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Natürlich übernatürlich: Die Geschichte der Vineyard-Bewegung
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Natürlich übernatürlich: Die Geschichte der Vineyard-Bewegung

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Die Geschichte der Vineyard-Bewegung ist eine Studie darüber, was passiert, wenn die Taten Jesu wieder zum zentralen Anliegen einer Kirche werden. "Das Reich Gottes ist hier", so sagte es Jesus - und er unterstrich seine Aussage mit Taten, die diesen Anspruch bekräftigten. Was Jesus tat, wurde aber später in den Aktivitäten der Kirchen immer weniger berücksichtigt. Zurück blieb ein Jesus, der inspiriert und lehrt, aber nicht mehr aktiv handelt.
In diesem faszinierenden Bericht beschreibt der Autor, wie die Vineyard-Bewegung unter den Hippies in Kalifornien ihren Anfang nimmt und zu einer geistlichen Erneuerungsbewegung mit weltweitem Einfluss wird, die im postmodernen Europa neue Gemeinden hervorbringt.
LanguageDeutsch
Release dateSep 14, 2013
ISBN9783417226799
Natürlich übernatürlich: Die Geschichte der Vineyard-Bewegung
Author

Marlin Watling

Marlin Watling, 30 Jahre alt, ist Leiter der Vineyard-Gemeinde Heidelberg. Außer mit seiner Frau Carla und seinen drei Kindern beschäftigt er sich gerne mit Musik, den Taten Jesu und den Taten der Bundesliga. Er lebt in Heidelberg und arbeitet in einer Software-Firma.

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    Book preview

    Natürlich übernatürlich - Marlin Watling

    [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

    1Hippies auf der Suche nach Echtheit

    Man kann nur immer darauf achten, ob man den Herrgott durch die Weltgeschichte schreiten sieht, dann zuspringen und sich an seines Mantels Zipfel klammern, dass man mit ihm fortgerissen wird, so weit es gehen soll.

    –––––– Otto von Bismarck

    Niemand hatte die Absicht, eine Bewegung mit dem Namen Vineyard zu starten. Es war ein Resultat der Veränderungen in der Gesellschaft und der Suche, die Praxis Jesu zu leben.

    Veränderungen in der Gesellschaft

    In den 1960er-Jahren erlebte unsere Welt massive Veränderungen. Es waren Jahre der Revolution und Reformation, die das Leben in der westlichen Welt für immer verändert haben. Die Welt hatte den Zweiten Weltkrieg hinter sich und stand noch unter dem Schock der Grausamkeiten und des Ausmaßes dieses Krieges. Anhand der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki erlebte die Welt die Gefahr ungebremsten Fortschritts und Wissenschaft mit. Doch dieser technische Fortschritt führte auch zu besserer medizinischer Versorgung, Mobilität für die Massen und zu neuen Fragen nach unserem Platz im Universum, als 1961 der erste Mensch ins Weltall flog. John F. Kennedy war ein Sinnbild dieser Zeit und vermittelte den Menschen das Gefühl von Aufbruch, Optimismus und Hoffnung. Die amerikanische Gesellschaft litt noch unter der Rassentrennung und Martin Luther King formulierte einen Traum von Freiheit und Gleichberechtigung. Zusätzlich war der Zugang zu Bildung für immer mehr Menschen möglich, und die Forschung machte sich daran, alle bisherigen Grenzen zu überwinden. Die Antibabypille ermöglichte Sex ohne Konsequenzen und Professoren wie Tim Leary verkündigten, dass Drogen die Grenzen des Verstandes überwinden könnten.

    Dieser Überwindung aller Grenzen standen natürlich diejenigen entgegen, die innerhalb dieser Grenzen ihre Sicherheit und ihre Ideale gefunden hatten. Die große Mittelschicht war mit ihrem Leben viel zu sehr zufrieden, um sich auf unsichere Experimente einzulassen. In San Francisco entstand in diesen Veränderungen eine Jugendbewegung, die sich mit dem Wohlstandsideal nicht mehr zufriedengab. Sie stellten die weiße Mittelschicht mit ihren Zwängen, Idealen und Tabus infrage und ersetzten sie durch »Flower Power« – der Vorstellung von einer humaneren und friedlicheren Lebensweise. Die Hippie- Bewegung begann Anfang der 60er als Gegenkultur und wurde im Laufe des Jahrzehnts zur Massenbewegung. Ihr Feind war das »Establishment«, das alte System und alle Autoritäten, die der Ausweitung des Bewusstseins und einer »unbegrenzten Menschlichkeit« im Wege standen. 1967 erlebte die Welt den »Summer of love«, ein Ausdruck für das Lebensgefühl in San Francisco in diesem Jahr:

    If you’re going to San Francisco,

    be sure to wear some flowers in your hair.

    If you come to San Francisco,

    Summertime will be a love-in there.³

    Hippies demonstrierten gegen den Vietnamkrieg (»make love, not war«), lebten in Kommunen und experimentierten mit Drogen und allen Arten von Spiritualität. Der Soundtrack dieser Generation kam von den Beatles, den Grateful Dead, den Doors und fand seinen spektakulären Höhepunkt auf dem Woodstock Festival 1969.

    Bob Dylan, einer der größten Rockstars dieser Ära, beschreibt die Zeit in seinen eigenen Worten:

    1968 waren die Beatles in Indien. In Amerika herrschte eine angespannte, wutgeladene Atmosphäre: Studenten zerstörten Autos und warfen Fensterscheiben ein. Der Vietnamkrieg stürzte das Land in eine tiefe Krise. Städte gingen in Flammen auf, Schlägereien waren an der Tagesordnung. Bullen kollidierten mit protestierenden Studenten und schlugen mit Baseballschlägern auf sie ein. Die literarische Gestalt des Don Juan, eines mysteriösen Medizinmanns aus Mexiko, begeisterte die rebellierenden Massen und zeigte Wege zur Bewusstseinserweiterung und zu neuer Lebensenergie auf, die er wie eine Machete einsetzte. Bücher über Don Juan verkauften sich wie Bestseller. LSD-Happenings waren voll im Gange – LSD brachte die richtige Haltung. Die neue Weltanschauung veränderte die Gesellschaft, alles wandelte sich rasend schnell: Stroboskop und Schwarzlicht waren absolut hip und bahnbrechend. Studenten versuchten Universitäten unter ihre Kontrolle zu bringen, Antikriegsaktivisten gingen aufs Ganze, forderten bittere Todesopfer. Maoisten, Marxisten und jugendliche Castro-Anhänger, die Che Guevaras Schriften gelesen hatten, machten sich daran, die Wirtschaft umzukrempeln. Jack Kerouac⁴ war in den Ruhestand gegangen, und die organisierte Presse bauschte Nachrichten auf und schürte damit die Hysterie. Wenn man die Nachrichten sah, hatte man das Gefühl, als stünde das ganze Land in Flammen. Es schien, als würden jeden Tag neue Unruhen in einer anderen Stadt losbrechen, als drohe von überall her Gefahr. Alles schien sich zu verändern, so als würde der amerikanische Dschungel abgeholzt werden. Was bislang bestimmten Mustern gefolgt war, ging jetzt völlig neue Wege. Was traditionell schwarz-weiß gewesen war, explodierte jetzt in grellstem Neongelb.⁵

    In solch radikalen Veränderungen werden oft alte Ordnungen auf den Kopf gestellt und die Gewinner von gestern gehören zu den Verlierern von heute. Die Kirche stand als Hüter der Moral und des »ordentlichen Lebens« mit dem Rücken zur Wand. Sie hatten die schweren Fragen zu beantworten: Wie konnte Gott den Holocaust zulassen, der erst jetzt in seinem ganzen Ausmaß sichtbar wurde? Sie hatten auf die zentralen Fragen dieser jungen Generation zumeist negative Antworten. Es schien, dass die Nachfolger Jesu in dieser Zeit besonders schlechte Karten hatten. Oder etwa nicht?

    Eine überraschende Alternative

    Inmitten dieser Spannung von Krieg und Frieden, Freiheit und Moral, Loslösung von alten Idealen und Autorität entstand eine Bewegung, die noch heute ihre Nachwirkungen hat. Mitte der 60er-Jahre sahen unabhängig voneinander einige Missionare die Aufgabe, die Menschen in der Hippie-Bewegung mit Jesus in Kontakt zu bringen. Die Hippies waren auf der Suche nach dem Echten, und da hätten sie doch einen Beitrag zu leisten, dachten sich die Missionare. Also zogen sie in die Gegenden, in denen die Hippie-Bewegung boomte, lebten mit den Menschen, kochten für Hungrige und stellten Jesus als den wahren Guru dar. Im Bezirk Haight-Ashbury von San Francisco, einem Brennpunkt der Hippie-Bewegung, entstanden so christliche Kommunen wie das Soul Inn oder The Living Room.

    Das Besondere an diesen Projekten war die Offenheit der Missionare für die Fragen der Kultur und die Flexibilität, neue Formen zu finden, um den Bedürfnissen der Menschen zu genügen.

    Eine der ersten Kommunen war das House of Acts. Es wurde von Ted Wise gegründet, der sich 1966 als einer der ersten Gegenkulturanhänger zu Jesus bekehrte, nachdem er auf der Suche nach einer geistlichen Lösung für seinen unkontrollierten LSD-Konsum war. Ein Jahr später gründete er mit seiner Frau Liz und drei weiteren Paaren eine Gemeinschaft, die sich nach dem Vorbild der Apostelgeschichte ausrichtete. Sie wollten allen materiellen Besitz teilen und täglich durch die Straßen gehen, um mit allen zu reden, die zuhören würden. Mitten im Zentrum der kulturellen Revolution in Haight-Ashbury öffnete das House of Acts die Türen für alle und kümmerte sich besonders um Hungrige und Bedürftige. Das Leben dort war oft anstrengend und arbeitsintensiv, wie Wise fand, jedoch besser als in einer Kirche. Das House of Acts wurde beispielhaft für ein Leben in Gemeinschaft, wie es sich bald in zahlreichen Städten in den USA und darüber hinaus finden würde. Obwohl die Türen des House of Acts nur 18 Monate geöffnet waren, kamen dort mehrere Tausend Menschen mit dem Glauben in Berührung.

    Diese einzelnen Kommunen erwiesen sich als relativ erfolgreich und attraktiv für Menschen, die mit der Hippie-Bewegung in Berührung gekommen waren. Und so waren diese Projekte die Anfänge der Bewegung, die später als »Jesus People« bekannt werden sollte. Die Anknüpfungspunkte waren eigentlich sehr naheliegend:

    •Die Gesellschaft war auf der Suche nach Frieden – die Jesus People verkündigten den König des Friedens.

    •Die Gesellschaft suchte nach grenzenloser Liebe – die Jesus People sprachen von der Liebe (Agape) Gottes.

    •Die Gesellschaft suchte Sinn und Wahrheit – die Jesus People redeten von einem sinnerfüllten Leben mit Jesus als Ankerpunkt.

    •Die Gesellschaft suchte nach Kontakt mit dem Übersinnlichen – die Jesus People schafften Raum für das Wirken des Heiligen Geistes.

    •Die Gesellschaft suchte nach Menschlichkeit und Beziehungen mit anderen – die Jesus People richteten Kommunen ein und praktizierten einen Lebensstil wie in der Apostelgeschichte, als Güter und Besitz zum Wohle aller geteilt wurden. *2

    Pastor Lyle Stennis vom Bethel Tabernacle, einer Methodistenkirche in den Slums von North Rodando, erzählt, wie der Kontakt mit der gerade entstehenden Jesus-People-Bewegung zustande kam:

    Ein junger Mann namens Breck Stephens kam zu mir und meinte, man müsse die drogensüchtigen Jugendlichen, die am Sunset Strip herumlungern, in die Kirche holen und zum Christentum bekehren. Ich war begeistert von der Idee. Breck fuhr einfach einen Lieferwagen zum Strip und lud die Leute ein. Zuerst kamen dreißig. Sie waren völlig heruntergekommen, schmutzig und vollgepumpt mit Drogen. Meine Gemeinde wollte mit denen nichts zu tun haben. Einmal wollte man die Jungen und Mädchen sogar mit Gewalt aus der Kirche zerren. Da habe ich gesagt, man müsse mich zuerst auspeitschen, bevor man jemandem den Zutritt zu meiner Kirche verwehre. Nur wenige der Gemeindemitglieder kommen heute noch hierher. Dafür kommen jetzt die jungen Christen in Scharen zum Gottesdienst. Meine Kirche war noch nie so voll.

    Während Pastor Stennis sprach, drangen aus der Kirche unter dem Büro seltsame Geräusche. Stimmen, die immer lauter wurden. Ein Wirrwarr. Nur das Wort »Jesus« konnte man von Zeit zu Zeit verstehen. Pastor Stennis meinte entspannt: »Sie beten.« Was wir Minuten später in der Kirche sahen und hörten, war nahezu unglaublich. Mit geschlossenen Augen, die Arme zum Himmel gestreckt, standen oder knieten etwa 250 junge Leute zwischen 13 und 30 Jahren in dem Raum und beteten: ein uns unverständliches Gebet. Jeder ein anderes – so schien es. Als Breck Stephens ein Lied anstimmte, öffneten sie die Augen. Glänzende Augen. Wir wurden umarmt. »Gott segne dich«, hörten wir immer wieder. Einer der Langmähnigen drückte mich fest an sich und murmelte: »Bruder, ich habe Jesus gefunden. Oh, ist das gut. Ist das gut!« Dann ging er mit verklärtem Blick durch das Kirchenschiff, umarmte immer wieder einen seiner Glaubensbrüder und erzählte von seinem unfassbaren Glück. Dem Drogenwahn folgte der Trip zu Gott. Junge Christen in Kalifornien. Eine religiöse Jugendbewegung, die sich über ganz Amerika ausbreitete. Spontan, unorganisiert, aber unaufhaltsam. Der Superstar dieser jungen Menschen: Jesus Christus.

    Ein Song dieser Zeit bringt das Lebensgefühl dieser jungen Menschen gut auf den Punkt:

    Counterculture,

    anti-establishment,

    do-what-is-right GENERATION

    Tired of all the bureaucratic BULLSHIT

    Searching for solutions,

    to a hurting soul,

    to a hurting world

    Then came the Rebels

    JIM, JANIS, JIMI, and JESUS

    Three are dead, but ONE is still ALIVE

    where have they gone?

    who did they turn on?

    the seeds were sown

    where have they gone?

    they couldn’t tolerate the LIES anymore

    they discovered the one essential truth of love

    Like a heavenly church bell

    it called the world to the end of hypocrisy

    and the confirmation that GOD IS LOVE

    The voice was pure and simple

    it melted our frozen hearts

    The POWER of His TRUTH

    tumbled the highest wall apart!

    Ein Interview mit Ted Wise vom House of Acts

    [13. September 1997]

    Wie bist du mit der Jesus-Bewegung in Berührung gekommen?

    Ich wollte ein gutes christliches Leben führen, aber die Leute in der Kirche waren nicht wie die in der Apostelgeschichte. Sie lebten nicht zusammen, sie teilten nicht ihr Hab und Gut und halfen einander nicht bei Problemen. Zunächst versuchte ich, etwas zu ändern. Später sagte mir der Pastor: »Ted, du bist wahrscheinlich kein Baptist.«

    Mittlerweile waren viele meiner Freunde Christen geworden. Manche kamen sogar mit zum Gottesdienst. Der Pastor wollte mit seiner Gemeinde in Frieden leben und ließ sich für uns eine neue Kategorie einfallen. Er nannte es Missionsarbeit; ich nannte es Vorurteil. Ich wollte raus aus dem Stress und den Problemen meines früheren Lebens. Er war der Meinung, es sei meine geistliche Aufgabe, meine Freunde zur Kirche zu schleppen, damit er sie zu Tränen langweilen konnte. Er verstand das einfach nicht. Ich brachte meine Freunde zum Gottesdienst, damit er sie anpredigen konnte, okay. (…)

    Meine Frau und ich waren frustriert, aber nicht total sauer. Nachdem wir einige Zeit regelmäßig zu Treffen gekommen waren, fragte ich den Pastor, ob wir (mittlerweile den Zehnten gebende, daueranwesende, laut mitbetende Mitglieder) die leeren Gemeinderäume nutzen könnten, um während der Woche ein paar hungrige Menschen aus San Francisco zu speisen. Er sagte, das ginge nicht – wegen der Versicherung.

    Bald verkauften wir all unseren Besitz, Häuser, Autos und so weiter, und hatten nichts mehr. Wir mieteten ein großes zweistöckiges Bauernhaus im nördlichen Marin County für uns vier Paare und sieben Kinder. Nach einem Monat kam noch ein Paar aus Los Angeles. Dann öffneten wir die Türen und boten allen Leuten, für die wir Platz hatten, unsere Gastfreundschaft an. Einige Pastoren waren dabei, die uns unterstützten und uns zur Kreditwürdigkeit verhalfen, sodass wir ein Ladenlokal in Haight-Ashbury kaufen konnten, um Menschen zu speisen und Christus zu predigen.

    Zunächst ging alles glatt. Wir kriegten uns mit niemandem in die Haare (glauben Sie mir, Haare waren damals der moralische Maßstab) und wir konnten das Evangelium Tausenden von Leuten erzählen. Meistens in Einzelgesprächen bei einer Schüssel Suppe. Manchmal auch bei kostenlosen Konzerten im Park. Wir gingen da hin und fragten, ob wir eine kurze Durchsage machen könnten. Wir sprachen davon, wie die Welt enden würde und was man deswegen tun könnte.

    Bald wurde die Presse auf uns aufmerksam und es ging rund. Zuerst das Christian Life-Magazin, dann die Times und viele andere. Wir polarisierten, man war entweder eindeutig für uns oder gegen uns. Unsere ersten Erfahrungen mit der Kirche waren viele Hassbriefe. Es war uns nicht in den Sinn gekommen, wie der Rest der Christenheit auf unsere Lebensverhältnisse reagieren würde. Wir glaubten recht unschuldig daran, dass wir es richtig machten: Wir lebten das Neue Testament in 3D und in Farbe.

    Letztlich kamen Tausende von Leuten zu Christus und es war eine wunderbare Zeit. Aber zu unsrer Überraschung konnten wir die Frucht unsrer Gemeinschaft selbst in einer ländlichen Gegend nicht genießen. Wir wurden bald zerstreut, genau wie die erste Gemeinde. Wir waren zu utopisch geworden.

    Worum ging es in der Jesus-Bewegung?

    Liebe. Die meisten von uns waren hip, bevor dieser summer of love kam, und scheiterten beim Versuch, in einer Liebesbeziehung zu leben. Obwohl einige von uns bessere Beziehungen hatten als die Beatles, bekamen wir es doch nicht auf die Reihe. Warum war Liebe so kompliziert zu leben?

    Wie war es, im House of Acts zu leben?

    Besser als in der Kirche. Wir arbeiteten überall zusammen, wo es sich ergab: Häuser streichen, Löcher graben, alles was wir zusammen tun konnten, ohne uns langfristig festlegen zu müssen, damit wir noch unsere Aufgabe in Haight erfüllen konnten. Aber wir erlebten massive zwischenmenschliche Probleme. Die durchschnittliche christliche Familie hatte bestimmt nicht so viele Probleme wie wir. Es war ein Treibhaus für fruchtbare christliche Ideen und Wachstum. Guter Boden, gut gedüngt. Viel Scheiße, viel Wahrheit.

    Wie unterschied sich die Botschaft und Praxis der Jesus-Bewegung von der der anderen traditionellen Gemeinden?

    Damals drehten sich die meisten wichtigen Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg. Wir hassten ihn. Die Kirchen versuchten, uns in die üblichen Auseinandersetzungen zu ziehen. Wir nutzten jede Ausschreitung, jeden Protest, jeden Auflauf, jeden Tanz, jeden Tag als wunderbare Möglichkeit. Die Kirchen versuchten immer, Massen zusammenzubringen, aber aus unbegreiflichen Gründen immer auf ihrem Grund und Boden. Warum jemand eine große unkontrollierbare Masse auf seinem Gebiet haben wollte, blieb mir unerklärlich.

    Welche Rolle sollte die Kirche im Staat spielen und umgekehrt?

    Wir sind Salz und Licht. Salz erhält, es würzt und es macht das Leben erträglich. Licht erhellt die Dunkelheit. Wir sind die geheime Regierung der Welt. Wir brauchen kein politisches Amt, um effizient zu sein. Wir haben die Worte Christi; Worte, die Herzen verändern. Durch bessere Herzen werden bessere Gesetze gemacht. Wir wissen, was in der Welt verkehrt ist. Jesus sprach am Kreuz: »Vater, vergib diesen Menschen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lukas 23,34). Wir müssen noch nicht einmal Salz und Licht werden, wir sind schon, was wir sein sollen. In der Bibel heißt es: »Wenn wir Jesus immer besser kennenlernen, gibt uns seine göttliche Kraft alles, was wir brauchen, um ein Leben zu führen, über das sich Gott freut« (2. Petrus 1,3). Außer es ist zu spät und das Salz der Kirche hat seinen Geschmack verloren.

    Die Begeisterung über diese Neuentdeckung und die Kraft eines radikalen Lebens trafen in diesen Zeiten auf die Unwissenheit der jungen Leiter. Woher sollten diese experimentierfreudigen jungen Missionare wissen, wie man all diesen Herausforderungen begegnet? Wo waren die Mentoren, die dieser Flexibilität auch Festigkeit gaben? Loslassen und Haltgeben – das war der Konflikt, der hier am Anfang schon deutlich wurde. Aber die Jesus-People-Bewegung steckte noch in den

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