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Franz Ferdinand: Die Biografie
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Ebook468 pages5 hours

Franz Ferdinand: Die Biografie

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Neue Quellen, unveröffentlichte Archivfunde: Die Biografie zum 100. Todestag

Der gewaltsame Tod Franz Ferdinands am 28. Juni 1914 in Sarajevo steht am Anfang jeder Erzählung über den Ersten Weltkrieg. Verschwörungstheorien, Mythen und Legenden ranken sich bis heute nicht nur um das Attentat, sondern auch um das Leben und Wirken dieses Mannes, den erst der plötzliche Tod des Kronprinzen Rudolf zum Thronfolger gemacht hatte. Diese neue Biografie, entstanden auf der Grundlage intensiver Archivrecherchen, geht der Frage nach, wie es Franz Ferdinand gelingen konnte, trotz mangelnder Ausbildung und starker privater Differenzen mit Kaiser Franz Joseph seinen Machtbereich so weit auszudehnen, dass in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg keine Entscheidung ohne sein Einverständnis getroffen werden konnte.
Der Autorin gelingt es mit Hilfe bislang unbekannter Quellen aus der direkten Umgebung des Thronfolgers einen neuen, spannenden Blick auf dessen private Interessen ebenso wie sein politisches Denken und Handeln zu werfen.
LanguageDeutsch
Release dateDec 10, 2013
ISBN9783902862792
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    Franz Ferdinand - Alma Hannig

           Alma Hannig       
    Franz Ferdinand

    Alma Hannig

    Franz

    Ferdinand

    Die Biografie

    Mit 31 Abbildungen

    Bildnachweis

    Nrn. 1, 2, 6, 10, 17, 18, 24, 26, 28: Vorlagen aus den Sammlungen des Amalthea Verlages; Nrn. 3, 4, 5: Imagno/ÖNB; Nr. 27: Imagno/Austrian Archives; Nr. 7: Sammlung Rauch/Interfoto/picturedesk.com; Nrn. 8, 11, 12, 20, 21, 22, 23: Familienarchiv Hohenlohe; Nrn. 9, 13, 14, 15, 16, 19, 25, 29, 31: Heeresgeschichtliches Museum, Wien; Nr. 30: Wien Museum.

    Umschlagabbildungen: vorne: Der Thronfolger – gut gelaunt und in Zivil – bei seiner Ankunft in London 1913, © Scherl/SZ-Photo/picturedesk.com; hinten: © Familienarchiv Hohenlohe (im Bildteil Nrn. 16 u. 23)

    Besuchen Sie uns im Internet unter: www.amalthea.at

    © 2013 by Amalthea Signum Verlag, Wien

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlaggestaltung: Wahrstätter, vielseitig.co.at

    Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger

    & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

    Gesetzt aus der 11,25/14,35 pt Minion

    Printed in the EU

    ISBN 978-3-85002-845-5

    eISBN 978-3-902862-79-2

    Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung

    Inhalt

    Einleitung

    1. Von Habsburg zu Österreich-Este

    1.1 Kindheit und Jugend von Erzherzog Franz Ferdinand

    1.2 Ausbildung und Militärdienst

    2. Unerwünschter Thronfolger

    2.1 Weltreise

    Exkurs: Jäger und Sammler

    2.2 Krankheit

    2.3 Die morganatische Ehe

    3. Repräsentation

    4. Belvedere – Aufbau einer Nebenregierung

    5. Mythos Trialismus – Innenpolitische Reformpläne

    6. Franz Ferdinand – ein Ungarnfeind?

    7. Der Thronfolger und die Parteien: persönliches Regiment versus Parlamentarismus?

    8. Franz Ferdinand und die Presse

    9. Das Verhältnis des Erzherzogs zur katholischen Kirche

    10. Franz Ferdinand – ein Akteur der Außenpolitik

    10.1 Franz Ferdinand und der Ballhausplatz

    10.2 Franz Ferdinand und die Diplomaten

    10.3 Monarchensolidarität über alles? Außenpolitische Pläne des Thronfolgers

    11. Franz Ferdinand – ein Friedensfürst?

    12. Die »Chronik eines angekündigten Todes«?

    12.1 Das Attentat

    12.2 Reaktionen auf den Tod des Thronfolgerpaares

    12.3 Ein Begräbnis »dritter Klasse«

    12.4 »Macht man Krieg wegen eines Attentats?«

    12.5 Die weltpolitischen Folgen des Attentats – Die Julikrise 1914

    12.6 »An Meine Völker!« – Vom lokalen Konflikt zum Weltkrieg

    13. »Eine Sphinx«? Das zeitgenössische Bild des Thronfolgers

    14. »Er war kein Grüßer« – Das Nachleben Franz Ferdinands

    14.1 Das Bild des Thronfolgers in der österreichischen Geschichte und Historiografie

    14.2 Das Bild des Thronfolgers in der Kunst

    14.3 Franz Ferdinand als literarische Figur

    14.4 Franz Ferdinand im Film

    Fazit

    Danksagung

    Quellen und Literaturverzeichnis

    Ungedruckte Quellen

    Zeitungen

    Gedruckte Quellen

    Literatur

    Anmerkungen

    Personenregister

    Einleitung

    Als am 28. Juni 1914 Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger der Habsburgermonarchie, in Sarajevo erschossen wurde, waren die Menschen in Wien, Berlin, Paris, London und St. Petersburg gerade auf dem Weg in die Sommerfrische. Der Sommer 1914 war ein ungewöhnlich schöner. Den Tag selbst beschrieb Stefan Zweig folgendermaßen: »Der Tag war lind; wolkenlos stand der Himmel über den breiten Kastanienbäumen, und es war ein rechter Tag des Glücklichseins.«¹

    Die bekannten Bilder des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares, die kurz vor dessen Tod in Sarajevo aufgenommen wurden, vermitteln auf den ersten Blick den Eindruck einer angenehmen Atmosphäre an einem warmen, sonnigen Sonntag. Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg waren in der Tat erleichtert, dass die Reise nach Bosnien bis dahin erfolgreich und ohne Zwischenfälle verlaufen war; sie waren über den herzlichen Empfang der Bevölkerung erfreut, und der Thronfolger war mit dem Verlauf der Manöverübungen zufrieden. Ihnen stand jedoch eine Automobilfahrt durch die Stadt bevor, die gewisse Risiken in sich barg. Die Bevölkerung Bosniens wollte in der fahnengeschmückten Stadt dem Thronfolgerpaar die Monarchietreue erweisen und versammelte sich massenweise entlang der angekündigten Route. Trotz aller Attentatswarnungen aus Wien verließ sich Franz Ferdinand auf die Einschätzung des Landeschefs Oskar Potiorek, der vom Einsatz des Militärs beziehungsweise von besonderen Sicherheitsmaßnahmen abriet. Man wollte schließlich Volksnähe demonstrieren. Die letzten Aufnahmen, die circa eine Viertelstunde vor dem tödlichen Attentat gemacht wurden, zeigen ein Paar, das zwar pflichtgemäß lächelt, in erster Linie aber beunruhigt wirkt. In der Zwischenzeit hatte sich bereits ein erstes Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand ereignet, das zwar misslang, aber zwei Begleiter aus seiner Kolonne verletzte. Wenig später erfolgte das zweite Attentat, das durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen sowohl für den Thronfolger als auch für seine Frau tödlich endete.

    Zur gleichen Zeit genossen die Bewohner der restlichen Monarchie den strahlenden Sonnenschein. Der bevorstehende Feiertag Peter und Paul und das dadurch entstandene verlängerte Wochenende lockten viele von ihnen aufs Land, in die Parkanlagen oder in die nahe gelegenen Badeorte. Kaiser Franz Joseph hielt sich in Bad Ischl auf, Außenminister Berchtold auf seinem Schloss in Südmähren. Zahlreiche andere Diplomaten, Politiker und Militärs waren ebenfalls auf ihren Landsitzen. Im Außenministerium am Wiener Ballhauplatz hielten sich lediglich zwei diensthabende Beamte auf.

    Als gegen Mittag die Nachricht vom tödlichen Attentat in Wien eintraf, liefen die Telefonleitungen heiß. Man versuchte, alle wichtigen Persönlichkeiten zu erreichen und sich über die neuesten Informationen auszutauschen. Der österreichische Politiker Joseph Redlich hielt dies in seinem Tagebuch fest: »Um 2 Uhr 10 Minuten rief mich Ganz an und sagte: Der Erzherzog Franz Ferdinand und die Herzogin von Hohenberg sind beide tot, beide von einem serbischen Studenten mit einer Browningpistole erschossen. […] Ich teilte diese furchtbare Nachricht Hans und Fräulein Irma mit, dann rief ich Marienbad an, bekam in fünf Minuten Fritz und berichtete es ihm. Fünf Minuten später erzählte ich die grauenhafte Nachricht Paul in Altaussee, teilte es dann telephonisch Willy Schlesinger und Baronin Schwartzenau mit, telegraphierte es Lützow, Baernreither, Leopoldine von Passavant. […] Berchtold ist bisher nicht aufzufinden gewesen. Er ist gestern abend nach Buchlau gereist, soll auf der Jagd sein. In Buchlau wird das Telephon am Sonntag um 12 Uhr gesperrt!«² Außenminister Berchtold war tatsächlich zunächst auf einer Entenjagd und anschließend bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Buchlau.

    Die meisten, die vom Tod des Thronfolgers erfuhren, begaben sich mit dem Zug sofort nach Wien zurück und erschienen bereits am Abend bei ihren Dienststellen. Der Kaiser traf am Morgen des 29. Juni in Schönbrunn ein, wo Obersthofmeister Alfred Montenuovo bereits das Zeremoniell für die Leichenfeier vorbereitete.

    Währenddessen spielten sich in Sarajevo krawallartige Szenen ab. Nachdem sich die Nachricht in der Stadt verbreitet hatte, dass die beiden Attentäter bosnische Serben waren, wurden die Häuser und Ladenlokale der serbischen Bevölkerung verwüstet und auch Menschen angegriffen. Die beiden Toten wurden in zwei Särgen im Rathaus aufgebahrt und am nächsten Tag zur Bahn geleitet. Dreißig Tage später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg; durch die Intervention der anderen Großmächte entwickelte sich daraus die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts: der Erste Weltkrieg.

    Für viele Menschen wurde mit dem Tod des Thronfolgers die Hoffnung auf innenpolitische Reformen, die Stabilisierung der Doppelmonarchie, eine Änderung des außenpolitischen Kurses und die Erhaltung des Friedens in Europa begraben. Während seine Anhänger unter dem Schock der Todesnachricht jede Hoffnung auf eine friedliche »Auferstehung« der Monarchie verloren und tendenziell zum Krieg rieten, überwog in der direkten Umgebung des Kaisers sowie in breiten Teilen der Öffentlichkeit eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Erleichterung darüber, dass der Monarchie Franz Ferdinand als Herrscher »erspart« geblieben sei. Nicht nur die ungarische Reichshälfte, sondern auch Regierungen und Öffentlichkeiten anderer Staaten wie beispielsweise Italiens betrachteten den Tod des Thronfolgers als eine durchaus glückliche Schicksalsfügung. Nach dem Ersten Weltkrieg mehrten sich jedoch die Stimmen in Mitteleuropa, die behaupteten, dass erst der Tod des Thronfolgers einen Krieg möglich gemacht hatte, da die »Taube« Franz Ferdinand als Gegengewicht zu den »Falken« in Wien fehlte.

    Liest man Biografien über Franz Ferdinand und die bisher erschienene Literatur zur Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, findet man stets die gleichen Topoi: auf der einen Seite der ewige Thronfolger, der unbeliebte Neffe des Kaisers, der zwar Zukunftspläne entwirft, aber nie zum Zuge kommt und an seiner Machtlosigkeit und Untätigkeit gegenüber Franz Joseph verzweifelt. Auf der anderen Seite ist von einer »Nebenregierung« im Belvedere, dem Wiener Sitz des Erzherzogs, die Rede, die Politiker und Minister vor die schwere Wahl stellte, sich auf die Seite des alten Kaisers oder diejenige des Thronfolgers, also des künftigen Herrschers, zu schlagen. Laut Tschirschky, dem damaligen deutschen Botschafter in Wien, war »die Hand des Erzherzogs […] überall, nicht nur in der Armee und der Flotte, sondern in jedem Ministerium, auf jeder Statthalterei und in den auswärtigen Vertretungen zu spüren«.³

    Dieses offensichtliche Paradoxon – Machtlosigkeit versus »Nebenregierung« – wird von zahlreichen Autoren weiter tradiert, ohne es als solches zu thematisieren oder aufzulösen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Biografie an und stellt mithilfe neuer Quellen und Fragestellungen viele der fest etablierten Meinungen und Mythen über Franz Ferdinand infrage.

    Nach dem Tod des Kronprinzen Rudolf im Jahr 1889 wurde Erzherzog Franz Ferdinand – damals 25 Jahre alt – zum ersten Mal als möglicher Thronfolger genannt. Erst 1898, nach dem Tod seines Vaters, Erzherzog Carl Ludwig, und der eigenen Genesung nach einer langjährigen Krankheit wurde Franz Ferdinand im Alter von 34 Jahren offiziell Thronfolger. Durch die späte Ernennung hatte er keine Monarchenerziehung genossen. Wie die meisten Erzherzöge wurde er militärisch ausgebildet, was ihn nur bedingt auf das künftige Herrscheramt vorbereitet hatte. Es stellt sich also die Frage, welche Schritte unternommen wurden, um dieses Defizit später auszugleichen. Wie hat sich der Erzherzog selbst im Laufe der Jahre auf den Thronwechsel vorbereitet und wer hat ihn dabei unterstützt? Welche Art der Politik entsprach seinen Vorstellungen? Sollten seine Pläne zur Umgestaltung der Monarchie zu einem trialistischen, zentralistischen oder doch einem föderativen Staat, den »Vereinigten Staaten von Österreich«, führen? War Franz Ferdinand tatsächlich der »Friedensfürst«, von dem so viele Zeitzeugen und Biografen berichten? Welchen Einfluss hat er auf die politischen und militärischen Entwicklungen in der Doppelmonarchie tatsächlich genommen? Dies sind nur einige Fragen, die im Folgenden behandelt werden und deren Beantwortung die Person des Erzherzogs und dessen Wirken in Österreich-Ungarn in einem neuen Licht erscheinen lassen.

    Der gewählte Ansatz einer politischen Biografie soll die private Seite des Erzherzogs Franz Ferdinand keineswegs ausblenden. Seine persönliche Situation – die lange Krankheit, die unstandesgemäße und damals für einen Erzherzog eher untypische Liebesheirat, sein schwieriger Charakter – spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die Beurteilung seiner Thronfolgertätigkeit geht und wird deshalb in den Anfangskapiteln vorgestellt. Franz Ferdinands fast legendäres Misstrauen gegenüber den meisten Menschen lässt sich beispielsweise aus dem Umgang der Hofkreise mit seiner Krankheit erklären. Das gespannte Verhältnis zu Kaiser Franz Joseph ist größtenteils auf Enttäuschung und Verärgerung des Kaisers über die morganatische Ehe seines Neffen zurückzuführen. Umgekehrt kränkte Franz Ferdinand der Eid, den er im Vorfeld der Hochzeit leisten musste, dass seine Kinder keinen Anspruch auf den Thron haben würden. Auch später sollten Rangfragen bezüglich seiner Ehefrau immer wieder die Ausübung seiner Aufgaben und Pflichten als Thronfolger beeinträchtigen.

    Ein Aspekt, der bisher wenig Beachtung in der Literatur fand, ist die für einen Thronfolger höchst ungewöhnliche Weltreise, die Franz Ferdinand 1892/93 unternommen hatte. Sie prägte nicht nur sein Weltbild, sondern ermöglichte ihm den Einblick in unterschiedliche Kulturen und Staaten. Trotz der zahlreichen Jagdausflüge und anderer Unternehmungen, die in diesem Zusammenhang stets genannt werden, handelte es sich hierbei letztlich um eine wichtige Bildungsreise. Einige Zeitgenossen behaupteten beispielsweise, dass der Erzherzog die Idee einer föderalistischen Staatsform für die Donaumonarchie vor allem seit seinem Besuch der USA verfolgt habe. Auch hier gilt es, die tatsächliche Bedeutung dieser Reise für sein politisches Denken genau zu untersuchen.

    Die ersten wichtigen Aufgaben, die er als Thronfolger absolvierte, waren Reisen und Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen der anderen europäischen Königshöfe als Begleiter oder als Vertreter Kaiser Franz Josephs. Der regelmäßige Kontakt zu den Monarchen anderer Staaten sowie die damit verbundene Beschäftigung mit der politischen und militärischen Lage in Europa führten zu einer Horizonterweiterung und einigen Korrekturen des erzherzoglichen Weltbildes. Sein durch die Erziehung geprägtes Deutschland- und Englandbild wandelte sich stark im Laufe der Zeit, wohingegen sein Verhältnis zu Russland von einer erstaunlichen Kontinuität gekennzeichnet war. Die einzelnen Etappen dieser Entwicklung, die entscheidenden Zäsuren und die Beweggründe des Thronfolgers werden hier ebenso thematisiert wie sein persönliches Verhältnis zu den jeweiligen Monarchen. Von diesen ist bisher lediglich sein Verhältnis zum deutschen Kaiser Wilhelm II. untersucht worden, wobei die meisten Autoren die Gemeinsamkeiten betonten und die Unterschiede ignorierten. Die gemeinsamen Interessen für die Jagd, Marine oder Kunst mögen zwar zu einer Verbesserung des persönlichen Verhältnisses beigetragen haben, sie haben aber niemals die Unterschiede in den politischen Ansichten zu überdecken vermocht. Das vorliegende Buch hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die bisherige Überbetonung des privaten Moments in den Beziehungen des Thronfolgers zu den Souveränen anderer Staaten und deren Bedeutung für Franz Ferdinands politisches Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Denn auch seine negative Einstellung zu Italien, Bulgarien oder Serbien lässt sich sicher nicht nur mit seinen persönlichen Antipathien gegenüber den dortigen Herrschern erklären, sondern basierte nicht zuletzt auf nüchternen machtpolitischen Überlegungen.

    Was innenpolitische Themen anbelangt, wird es neben den Reformplänen und seinem Umgang mit den politischen Parteien vor allem um Franz Ferdinands Verhältnis zu den Ungarn gehen, welches in der Literatur als ausgesprochen feindlich beschrieben wird, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass der Thronfolger zwischen den monarchietreuen und den nach Autonomie strebenden Ungarn klar unterschied.

    An vielen Stellen fehlt es in der Franz-Ferdinand-Forschung an der notwendigen historischen Differenzierung, so auch im Falle der katholischen Kirche. Der Erzherzog galt zeit seines Lebens als bigott und unterstützte einige Anliegen der Kirche, die teilweise für zusätzlichen Zündstoff in der Nationalitätenfrage sorgten. Die Erklärung, dass er dies aufgrund seiner extremen Religiosität tat, greift zu kurz. Bei genauer Betrachtung erweist sich der Thronfolger als klar kalkulierender Politiker, der die Kirche für seine Zwecke zu nutzen wusste und in einigen Fragen sogar eine dem Papst entgegengesetzte Meinung vertrat.

    Auch wenn er grundsätzlich als äußerst konservativ einzustufen war, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Franz Ferdinand gleichzeitig für die moderne Technik begeisterte und die Bedeutung neuer Medien (vor allem der Presse) für das politische Leben klar erkannte. Er nutzte gewisse Zeitungen, um die Öffentlichkeit in seinem Sinne zu beeinflussen, und bediente sich als überzeugter Antiparlamentarier und Monarchist verschiedener politischer Parteien, um seine Interessen im Parlament und in der Öffentlichkeit vertreten zu wissen.

    All die genannten Aspekte deuten darauf hin, dass es sich beim Thronfolger um eine Persönlichkeit handelte, die schon zu seinen Lebzeiten unterschiedlich wahrgenommen wurde und deshalb häufig kontroverse Meinungen provozierte. Eine konkrete Beschäftigung der Historiker mit der zeitgenössischen Wahrnehmung und dem historischen Bild des Thronfolgers fehlt bisher. Dies sowie die Darstellung des Erzherzogs in Kunst, Literatur und Film sind Themen, die im Rahmen dieser Biografie zum ersten Mal untersucht werden.

    Die gängigen Werke zu Franz Ferdinand beschränkten sich neben der Schilderung der privaten Lebenssituation zumeist auf die Analyse der innenpolitischen Reformpläne zur Erneuerung der Monarchie, die aufgrund des frühen Todes des Thronfolgers nie umgesetzt wurden. Ertragreicher und interessanter erscheint jedoch die Frage, was der Thronfolger noch zu seinen Lebzeiten bewirken konnte und wie groß sein Einfluss tatsächlich war. Vor allem in der Außenpolitik war es ihm gelungen, seinen Machtbereich enorm auszudehnen und wichtige diplomatische und politische Posten mit seinen Vertrauten zu besetzen. Das Attentat auf Franz Ferdinand stellte somit eine Zäsur in der Außenpolitik der Donaumonarchie dar. Die Umstände des Anschlags sowie die Reaktionen im In- und Ausland werden skizziert, ohne jedoch die Kriegsschuldfrage aufzuwerfen.

    Die letzten Arbeiten, die sich mit Erzherzog Franz Ferdinand wissenschaftlich befasst und neue Ergebnisse präsentiert haben, erschienen vor vierzig Jahren. Seitdem fand kaum Forschung in diesem Bereich statt, sodass das Bild des Erzherzogs in der Öffentlichkeit vor allem durch die populärwissenschaftlichen, fast hagiografisch anmutenden Werke von Friedrich Weissensteiner, Wladimir Aichelburg, Gordon Brook-Shepherd und Erika Bestenreiner geprägt ist. Obwohl sie zum Teil sehr gute Kenner der Quellen sind, haben die genannten Historiker kaum einen nennenswerten Beitrag zur Forschung geleistet. Die neuesten zwei Biografien über Franz Ferdinand sind interessanterweise in Frankreich erschienen und stellen durchaus gute Synthesen der bisherigen Forschung dar.⁴ Die großen Biografien aus der Feder Sosnoskys, Chlumeckys und Kiszlings sind 1929 bzw. 1953 erschienen und basierten nur auf wenigen Quellen, da die damaligen Akten zur Donaumonarchie sowie viele Privatnachlässe für die Forscher nicht zugänglich waren. Zudem waren die Autoren durch ihr privates Verhältnis zum Thronfolger nicht unbefangen. Zahlreiche andere Persönlichkeiten aus der Umgebung des Erzherzogs haben in den 1920erund 1930er-Jahren Memoiren verfasst, die aufgrund ihrer Subjektivität als Einzeldarstellungen eher problematisch sind.⁵ Durch den Abgleich der geschilderten Ereignisse, Entwicklungen und Erfahrungen können jedoch aus diesen Erinnerungswerken durchaus wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Die wissenschaftlich besten und fundiertesten Studien haben Robert A. Kann und Georg Franz verfasst, wobei sie – wie bereits erwähnt – vor über vierzig Jahren entstanden sind.

    Die Idee für die vorliegende Biografie über den sicherlich bekanntesten Thronfolger des frühen 20. Jahrhunderts entstand während der eigenen Studien über die Diplomatie und Politik Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg. Die Diskrepanz zwischen der Rolle des Thronfolgers in der Außenpolitik, wie sie sich in der Forschungsliteratur dargestellt findet, und seinem tatsächlichen Wirken, das sich aus einigen neuen Archivquellen ergab, warf die Frage auf, inwiefern auch auf anderen Betätigungsfeldern Franz Ferdinands sowie in seiner Biografie allgemein neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Bewusst wurde die Entscheidung getroffen, eine Biografie zu verfassen, die sich sowohl an den Fachhistoriker als auch an den interessierten Laien wendet. Mit Genehmigung der Familie Hohenberg wurden der private Nachlass des Thronfolgers sowie zahlreiche Fotografien gesichtet, welche einen besonderen Einblick in das Leben und Wirken Franz Ferdinands bieten. Neben der bisher erschienenen Literatur wurden zahlreiche weitere Quellen ausgewertet: die offiziellen Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs sowie des Kriegsarchivs in Wien, zudem auch die Bestände mehrerer Archive in Deutschland und in der Tschechischen Republik. Entscheidend waren jedoch einige Nachlässe von Personen aus der Umgebung des Erzherzogs, die häufig als verschollen gelten, sich jedoch größtenteils im privaten Besitz befinden und hierfür zum ersten Mal bearbeitet wurden. Die Autorin möchte in diesem Zusammenhang den Familien Hoyos (in Schwertberg und Horn), Hohenlohe, Hardegg und Liechtenstein sowie Herrn Fischer-Colbrie in Wien für das Vertrauen und die großzügige Erlaubnis der freien Benutzung der Bestände ihrer Archive ganz besonders danken.

    1. Von Habsburg zu Österreich-Este

    1.1 Kindheit und Jugend von Erzherzog Franz Ferdinand

    Am Weihnachtsabend des Jahres 1868 traf sich die kaiserliche Familie in entspannter Atmosphäre in Wien. Die Erwachsenen beobachteten das lustige Spiel der Kinder, die unter Anleitung von Kronprinz Rudolf, dem einzigen Sohn des Kaisers Franz Joseph, »Regierung« spielten. Rudolf bestimmte seinen fünfjährigen Cousin Franz Ferdinand zum König, während er selbst und die anderen erzherzoglichen Kinder Minister waren. Als Franz Ferdinand eine offizielle Anfrage des »Ministers Rudolf« beantworten wollte und dafür von seinem großen Fauteuil versucht hatte aufzustehen, fiel er zu Boden. Zur Erheiterung aller Anwesenden kommentierte Rudolf bedeutungsvoll: »Das ist kein gutes Vorzeichen, wenn eine Majestät vom Throne fällt.«⁶ Diese Anekdote aus den Kindertagen des Erzherzogs Franz Ferdinand sollte später zu einer der vielen Legenden werden, die gern erzählt wurden, um das Unheilvolle und zugleich Tragische seines späteren Schicksals zu unterstreichen.

    Franz Ferdinand war der älteste Sohn des jüngeren Bruders von Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Carl Ludwig, und der sizilianischen Königstochter Maria Annunciata. Als er geboren wurde, hätte niemand annehmen können, dass es sich bei ihm um einen künftigen Thronfolger der Habsburgermonarchie handeln würde. Denn neben seinem Vater waren Kronprinz Rudolf und der zweite Bruder des Kaisers, Erzherzog Ferdinand Maximilian (der spätere Kaiser von Mexiko), die eigentlichen Thronerben.

    Erzherzog Carl Ludwig war mäßig begabt, wenig ehrgeizig und zeigte kein besonderes Interesse für die Politik und das Militär.⁷ Von 1855 bis 1861 bekleidete er das Amt des Statthalters von Tirol, bis er sich durch die ersten Schritte zur Parlamentarisierung in Österreich zur Aufgabe des Amtes 1861 gezwungen sah.⁸ Niemand aus der kaiserlichen Familie sollte damals in die Situation geraten, einem Minister untergeordnet zu werden. Carl Ludwig fungierte danach mehrmals als Sondergesandter des Kaisers bei verschiedenen diplomatischen Missionen, widmete sich aber ansonsten zahlreichen Kultur-, Kunst- und Gewerbevereinen, deren Protektor er war.⁹ Dies trug ihm den Namen Ausstellungserzherzog ein.

    Seine Ehe mit Maria Annunciata von Bourbon war bereits seine zweite. Als Jugendlicher träumte Carl Ludwig von einer Verbindung mit seiner Cousine Sisi, die jedoch 1854 seinen Bruder heiratete und somit Kaiserin von Österreich wurde. Zwei Jahre später heiratete Erzherzog Carl Ludwig die sächsische Königstochter Margarethe – ebenfalls eine Cousine von ihm –, die bereits nach zwei Jahren Ehe verstarb.¹⁰

    Knapp ein Jahr nach der Eheschließung mit der Prinzessin von Bourbon wurde am 18. Dezember 1863 in Graz ein Sohn geboren und auf den Namen Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria getauft. Obwohl Maria Annunciata an Tuberkulose erkrankt war, bekam Franz Ferdinand in den nächsten Jahren noch drei Geschwister: Otto, Ferdinand Carl und Margaretha Sophia. Seit 1866 bewohnte die erzherzogliche Familie ein Palais in der Favoritenstraße in Wien und verbrachte die Sommermonate auf Schloss Artstetten oder auf der Burg Persenbeug. Wie alle Habsburger war Franz Ferdinand mit zahlreichen europäischen Adelsfamilien verwandt. Im Jahr 1910 stellte ein Genealoge fest, dass von dessen 2047 Vorfahren knapp die Hälfte den regierenden Häusern Europas entstammte.¹¹ Alle wichtigen europäischen Dynastien waren vertreten (Habsburger, Nassauer, Wittelsbacher, Hohenzollern, Savoyer, Lothringer, Capetinger etc.); sogar mehrere Päpste lassen sich in der Ahnengalerie der Familie finden. Auch wenn der Begriff »Nationalität« in diesem Zusammenhang eher problematisch erscheint, hält die Ahnentafel fest, dass unter Franz Ferdinands Vorfahren die Deutschen deutlich überrepräsentiert waren. Ihnen folgten Italiener, Franzosen, Spanier und Polen. Nur wenige Rumänen, Ungarn und Schweden lassen sich dort finden.¹²

    Im Alter von nur sieben Jahren verlor Franz Ferdinand seine Mutter. Der Vater heiratete 1873 erneut: Prinzessin Maria Theresia, eine der sechs schönen Töchter des portugiesischen Infanten Dom Miguel. Der große Altersunterschied von 22 Jahren zwischen Erzherzog Carl Ludwig und seiner Frau wurde am Hof durchaus thematisiert. Vor allem Erzherzogin Gisela, eine der Töchter Kaiser Franz Josephs, zeigte Mitleid für die junge Braut und war davon überzeugt, » ›daß sie nicht glücklich sein kann. Es ist auch zu arg, einen so alten Mann zu haben, wenn man noch so jung ist.‹ «¹³

    Obwohl erst 18 Jahre alt, wurde Maria Theresia für ihre Stiefkinder eine liebevolle Mutter, die auch nach der Geburt ihrer eigenen Kinder nicht weniger Zuneigung und Aufmerksamkeit gegenüber Franz Ferdinand und seinen Geschwistern zeigte. Manche Autoren neigen dazu, das Familienleben des Erzherzogs Carl Ludwig zu idealisieren, um damit ihre Verwunderung zum Ausdruck zu bringen, dass Franz Ferdinand trotzdem einen »eigenartigen Charakter«¹⁴ entwickelt hatte. Es lassen sich jedoch ausreichend Hinweise finden, dass die Eifersucht des Erzherzogs sowie die Existenz zahlreicher Verehrer seiner Frau durchaus zu Eheproblemen führten.¹⁵ Das prominenteste Beispiel war sicherlich Kronprinz Rudolf, der später offen für seine Tante schwärmte und damit das ohnehin gespannte Verhältnis zu seinem Onkel zusätzlich belastete.¹⁶ Andere Autoren führten den schwierigen Charakter des Erzherzogs Franz Ferdinand auf das Nicht-Vorhandensein der mütterlichen Nähe in den ersten Lebensjahren zurück, weil Maria Annunciata keinen engen Kontakt mit ihren Kindern pflegte, um sie vor einer möglichen Ansteckung mit der Tuberkulose zu bewahren. Zudem galt sie selbst als launisch und unberechenbar.¹⁷

    Franz Ferdinands Kindheit fiel in die Zeit der großen politischen Umwälzungen in der Habsburgermonarchie. Nach den militärischen Niederlagen gegen Italien (1859) und Preußen (1866) und dem Verlust von Territorien und Ansehen erfolgte im Jahr 1867 der Umbau der Monarchie in einen konstitutionellen, dualistischen Staat. Nun bestand die Donaumonarchie aus zwei unabhängigen Ländern, dem Königreich Ungarn und den »im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern« (Trans- und Cisleithanien), die in Personalunion verbunden waren: Franz Joseph war Kaiser von Österreich und König von Ungarn. Die Realunion ergab sich aus drei gemeinsamen Bereichen und somit auch drei gemeinsamen Ministerien: Außenpolitik, Armee und Finanzen. Der Ausgleich wurde alle zehn Jahre neu verhandelt, weshalb von der »Monarchie auf Kündigung« die Rede war. Da durch den Umbau des Staates die Nationalitätenproblematik nicht gelöst worden war, sollte sie in den nächsten Jahrzehnten immer wieder zu politischen Krisen führen. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870 und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs galt die deutsche Frage als gelöst, und zwar im Sinne der kleindeutschen Lösung und somit unter Ausschluss Österreichs. All diese Veränderungen bedeuteten Niederlagen für Kaiser Franz Joseph, der sich gern als Anführer der deutschen Fürsten gesehen und als autokratischer Monarch eines zentralistisch organisierten Staates regiert hätte.

    Als Erzherzog Franz Ferdinand 15 Jahre alt war, bekam die Donaumonarchie auf dem Berliner Kongress 1878 das Recht zur Okkupation der beiden südosteuropäischen Provinzen Bosnien und Herzegowina zugesprochen. Was anfangs als außenpolitischer Coup des Grafen Andrássy gefeiert wurde, sollte sich später als kostspielig, kompliziert und äußerst problematisch erweisen: Die Provinzen galten als rückständig, sodass enorme Summen in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden mussten. Der Anteil der slawischen Bevölkerung innerhalb der Monarchie war angestiegen und die rasche Ausbreitung der nationalistischen Bewegungen auf dem Balkan sorgte für eine gewisse Instabilität innerhalb des Vielvölkerstaates. Dreißig Jahre später entwickelten sich daraus ernsthafte Konflikte mit dem unabhängig gewordenen Serbien und mit dessen Protektor Russland. Im Jahr 1879 wurde ein Bündnis mit Deutschland geschlossen, das drei Jahre später – um Italien erweitert – zum Dreibund wurde. Damit war die Grundlage für ein Bündnissystem geschaffen, welches in den nächsten Jahrzehnten wenig Spielraum für neue, flexible Konstellationen in Europa bot, auch wenn 1881 zunächst noch ein Dreikaiserbündnis mit dem Zarenreich mehr Bewegungsfreiheit garantieren sollte.

    Zur gleichen Zeit vollzog sich eine Welle der Modernisierung in der Donaumonarchie: Die Schulpflicht wurde eingeführt, das Verwaltungs- und Steuersystem reformiert, das Eisenbahnnetz ausgebaut und somit ein industrieller Aufschwung eingeleitet. Neue Kommunikationsmittel und andere moderne technologische Erfindungen erhielten Einzug in alle Lebensbereiche. In der Kunst, Musik und Literatur formierten sich neue, moderne Richtungen, die ebenso wie die Fortschritte der Wissenschaft bereits das Bild einer Belle époque ankündigten.

    1.2 Ausbildung und Militärdienst

    Franz Ferdinand und seine Geschwister wurden von Privatlehrern zu Hause unterrichtet. Diese wurden sorgfältig von den Eltern ausgesucht. Den ersten Unterricht im Lesen, Schreiben und in Tschechisch bekam Franz Ferdinand vom Lehrer seines eigenen Vaters, Hauptmann Johann von Wittek. Der weitere Unterricht und die Erziehung wurden von Oberst Ferdinand Graf Degenfeld geleitet, dem weitere Lehrer zur Seite standen: Rittmeister Johann Graf Nostitz-Rieneck, Karl Graf Coreth, Bohuslaw Graf Aichelburg und Georg Graf Wallis. Der Lehrplan entsprach in etwa dem der öffentlichen Schulen, wurde jedoch um einige Fächer erweitert. Der Fächerkanon bestand zunächst aus Deutsch, Geschichte, Religion, Schreiben, Rechnen, Geografie, Zeichnen und Fremdsprachen (Latein, Französisch, Ungarisch und Tschechisch). Später standen Mathematik und Englisch sowie staatsrechtliche und militärwissenschaftliche Studien auf dem Lehrplan. Erzherzog Carl Ludwig wohnte dem Unterricht gelegentlich bei, vor allem wenn es um Kunstgeschichte ging. Für den sportlichen Ausgleich sorgten das Reiten, Fechten, Tanzen, Turnen, Schwimmen und Schlittschuhlaufen. Der Schultag begann in der Regel um sieben Uhr morgens und endete nach mehreren Unterbrechungen um acht Uhr abends. Die Abende wurden manchmal in Gesellschaft bedeutender Künstler, Wissenschaftler, Sänger, Schauspieler und Musiker verbracht. Bei festlichen Anlässen führten die Kinder eigene Theaterstücke auf.¹⁸

    Franz Ferdinand und Otto wurden gemeinsam unterrichtet. Während Otto sein mangelndes Interesse durch seine sympathische Art zu überspielen wusste, erhielt Franz Ferdinand regelmäßig Briefe von dem gemeinsamen Erzieher Degenfeld, der ihn zu mehr Arbeit, Gewissenhaftigkeit und Motivation aufforderte.¹⁹

    Franz Ferdinand war »in intellektueller Hinsicht ein Spätentwickler«.²⁰ Zudem fehlte es ihm »an ›Sitzfleisch‹ «.²¹ Während sein Antitalent für Fremdsprachen inzwischen legendär ist, ist die Tatsache weniger bekannt, dass er für mathematische Fächer ebenso wenig Begabung und für Philosophie keinerlei Interesse zeigte. Die meisten Memoirenschreiber aus seiner Umgebung erwähnen, dass er sich jahrzehntelang bemühte, Ungarisch zu lernen, und deshalb ein ungarischer Geistlicher stets in seiner Nähe war, der ihm Unterricht gab. Das Ergebnis soll ein »recht unbefriedigendes«²² gewesen sein. Einer seiner engsten Berater, Ottokar Czernin, behauptete sogar, dass Franz Ferdinand wegen dieses Misserfolgs eine gewisse Antipathie gegen das ungarische Volk entwickelt habe.²³ Die zahlreichen Ungarischhefte, die sich im Nachlass des Erzherzogs befinden, belegen, dass der Thronfolger jahrzehntelang sehr diszipliniert die ungarische Sprache lernte. Zugleich geht aus ihnen hervor, dass er die Sprache zumindest im schriftlichen Bereich recht gut beherrschte.²⁴ Sein Französisch war »sehr mittelmäßig«, Englisch sprach er nicht und Italienisch und Tschechisch lediglich »einige Brocken«²⁵. Für das Erlernen der italienischen Sprache hätte es eigentlich einen besonderen Grund und Ansporn gegeben.

    Im Alter von zwölf Jahren erbte Franz Ferdinand ein immenses Vermögen: die estensischen Güter und Kunstsammlungen von Herzog Franz V. von Modena. Nach der italienischen Einigung 1859 und dem Verlust seiner Herrschaft musste Franz V. sein Land verlassen. Da er jedoch auf eine Wiederherstellung des Herzogtums hoffte, bestimmte er mangels eigener Nachkommen Franz Ferdinand zu seinem Erben. Die Bedingung war, dass er den Titel Este im Namen trug.²⁶

    Während für die ersten Jahre der schulischen Ausbildung Offiziere zuständig waren, kamen nun zwei weitere Lehrer für Geschichte und Religion hinzu, die das Weltbild und das Selbstverständnis des jungen Erzherzogs Franz Ferdinand entscheidend prägen sollten: Dr. Onno Klopp und Prälat Dr. Godfried Marschall.

    Onno Klopp war ein zum Katholizismus konvertierter Ostfriese, der seinem entthronten König von Hannover 1866 nach Österreich gefolgt war. Er unterrichtete Franz Ferdinand von 1876 bis 1882 in Geschichte, wobei die Ausführungen häufig von seinen theologischen Überzeugungen gefärbt waren. Er vermittelte dem Erzherzog ein starkes Bewusstsein für die Zugehörigkeit zum Haus Habsburg und dessen historische Bedeutung. In Form von freien Vorträgen und umfangreichen handschriftlichen Manuskripten, die sich noch im Privatarchiv befinden, vermittelte Klopp dem Erzherzog vor allem die europäische Geschichte der Neuzeit.²⁷ Die antipreußische Haltung des Lehrers führte zu einer recht einseitigen Interpretation der historischen Entwicklungen, die Franz Ferdinand größtenteils übernahm.²⁸ Hinzu kommt, dass Erzherzog Carl Ludwig und Erzherzogin Maria Theresia als deutschfeindlich galten.²⁹

    Für die religiöse Erziehung und Wissensvermittlung war der junge, liberale Priester Godfried Marschall zuständig. Die Religion spielte im Hause des Erzherzogs Carl Ludwig eine

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