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Brainrise
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Ebook386 pages5 hours

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About this ebook

In Madrid entdeckt die Molekularbiologin Dr. Alethea Pardo Calderón eine Formel, wie neuronale Zellen mithilfe genetischer Manipulation regeneriert werden können. Dieser epochale Durchbruch auf dem Gebiet der Biowissenschaften eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, die intellektuellen und psychischen Fähigkeiten des Menschen zu verbessern. Schnell gerät sie in die Fänge eines internationalen Pharmakonzerns, vor dem sie mit ihrer Familie nach Kuba flüchtet, wo sie sich mit ihrer Heilsmission besser aufgehoben glaubt.

Die chinesisch-amerikanische Topspionin Li Hui erwacht in einer unterirdischen Zisterne aus dem Koma. Sie befreit sich aus ihrem ägyptischen Gewahrsam und trifft den US-Geheimdienstmann Alban Jeremias Redcliff wieder, der sie fortan auf ihrer weiteren Suche nach den "Heiligen Steinen", den zurückgelassenen Kristallspeichern der exterrestrischen Besucher der Atlantiszeit, begleitet.
In den USA arbeiten Mitglieder einer Geheimorganisation an der Züchtung genetisch veränderter Humanoiden, den Genorgs. Mit ihnen wollen sie in einem riesigen Weltraumhabitat die Erde verlassen, weil sie überzeugt sind, dass der Untergang der Menschheit wegen einer globalen Umweltkatastrophe kurz bevor steht.

Doch die Dinge entwickeln sich anders, als von den Mächtigen geplant und von den Forschern vorausgesehen. Die Erdenbewohner können ihrem Schicksal zwar nicht entrinnen, einige von ihnen bekommen aber eine neue Chance. Der Aufstieg des Bewusstseins kann beginnen.
LanguageDeutsch
Publisher110th
Release dateDec 11, 2014
ISBN9783958654228
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    Book preview

    Brainrise - Christian F. Schultze

    Lorenz

    Vorwort

    Die Wissenschaftsgemeinde streitet noch, ob die Astrologie von den Sumerern, Babyloniern oder Ägyptern auf uns gekommen ist. Vielleicht stammt sie ja eher von den Atlantern.

    Die Astrologen hingegen sind sich in der Anwendung der uralten Einteilung der Menschheitsgeschichte nach der Sternenzeit einig. Dem skeptischen Zeitgenossen sollte auffallen, dass der Gegenbeweis zu dieser Weltsicht derzeit ebenso unmöglich ist, wie der Gottesbeweis oder der des Atheismus. Deshalb hat der Autor sich erlaubt, den Hinweis der Astrologie, dass die Menschheit mit dem Ende der Fischzeit und dem Eintritt in das Zeitalter des Wassermanns am 21. Dezember 2012 eine völlig neue Epoche ihrer Geschichte beginnen wird, in diesem Buch aufzugreifen.

    Dennoch glaubt er doch lieber an die – wenn auch ambivalente - Kraft des menschlichen Verstandes. Das Feuermachen hat der Mensch nämlich durch Erkenntnis gelernt, nicht durch Glauben.

    Dresden, 1. Juni 2012

    Die Endzeit des Fisches

    1.

    Je nachdem, wie einer die Welt sehen wollte, war es eine Laune des Schicksals oder ein Zufall, dass doctora Carona Alethea Pardo Calderón plötzlich von einer Art Erleuchtung heimgesucht wurde.

    Die Molekularbiologien befand sich an diesem Abend des zu Ende gehenden heißen Tages im Monat August nach einem langen Arbeitstag im Labor bereits ein Stück auf dem Nachhauseweg. Nach diesem Geistesblitz, der sie aus heiterem Himmel ereilt hatte, wunderte sie sich geradezu, dass sie nicht schon eher darauf gekommen war. Sie konnte dem Drängen, sich deshalb unverzüglich wieder an die Arbeit zu machen, nicht lange widerstehen

    Heute war offenbar ein hervorragend geeigneter Tag, eine nächtliche Extraschicht zu fahren. Denn jetzt wusste sie, dass sie mit ihren Experimenten ganz offensichtlich auf eine heiße Spur gestoßen war. Die Versuchsreihen der letzten zwei Wochen bestätigten unwiderlegbar, dass die Enzymkombination, die sie und ihr kleines Team seit ein paar Tagen verwendeten, tatsächlich geeignet war, Neuronen des Riechzentrums gezielt aus Stammzellen wachsen zu lassen. Wieso war ihr das nicht schon eher aufgefallen? Schließlich hatte es bei siebzig Prozent aller angesetzten Kulturen so funktioniert. Die Dreiundzwanzig, das musste der Schlüssel sein!

    Das Phantastische und beinahe Unglaubliche daran war, dass damit die Aussicht zunahm, andere Nervenzellarten ebenfalls zum Wachsen zu bringen. Wenn sich ihre Datenreihen bestätigten, dann war ihnen ein wichtiger Schritt in der Forschung zur Rehabilitation zerstörter Nervenzellen gelungen, der bahnbrechend für die medizinische Behandlung von neuronalen Schädigungen aller Art werden konnte. Sie musste sich das sofort noch einmal ansehen!

    Während sie sich auf die Kühle ihrer Wohnung gefreut hatte und gleichzeitig an ihre in der Ferne weilenden Lieben dachte, war ihr mit einem Mal der Gedanke gekommen, dass es vielleicht dumm sein mochte, wenn sie ihre Erkenntnisse über die Wirkung der Enzymscheren ausschließlich für die Gewinnung von RNA-Sequenzen zur Erzeugung von Riechaxonen anwendete. Und scheinbar hatte es mit jener dreiundzwanziger Sequenz, die ihr bei ihren Tests immer wieder begegnet war, etwas Besonderes auf sich. Das war ihr in den Veröffentlichungen dieses Tom Tuschels von der New-Yorker Rockefeller-University gleichfalls sofort aufgefallen. Diese Zahl hatte bei den Experimenten der Deutschen und der Amerikaner zur Separierung bestimmter RNA-Basen stets eine Rolle gespielt. Hatte sie bei deren Versuchsreihen am Axolotl, den Bärtierchen und den Seehasen etwa auch etwas bedeutet? Das mussten sie schnellstens überprüfen!

    Wo bekam sie also solche Wirbellosen, solche Lärvchen her und was kosteten sie? Konnte sie im World Wide Web etwas darüber finden und wer waren außer Tuschel noch die derzeit Führenden auf diesem Gebiet? Diesen Abend ohne Familie konnte sie wunderbar dazu nutzen, im Internet zu recherchieren und zu sehen, wo und wie man ein paar Prototypen dieser Niedrigzeller bestellen konnte. Gleich morgen früh würde sie dem Chef ihre Entdeckung kundtun und ihn überreden, alles in dieser vielversprechenden Richtung zu unternehmen.

    Juan, ihr Mann war noch auf dieser Literaturmesse in Deutschland und würde vor Freitag nicht zurückkommen. Und Oneca, ihre einzige Tochter, würde wohl erst zum Weihnachtsfest wieder in Madrid auftauchen. In der in diesen Sommermonaten furchtbar heißen und staubigen Hauptstadt ihres Heimatlandes gefiel es der jungen Oberschülerin nicht mehr. Im Internat der katholischen Mädchenschule und überhaupt in Barcelona fühlte sie sich angeblich viel besser aufgehoben. Allerdings rief sie mindestens dreimal in der Woche an, um die Eltern zu bedrängen, ihren Wohnsitz doch ebenfalls in die katalanische Mittelmeerstadt zu verlegen. Der schriftstellernde Vater wäre gern dorthin zur geliebten Tochter gezogen, aber sie, Carona Alethea, fühlte sich wohl in ihrer Heimatstadt und außerdem an ihr Institut gebunden. In dieser erfolgreichen Phase ihrer Forschungen konnte sie auf gar keinen Fall von Madrid wegziehen. Sie hatte Juan inständig gebeten, bei ihr zu bleiben und sie nicht zur Pendlerin zwischen diesen beiden Städten zu machen, was er ihr, zwar widerwillig, aber doch einsichtig, auch versprochen hatte.

    Als sie kehrt gemacht, die wenigen dutzend Meter bis zum verschlossenen Eingangstor des Institutes zurückgelaufen, dieses aufgeschlossen und auf den Kiespfad zu ihrem im hinteren Teil des sorgfältig gepflegten Parkgeländes gelegenen Laborgebäudes eingeschlagen hatte, entdeckte sie plötzlich, dass in ihren Forschungsräumen in der zweiten Etage Licht brannte. Hatte sie vergessen, das Licht zu löschen? Sie war kurz vor Beginn der Dämmerung aufgebrochen! Es war in der hellen Jahreszeit einmal vorgekommen, dass sie, als sie ungewohnt früh die Labors verlassen hatte, weil eine Familienfeier anstand, vergessen hatte, das Licht auszuknipsen. Aber heute, da war sie sich sicher, war ihr das keinesfalls passiert. Was ging dann da oben vor? Sie pirschte sich vorsichtig an das Gebäude heran und tippte die Kombination für die Eingangstür ein. Dann legte sie ihre Hand auf die matte Glasfläche. Die schwere Stahltür glitt fast geräuschlos zur Seite. Sie machte kein Licht im Flur und tastete sich im Dunkeln zur Treppe. Sie schlich den Treppenflur hinauf, anstatt den Aufzug zu benutzen, immer wieder kurz inne haltend und lauschend, ob sie auffällige Geräusche von oben hören konnte. Aber alles war still. Dann stand sie vor der Eingangstür zu den Räumen ihres Laboratoriums. Sie drückte vorsichtig die Klinke herunter und versuchte, die Tür zu öffnen, doch diese war verschlossen. Die Frau steckte den Sicherheitsschlüssel in das Spezialschloss. Er ließ sich nicht drehen. Von innen war die Sicherung eingeschaltet.

    Dr. Pardo legte ihr Ohr an die schwere Tür und lauschte längere Zeit. Aus den Innenräumen war nichts zu hören. Es musste aber jemand drin sein und sie hatte das Licht ausgeschaltet, dessen war sie sich jetzt gewiss! Sie stieg einige Stufen des nächsten Treppenabsatzes hinauf, kauerte sich auf der hinteren Seite des dunklen Aufgangs in eine Ecke und wartete. Die Frau musste, nachdem sie mindestens eine Stunde in dieser unbequemen Haltung ausgeharrt hatte, schließlich doch eingeschlafen sein, denn sie brauchte einen Augenblick, um sich zu fangen, als das Flurlicht aufflammte und sie die Türgeräusche hörte. Vorsichtig schaute sie in das Treppenhaus hinunter und war nicht wenig erstaunt, ihre Assistentin, Dr. Nalda Baroja Alemán zusammen mit ihrem Chef, Professor Fernán Carrasco Cela, dem Eigner des kleinen, aber feinen Madrider Biotech-Institutes Célula Nueva Inc., herauskommen und leise vertraut miteinander tuschelnd die Treppen hinuntergehen zu sehen. Als die Türen mit einem leicht saugenden Geräusch eingeschnappt waren, erlosch alsbald das Licht. Leider konnte sie nichts von dem fast unhörbar geführten Dialog verstehen. Dr. Pardo sah auf ihre schwach fluoreszierende Armbanduhr. Mittlerweile war es beinahe Mitternacht geworden.

    Die Molekularbiologin wartete, bis sie auch die sanften Schließgeräusche der schweren Eingangstür gehört hatte. Dann schlich sie sich, ohne das Flurlicht anzuschalten, zur Tür ihres Laborkomplexes, schloss diese auf und suchte an der Wand eine der angehängten Taschenlampen, die mit anderen Sicherheitsausrüstungen dort angebracht waren. Die batteriegetriebene, faustgroße Lichtquelle hatte leider nur noch wenig Strom und gab lediglich einen matten Schein von sich. Dies war der Wissenschaftlerin gerade Recht. Sie führte den gelben Lichtkegel über ihren Schreibtisch und schaltete dann ihren Computer an. Während des Sicherheitschecks konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken. Deshalb entschloss sie sich, hinüber zu den gesicherten Laborräumen zu gehen. Dafür musste sie allerdings ihren Schutzanzug überziehen, um dann durch die Schleuse in den besonderen Unterdruckbereich der Experimentierstation zu gelangen. In dem vom Fußboden bis zur Decke weiß gefliesten Umkleideraum bemerkte sie einen Overall, der zusätzlich in den Schrank gehängt worden war und der ihrem Chef passen konnte. Sie waren also im Allerheiligsten gewesen!

    Dr. Pardo betätigte den Schleusenmechanismus, wechselte hinüber in die sterilen, geschützten Räume und sah sich um, so gut es der Schein der erbärmlichen Funzel zuließ. Nach einiger Zeit entdeckte sie, dass am anderen Ende der Regale hinter ihren Zellkulturen eine neue Reihe von acht Reagenzschalen eingeordnet war, deren Aufschriften sie in dem diffusen Licht nur schwer zu entziffern vermochte. Wie konnten sie es wagen, in „ihrem" Labor herumzupfuschen!? Doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie hatten Hybride ihrer Kulturen angesetzt und sie ahnte, warum. Das Herz klopfte ihr vor Wut und Empörung bis zum Halse. Sie würde Professor Carrasco gleich morgen früh zur Rede stellen. Mit der Recherche zur Neuronenforschung und entsprechenden Lieferanten für Aplysia und Axolotl wurde es heute nichts. Sie hatte nun ein völlig neues Problem.

    Dr. Pardo verwischte die Spuren ihres nächtlichen Besuches, so gut sie es verstand, passierte erneut die Schleuse, entkeimte den Schutzanzug in der vorgeschriebenen Prozedur und zog sich an. Dann eilte sie, immer noch im Dunkeln, durch das stille Haus und den kleinen Park bis zur Straße. Als sie die Seitentür des Haupteinganges betätigte, sandte sie ein Stoßgebet zu Mutter Maria und hoffte inständig, dass sie niemand, vor allem nicht Professor Carrasco, bei ihrer nächtlichen Detektivarbeit beobachtet hatte.

    Am folgenden Morgen stürmte sie, wie sie es sich vorgenommen hatte, ins vornehme und teure Office ihres Chefs Professor Doktor rer. nat. Fernán Carrasco, den vielleicht renommiertesten Biochemiker ihres Landes; wutschnaubend vorbei an seiner attraktiven, hünenhaften, blonden Vorzimmerdame. Dabei warf sie die Türen, soweit diese nicht gedämpft waren, möglichst demonstrativ ins Schloss.

    Carrasco blickte überrascht, aber keineswegs besonders irritiert auf, so als hätte er kommen sehen, was jetzt stattfinden würde. Er lehnte sich leger in seinem schwingenden Lederchefsessel zurück, streckte seine langen, dürren, in schlotterigen Hosen steckenden, Beine demonstrativ unter den chromverzierten Schreibtisch, verschränkte die Arme hinter seinem langen Schädel und musterte Dr. Pardo, aus seinen dunkelgrauen, müde wirkenden Augen, ohne eine Regung erkennen zu lassen. Er gab der Sekretärin, die der Molekularbiologin hinterher geeilt war und nun unschlüssig neben ihr in der noch offen Tür stand, mit der Hand einen leisen Wink, diese zu schließen und sie beide allein zu lassen.

    „Haben Sie gedacht, dass ich es nicht bemerken würde? Glauben Sie, dass man so etwas mit mir machen kann?", legte Dr. Pardo los, ihre kurzgeschnittenen, schwarzen Haare wütend umherschüttelnd. Ihre dunklen Augen funkelten kampfeslustig.

    Professor Carrasco konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Tapfere kleine Kämpferin, dachte er. Sie wiegt vielleicht gerade mal hundert Pfund und ist nicht mal einssechzig groß. Aber sie ist wunderbar, wenn sie wütend ist. Und sie ist temperamentvoll, wie es eine echte Spanierin sein sollte. Wahrscheinlich weiß sie nicht einmal, wie hübsch sie ist mit ihren neununddreißig Jahren. Er wusste alles über sie, über ihre Herkunft und ihre Familie. Er kannte ihren Vater aus der Studienzeit.

    „Was erdreisten Sie sich? Was führt Sie auf diese Weise hier herein?", fauchte er sie dennoch heftig an. Er hatte etwas Mühe, wirkliche Empörung zu heucheln. Eigentlich hätte er sie lieber getröstet und sich damit selber beruhigt, wegen der voraussehbaren, unvermeidlichen und nahezu tragischen Entwicklungen, die sie beide alsbald ereilen würden.

    „Sie haben letzte Nacht in meinem Labor herumgepfuscht. Sie sind im Sicherheitsbereich gewesen mit dieser Alemán, und haben in unverantwortlicher Weise neue Kulturen angesetzt, für die ich nicht gerade stehen möchte", schrie sie ihn weiter an.

    „In Ihrem Labor war ich? Wieso nehmen Sie an, dass das Ihr Labor ist?", konterte der Professor mit gedämpfter Stimme, beinahe lachend vor Vergnügen, aber nun auch mit hartem, mitleidlosem Blick aus seinen sich jäh verengenden Augen.

    „Was haben Sie mit dieser Nalda, der Baroja doctora Alemán? Sie hat doch sowieso alles nur von mir! Sie weiß doch sonst gar nichts!"

    Der Professor geriet in Stimmung. Diese wunderbare, ausdauernde und strebsame Enddreißigerin brachte ihn in Schwung. Er musste nur achtgeben, dass sie nicht anfing, ihm Leid zu tun. „Sie ist einiges jünger als Sie, Calderón, sagte er. „Und sie bläst mir einen, wenn ich sie darum bitte. Das könnten Sie, ihren Umständen nach, nie tun. Außerdem ist sie keineswegs dumm, wie Sie wissen, fügte er hinzu. Sein schmales, furchenreiches Gesicht blieb dabei abgespannt und fahl, obwohl er sonst gut gebräunt war. Und mit seinen fast sechzig Jahren fühlte er sich in diesem Moment älter, als er war.

    „Das können Sie nicht machen!, schrie Dr. Pardo Calderón wie von Sinnen. „Das ist mein Wissen! Das ist mein Schweiß! Das ist mein geistiges Eigentum. Die Kraft ihrer Stimme hatte abgenommen, weil ihr, während sie es sagte, plötzlich bewusst wurde, wie die Rechtsverhältnisse, schlimmer noch, wie die Machtverhältnisse lagen. Der Professor hatte es gerade ausgesprochen.

    „Meine liebe doctora Pardo", setzte er nach, „meine verehrte Alethea. Sie sind eine entzückende Frau und hervorragende Molekularbiologin. Und Sie haben meinen aufrichtigen Respekt. Aber was Sie hier in meinen Labors, in meinem Institut machen, gehört Ihnen keineswegs allein. Sie wissen, was Arbeitnehmererfindungen sind!?", setzte er sarkastisch hinzu.

    „Das ist es doch gar nicht, worum es geht, und Sie wissen das. Sie wissen genau, was ich meine", sagte sie. Ihre Stimme klang jetzt deutlich matter.

    „Richtig, erwiderte ihr Chef, „im Gegensatz zu Ihnen weiß ich genau, was wirklich los ist. Es geht zum Beispiel um mein kleines, bislang unbedeutendes, hochspezialisiertes Institut, das kurz vor dem Zusammenbruch steht. Aber vor allem geht es um mich.

    Und er dachte an seine kranke, sterbend im Hospital dahinsiechende Frau, mit der er vormals schöne Zeiten erlebt hatte und mit der ihn schon viele Jahre, eher Jahrzehnte, keinerlei Liebe mehr verband. Und plötzlich, wegen dieses unerfreulichen Gedankens, brach es aus ihm heraus. „Da ist doch jede karrieregeile Nutte vom Typ doctora Nalda Baroja Alemán zehnmal besser als irgendwer! Die bemüht sich wenigstens, lieb zu sein und bildet sich nicht ein, die ganze Welt retten zu müssen!" Zuletzt hatte auch er beinahe geschrien.

    „Wissen Sie überhaupt, was Sie damit sagen? Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Ihnen ein Orgasmus wichtiger und es für sie befriedigender ist, wenn Ihnen die Alemán den Hintern leckt? Wir machen hier gerade Dinge, die Millionen Leben verbessern könnten! Das beschissene Leben armer, leidender Menschen, die gegenwärtig kaum irgendeine Hoffnung haben."

    „Was wissen Sie über Hoffnung?", fragte Carrasco trocken und böse. „Vielleicht hoffen Sie eher, berühmt zu werden und den Nobelpreis zu kriegen! Vielleicht geht es Ihnen in Wirklichkeit auch um Geld. Das möchte ich Ihnen eigentlich gar nicht unterstellen, obwohl es wenigstens ein verständliches Argument wäre. Aber es nützt nichts. Sie haben die Reihen in meinem Labor gefahren. Und damit Sie mir nicht mit den Formeln und Kulturen abhauen, habe ich Alemán befohlen, die Hybriden anzusetzen. Wenn wir die patentiert haben, kommt niemand mehr an uns vorbei."

    „Na wunderbar", erwiderte Dr. Pardo, nun wieder einigermaßen gefasst, „wir patentieren das, was wir der Natur abgeguckt haben, weil wir die Ausbildung und die Instrumente dazu haben. Wir werden noch Ahornblätter für uns patentieren lassen." Die feinen, gepressten Ahornblätter des Herbariums ihrer Tochter waren ihr als erstes, völlig unpassendes Beispiel eingefallen. Sie bemerkte zu spät, dass sie zum Zwecke der Darstellung ihres Gedankens denkbar ungeeignet waren.

    „Mit Ihrem unverbesserlichen Altruismus könnten Sie nicht einmal solch ein kleines, feines Institut, wie meines, am Leben erhalten", erwiderte Carrasco spöttisch. „Ich habe schon so viele Jahre an derartigen Problemen gearbeitet, wissen Sie. Viel länger als Sie. Ich war schon beim Diabetes mellitus-Projekt dabei. Dann hat dieser Egomane von Serejanow seinen Patentanspruch durchgesetzt, sich anschließend dumm und dämlich verdient und zu allem Überfluss sogar noch den Preis bekommen. Und ich, ich konnte nicht mal meine Frau retten! Deshalb sehe ich sie wahrscheinlich jetzt auch noch sterben. Und nun deutet sich hier der entscheidende Coup für uns an und Sie begreifen es nicht einmal." Er wischte sich mit seiner rechten Hand über das schlaffe, nun ein wenig gerötete Gesicht und sah sie jetzt beinahe feindselig an.

    „Man kann sich mit diesem von den Amerikanern verbogenen Patentwesen nicht über alle Menschenwürde hinwegsetzen. Sie wissen, was es für Konsequenzen hätte, el profesor. Es ist völliger Wahnsinn! Wir entdecken zufällig eine Formel, die die Natur seit Millionen Jahren verwendet, und lassen sie uns dann patentieren. Wir entdecken ein Heilverfahren und sagen, es wäre unsere Erfindung. Wir kopieren einen Vorgang des Lebens im unendlichen Universum und belegen ihn mit Juristerei. Wenn das richtig wäre, müssten wir noch Milliarden Patente weltweit anmelden. Das können doch auch Sie nicht wollen!"

    „Wissen Sie, was ich will, Calderón? Wissen Sie, was ich wirklich noch will?! Ich möchte die zehn, fünfzehn Jahre, die mir vielleicht noch bleiben, ohne Sorgen und Stress diese fabelhafte Welt genießen und meine Ruhe haben. In diesem unendlichen und unergründlichen Kosmos reicht mir eine schöne Ecke unseres Globus, dieser wunderbaren, verdammten Erde, vollkommen aus. Ich müsste mich zukünftig weder mit meinem unterfinanzierten Institut und der ganzen gnadenlosen Konkurrenz herumschlagen, noch mit Ihnen. Ich könnte mich den Schönheiten dieses vergänglichen Sonnentrabanten und seiner Bewohnerinnen widmen, mich jeden Tag besaufen und mir von Alemán den Arsch lecken lassen, wie sie es auszudrücken belieben. Wissen sie, wie lange ich auf solch einen Erfolg gewartet habe?" Eigentlich hatte er mit der Vulgärsprache angefangen, doch das war ihm im Moment entfallen.

    „Aber es muss doch ein wenig mehr geblieben sein von Ihren Idealen, sagte Dr. Pardo resignierend. „Ein bisschen Hingabe für die eigene Art. Sie haben doch früher mehr gewollt.

    „Ha, die eigene Spezies! Das werden sie schon auch noch lernen! Warten sie mal ab, rief der Professor, nun tatsächlich aufgebracht. „Diese lächerliche Selbstmörderbande!

    Dr. Pardo erkannte mit einem Mal die ganze Verbitterung dieses Mannes, dem es vermutlich zu lange Zeit an jeglicher Liebe gefehlt hatte.

    „Ich werde es nicht hinnehmen, sagte sie. „Und ich teile Ihre Weltsicht überhaupt nicht.

    „Wissen Sie was, Pardo, er nannte sie absichtlich Pardo, ohne den Doktor voranzustellen, um womöglich bissiger zu wirken, „es tut mir aufrichtig Leid, dass Sie überhaupt nichts begreifen. Sie sind eine Idiotin! Sagt man das bei einer Frau? Sie sind gefeuert! Sie dürfen ab sofort nicht mehr in mein Institut herein! Fahren sie zur Hölle! Er hatte den letzten Satz ausgesprochen, ohne seine Stimme zu erheben.

    Hätte sie jetzt eine Feuerwaffe gehabt, hätte sie ihn erschossen, so gewaltig fuhren in ihr mit einem Mal die schlimmsten Hassgefühle hoch. Und sie wusste gleichzeitig, dass es gar nichts gebracht hätte. Und eigentlich konnte sie ihn immer noch ganz gut leiden. Irgendwie verstand sie ihn sogar. Es war nämlich wie immer ungewiss, ob ein neues gentechnisches Heilverfahren tatsächlich geeignet war, die Welt, exakter, die Bewohner dieser Erde – oder wenigstens allerhöchstens Bruchteile von ihnen - retten zu können. Oft genug war solch ein Schuss auch nach hinten losgegangen! Die Welt war nämlich so, wie sie war und nicht, wie sie sie sich vorstellte. Und schon gar nicht, wie sie sie sich wünschte!

    2.

    Er lag ganz entspannt und von besseren Zeiten träumend im heißen Wasser seiner großen Badewanne. Das waren die wenigen Augenblicke von Freiheit und Komfort, die man sich hier, bei Höhe 242, an die er kürzlich verfrachtet worden war, ohne unliebsame Störungen gönnen konnte. Wie früher, als sie noch Kinder waren, konnte man, wenn man nicht zu faul für die Vorbereitungen war, freitags in dieser Banja, so lange man wollte, das hieß, so lange die Glut im Badeofen anhielt und es einigermaßen warm blieb in dieser sibirischen Kälte und Trockenheit, langgestreckt in der alten, aber riesigen Emaillewanne liegen und sich den Frust der verflossenen Tage aus dem Leib saugen lassen.

    Aus seinem Weltempfänger schallte ein Konzert des Deutschlandfunk Kultur. Der Empfang schwankte ein wenig, aber die Kurzwellensender, die ihre Modulationen rund um den Erdball senden konnten, waren in den letzten Jahren wesentlich leistungsfähiger geworden. So konnten sie sogar hier hinter dem Ural alle möglichen Rundfunksender dieser Welt hören. Die russischen Privatsender brachten zumeist nur Folklore oder billige Unterhaltungsmusik. Das war nicht nach seinem Geschmack.

    Überhaupt, was war übrig geblieben von der Höhe der Kultur, auf der sie einst, vor der totalen Kapitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, gestanden hatten? Immerhin - Radiohören mit Weltempfängern hatten sie nicht untersagt. Eigentlich waren sie sowieso nicht dumm. Das konnte man nicht behaupten. Sie durften hier alle Informationen dieses Globus ziehen. Sie hatten unbegrenzt zu essen und zu trinken, sie konnten, wenn sie wollten, alle Zeitungen und Bücher dieser Welt bestellen. Sie konnten auch Internet empfangen. Er bekam französischen Kognak oder Wodka, wenn er Appetit darauf hatte. Er hätte sich jeden Tag sinnlos besaufen können.

    Nein, dann wären sie wohl doch gekommen und hätten mit ihm gesprochen. Es fehlte ihm wie seinen Kollegen also nichts an Gütern des täglichen Bedarfs. Aber sie konnten, seit sie hier waren, nur mit den Leuten des Camps reden und verkehren. Das waren natürlich keine blöden Typen, das waren wahrscheinlich die Spitzen der russischen Wissenschaftsgemeinde, Physiker, Mathematiker, Chemiker, Biologen, Astronomen, alles gute Leute.

    Es gab nur einen einzigen Mangel. Er war vielleicht kaum der Rede wert, so gut, wie es ihnen hier ging. Aber am Ende war es doch eine riesige Schweinerei. Denn sie durften nach außen nicht kommunizieren! Mit niemandem. Weder mit der Familie, wenn jemand eine hatte, noch mit Freuden. Auch nicht mit Wissenschaftskollegen in der Welt nicht, egal, wo sie lebten und arbeiteten. Nicht einmal mit denen vom nur hundert Kilometer entfernten zweiten Camp an Höhe 242, von denen sie nicht wussten, was die dort machten.

    Man munkelte, sie würden an einem Superbeschleuniger vom Kaliber Large Hadron Collider basteln, wie er in Genf vor zwei Jahren in Betrieb gegangen war. Doch sie erfuhren nichts Genaues darüber. Ansonsten durften sie sich alle Informationen beschaffen. Doch im Grunde waren sie Gefangene. Das Geld, das man ihnen gab, nutzte ihnen daher wenig. Ihr Projekt hatte die allerhöchste Geheimhaltungsstufe. Es sollte nichts nach draußen, vor allem nichts in die westliche Welt, dringen.

    Die Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen, waren gering. Sie kriegten einen überall auf der Welt. Sollte es jemals einem gelingen, hier herauszukommen und bis in eine der Städte jenseits des Gebirges zu gelangen, westlich dieser willkürlich festgelegten Grenze der beiden Kontinente ihrer eurasischen Zentralplatte, würden die Spezialeinheiten des Inlandgeheimdienstes ihn garantiert dort fangen. In dieser Hinsicht waren sie perfekt. Bis ins Ausland kämen sie erst gar nicht! Aber wie konnte sich die Medwedjew-Administration einbilden, dass auf diese Weise bei ihrer Arbeit etwas Vernünftiges herauskäme?

    Er stieg aus der Wanne und legte noch mal einige dicke Birkenblöcke in den Badeofen. Das Feuer roch zart würzig nach Uralbirke. Auf dem kalten Fliesenboden entstanden kleine Pfützen vom Wasser, das von seinem Körper heruntergelaufen war, als er sich zum Ofenloch gebeugt hatte. Er ließ etwas heißes Wasser aus dem Boiler nachfließen und legte sich wieder genüsslich in seiner Wanne zurecht.

    Langsam rann der kühle Kognak aus dem großen Schwenker seine Kehle hinunter. Die Kerzen, die er angezündet hatte, flackerten in dem leichten Lufthauch, der durch seine Bewegungen entstand. Er hätte auch zu den anderen in die Sauna gehen können, die knapp zweihundert Meter von seinem Hüttchen hier hügelaufwärts. Dort hätte er vielleicht Alex oder Anja getroffen. In der Sauna war es stets schön heiß. Doch es gab nur kalte Duschen und er stand nicht besonders auf Schneebaden oder Eisschwimmen und solche extremen sibirischen Sachen. Da legte er sich lieber für eine blaue Stunde in „seine Wanne, ließ sich vom mit Tannennadel-Badelotion versetzten Wasser auslaugen, ließ seine manchmal traurigen, manchmal bösen Gedankenbündel in dieses Kolloid strömen und hörte dabei seine" Musik.

    Der letzte Satz vom dritten Klavierkonzert Rachmaninovs lief gerade. Ja, der ging gerade noch, obwohl der manchmal zuviel Menge Krach in seine Musik legte, wie alle die neueren Komponisten. Am Ende hatte alles andere keinen Zweck, man musste Bach oder Mozart hören, wenn man rauskommen wollte aus dieser verdammten dreidimensionalen Zeitdeterminiertheit. Von Bach war er freilich ein bisschen weggekommen. Dessen protestantische Frömmigkeit störte ihn zunehmend, obwohl seine Musik ohne Zweifel auch tief rein ging. Aber warum musste der alles so streng und fromm machen, alles so fügen? Er hörte deswegen fast nur noch dessen Oboen- oder Orgelmusiken gern. Und immer wieder die Goldbach-Variationen, gab er sich zu.

    Dann der Beethoven! Der war wohl der einzige wirkliche Revolutionär gewesen unter ihnen, vielleicht auch noch Schumann zu Beginn seiner Laufbahn. Aber dann hatte der sich als kleinkarierter Spießer erwiesen. Wie der seine Klara behandelt hatte! OK, man konnte nicht immer nur Mozart hören. Und wenn man dessen oder dessen Vaters Briefe an den Erzherzog las, wurde einem sowieso richtig gehend schlecht. Wusste der Fürst, dass die Mozarts Freimaurer waren? Hatte man Wolfgang Amadeus nach dem pompösen Totenamt im Stephansdom deshalb anonym in einem Armengrab verscharrt? Beethoven dagegen war irgendwie ein richtiger Revoluzzer gewesen – sein Streichquartett in B-moll, Die Große Fuge! Vielleicht auch deshalb, weil sie sein Gehör verpfuscht hatten!

    Aber wenn er dann wieder Mozarts Musik hörte, glaubte er nicht, dass der einen untertänigen Geist gehabt haben könnte. Der hatte doch regelrechte Schlager gegen das Establishment geschrieben! Manche seiner Melodien waren geradezu Gassenhauer geworden. Aber sie waren dennoch von solcher Tiefe, von solcher Genialität, wahrhaft kosmisch!

    Sowas hatten nur noch diese trivialen italienischen Opern an sich! Wenn er seinen Operntag hatte, ließ er laut La Traviata oder Nabucco oder eben Fidelio auf seiner Anlage röhren. Wagner manchmal auch, selbstredend. Der hatte sogar auf den Barrikaden von 1849 für eine Republik, frei von adeliger Vormundschaft, gekämpft, zusammen mit Semper und Röckel. Rienzi und der Fliegende Holländer!

    Mein Gott, wenn er daran dachte, an seine Zeit in Dresden, als er mit Caroline, der rothaarigen, hochgewachsenen Engländerin, fast jede Woche einmal in der Semperoper oder in der neu errichteten Frauenkirche gewesen war. Damals hatte er gar nicht gewusst, welch herrliche Zeit er durchlebte während seines Studiums an der Technischen Universität. Gut, er hatte sich nicht ganz wohlgefühlt mit seinem Zusatzauftrag, der ihm das Geld brachte, das er mit Caroline wieder ausgab. Er war sowieso erstaunt gewesen, wie stabil die Verbindungen, die Putin vor Jahrzehnten aufgebaut hatte, auch nach der Jahrtausendwende immer noch waren. Caroline war das ganze Gegenteil einer kühlen Engländerin gewesen. Nach außen hin, ja, da wurde sie dem Klischee gerecht. Aber sobald sie allein miteinander waren...

    Nein er wollte nicht schon wieder ins Higgsfeld! Er war sich sicher, dass sie hier in Wahrheit eine Variante des Higgsfeldes suchen sollten. Etwas anderes konnten diese nonlokalen Informationsgitter, hinter denen sie her waren, eigentlich nicht sein. Alle Welt suchte derzeit nach dem Higgsfeld, das noch niemand experimentell hatte nachweisen können. Oder dem Higgsteilchen oder nach etwas, das alles, was ihnen in den letzten Jahrzehnten weggeschwommen war, erklären konnte. Zum Beispiel, woher die Musik in die Gehirne dieser Genies gelangt war. Oder die Gedichte und die Gemälde. Und die Märchen. Ja, klar, ebenso die Horrorfilme.

    Je mehr sie nach Stephen Hawking in diese Stringwelt eingestiegen waren, desto unwahrscheinlicher war alles geworden. Und nun noch die Neuroforscher oder seine speziellen Freunde, die Psychoanalytiker. War es ebenfalls das Higgsteilchen, das

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