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Pferdefreunde - für immer!
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Pferdefreunde - für immer!

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About this ebook

Zwei Geschichten rund um Pferde und Ponys, reiten, die erste Liebe, süße Jungs und vermeintliche Filmstars in einem Band - ideal für alle Pferdefans! Dieser Doppelband enthält die beiden Einzelbände "Stars und Stallgeflüster" und "Falsche Cowboys, wahre Liebe".

Auf dem Reiterhof wird ein Film gedreht, und ausgerechnet Sonjas Lieblingspferd wird nun zum Filmpferd der arroganten Jungschauspielerin Harriet! Am liebsten würde Sonja einfach abhauen, doch dann könnte sie Jonathan nicht wiedersehen …

Auch Meike erlebt einen turbulenten Sommer: Sie darf in der Westernstadt die edlen Dressurschimmel pflegen. Doch eigentlich träumt sie von einem eigenen Auftritt … und von Basti. Mir nichts, dir nichts steckt Meike in Abenteuerferien der ganz besonderen Art.
LanguageDeutsch
PublisherLoewe Verlag
Release dateJun 1, 2015
ISBN9783732003235
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    Book preview

    Pferdefreunde - für immer! - Kathrin Schrocke

    Titelseite

    Stars und Stallgeflüster

    Montag, 27. Juli

    „Also, fragt Papa in die Runde. „Wer hat eine Idee? Es geht immerhin um ein Frühstücksei!

    Keine Ahnung, warum ausgerechnet ich nicht in einer normalen Familie leben kann. Keine Ahnung, was ich verbrochen habe, dass ich morgens um acht in einem bescheuerten Wettbewerb um ein weiches Ei kämpfen muss.

    Papas allmorgendliches Überschriftenspiel geht mir seit meinem zwölften Geburtstag tierisch auf die Nerven.

    „Rheumaskandal – Camping abgesagt!", schlägt Mama vor und grapscht nach dem Eierbecher. Mein Bruder Flori haut ihr unsanft auf die Finger und umklammert den Eierbecher, als ginge es um Leben und Tod.

    Er überlegt krampfhaft, dann grinst er breit, als wolle er an unserem Frühstückstisch Schleichwerbung für seine neue Zahnspange betreiben.

    „Geplatzter Urlaubstraum wegen Krankheitsfall", titelt er ziemlich unkreativ und schaut Beifall heischend um sich.

    Papa schüttelt den Kopf, blickt mich an und zieht seine Stirn in Falten. Dann nimmt er das Ei, köpft es mit dem Messer und streut in aller Seelenruhe Salz darüber.

    „Grenze Intensivstation. Wenn der Urlaub im Krankenhaus beginnt", sagt er und schiebt sich den Löffel mit dem klebrigen Eigelb in den Mund.

    Wieder einmal hat er es geschafft. Der Meister der Schlagzeilen. Klar, ist schließlich auch sein Beruf.

    Zugegeben, manchmal mache ich ganz gern mit bei diesem albernen Spiel. Jeden Morgen geht es darum, die Ereignisse des vergangenen Tages in eine möglichst treffende Zeitungsüberschrift zu verpacken. Meist wetteifern wir um irgendeine Kleinigkeit. Ein zweites Glas Saft, den übrig gebliebenen Joghurt mit Erdbeeren oder, wie heute, um das einzige Frühstücksei.

    Meine Eltern sind beide Journalisten. Wahrscheinlich beginnen meine Tage deshalb so seltsam.

    Papa ist mit dem Ei fertig und verschränkt zufrieden die Arme hinter dem Nacken.

    „Gehst du heute wieder in die Redaktion?", fragt Mama und gähnt.

    Papa nickt und macht eine Kopfbewegung nach links, wo sich unser Gepäck auf dem Teppichboden türmt. Ein Berg aus Koffern, Taschen und Tüten. Obenauf thront mein grüner Bundeswehrrucksack mit dem Peace-Zeichen darauf.

    „Das Gepäck können wir dann wohl auch wieder ausräumen!", sagt er und klingt nicht einmal übermäßig traurig dabei.

    Ach ja. Ihr kennt ja noch gar nicht die Geschichte zur Schlagzeile des Tages: Eigentlich wollten meine Familie und ich gestern zu unserem alljährlichen Campingurlaub an den Gardasee aufbrechen. Aber dann hat meine Oma ganz plötzlich einen schlimmen Rheumaschub bekommen, der sie schnurstracks ins Krankenhaus befördert hat.

    Damit fällt unser Urlaub fürs Erste ins Wasser – und Papa und Mama sind offenbar schon wieder völlig in ihrem Arbeitsalltag versunken.

    Auch Flori wirkt überhaupt nicht geknickt. Klar. Jetzt kann er mit seinen Kumpels zelten gehen, wie es ihm sowieso von Anfang an lieber gewesen wäre. Und ich? Meine Freundinnen sind alle längst in die Ferien abgezischt. Kein Mensch weit und breit, mit dem ich die Zeit totschlagen kann.

    Papa schaut besorgt zu mir herüber.

    „Tief Sonja bringt schlechtes Wetter, sagt er und schüttelt sich unter einem imaginären Kälteschub. „Wolkenfront und Regenschauer.

    Ich seufze gequält.

    Dann fällt mir auf einmal Freddie ein. Freddie gehört der altmodische Reiterhof im Nachbarort, wo ich normalerweise jede freie Sekunde verbringe. Klar, vorgestern haben wir uns für drei Wochen verabschiedet, aber Freddie hat sicherlich nichts dagegen, wenn ich trotzdem komme. Wie merkwürdig, dass mir das nicht gleich eingefallen ist. Ich liebe Freddie. Aber nicht so, wie ihr jetzt denkt. Eher so auf eine platonische Art. Er wäre sowieso zu alt für mich, und diesen Ziegenbart, den er trägt, finde ich ziemlich unsexy. Außerdem ist er verheiratet. Ich bin doch nicht blöd und werde Ehebrecherin!

    Nein, wenn ich ehrlich bin, geht es mir auch weniger um Freddie als vielmehr um Rosina. Rosina ist kein Mensch, sondern ein Pferd. Und zufälligerweise das prächtigste Reitpferd auf diesem Planeten.

    Rosina ist ein Palomino. Mit herrlich goldenem Fell und wunderbar weißer Mähne. Das reinste Schmuckstück. Und bestimmt fließt edles Blut in ihren Adern. Aber nicht deshalb liebe ich Rosina über alles. Viel faszinierender als ihr Aussehen ist nämlich ihr Kopf. Und der ist ganz schön eigensinnig. Genau wie meiner!

    Eigentlich hatte ich mich ja schon darauf eingestellt, Freddie, den Hof und mein Lieblingspferd drei lange Wochen nicht mehr zu sehen. Aber jetzt habe ich auf einmal alle Zeit der Welt, mich ausgiebig um Rosina zu kümmern.

    Ein Strahlen huscht über mein versteinertes Gesicht.

    „Es lockert auf!, sagt Mama gespielt erschrocken und räumt die Teller aufeinander. „Überraschendes Hoch im Anmarsch!

    Flori lacht. „Hoch Sonja? Das kann ja heiter werden!"

    Freddie verschluckt sich beinahe, als ich mich am Telefon melde.

    „Sonja?, stottert er, als würde er soeben einen Anruf aus dem Jenseits erhalten. „Sonja, rufst du etwa aus Italien an?

    „Von wegen!" Rasch erzähle ich ihm, was passiert ist. Omas Transport ins Krankenhaus. Die verschobene Reise. Mama und Papa bereits wieder voll im Arbeitsstress und Flori mit seinem Rucksack über alle Berge. Nur ich hier, allein und zu Tode gelangweilt.

    „Also, kann ich gleich zum Reiterhof kommen und mich wie immer um Rosina kümmern?", platze ich mit meiner Frage heraus.

    Betretenes Schweigen am anderen Ende. Freddie räuspert sich umständlich, verhaspelt sich, verliert sich in einem Kauderwelsch an Worten.

    „Reiterhof?, krächzt er. „Kümmern?

    Ich verdrehe die Augen.

    Schließlich scheint er wieder zu sich zu kommen und sich zu erinnern. Dass ich es bin. Sonja. Die fast täglich bei ihm abhängt. Schubkarren mit zentnerschwerem Mist durch die Gegend fährt. Die Pferde bewegt. Sich im Winter um die eingefrorenen Wasserrohre kümmert.

    „Weißt du, das ist so …, sagt er und räuspert sich schon wieder. „Heute kommen Handwerker. Eine ganze Gruppe. Der Hof braucht dringend eine Generalüberholung. Es gibt Probleme an allen Ecken und Enden. Du weißt doch, dass es in die Ställe sogar schon reinregnet.

    Und wie ich das weiß! Schließlich habe ich schon fünfmal notdürftig das Dach geflickt. Löcher im Mauerwerk zugegipst. Und den Zaun repariert.

    Freddies Reiterhof ist eigentlich ein Paradies. Aber ein ziemlich vergessenes, heruntergekommenes leider. Kaum ein Reitschüler oder Feriengast verirrt sich in unser verschlafenes Nest. Obwohl man bei Freddie vollen Service geboten bekommt. Es gibt vier Gästezimmer mit Blick auf wunderschöne alte Obstbäume. Fünf herrliche, liebe Pferde. Und erstklassigen Reitunterricht bei Freddie und seiner Frau Sabrina.

    Aber irgendwie scheint ein Fluch auf Freddies Hof zu liegen. Denn die Zimmer stehen seit Monaten leer, und weil es auch kaum regelmäßige Reitschüler gibt, fließt so wenig Geld in die Kassen, dass Sabrina sogar im Supermarkt arbeiten muss, damit sie die offenen Rechnungen für Futter und Stroh bezahlen können. Da fragt man sich doch, wieso die beiden sich plötzlich teure Handwerker leisten können.

    „Renovierungsarbeiten?", sage ich also etwas skeptisch.

    „Renovierungsarbeiten!, wiederholt Freddie mit wenig Überzeugungskraft in der Stimme. „Die Pferde habe ich zwischenzeitlich auf einen anderen Hof gebracht. Rosina macht ausgiebigen Sommerurlaub!

    Er lacht übertrieben laut und fröhlich.

    Ist doch offensichtlich, dass die ganze Geschichte zum Himmel stinkt! Wer’s glaubt, wird selig. Die Geschichte kaufe ich ihm jedenfalls nicht ab.

    Auf einmal fährt mir ein Schreck durch alle Glieder. Freddie hat doch nicht etwa in seiner Verzweiflung die Pferde verkauft? Meine Rosina! Mein Ein und Alles!

    Ich schlucke trocken.

    „Und wann ist wieder normaler Reitbetrieb?", frage ich vorsichtig, als würde ich ihm seine fadenscheinige Lüge abnehmen.

    Wieder stockt Freddie. Im Hintergrund ist auf einmal ein seltsamer Lärm zu hören. Ein Krachen. Dann eine dumpfe Männerstimme. Als würde jemand durch ein Mikrofon sprechen. Was war das denn?

    „In frühestens zwei Wochen – eher später!, bringt Freddie hastig heraus und hat es auf einmal ziemlich eilig. „Sonja, ich melde mich, sobald du wieder kommen kannst, okay? Dann legt er auf und hat sich noch nicht einmal richtig von mir verabschiedet.

    Da stehe ich also vor dem Gepäckberg im Wohnzimmer. Papa ist längst in die Redaktion gefahren. Mama sitzt oben im Arbeitszimmer und hämmert wie eine Verrückte in die Tastatur ihres Computers.

    Und Flori? Der hat sich direkt nach dem Frühstück mitsamt seinem gepackten Rucksack und unserem blauen Zelt aus dem Staub gemacht.

    Ich lege das Telefon zurück und schnappe mir meinen Rucksack. Dann schlurfe ich in mein Zimmer und bleibe vor dem Foto von Rosina stehen.

    Das hat mir Freddie geschenkt, als Dankeschön für ein Jahr Mitarbeit auf seinem Hof. Für ein Jahr Schuften. Für ein Jahr bedingungslose Treue. Und jetzt werde ich einfach abserviert! Unter einem Vorwand, den selbst ein Dreijähriger als Lüge erkennen würde.

    Ich lasse mich wütend aufs Bett fallen und schließe die Augen.

    Eine Minute später öffne ich sie wieder und stehe auf. Nein, ich bin nicht umsonst die Tochter zweier arbeitswütiger Journalisten. Wenn es eine merkwürdige Geschichte zu enträtseln gibt, bin ich dabei.

    „Ich fahre mal zu Freddie, rufe ich Mama durch die geöffnete Arbeitszimmertür zu. „Oma besuche ich dann morgen!

    Mama reagiert nicht. Das hastige Klappern, als ihre Finger in Rekordgeschwindigkeit über die Tasten wandern, ist die einzige Antwort.

    Stars und Sternchen in Igelstadt?

    (Nachrichten aus der Region)

    Laut inoffiziellen Medienberichten ist der Landkreis Igelstadt zurzeit Schauplatz eines neuen Familienfilms des privaten Fernsehsenders TV2. Gerüchten zufolge hat die 15-jährige Tochter der mehrfach ausgezeichneten Schauspielerin und Fernsehgröße Juliane Bauer die Hauptrolle des Films.

    Hotels und Gasthöfe in der näheren Umgebung halten sich bedeckt, was den genauen Aufenthaltsort des Filmteams anbelangt. Werden sich in Igelstadt bald internationale Berühmtheiten die Klinke in die Hand geben?

    „Wer ist denn Juliane Bauer?", frage ich und klemme mir das Handy so zwischen Ohr und Schulter, dass ich während des Telefonierens Rad fahren kann. Mein Vater, der mir gerade seinen neuesten Artikel vorgelesen hat, schnauft empört durch den Hörer.

    „Juliane Bauer?", fragt er und klingt beinahe vorwurfsvoll. Dann rattert er ungefähr siebenhundert Filmtitel herunter, von denen ich keinen einzigen kenne. Juliane Bauer war eindeutig vor meiner Zeit. Aber so viel Ehrlichkeit will ich Papa dann doch nicht zumuten.

    Seit er im Januar seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert hat, darf man keine Scherze mehr über sein Alter machen! Jede Zahl, die höher als 39 ist, ist im Moment tabu! In dieser Angelegenheit ist er ziemlich sensibel. So eine Art Midlife-Crisis. Eigentlich erbärmlich, wie er sich gehenlässt!

    „Wenn du was läuten hörst, Sonja, ruf mich einfach in der Redaktion an!", befiehlt er und legt auf, um sich wieder der Überarbeitung seiner Eilmeldung zu widmen.

    Mein Vater ist ein bisschen aufdringlich. Ständig schikaniert er mich und Flori mit seinen brandheißen Nachrichten aus der Region. Die Handys hat er uns nur gekauft, um sofort informiert zu werden, falls uns in der Stadtbücherei Robbie Williams begegnet oder Britney Spears beim Weihnachtsbasar der Schule Plätzchen verkaufen sollte.

    In der Vorstellung meines Vaters lauert überall, wo seine Kinder sich befinden, die Story seines Lebens. Dabei vergisst er offenbar, dass seine Tochter ihre Freizeit in erster Linie auf einem völlig verlassenen Pferdehof verbringt oder durch die einsame Landschaft reitet.

    Ich schalte das Handy aus und schiebe es wieder in meine Gürteltasche zurück. Auf der Anhöhe bleibe ich stehen und starre hinüber zum Hof. Meine Augen verengen sich. Tatsächlich stehen drei große Kastenwagen vor dem efeuumwachsenen Gartenzaun. Sie glänzen weiß in der Sonne und irgendein hellblauer Schriftzug ist darauf zu erkennen. Sehen so die Fahrzeuge eines Handwerksbetriebs aus?

    Auf dem Vorplatz geistern jede Menge Gestalten umher. Maurer? Elektriker?

    Nein, Kabelträger! Eben zerrt ein junger Mann mit Tuch im Haar ein Endloskabel hinter sich her. Das Kabel gehört zu einem Scheinwerfer. Und der Scheinwerfer ist eindeutig auf den Balkon gerichtet und leuchtet Sabrinas Geranien aus.

    Moment. Habe ich gerade einen Scheinwerfer gesehen?

    Ich steige wieder auf mein Rad und trete wie verrückt in die Pedale. Bin gespannt, was Freddie dazu zu sagen hat!

    „Ausweis?, schnauzt mich der bullige und imposant große Kerl an, der breitbeinig vor der Einfahrt zu Freddies Hof steht. Er trägt eine ziemlich abgewetzte Lederhose und steckt in einem schmuddeligen Achsel-Shirt. Um den Hals baumelt eine Kette mit einem Namensschild: „Diddi. Offenbar braucht der Gorilla das, um nicht ständig zu vergessen, wie er heißt.

    „Ausweis?", brummt er noch einmal und packt mich unsanft an der Schulter, als wolle er mir den Zugang zum Reiterhof versperren. Zu meinem Reiterhof.

    „Ist das hier die versteckte Kamera?", blaffe ich den Mann an und beobachte aus den Augenwinkeln, wie tatsächlich gerade eine wuchtige Kamera aus einem der Kastenwagen geladen wird. Zwei Typen schleifen das schwere Ding an uns vorbei und verschwinden damit in Richtung Pferdestall.

    Der Kerl mustert mich gelangweilt.

    „Bist du von der Crew oder … Er schüttelt den Kopf und schaut abfällig auf mich herunter. „Nee. Für eine Journalistin bist du eindeutig zu grün hinter den Ohren.

    Crew? Journalistin? So langsam will ich wirklich wissen, was hier gespielt wird!

    „Ich gehöre zum Hof!, sage ich eine Spur zu schroff und stemme die Arme in die Seiten. „Ich reite hier und betreue die Pferde.

    „Aha?" Der Typ wirkt wenig beeindruckt. Doch plötzlich wird sein Gesichtsausdruck weich und ein Anflug von spontaner Zärtlichkeit huscht über seine kantigen Züge.

    Na also, denke ich und schenke ihm das erste Lächeln an diesem Tag. Aber ich habe mich zu früh gefreut.

    Der Orang-Utan meint gar nicht mich, sondern schaut haarscharf an mir vorbei.

    Ich drehe mich um. Ein cremefarbenes Taxi schiebt sich fast lautlos an uns vorüber durch das geöffnete Einfahrtstor und macht in der Mitte des Vorplatzes halt.

    „Da ist sie ja endlich!", flüstert der Typ beinahe ehrfurchtsvoll und kratzt sich am Kopf.

    „Wer?", frage ich begriffsstutzig und starre zum Auto hinüber. Die Tür springt auf und ein viel zu glänzender pinker Schuh tänzelt durch die Luft. Ein schmales Bein folgt. Dann schält sich eine Frau mit einer gewaltigen blonden Dauerwelle aus dem Fahrzeug heraus.

    „Marilyn Monroe lebt!, entfährt es mir. „Und sie hat ihren Lockenstab wiedergefunden!

    Der Kerl neben mir reagiert nicht mal darauf. Er scheint hin und weg von diesem Anblick.

    Jetzt erst fällt mir auf, dass die Schöne viel jünger ist, als ich erst gedacht habe. Sie ist bestimmt nicht viel älter als ich. 14, allerhöchstens 15. Aber geschminkt und aufgebrezelt wie ihre Großtante beim Maskenball.

    Das Mädchen schüttelt sein Haar, dass die platinblonden Strähnen in der Morgensonne nur so funkeln. Dann blinzelt sie mit gespielter Überraschung und blickt mit großen, treuen Hundeaugen um sich. Es wirkt beinahe, als wäre sie zu schüchtern, um zu atmen. Kann sie vermutlich auch nicht. Denn sie steckt in einem schreiend rosafarbenen Kleid, das so eng geschnitten ist, dass man allein vom Hinsehen Platzangst bekommt.

    „Ein Traum!", seufzt der Gorilla neben mir.

    „Ein Albtraum in Rosa", erwidere ich schroff und dränge mich endlich an dem Typen vorbei. Ehe er schalten kann, renne ich schnurstracks durch das Einfahrtstor hindurch.

    „Aus dem Weg, Erdbeere!", zische ich das rosa Ding neben dem Taxi an und verschwinde mit vier eiligen Schritten im Hausflur.

    Der Blick, den mir das Mädchen nachwirft, bohrt sich in meinen Rücken wie ein Speer. Jede Schüchternheit ist auf einmal daraus gewichen. Aus Marilyn Monroe ist Winnetou geworden. Und Winnetou will meinen Skalp, so viel steht fest.

    „Freddie?", schreie ich und poltere die Treppe in den ersten Stock hinauf, stürme in sein Büro und baue mich vor ihm auf wie die Rachegöttin höchstpersönlich.

    „Ich kann alles erklären!", sagt Freddie, als er mich sieht, und streckt vor lauter Schreck die Hände in die Luft.

    „Seit wann nimmt Barbie Reitunterricht?", pflaume ich ihn an und stelle mich extra auf Zehenspitzen. Fast sind wir auf Gesichtshöhe. Nur lächerliche fünfzehn Zentimeter fehlen. Freddie seufzt und lässt sich in den Bürostuhl fallen.

    „Das ist nur ein Filmteam, nuschelt er und wird sagenhaft rot dabei. „Die drehen hier so einen Familienfilm. Besser gesagt, Teile davon. Der Rest wird im Studio aufgenommen. In ein paar Wochen sind sie wieder weg.

    Mir schwant Übles.

    „Ein Filmteam?, wiederhole ich und atme scharf aus. „Und was wollen die ausgerechnet hier? Auf u-n-s-e-r-e-m Hof?

    Jetzt kommt Sabrina durch die Seitentür und sieht uns besorgt an.

    „Reg dich nicht auf, Sonja, versucht sie zu schlichten. „Wir brauchen einfach dringend Geld. Und mit den Kameraleuten und Schauspielern haben wir das Haus die Sommerferien über ausgebucht. Die zahlen eine irre Tagesmiete. Davon können wir locker die Schulden abbezahlen. Freddie hat sich nicht getraut, es dir zu sagen.

    „Und die Pferde?" Irgendwie kann ich den beiden nicht wirklich böse sein. Vor allem, weil ich selber ja auch nicht viel dazu beitrage, dass die Kasse sich füllt. Bei Freddie und Sabrina reite ich kostenlos. Dafür helfe ich in jeder freien Minute mit, so gut es geht. Aber gerade deshalb finde ich es auch echt fies, dass sie mir nichts von ihren Plänen erzählt haben. Denn ein bisschen ist das ja auch mein Hof.

    „Die Pferde sind auch mitgemietet, hüstelt Freddie verlegen. „Der Film spielt auf einem Reiterhof. Auf unserem Reiterhof quasi. Die haben in ganz Deutschland nach dem passenden Anwesen gesucht. Und unseren Hof haben sie ausgewählt, weil er so … so abgelegen und romantisch ist.

    Abgelegen? Romantisch?

    Draußen vor dem Fenster hangelt sich eben ein Kameramann vorbei.

    Hinter uns wird die Tür aufgerissen. Eine große mollige Frau mit raspelkurzem tomatenrotem Haar steht im Türrahmen. Sie ist komplett in Schwarz gekleidet. Schwarzer Blazer, schwarze Hose, schwarze Stiefel. Und auf der Nase sitzt eine quietschgelbe Hornbrille.

    „Freddie, Frau Bauer lässt fragen, wo der Wellnessbereich ist", sagt sie und blickt prüfend zu Freddie hinüber.

    Freddie setzt sein Kleiner-Junge-Gesicht auf und wird schon wieder rot. „Wellness?", wiederholt er, als hätte er den Ausdruck noch nie gehört. Fehlt bloß noch, dass er um ein Lexikon bittet, um das böse Wort nachzuschlagen.

    Sabrina seufzt. „Eine Dusche gibt es am Ende des Flurs", sagt sie kleinlaut und zuckt mit den Schultern.

     Die tomatige Person kaut auf ihrem Fingernagel.

    „Nicht mal eine Sauna?", fragt sie mit leiser Hoffnung in der Stimme. Sie wartet gespannt, als könnte es Freddie doch noch einfallen, dass unten im Keller ein unbenutztes Hallenbad wartet.

    Sabrina und Freddie schauen sich schweigend an.

    „Ein Heubad, unterbreche ich die Stille. „Kann stündlich im Misthaufen hinter dem Stall genommen werden.

    „Das war nicht nötig", sagt Sabrina, als ich mich mit ihr in die Küche verziehe und ihr zuschaue, wie sie Äpfel schält.

    Äpfel schälen ist Sabrinas liebstes Hobby. Sie schafft es, die Schale abzuschneiden, ohne einmal das Messer absetzen zu müssen. Ein wunderschöner Ring aus hauchdünner roter Schale bleibt übrig. Weil Sabrina ständig Äpfel schält, muss Freddie die ganze Zeit über Apfelkuchen backen. In der Küche hängt immer der Geruch von frischem Hefeteig. Schwer und duftig, man möchte sich am liebsten darin wälzen!

    Aber zum Backen hat Freddie ab sofort offenbar keine Zeit mehr. Durch die Gardinen hindurch kann ich beobachten, wie er mit einem

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