Epitaph eines königlichen Feinschmeckers
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About this ebook
»Wollen Sie, dass ich Ihnen ehrenamtliche Arbeit als Koch in einem Altersheim oder einem Waisenhaus besorge oder etwas in der Art?«
»Selbst wenn ich mich dazu bereit erklärte, Sie würden mich jeden Tag aufschreiben. Ich glaube, im Moment verstehen Sie mich nicht. Ich habe den Wunsch, für mich zu kochen.«
Jetzt fuhr er aus der Haut.
Das Buch "Epitaph eines königlichen Feinschmeckers" fasziniert durch seine satirischen und häufig auch grotesken Züge und ist ein lesenswertes Plädoyer für die Lebenskunst, den Genuss und die Freude an einer individuellen Lebensweise.
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Book preview
Epitaph eines königlichen Feinschmeckers - Veljko Barbieri
März
I
5. Februar
Als sie in meine Wohnung eingedrungen waren, stellten sie zu ihrer Verblüffung fest, dass ich keine Völlerei trieb. Dennoch waren sie noch immer misstrauisch. Sie setzten sich um mich herum. »Wir haben die Meldung erhalten, dass hier übermäßig geprasst wird.«
»Wo?«, fragte ich und umklammerte das rohe Wachtelbeinchen, das ich bei dem Überfall soeben aus der Marinade genommen hatte.
»Bei Ihnen, Mensch!«, antwortete der »Chef«.
»Sie meinen, ich …?«
»Ja, Sie, natürlich Sie! Hätten wir uns sonst bei dieser Kälte herbemüht?«
Dabei sah er seine Untergebenen listig an, und sie bekundeten ihre Zustimmung durch gemeinsames Nicken. Ich fühlte, wie mir der mit Essig vermischte Fleischsaft über die Hand rann, und machte einen Schritt in Richtung Küche, um das Beinchen abzulegen.
»Wohin wollen Sie?«, bremste mich der »Chef«.
»Nur die Keule in die Marinade zurücktun …«
»Welche Keule?«
Da ich nicht wusste, was ich entgegnen sollte, hob ich das winzige Beinchen, als wäre es eine Blütenknospe. Den »Chef« begann das offenbar zu interessieren, denn er erhob sich und schnüffelte an meiner Hand.
»Wachteln?«
»Ja, aber tiefgefroren.«
Er kam mir so nahe, dass seine Nase meine Finger berührte und ich schon fürchtete, von ihm gebissen zu werden. Aber das Wachtelbeinchen ließ wohl seine Stimmung umschlagen, er wurde plötzlich anders, ich hätte fast gesagt: herzlich.
»An Feiertagen gehen wir oft auf die Jagd. Über Wachteln weiß auch ich ein bisschen Bescheid.«
»Tatsächlich?«
Doch der »Chef« hörte mir nicht mehr zu, er hatte sich bereits in die Küche begeben, tauchte einen Finger in das Gefäß mit dem marinierten Fleisch und leckte ihn gelassen ab.
»Spanische Marinade«, behauptete er und rezitierte:
»Etwas Sellerie, Mohrrübe, Essig, Rotwein, Thymian …«
»Nein … nach eigenem Rezept!«
Wieder schlug seine Stimmung um; er entriss mir das Wachtelbeinchen und warf es in die Marinade, dann befahl er mir, augenblicklich ins Zimmer zurückzukehren. Als wir alle wieder saßen, trat längeres Schweigen ein. Schließlich ergriff er das Wort.
»Wir haben keinerlei Beweise, aber was ich gesehen habe, rechtfertigt unseren Verdacht. Sie, mein Herr, scheinen ein unverbesserlicher Genießer zu sein! Ein Hedonist!«
»Ich habe keinem Menschen etwas Böses getan.«
»Schweigen Sie!«, unterbrach er mich schroff, als wollte er sagen: So versuchen sich alle herauszureden. Danach begann er mich gründlich zu mustern. Seine großen, kaviarschwarzen Pupillen zuckten kein einziges Mal, sie schienen von meinem Gesicht den Plan zu einer teuflischen Sabotage abzulesen, die, wäre sie nicht von ihnen aufgedeckt worden, schon tags darauf den Staat zerschlagen hätte. Unvermittelt schloss er die Augen und machte wieder den Mund auf:
»Sie kennen das Gesetz?«
»Nicht eben gut …«
»Sie sind sich Ihres Vergehens bewusst?«
Als er »Vergehen« sagte, erschrak ich. Ich musste mich verteidigen, und darum erklärte ich betont leise:
»Wachteln sind gesetzlich nicht verboten.«
Darauf lächelte er.
»Sie kennen das Gesetz also doch«, sagte er höhnisch, sodass auch die anderen lachten. Er wurde wieder ernst.
»Junggeselle?«
»Ja!«
Er machte eine Pause. Schon im nächsten Augenblick nahm sein Gesicht wieder den hinterhältigen Ausdruck an.
»Und es kommt Ihnen nicht seltsam vor, für sich allein so ein kompliziertes Gericht zuzubereiten wie Wachteln in spanischer … also gut, irgendeiner Marinade?«
»Nein. Damit vertreibe ich mir die Zeit.«
»Das ist ja noch schöner!«, rief er. »Während andere Menschen in südlichen Breiten hungern, vertreibt sich der Herr seine Zeit mit Wachtelbraten.«
»Sie sagten doch, dass Sie selbst auf Wachteljagd gehen.«
»Das hat mit Ihrem Fall nichts zu tun. Erstens schieße ich sie nur in der vom Gesetz vorgeschriebenen Saison. Zweitens ist es meine Frau, die sie zubereitet. Und drittens mache ich das nur zwei bis drei Mal jährlich und denke mir dabei keine Marinaden aus.«
Wieder schwieg ich, womit ich meine Lage nur verschlimmerte.
»Also: Was haben Sie auf all das zu sagen?«, drängte er siegessicher.
Da fiel mir die rettende Antwort ein:
»Ich esse auch nicht jeden Tag Wachteln.«
Der »Chef« war überrumpelt und blieb vorübergehend friedlich.
»Natürlich. Wer denkt denn auch an so was. Übrigens werden Sie deshalb von niemandem beschuldigt. Ich sagte, dass Sie verdächtig sind.«
»Warum dann zum Teufel …«, entfuhr es mir. »Sie dringen in meine Wohnung ein, schnüffeln in der Küche herum … was wollen Sie noch? Soll ich meine Därme umstülpen, damit Sie sehen, was drin ist … was ich gestern gegessen habe?«
»Genau das!«
»Wie bitte?«
»Was haben Sie gestern gegessen?«
Ich war ihm in die Falle gegangen wie eine Wachtel und verstummte hilflos.
»Na?«, fuhr der »Chef« ungerührt fort.
»Warten Sie, gestern … ach so, ja, ein Schnitzel vom Rind.«
»Sie meinen ein Steak …!«
»Nein, kein Steak, ein ganz gewöhnliches Rinderschnitzel.«
»Dann Roastbeef …!«
»Ich sagte doch: Nein! Ein Schnitzel, eine gewöhnliche Scheibe Rindfleisch, wenn Sie wissen, was das ist. Ich glaube, in der Pfanne ist noch ein Rest.«
Darauf schnippte der »Chef« mit den Fingern, einer der Untergebenen stand auf und ging in die Küche. Wenig später kam er mit der Pfanne zurück und setzte sie auf dem Couchtisch vor dem »Chef« ab.
»Nimm das Beweisstück an dich … Nein, warte.« Und zu mir gewandt: »Haben Sie ein Stück Brot?«
Ich erhob mich und brachte es ihm.
»Sie sind mir doch nicht böse. Hmmm, köstlich, wenn auch von gestern. Nein, Sie haben nicht gelogen, es ist kein Steak. Es ist ein gewöhnliches Schnitzel, ja, vom Rind… aber warten Sie, Senf ist dran, Pfeffer …« Er schmatzte, um das Aroma nachzuschmecken. Das letzte Stückchen reichte er dem Burschen, der noch neben ihm stand, und wischte sich den Mund mit dem Taschentuch ab. Dann schmatzte er noch einmal.
»Sie haben die Wahrheit gesagt, aber wir werden es trotzdem im Labor überprüfen.«
Er lehnte sich im Stuhl zurück.
»Haben Sie Wein im Haus?«
»Ja.«
»Roten?«
»Ja.«
»Bekomme ich einen Schluck?«
Als ich Flasche und Glas vor ihn hingestellt hatte, wartete er nicht lange und schenkte sich ein.
»Sie wollen nicht?«
»Nein, danke.«
Und so trank er und goss nach, trank und goss nach, bis die Flasche leer war.
Er lehnte sich abermals zurück und mümmelte wie ein wiederkäuendes Rind, wobei er das eine Auge leicht geschlossen hielt. Das andere starrte immer noch mich an, schläfrig und etwas getrübt.
»Sie geben sich vielleicht keine Rechenschaft darüber, mein Herr, welchen Schaden Sie Ihrer Umwelt zufügen, ich meine durch Ihre Verschwendungssucht und Gefräßigkeit. Gestern ein Steak – denn was für ein Unterschied besteht schon zwischen Steak und Rindschnitzel? Heute Wachteln. Und morgen, was wird morgen sein? Wenn es alle so machten wie Sie, wie soll die Menschheit überleben?«
An dieser Stelle schlummerte er ein. Seine Assistenten und ich wechselten Blicke, denn wir wussten nicht, was wir beginnen sollten. Schließlich griff ich nach den Zigaretten. Das weckte ihn augenblicklich.
»Halt, stehen bleiben! Ach nichts, nichts … Ich meine, was wird morgen sein?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Der Herr sind Pessimist?«
»Nein, aber ich denke, dass das niemand weiß.«
»Aber wissen Sie, was Sie morgen kochen werden?«
»Nein, nicht einmal das.«
»Das heißt, Sie leben ohne Plan. Einfach so, von heute auf morgen?«
Ich wusste nicht mehr, was ich ihm antworten sollte. Er sah mich jetzt aus beiden Augen an, aber immer noch zurückgelehnt, und er wiederholte ohne Ende wie einen Refrain:
»Hedonist, Pessimist …«
Da klingelte es an der Wohnungstür. Der »Chef« sprang auf und scharte die Assistenten um sich. »Öffnen Sie«, sagte er leise, ganz auf der Hut.
Es war Tina. Fein gemacht und tadellos geschminkt drängte sie herein, aber in der Zimmertür prallte sie erschrocken zurück. In diesem Moment war sie unwiderstehlich. Ich dachte nicht mehr an den »Chef« und nicht an die Wachteln, an nichts. Aber seine Stimme riss mich hoch, als er sie aufforderte einzutreten. Ich folgte ihr, und er hielt mich auf.
»Das Fräulein kann ruhig hereinkommen, wir gehen sowieso.«
Die Untergebenen waren schon draußen, er hielt sich noch im Korridor auf.
»Ihre Verlobte?«
»Eine Freundin.«
»Haben Sie viele?«
»Nicht besonders viele.«
»Lügen Sie nicht!«
»Ich lüge ja gar nicht.«
»Sagen Sie mir sofort, wie viele! Ich kann Sie auch auf einen bloßen Verdacht hin festnehmen.«
»Ich weiß