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Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss: Roman
Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss: Roman
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Ebook146 pages1 hour

Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss: Roman

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About this ebook

"Als Simon Gruber einsah, dass es ihn nicht gab, begann er zu weinen."
Elias Hirschl spielt in seinem raffinierten Debütroman mit den Erzählebenen, der Autor und Protagonist in seinem Roman interagiert mit den von ihm erschaffenen Figuren - und bald agiert hier jeder mit jedem. Gott ist schon lange tot, nun soll auch noch der Autor dran glauben!
Simon Gruber schreibt an einem Roman über eine Dorfgemeinschaft. Eines der Dorfmitglieder, der alte Stieber, soll am Ende der Romanhandlung an einem Herzinfarkt sterben. Die Dorfgemeinschaft trauert und ... ist mit dem traurigen Ende der Geschichte sehr unzufrieden. Die Figuren des Romans rebellieren, einige verdächtigen Simon, den alten Stieber selbst umgebracht zu haben, sogar ein Detektiv wird engagiert, um Simon der Tat zu überführen. Und während dieser immer mehr an seinen schriftstellerischen Fähigkeiten zweifelt, zweifeln die anderen schon generell an seiner Existenz. Gott, also der Autor, soll vom Thron gestoßen werden!

Mit diesem hochkomischen erzählerischen Bravourstück legt Hirschl einen beachtlichen Debütroman vor, der den Leser von Anfang bis Ende mitreißt.

Kein Stein bleibt auf dem anderen - ein Buch, bei dem Flann O'Brien vor Freude in die Hände klatschen würde.
LanguageDeutsch
PublisherMilena Verlag
Release dateJul 20, 2015
ISBN9783902950482
Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss: Roman
Author

Elias Hirschl

1994 in Wien geboren, Poetry-Slammer, Schriftsteller und Musiker. Österreichischer Meister im Poetry Slam 2014. Slamtexte und Kurzgeschichten erschienen in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien. 2015 debütierte er seinem ersten Roman, ihm folgte 2016 sein zweiter. Elias Hirschl lebt in Wien.

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    Book preview

    Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss - Elias Hirschl

    DANKSAGUNG

    1

    SIMON GRUBER SASS AN SEINEM SCHREIBTISCH und schrieb. Jedenfalls wäre es das gewesen, was er behauptet hätte zu tun, wohingegen es für einen außenstehenden Beobachter eher so aussah, als wäre er lediglich untätig herumgesessen und hätte an die Decke gestarrt, was in den letzten Tagen auch tatsächlich Simons Haupttätigkeit gewesen war. Mit den kurzen Episoden des Schreibens zwischen den langen Perioden des Nichtstuns verfolgte er den Plan, ein Buch zu verfassen, welches sich signifikant von allen anderen Büchern abheben sollte, ohne dabei so zu wirken, als wäre es Absicht. Er versuchte also, eines dieser Bücher zu schreiben, die ganz genau so waren wie alle anderen Bücher, die versuchen, nicht so zu sein wie alle anderen Bücher.

    Momentan jedoch kam er aufgrund seiner selbstverschuldeten Faulheit nur äußerst langsam voran und trank deshalb literweise Kaffee, damit sein Körper zumindest das Gefühl hatte, produktiv zu sein. In den letzten drei Stunden hatte er seine Geschichte um gerade einmal drei Sätze erweitert, die jeweils nur eine durchschnittliche Wortanzahl von 3,25 aufwiesen, und hatte sich dabei schon derart stark konzentrieren müssen, dass er die Bitte seiner Frau überhört hatte, er solle sich um die Wäsche kümmern und in fünf Minuten die Herdplatte mit dem Topf Kartoffeln abdrehen, denn sie gehe jetzt mit einer Freundin ins Kino und komme sicher nicht vor Mitternacht wieder nach Hause.

    Aus Angst davor, dass der Kaffee früher oder später seine Produktivität vorgaukelnde Wirkung verlieren und Simon sich selbst plötzlich beim Nichtstun ertappen könnte, verließ er nach weiteren zwei Stunden des inaktiven Herumsitzens schließlich in der dritten Person Singular sein Schreibzimmer, passierte den schmalen Flur mit dem Bad zu seiner Linken und dem Schlafzimmer zu seiner Rechten, ging, ohne Kenntnis von dem Topf zerkochter Kartoffeln zu nehmen, durch die Küche, schlüpfte in zwei weiße Hausschuhe und machte sich auf den Weg zum Postkasten, um nach seinen Briefen zu sehen; wie er es immer tat, wenn er sich vor Arbeit drücken wollte, denn es war 1983.

    Er entsperrte sein Postfach und fand tatsächlich einen Brief darin vor. Zu seinem Bedauern jedoch bedruckt mit dem Bild eines Adlers.

    Soweit in diesem Formular personenbezogene Ausdrücke verwendet werden, umfassen sie Frauen und Männer gleichermaßen.

    STRAFSACHE:

    GEGEN:

    Beschuldigter:

    Simon GRUBER

    Geboren 11.06.

    WEGEN: § 1037 (1 u. 2) StGB

    In der Strafsache gegen Simon GRUBER ergeht die Mitteilung, dass das Geschworenengericht im Falle der Verfolgung des Genannten wegen § 1037 (1 u. 2) StGB (wiederholte unsachgemäße und tautologische Verwendung multipler Erzählebenen) gemäß § 2021 Abs. 4 StPO zu einem Entschluss kam.

    Die Staatsanwaltschaft erlässt auf Beschluss der Geschworenen eine einstweilige Verfügung gegen den Beschuldigten, durch deren Inkrafttreten der Genannte dazu verpflichtet wird, von literarischen Metaebenen 100 Meter Abstand (entspricht etwa 20 000 Zeilenabständen) zu halten. Des Weiteren wird der Genannte dazu verurteilt, 40 Stunden Sozialdienst zur Schließung der logischen Lücken seiner Erzählung abzuleisten, um somit weiteren Unannehmlichkeiten vorzubeugen.

    Staatsanwaltschaft      

    Geschäftsabteilung 412

    Mag. Teresa Heidinger

    (STAATSANWÄLTIN)

    H.d.g.d.l.

    Genau wie alle vorangegangenen Briefe, die ihm in letzter Zeit aus unerfindlichen Gründen in rauen Mengen zugeschickt wurden, warf Simon auch diesen ungeöffnet in den Papierkorb und machte sich wieder auf den Weg zurück in seine Wohnung.

    Währenddessen lag der Stoß Papier, an dem er gearbeitet hatte, weiterhin auf seinem Schreibtisch und fühlte sich vernachlässigt. Die wenigen nicht durchgestrichenen Sätze, die vereinzelt auf den Seiten herumlagen, waren in einer beleidigend hässlichen Handschrift geschrieben worden und handelten hauptsächlich von Johann Stieber. Dieser war eine von Simon Gruber erfundene Romanfigur und außerdem ein alter Mann mit zerfurchtem Gesicht und knotigen Händen, welcher meistens nur auf seinem Gartenstuhl saß, rauchte und Geschichten schrieb, in denen er Begriffe des Agrarwesens als Metaphern auf die Beschreibungen seiner Figuren anwandte, und so z. B. seine Protagonistin (Hilde Weinzettl) als Fräulein jungen Alters mit dennoch bereits von der harten Arbeit als Bäuerin zerfurchtem Gesicht bezeichnete, wobei »zerfurcht« eben jene Metapher war, die der alte Stieber aus dem Jargon des Agrarwesens entlehnt hatte. Wo hingegen er Adolf Neuhaus, einen der wenigen Elektriker des Ortes, der sich hin und wieder zu dem alten Mann auf die Veranda setzte und Bier mit ihm trank, als »netten, lebendigen jungen Mann« beschrieb, was mit Adolfs Beruf in absolut keinem un- oder beabsichtigten Zusammenhang stand. Die Tochter des alten Mannes (sie hörte auf einen schönen Vornamen, beginnend mit dem Buchstaben S), war bereits mit 17 aus dem kleinen Dorf ausgezogen, hieß Sabine und schlug sich nun teilweise mit mäßig anfallenden Aufträgen als Schauspielerin, hauptsächlich aber mit dem Liebhaben mehr oder weniger reicher Männer durch. Dass sie mit 15 eine kurze, aber heftige Affäre mit eben erwähntem Elektriker hatte, stand außer Frage und seit Kurzem, dank des Pfarrers¹, für alle sichtbar auch an dem »Brett der Schande«, hängend an dem Haupttor der Ortskirche, in Form aufgeklebter Kunststoffbuchstaben, gehalten in einem gut leserlichen Weiß.

    Als Johann Stieber (jener alte Mann mit tatsächlich von Heugabeln und Ackergeräten zerfurchtem Gesicht) schließlich nach guten 300 Seiten Arbeit als Romanprotagonist an einem ortsansässigen Herzinfarkt starb, war Simon Grubers letztes Buch zu Ende. Er reichte es ein, es wurde abgelehnt, er veröffentlichte es im Selbstdruck, es hatte keinen Erfolg, verkam zunächst zum Ladenhüter, dann zum Ramsch, dann zum Gratisexemplar zum Verschenken bzw. professionell maschinellem Einstampfen. Simon Gruber schlitterte geradewegs in eine handfeste Depression², genauso wie Sabine Stieber, deren Vater gestorben war. Just an diesem Tag war sie an den Dreharbeiten zu einem Kinofilm beteiligt gewesen³, in welchem sie in Minute 37 ganze 43 Sekunden in 200 Meter Entferung in Nahaufnahme sehr unscharf nicht auch nur im Geringsten zu erkennen war.

    Die einzige Person, die dem Tod des alten Mannes beigewohnt hatte, war der junge Elektriker gewesen, der gerade mit dem prämortalen Herrn Stieber in eine Unterhaltung über seine Protagonistin, das mäßig in Spitze und Tüll gehüllte Fräulein Weinzettl, verstrickt gewesen war, als dieser (Herr Stieber) plötzlich aus reiner Herzenslust anfing zu sterben. Adolf Neuhaus und das Fräulein Weinzettl gerieten beide in Panik, riefen den Pfarrer, gerieten mit ihm zusammen in Panik, riefen den einzigen Dorfbewohner mit Telefonanschluss an und baten ihn herzukommen, weil er einen vollständigen Erste-Hilfe-Koffer besaß, dessen Pflaster noch nicht alle zum Reparieren von Sonnenbrillen aufgebraucht worden waren.

    Als dieser am Ort des Geschehens ankam, war Herrn Stiebers Leiche bereits zur Gänze verwest, sodass nicht einmal der Druckverband des einzigen Dorfbewohners mit Telefonanschluss Wirkung zeigte, obwohl er ihn täglich in der Sorge, es könne eines Tages in irgendeiner Form zu einem Ernstfall kommen, geübt hatte. Er (der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss) zeigte sich ob der Schmach, das Leben des alten Herrn Stieber nicht retten zu können haben, zutiefst gekränkt, und der Pfarrer vermerkte dies sofort auf dem Brett der Schande.⁴ Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss ging, etwa bis zur Höhe seiner Schulterblätter im Erdboden versunken, nach Hause, wo wir etwas später auf ihn zurückkommen werden.

    Da sich die Leiche von Johann Stieber bereits vollständig zersetzt hatten, ersparte man sich das mühsame Obduzieren und Begraben, sodass weder jemand anzweifelte, dass der alte Mann tatsächlich an einem Herzleiden gestorben war, noch jemand sich um die Bestattung kümmern musste. Der Formalität wegen hatte man trotzdem einen Detektiv aus der nächsten Stadt einfliegen lassen, der sich jetzt jedoch nur in Cafés und Bars herumtrieb und aus Langeweile Trinkspiele mit den Dorfbewohnern veranstaltete.⁵ An einem dieser Abende versuchte er den Elektriker unter den Tisch zu trinken, während das spitztüllene Fräulein Weinzettl danebensaß und beide verhalten anfeuerte. Die traumatische Erfahrung, zusammen dem Tod eines Menschen beigewohnt zuhaben, hatte den Elektriker Adolf Neuhaus und das Fräulein Hilde Weinzettl zusammengeschweißt wie ein wahnsinniger Chirurg, und so wundert es nicht, dass sie nach dieser durchzechten Nacht noch beim Elektriker zuhause landeten, ein paar alte Elektropunkplatten von Bob Dylan durchhörten, sich gegenseitig mit noch mehr Alkohol abfüllten und schließlich gemeinsam unter einer Decke steckten.⁶

    Der Pfarrer, der seit einem grässlichen Unfall beim Bergsteigen ein sehr helles Gehör entwickelt hatte, schrieb sogleich einen weiteren Punkt auf das Brett der Schande und machte die beiden am nächsten Morgen darauf aufmerksam, dass, nachdem sie sich nun letzte Nacht ganz unbedacht gegenseitig zu Mann und Frau gemacht hatten, er sie beide in seiner Rolle als Dorfpfarrer ebenfalls zu Mann und Frau zu machen hatte. Er schrieb also auf einen Zettel, dass eine Hochzeit zwischen dem Elektriker und Hilde Weinzettl (der Protagonistin von Johann Stiebers letzter Geschichte) anberaumt worden war und klebte selbigen sogleich als ersten Punkt an das – ebenfalls existierende – »Brett der Tugend«.

    Da es nun per definitionem etwas später ist, kommen wir auf den einzigen Dorfbewohner mit Telefonanschluss zurück: Er hatte sich beschämt und von sich selbst enttäuscht in seinen Telefonanschluss gesetzt und sich frustriert einen starken Telefonanschluss eingeschenkt, den er in einem Zug hinunterstürzte. Anschließend stellte er den Telefonanschluss beiseite, nahm den Telefonanschluss vom Telefonanschluss und schaltete den Telefonanschluss ein. Es lief ein Telefonanschluss über Telefonanschlüsse. Billige Telefonanschlüsse, um genau zu sein, zu denen man noch einen zweiten Telefonanschluss gratis dazubekam, wenn man jetzt und sofort anrief. Der einzige Dorfbewohner mit

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