Nordfriesland für Anfänger: Was immer Sie über Nordfriesland wissen wollten, dieses Buch gibt Ihnen den Rest
By Stefan Mack
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Nordfriesland für Anfänger - Stefan Mack
Willkommen in der Weite
Der erste Eindruck ist völlig richtig. Nordfriesland ist tatsächlich flach. Sehr flach. Die höchste wirkliche „Erhebung" bildet der Sandesberg nordöstlich von Ostenfeld mit seinen immerhin stattlichen 53 m. Das ist höher als Berlin-Mitte, was ihm manche der hiesigen Kartographen und besonders Erdkundelehrer gern absprechen. Aber sonst ist das Land: flach, soweit das Auge reicht. Und das ist weit bei schönem Wetter. Plötzlich versteht man den alten Witz, der besagt, dass man heute schon sieht, wer morgen zum Kaffee kommt. In diesem Spruch ist aber noch mehr enthalten, zum Beispiel, dass Nordfriesen tatsächlich gern zum Kaffee kommen, morgen, übermorgen, am besten aber schon heute. Man muss sie nur dazu einladen, und das ist wirklich die einfachste Sache der Welt. Und hier findet man Städter und Landmann in seltener Eintracht.
Moderne nordfriesische „Skyline": Rapsfelder und Windmühlen
Denn das Land hinterlässt Spuren. Wo das Auge am verschwimmenden Horizont Halt sucht, da ist auch der Arm ständig bereit, etwas Dingliches zu greifen, ja, zu umarmen, schon um sich zu überzeugen, dass man dieser Leere und Weite doch nicht allein ausgeliefert ist. So muss man die große schriftliche Begrüßung beim Elektrodiscounter im Gewerbegebiet auch als großartige psychosoziale Reflektion verstehen: „Schön, dass Sie da sind!"
So nimmt man doch gern auch etwas in den Arm: DVDs, Festplatten und Waschmaschinen.
Bei dem überwältigenden Raumangebot, das dem nordfriesischen Einwohner jeden Tag geradezu aufgedrängt wird, kann es natürlich auch zu leichten Überreaktionen kommen. Wenig befahrene Straßen verleiten den Autofahrer zu der Ansicht, deren alleiniger Besitzer zu sein. Dann kann das sprichwörtlich freundliche Entgegenkommen der Nordfriesen gefährlich werden – besonders in Kurven.
Aber auch in den Städten hier, wenn man die etwas weniger locker gebauten Ansiedlungen so nennen darf, heißt es vorsichtig sein. Nicht allen Straßenbenutzern ist klar, dass es dafür teilweise sehr komplizierte Regeln und Gesetze gibt. Als Autofahrer tut man gut daran, höllisch aufzupassen. Es sieht oft nicht so aus, als ob Fußgänger damit rechnen, dass die Straße, die sie überqueren wollen, auch noch anderweitig benutzt wird. Zum Beispiel durch den Kraftverkehr.
Böse Zungen (auch einheimische!) behaupten ja, der Husumer fände sich kaum in seiner Stadt zurecht, wenn es nicht so viele Einbahnstraßen gäbe. Das ist meiner Erfahrung nach grundsätzlich falsch und sogar auch gefährlich.
In Einbahnstraßen muss man grundsätzlich mit Gegenverkehr rechnen. Übrigens: Fahrradfahrer, die nebeneinander die gesamte Fahrbahn vereinnahmen und so dem Entgegenkommenden einen Gruppenausflug suggerieren, müssen sich nicht unbedingt gegenseitig kennen. Deshalb heißt es hier besonders aufpassen, ob und welche merkwürdigen Ausweichbewegungen jeder Einzelne macht, wenn er bemerkt, dass plötzlich von vorn ein anderer Verkehrsteilnehmer kommt.
Ich will damit nicht sagen, dass der Nordfriese im Straßenverkehr träumt. Es ist eben nur so, dass man hier tief verinnerlicht hat, Platz zu haben. Urlauber aus hektischen Großstädten sollten sich aber nicht täuschen: dieses Gefühl erreicht auch sie, und wehe, wenn sie dann zurück in ihr dichtbesiedeltes und – befahrenes Straßenlabyrinth kommen. Denn die Folgen wären ungleich schmerzhafter als hier.
Friede vor der Haustür
Der Nordfriese an sich ist sehr ordentlich. Die Vorgärten sind gepflegt. Um nicht zu sagen: sehr gepflegt. Vielleicht erkennt man die Häuser, die von Zugereisten gekauft wurden, am besten am Vorgarten. Denn nur jemand aus einem urbanen Ambiente, wo jeder Grashalm als kleines Wunder wahrgenommen wird, kann seinen Vorgarten bewusst verwildern lassen und das auch noch schön finden. Für jeden richtigen Nordfriesen bedeutet wirres Grün eine echte Seelenqual, der er abhelfen muss, egal ob es stürmt oder schneit.
Dass die kleinen, abgezirkelten Rasenstücke mit der Nagelschere beschnitten werden, halte ich allerdings für ein böswilliges Gerücht, was sicherlich dadurch entstanden ist, dass man den Gartenbesitzer in sehr gebückter, kniender Haltung sah. In Wirklichkeit glaube ich, wird in dieser Position einfach nur kontrolliert, ob alle Halme auch gleichlang sind.
Dennoch weist der Geräteschuppen oft ein sehr umfangreiches Arsenal auf. Da gibt es dann auch Werkzeuge, die eigentlich für kindliche Sandkastenspiele gemacht scheinen, wenn sie nicht so robust ausgeführt wären. Kein Zweifel, der Besitzer muss einen der hübschen landschafts-typischen Steinwälle in Ordnung halten.
„Na, da komm ich doch rüber!" - Hiesige Gartenbegrenzungen sind nur der Schönheit verbunden
Nun könnte man annehmen, dass die Ergebnisse dieser aufopfernden, gemeinnützigen Tätigkeit durch Stacheldrahtzäune geschützt werden müssten. Doch so etwas wird man hier nirgends finden. Kniehohe Hecken oder Holzgatter sind die Regel, oft auch Erd- oder Steinwälle in dieser Höhe und manchmal sogar nichts, was man als Abgrenzung bezeichnen könnte. Die Türen darin, wenn es überhaupt welche gibt, sind auf keinen Fall abgeschlossen. Theoretisch kann man in vielen Dörfern quer durch die Gärten abkürzen, was aber natürlich niemand macht. Sicherlich zumeist aus dem hier üblichen, hohen Respekt vor den gärtnerischen Leistungen anderer, eher weniger, um einer Einladung zum Kaffee oder Tee zu entgehen, wenn man dabei ertappt wird.
Friesenzaun – die höchste Begrenzung hierzulande. Schlösser sind ein Sakrileg.
Anders natürlich die Kinder. Der Nordfriese ist durch und durch kinderlieb, was man deutlich an seiner für Rest-Deutschland untypischen Reproduktionsrate ablesen kann.
So kommt es vor, dass ganze Horden von Vier- bis
Zehnjährigen in einer Art durch die Dörfer vagabundieren, dass einem woanders Angst und Bange würde. Hier aber tauchen sie irgendwo über und über schokoladen- und eisverschmiert wieder auf. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass nicht alle süßen Gaben von den Hausbesitzern freiwillig