Und dann lynch' ich deinen Hummer!: Das Affenalbum
By Izy Kusche
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Als er in einer fremden Wohnung eine alte Schreibmaschine entdeckt, beginnt er damit, seine Geschichte niederzuschreiben. Doch immer wieder wird er darin unterbrochen - von den Meldungen aus der Finanzwelt, die just in diesen Tagen in eine tiefe Krise gestürzt wird.
Ein tragikomischer Roman über einen Außenseiter, der trotz seiner gesellschaftlichen Benachteiligung alle Register zieht, um seine Ziele zu erreichen.
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Und dann lynch' ich deinen Hummer! - Izy Kusche
PAVEMENT
1. Der Ichauffeur
Draußen standen die Neger. Sie wollten uns begleiten. Einer rief den seltsamen Namen einer Bar, die niemals schließe und stellte dort ein nicht endendes Fest in Aussicht. Die übrigen fielen in seine Werbung ein. Ebenso unerschöpflich wie die versprochene Party selbst schienen dabei immer neue Wörter in ihren Mündern zu entstehen, wie Einzeller, fähig zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung, erstaunlich effizient, ausschwärmend und mit dem konsequent verfolgten Plan einer weiteren Vermehrung; so gab ein Wort von ihnen das nächste, und wenn auch ihre Rede insgesamt weitestgehend unverständlich blieb, so schien sie doch niemals zu versiegen, unerbittlich, mit dem Zweck, um uns zu werben, als würden wir irgendwann einlenken müssen, wobei es ihnen wohl eher auf sie als auf mich ankam, also – natürlich! – geschlechtliche Vermehrung, denn sie sah tatsächlich atemberaubend aus, und auch wenn die Neger denken mochten, sie hätten ein Leichtes mit mir – denn eigentlich wollten sie mich loswerden, was macht die mit dem alten Affen, werden sie sich gefragt haben –, doch ich ließ nicht nach, nein, ich nicht, nicht mit mir, diesmal nicht, so kurz vor dem Ziel, dachte ich, als unversehens ein einziger, sinnloser, aber bilingualer Ausruf des ersten Negers die anderen verstummen ließ: »The Wahrheit!«, wiederholte er daraufhin noch eine Weile, bis auch er schließlich still wurde und mit der flachen Hand über seinen muskulösen Oberkörper strich, der in einem T-Shirt mit folgender Aufschrift steckte: »Gott ist eine Pflanze!«
Nein. Wirklich nicht.
Wir hatten die Zeitmaschine gerade erst verlassen. Vom Tresen weg, durch den Keller, die Rollläden waren vorne längst runtergelassen, dem ersten Tageslicht entgegen, der Barmann tippte mit der Schuhsohle streng auf den Estrich vor der geöffneten Tür, ja, ja, weil wir zunächst WC und Hinterausgang verwechselt hatten, er wartete ungeduldig – wie es hagere Gestalten mitunter an sich haben – mit dem Schlüssel bereits im Schloss. Und dann raus. An den Negern vorbei.
Und dann.
Kurz.
Zum ersten Mal.
Ruhe.
Denn Stille lag ihr eigentlich nicht. Wie ich am Tresen saß. Und sie auf einmal neben mir stand. Und (wie die Neger) drauflosredete. Aus ihrem abrupt anhebenden Vortrag erkannte ich zunächst nur einzelne Vokabeln wie Verdienst, Lohn, Leistung, Wert. Ich konnte allerdings kaum wie jemand gewirkt haben, mit dem man ernsthaft über Arbeit sprechen wollte.
»Aber«, sagte sie, während sie einzelne Wörter gemeinsam mit dem Wein verschluckte, nämlich immer, wenn sie ihr Glas ansetzte und in kleinen, aber zahlreichen Schlucken trank, »warum? … Die verdienen nicht … sind sich zu … arbeiten … keine Leistung … Ich bin mir nicht … Sicher nicht. Wie finden Sie das, mein Herr?«
Ich hatte zunächst nur kurz in Richtung Fenster geblickt. Dann fiel mir die Tapete auf. Eine schwarze Fläche wurde überzogen von holzschnittartigen Kirschbäumen in einem schwachen Rotton mit etwas Weißanteil, ohne dabei allzu rosa zu wirken, dazu schlängelten sich längliche Blätter wie Schilf um ein vulkanartiges Gebirge in Hellbeige. Um diese zwar vereinfachten und schematischen Naturdarstellungen aber überhaupt zu erkennen, musste man sehr genau hinsehen, und wer hätte sich dazu noch imstande gesehen, hier, wo jegliche Analysetätigkeit mit Voranschreiten der Nacht eher nachließ; wenn man genauer hinsah, bemerkte man eine Art Metamuster, ein Gesamteindruck, der mit einigem Abstand – wobei es sich zumeist wohl um die Entfernung von der Theke zur Tapete handelte – betrachtet, Ähnlichkeit mit einer Korkstruktur aufwies. Diesen abstrakten Eindruck bewirkten die mit Folie abgedeckten Lampen, die direkt an der Wand befestigt waren und das Tapetenmuster lebendig erscheinen ließen. Die Mauern pulsierten orange oder vibrierten oder –
»Was soll das? Können Sie nicht sprechen, Sie Affe?«
Ihr Gesicht war plötzlich ganz nah an meinem. Sie hatte mich tatsächlich angesprochen. Ich bat um Entschuldigung, aber sie beruhigte sich kaum. Stattdessen wollte sie nun wissen, entweder aus tatsächlichem Interesse oder bloß aus Höflichkeit, ob ich denke, dass sie es nötig habe, irgendeinem Affen Vorträge zu halten, einem Affen, ergänzte sie, der offenkundig lieber in die Luft starre, als sich mit ihr zu unterhalten.
Es war die Tapete, präzisierte ich. Nicht Luft.
Sie fing an zu schreien, was ich mir einbilde. Ob ich nicht nur ein Affe, sondern auch noch ein Lackaffe, ein eingebildeter Lackaffe sei.
Ich wusste also bereits, dass sie leicht mal aus dem Häuschen geriet, als ich sie ungefähr ein Jahr später wieder die Zeitmaschine betreten sah, zunächst ohne mich zu beachten. Sie blieb erst einmal bei zwei Typen an der Bar, die sich für Neger hielten und sie bereits von der Türschwelle aus zu sich zogen, sofort das Gespräch mit ihr begannen und ganz nach Negerart auf sie einredeten, so, dass sich kaum einzelne Wörter voneinander unterscheiden ließen. Sie versuchte, beiden abwechselnd ins Gesicht zu schauen, schwankte dann leicht, hielt sich am Tresen fest und schrie, dass sie ihr Studium selbst finanziere und nicht angewiesen sei auf … Sie griff nach dem Glas von einem der beiden Ersatzneger und schluckte das Satzende mit dem fremden Getränk tief hinunter. Sie hatte Lippen wie ein Korallenriff. Es würde nun nicht mehr lange dauern, dachte ich.
Als wir die Bar verließen.
An den echten Negern vorbei. Die sie schon die ganze Zeit angestarrt hatten. Von draußen durch die Scheibe hindurch. Sie warteten dort so lange, bis wir rauskamen. Sie wollten mit uns gehen. Aber wir ließen sie stehen und gingen die wenigen Schritte zum Markt runter. So ist das bereits beim ersten Mal gewesen. Dachte ich.
Als wir uns vor ungefähr einem Jahr begegnet waren.
Die Sonne ging auf, die ersten Händler, Verkaufsneger, wie sie sie im Vorbeigehen bezeichnete, öffneten gerade ihre Stände, es war noch nichts zu sehen vom täglichen Geschacher um Obst und Gemüse, von dessen anbiedernder Präsentation. So sahen wir uns auch von der entwürdigenden Notwendigkeit entbunden, die Verkaufsofferten immer wieder aufs Neue abzulehnen, und spazierten über den Markt wie durch einen Garten im August, vorbei die Blütezeit und seine Früchte noch nicht bereit. Munterer als die ersten Menschen liefen wir an den Händlern, die noch keine waren, vorbei wie durch eine Frühphase der Wonne, bis wir schließlich zu dem Laden, der nie schließt, gelangten. (Allerdings ein anderer, nicht der, von dem die Neger redeten.)
Ich bezahlte dort teuer für das, was wir wollten, weil in so einem Laden tatsächlich nichts billig zu haben war. Die Sonne ging immer noch auf und hinterließ atompilzartige Muster auf dem quadratischen Tischchen aus blassrosafarbenem Marmor, als sie direkt durch unsere gerade vom Ober gelieferten Getränke hindurchschien. Es waren zwei leuchtende Explosionswolken, die eingefasst wurden von einem dunklen, trichterförmigen Schatten. Ich sah, wie er auf der Steinplatte kreiselte, auf der unsere Gläser standen, als ich eines anhob und es am Stil leicht hin- und herbewegte.
»Hörst du mir überhaupt zu«, schrie sie plötzlich, »du Affe!«.
Ich entschuldigte mich und fragte, ob sie etwas gesagt habe.
»Natürlich habe ich.«
Ich entschuldigte mich erneut und korrigierte meine Frage dahingehend, was sie denn gesagt habe.
»Humor ist überhaupt das Größte.«
Ich verstand nicht recht, aber zum Beweis dessen, dass ich ihr diesmal aufmerksam zuhörte, begann ich, so ungekünstelt wie möglich zu kichern. Sie richtete sich auf. Ihre Augen hoben sich wie zwei zufällig freigelegte winzige Flecken auf einer Werbefläche hervor, von der sich jüngere Plakate, den äußeren Bedingungen nachgebend, langsam zu lösen begannen und nun im Wind flatterten, woraufhin unter den Schichten der Angebote von Elektronikkaufhäusern oder Schnellrestaurantketten zwei azurfarbene Punkte hindurchschimmerten, zwei Punkte eines Plakats, dessen Sinn überlagert wurde von neuerer Werbung, die mittlerweile aber dasselbe Schicksal wie die vorherige teilte. Erratisch zeugten diese zwei azurfarbenen Punkte von einer Art Reklame-Antike, die nun niemand mehr versteht. Ihre Augen betrachteten mich blicklos. Ich hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Meine Reaktion zeigte deshalb insgesamt wohl zu viel Uneindeutigkeit, denn eigentlich kenne ich mich mit Menschen kaum aus. Sie begann zu weinen.
Nun ja, Humor sei sicherlich gut, überhaupt das Größte, wie sie sich ausdrückte, aber, versuchte ich sie zu beschwichtigen, er sollte eigentlich befreiend wirken und nicht Anlass zu Kummer geben, ob sie einem solchen beispielsweise zum Opfer gefallen sei, versuchte ich die Ursache ihrer Tränen zu erraten, aber, holte ich nun etwas weiter aus, in der Hoffnung, in ihren Augen nicht genau diese Sorte rücksichtslos aufmerksamkeitsheischender Spaßvögel (»selbstverständlich, ich würde töten für einen Lacher«, haha, das war ein guter Witz, Waschlappen) oder gar selbsternannter Zyniker (Typ einsamer Wolf, der seine verächtlichen Witze scheinbar reißt, um seine Autonomie unter Beweis zu stellen, in Wirklichkeit aber genauso nach Aufmerksamkeit heischend, nur eben nicht zustimmender, aber ohne (in wirklich supereinfach zu provozierende) entsetzte Blicke wäre er nackt wie ein Stück Seife) zu verkörpern, da sie weiterhin keine Regung zeigte; ob Spott und Humor überhaupt dasselbe seien, wagte ich zu bezweifeln, schließlich zeuge jener von Distanz, dieser eben gerade nicht. Und um den Satz nicht bloß im Symbolischen zu belassen, demonstrierte ich Nähe und rückte eng an sie heran.
Sie senkte ihren Blick und verfolgte ohne weitere Anteilnahme ihre vergeblichen Versuche, sich Feuer zu geben. Nachdem ihr das dritte Streichholz zerbrach, nahm ich ihr behutsam die Schachtel aus der Hand, die zitterte wie ein sterbendes Insekt auf einem Blatt Sonnentau (Drosera), entzündete ein viertes und hielt ihr das Flämmchen weit entgegen. Sie verfehlte es dennoch mit ihrer Zigarette. Ich korrigierte die Position des Feuers. Nachdem sie endlich den Rauch ihres ersten Zugs ausblies, nahm sie wie zum Dank meine Finger, die noch das versengte Hölzchen hielten, umfasste sie mit beiden Händen, führte sie zu ihrem Mund und küsste sie zweimal, zunächst ganz kurz und kaum spürbar, worauf ich das Streichholz schnell fallen ließ, dann lang anhaltend, aber immer noch behutsam und kaum merklich, die brennende Zigarette in ihrer Hand dabei völlig außer Acht lassend. Sie schien bereits mit ihren Lippen auf meinen Fingern ruhend eingeschlafen zu sein, als sie plötzlich ihren Kopf hob und versuchte, mir direkt ins Gesicht zu blicken. Ich hatte versucht, sie anzusprechen. Vermutlich verstand sie nicht.
»Du hast urschöne Augen«, sagte sie auf einmal, »wirklich, urschöne Augen.«
Nach dieser aufbauenden Ansprache wechselte sie jedoch leider das Thema und sprach nun von Kommilitonen, die nämlich ihre Kunst nicht verstünden, weil sie keine großen Bilder male, sondern nur kleine Strichmännchen. Ihr Professor hingegen wisse ihre Arbeit zu würdigen, das allein sei ihr ein Verdienst, wenn er den Wert ihrer Leistung schätze.
»Ich bin nämlich in der Klasse von …«, an dieser Stelle nannte sie den Namen des berühmten und derzeit zweitteuersten Malers des Landes, »und …«, sie wiederholte den Namen, »versteht mich, ich studier nämlich bei …«, sie nannte ihren Lehrer erneut. »Die übrigen Kommilitonen«, so fuhr sie fort, »denken überhaupt ganz lange nach, was große und ernste Kunst ist, dann fangen sie erst an zu malen. Große Bilder nennen sie«, an dieser Stelle zog sie mit dem rechten Zeigefinger ihr unteres Lid auf derselben Seite herunter, so dass die Rundung ihres Augapfels sichtbar wurde, wobei sie eine Quarte pfiff, bevor sie den Begriff nannte, den sie mit ihrer Geste in sein Gegenteil verkehrte: »ernsthafte Kunst.« Je lebhafter sie von ihren Kommilitonen erzählte, desto kürzer wurden nun die Abstände ihrer Schlucke. »Dabei … rückschrittlich, konservativ, … weil …, ich mach kleine Zeichnungen …, damit ein veränderter Blick … nämlich Strichmännchen … weniger die Intentionalität … als deren Aussetzen, weniger der bewusste Wille als das Begehren, weniger das Ich als das Subjekt des Unbewussten … experimentell … künstlerisch risikobereit … Konventionen brechen … Fortschritt der Ästhetik …« Plötzlich setzte sie das Glas ab und hielt es mit beiden Händen, wie um sich, zumindest hatte es den Anschein, auf es zu stützen oder besser auf folgende Schilderung konzentrieren zu können: »Sie stehen vor ihren Bildern und betrachten sie mit einem«, sie wiederholte die Geste mitsamt den zwei gepfiffenen Tönen, »ernsthaftem Blick. Haare aus der Stirn nach hinten gekämmt, an den Seiten kurz, Ohren frei, dünner Schnauzer über den Wangen, löchriger Bartwuchs, ein kariertes Tuch um den Hals geschlungen, dunkler Blaser.« Sie wirkte wieder so, als würde sie mir direkt ins Gesicht blicken wollen, diesmal wie um ihrer Rede eine rhetorische Frage hinzuzufügen. Deren Formulierung überließ sie anscheinend allerdings mir selbst: Sie zog ihre Kunstpause in die Länge, als habe sich die Außentemperatur nur für sie merklich geändert, so verfiel sie in eine amphibienhafte Starre, verharrte reglos mit offenen Augen, bis irgendwas die Gradzahl im Raum rückregulierte, sie unvermittelt rief und gleichzeitig mit einer Armbewegung ihre Äußerung unterstrich, als würde nun eine Bilanz erfolgen: »Der junge Stalin!«
Nun war es an mir, sie fragend anzusehen. Ihr Ausruf blieb mir unverständlich wie eine Negerrede.
»Glotzt du in meinen Ausschnitt?«
Stalin? fragte ich mit einem möglichst wissenden Ausdruck.
»Mode-Stalinisten. Ich nehm die gar nicht ernst.« Sie erhöhte wieder die Frequenz ihrer Schlucke. »Ich bin nämlich überzeugt von … Man muss hinter