliert, dass der binäre Prozess der Wahrnehmung die Vorbedingung jeglicher Erfahrung ist und dass aus der Wahrnehmung per Analogie Konzepte werden (Schwartz 1981: S. 3), während Durkheim davon ausgeht, dass die Wahrnehmung von Unterschieden alleine noch keine Klassifikation begründet:
»Der Mensch klassifiziert […] durchaus nicht spontan und gewissermaßen aus einer Naturnotwendigkeit heraus; vielmehr ermangelte es der Menschheit zu Anfang an den nötigsten Voraussetzungen für die Funktion des Klassifizierens.« (Durkheim und Mauss 1987 [1901/02]: S. 175)
Das Klassifizieren beinhaltet neben dem Bilden von Gruppen auch die Konstitution von (wertenden) Beziehungen: »Wir stellen sie [die Gruppen, L. N.] uns als wechselseitig gleichgeordnet oder als einander überbzw. untergeordnet vor« (Durkheim und Mauss 1987 [1901/02]: S. 176).
Können nun aber dichotome Klassifizierungen zu dichotomen Bildern der Gesamtgesellschaft aggregiert werden? Die vorläufige Antwort auf diese Frage lautet: es gibt aggregierbare (oder gewissermaßen teleskopisch verlängerbare) Basisklassifizierungen, zum Beispiel die arbeitende gegenüber der nicht arbeitenden Bevölkerung, die zu antagonistischen Bildern der Gesamtgesellschaft typisiert werden können; Die meisten dichotomen Klassifizierungen dürften aber lediglich den Prozess der Herstellung von Klassifikationen begleiten und ermöglichen. Es ist also für die Analyse der Vorstellungen über eine Gesellschaft von Vorteil, die Klassifizierung als Prozess von der Klassifikation als Resultat bzw. als System klassifizierter Elemente zu trennen.
Die Klassifikation als System klassifizierter Elemente
Damit von einer Klassifikation gesprochen werden kann, müssen mindestens zwei Voraussetzungen erfüllt sein: es muss (1) eine Menge von unterscheidbaren Elementen vorliegen, und diese Elemente müssen (2) in einem Verhältnis zueinander stehen. Aus der Gesamtheit der klassifizierten Elemente ergibt sich dann eine Klassifikation, welche die Funktion und/oder den Rang der einzelnen Elemente bestimmt. Prominente Beispiele von Klassifikationen sind die International Classification of Diseases (ICD) für die Medizin, die linnésche Klassifikation für Flora und Fauna, das Periodensystem der Elemente oder auch die in vielen Hauswirtschaftslehrmitteln abgebildete Lebensmittelpyramide (siehe z. B. SGE 2009). Gesellschaftsbilder können nun als spezielle Klassifikationen angesehen werden, denn auch sie setzen mehr oder weniger willkürlich definierte Elemente – soziale Gruppen – logisch zueinander in Beziehung. Dies kann – wie Ossowski (1972: S. 182–193) gezeigt hat – in der Form von Ordnungs- oder von Abhängigkeitsrelationen geschehen. Im Unterschied zu den außersozialen Klassifikationen schließen die sozialen überdies die klassifizierenden Subjekte selber mit ein, was zweifellos epistemologisch relevant ist, wie auch Bourdieu (1987: S. 752) ausführt:
»Die gesellschaftlichen Subjekte begreifen die soziale Welt, die sie umgreift. Das heißt, dass zu ihrer Bestimmung die materiellen Eigenschaften und Merkmale nicht ausreichen […]. Denn kein Merkmal und keine Eigenschaft, die nicht zugleich auch symbolischen Charakter trüge – Größe und Umfang des Körpers so gut wie des Grundbesitzes: sie unterliegen immer der Wahrnehmung und Bewertung von Akteuren mit den entsprechenden, gesellschaftlich ausgebildeten Schemata.«
Das Gesellschaftsbild als spezielle Klassifikation
Das Gesellschaftsbild als spezielle Klassifikation ist die Summe der Vorstellungen über den Aufbau der Gesellschaft und die Funktionen ihrer Teile. Rein ordnender Natur wären solche Klassifikationen beispielsweise im Falle gradueller Schemata, welche auf der Steigerung eines oder mehrerer ›objektiver‹ Kriterien wie Einkommen, Vermögen etc. beruhen. Schemata, welche für den Erhalt der Gesellschaft die Notwendigkeit sämtlicher Elemente betonen, folgen einer Logik der gegenseitigen Abhängigkeit. Die antagonistischen Schemata legen den Fokus auf eine einseitige Abhängigkeit, indem sie eine benachteiligte untere Klasse oder Schicht einer privilegierten oberen Gruppe gegenüberstellen. Eine gegenseitige Abhängigkeit kann beispielsweise durch ein Ständemodell oder in organizistisch-funktionalen Gesellschaftsbildern ausgedrückt werden. In letzterem Modell sind »die Erfolge einer Klasse« dann eben nicht »zugleich die Misserfolge der anderen« (Ossowski 1972: S. 184).
Ein Gesellschaftsbild kann nun durchaus – um am klassischen Befund der ›Dichotomie‹ im Gesellschaftsbild der Arbeiter (vgl. Popitz et al. 1977) anzuschließen – auf einer binären Opposition zweier antagonistischer Klassen basieren, es sind in der Literatur aber auch zahlreiche nicht-antagonistische Gesellschaftsbilder beschrieben worden, namentlich das hierarchisch-graduelle oder das Bild der ›nivellierten Mittelstandsgesellschaft‹. Ossowski (1972: S. 100) zeigt am Beispiel der von Marx vorgenommenen Synthese, dass Dichotomien auch gekreuzt werden können.³ Dichotomien auf der Ebene der alltäglichen Wahrnehmung müssen sich also nicht auf der Ebene des Gesellschaftsbildes wiederfinden – zum Beispiel als antagonistische Klassifikation –, sie können aber als Strukturierungsprinzip der Wahrnehmung insbesondere von Berufstätigkeit fungieren (hier sind zum Beispiel die Unterscheidungen von körperlichen und geistigen Tätigkeiten oder die Gegenüberstellung von praktischer und theoretischer Arbeit zu nennen). Es sind folglich durchaus Klassifikationen denkbar, die zwar mehrere Gruppen umfassen, also streng formal gesprochen mehrgliedrig sind, die aber zu einem Antagonismus typisiert werden können. Die einzelnen Gruppen basieren dann auf einem Antagonismus einseitiger Abhängigkeit. Eine Dichotomie auf der Ebene der Klassifikation – beispielsweise die Gegenüberstellung einer (und nur einer) Gruppe von Arbeitern und einer (und nur einer) Gruppe von Kapitalisten – wäre demnach nicht die einzige denkbare Form antagonistischer Klassifikationen. Mit Ossowski (1972: S. 46) kann argumentiert werden, dass auch mehrgliedrige Klassifikationen einer antagonistischen Logik der Klassifizierung folgen können. Dies bedingt allerdings, dass die bewusst oder unbewusst geleistete Typisierung erkannt wird, was nur über eine Rekonstruktion der Klassifizierungspraktiken möglich ist und sich nicht formal von selbst aufdrängt.
Bourdieu argumentiert mit Verweis auf Leibniz, dass bei der notwendig auf Komplexitätsreduktion angewiesenen Bewältigung des Alltags eine Vielzahl von sozial geteilten und dichotom formulierten Gegensatzpaaren herangezogen werden:
»Alle Akteure einer Gesellschaft verfügen […] über einen gemeinsamen Stamm von grundlegenden Wahrnehmungsmustern, deren primäre Objektivierungsebene in allgemein verwendeten Gegensatzpaaren von Adjektiven vorliegt, mit denen Menschen wie Dinge der verschiedenen Bereiche der Praxis klassifiziert und qualifiziert werden.« (Bourdieu 1987: S. 730)
Diese Dichotomie von begrifflichen Gegensatzpaaren ist auf der Ebene der einzelnen Klassifizierungen angesiedelt und nicht zwingend auf der Ebene des Gesellschaftsbildes. Das Gesellschaftsbild wird im Rahmen des empirisch-materialen Teils der Untersuchung (Kapitel 4) dennoch als theoretischer Ausgangspunkt relevant, denn die zu diskutierenden Ergebnisse betreffen ein Element dieser Bilder: die einzelnen Klassifizierungen und deren Beziehung zur Struktur des beruflichen Handelns.
In der soziologischen Literatur wurde und wird der Zusammenhang zwischen sozialer Lage und gesellschaftlichem Bewusstsein nach wie vor diskutiert, in jüngerer Zeit wird das Ausmaß dieses Zusammenhangs unter dem zeitdiagnostischen Stichwort ›Individualisierung‹ zunehmend infrage gestellt (vgl. z. B. zur diesbezüglichen Gegenüberstellung von ›Konsistenz-‹ und ›Differenzierungsparadigma‹ Berger 1987). Die vorliegende Untersuchung greift nun insofern nicht direkt in diese Debatte ein, als bei der hier vorgenommenen Analyse der Klassifizierungslogiken verschiedener (semi-)professionalisierter Berufe nicht auf die soziale Lage bzw. die Position in der Sozialstruktur fokussiert wird, sondern auf die besondere Struktur der beruflichen Tätigkeit. Die Debatte darüber, ob und in welcher Weise soziale Lage, Klasse, sozialmoralisches Milieu oder ähnliche Konzepte auf die Wahrnehmung der sozialen Welt einwirken, erscheint für den hier interessierenden Zusammenhang nämlich wenig ergiebig. Erörtert werden soll vielmehr der Einfluss der Struktur der beruflichen Tätigkeit auf die Muster der Klassifizierung.
Zunächst folgt nun jedoch eine kritische Rekonstruktion einiger klassischer Studien zur Gesellschaftsbildforschung.
2.2. Ein klassischer Befund und anhaltende Verwirrung
Die Veröffentlichung der Studie Das Gesellschaftsbild des Arbeiters erfolgte 1957 – zu einer Zeit also, in welcher der Arbeiterschaft von Seiten der Soziologie besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs zwischen den kapitalistisch und den kommunistisch dominierten Ländern stieg in der westlichen Soziologie das Interesse für die Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiterschaft. Im Zuge dieser intensivierten Aufmerksamkeit wurden vermehrt Studien zum Verhältnis von Klassenlage und Klassenbewusstsein durchgeführt (beispielsweise Centers 1949, Geiger 1949). Für die marxistische Tradition besteht ein mehr oder weniger⁴ direkter Zusammenhang zwischen der sozialen Lage bzw. dem ›sozialen Standort‹ (Mannheim) und den Repräsentationen, welche die Individuen sich machen (dem ›Bewusstsein‹). Während das Interesse am Arbeiterbewusstsein bei den marxistischen Autoren äußerst ausgeprägt war,⁵ bestand im Zuge der Ausbreitung des Wohlstandes auch von Seiten der Konsumsoziologie, der Marktpsychologie und der damit zusammenhängenden Erforschung des Konsumverhaltens (vgl. Dreitzel 1962 oder Kleining 1961) seit den 1940er Jahren Interesse an der Erforschung jener Vorstellungen, die im damals inflationär verwendeten Begriff vom ›Image‹ bzw. vom ›Gesellschaftsbild‹ zusammengefasst werden können. Unter einem Gesellschaftsbild verstand man wahlweise ein »Wertsystem« oder eine »Subkultur« (Lepsius 1962: S. 453), »übereinstimmende Einstellungen« und »Einstellungsbündel« (Schefer 1969: S. 15) oder einfach das »Image, das ein einzelner von der Gesellschaft, in der er lebt, hat.« (Dreitzel 1962: S. 189)
Zur Frage des Aufkommens eines »Neuen Arbeiters« bzw. einer »Neuen Arbeiterklasse«⁶ gab es zwischen 1965 und 1975 eine Vielzahl kontrovers diskutierter Publikationen. Goldthorpe und Lockwood beispielsweise (1968/69) versuchten die zu jener Zeit geläufige These von der Verbürgerlichung der Arbeiterklasse empirisch zu widerlegen; sie stellten die alternative These einer zunehmend ›instrumentellen Arbeitsorientierung‹ auf: Für viele Arbeiter sei die Arbeit nur mehr Mittel zum Zweck, die Sphären der Arbeit und der Freizeit bzw. der Produktion und des Konsums würden vermehrt getrennt, die Einstellung zur Arbeit werde zunehmend ›instrumentell‹ statt – wie fälschlicherweise angenommen – identifikatorisch. Der Fokus der Arbeiterschaft liege folglich künftig auf der Verbesserung ihrer Stellung auf der Seite der Konsumtion, nicht mehr auf der Verbesserung ihrer Macht als Produzenten (nach Hörning 1971: S. 11). Eine generelle Verbesserung der Lage bzw. eine Angleichung an den Mittelstand versprachen sich viele Theoretiker der Arbeiterbewegung vom damals gängigen Phasenmodell der Industrialisierung (vgl. z. B. Kern und Schumann 1970: S. 28), das eine generelle Erhöhung der Qualifikation erwarten ließ (z. B. Touraine 1966: S. 63/116 oder Blauner 1964: S. 67, der zudem von einer rückläufigen Entwicklung der ›Entfremdungskurve‹ spricht, S. 182). Auch die gegenteilige Prognose wurde indes vertreten: Bright (1959: S. 176 ff.) glaubte an einen längerfristigen Qualifikationsrückgang (vgl. hierzu auch Braverman 1977, der die gängige These von der zunehmenden Qualifizierung ebenfalls infrage stellt). Nach den ›Septemberstreiks‹ von 1969 wurde der Mangel an gesicherten empirischen Erkenntnissenzum politischen Bewusstsein der Arbeiter deutlich, denn bis zu diesem Zeitpunkt gingen auch die Sozialwissenschaften davon aus, dass eine Verbürgerlichung der Arbeiterklasse stattgefunden habe und das geringere Widerstands- und Mobilisierungspotenzial dieser Tatsache geschuldet sei (Kudera et al. 1979: S. 9 f.).
Die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren dann wiederum reich an Veröffentlichungen zum ›Arbeiterbewusstsein‹ sowie zu den Gesellschaftsbildern verschiedener anderer Berufsgruppen (z. B. Goldthorpe und Lockwood 1968/69, Schefer 1969, Hortleder 1970 und 1971, Kern und Schumann 1970, Weyrauch 1970, Deppe 1971, Herkommer 1969 und 1971, Hörning 1971, Oetterli 1971, Schwebke 1974, Bulmer 1975, Tjaden-Steinhauer 1975, Braverman 1977, Hack et al. 1979, Kudera et al. 1979, Fröhlich 1981). Ein Konsens über Zustand und Inhalt des Arbeiterbewusstseins ließ sich allerdings nicht herstellen – im Gegenteil: die vermeintlich empirisch abgestützt