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Atemnot: Kriminalroman aus der Eifel
Atemnot: Kriminalroman aus der Eifel
Atemnot: Kriminalroman aus der Eifel
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Atemnot: Kriminalroman aus der Eifel

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About this ebook

Der Fall, den Sonja Senger, die "Neue" im Kriminalkommissariat in Trier, auf den Tisch bekommt, ist alles andere als ein gefundenes Fressen für die frustrierte Kommissarin. Mehrere durchreisende Herren sind in der vergangenen Zeit in der alten Moselmetropole nach einem Kneipenbesuch oder einem Stadtbummel spurlos verschwunden. Außer ihrem athletischen Äußeren hatten diese Männer nicht viel gemeinsam.
Lustlos macht sich Sonja Senger an die Nachforschungen. An ihrer Seite der junge und ehrgeizige Kollege Alex und zuhause der Lebensgefährte Jerome, der - ganz Archäologe - in Trier sein Glück gefunden zu haben scheint.
Die Suche nach den Vermissten gerät zusehends ins Stocken, und es scheint so, als seien die Männer für immer untergetaucht, da lernt Sonja bei einer Vernissage die Bildhauerin Muriel kennen, die in ihrem Atelier in der stillen Abgeschiedenheit des Bitburger Gutlands beeindruckende Plastiken erschafft. Sonja wittert ein Geheimnis hinter der Maske der schönen Künstlerin.
LanguageDeutsch
Release dateApr 29, 2014
ISBN9783954411757
Atemnot: Kriminalroman aus der Eifel

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    Book preview

    Atemnot - Carola Clasen

    Kapitel

    1. Kapitel

    Er ging in die erstbeste Kneipe. Denn gleichgültig, wohin er gehen würde, er würde sowieso niemanden kennen. Er setzte sich an einen der hinteren Tische, nahe am Ausgang und weit genug von der Theke entfernt, und hängte seinen Mantel über die Stuhllehne. Er wollte keine Unterhaltung, er wollte nur ein paar Bier trinken, bevor er in sein Hotelzimmer im Ramada zurückging, ein leeres, phantasieloses Zimmer, wie in all den anderen Städten auch. Hunger hatte er keinen. Er wollte sich nur schläfrig trinken, damit es ihm nichts ausmachte.

    Und morgen, nach dem letzten Vortrag, würde er dieser Stadt den Rücken kehren und wieder nach Hause fahren. Er freute sich aufs Wochenende, seine Familie wiederzusehen, vielleicht wären auch die Kinder da. Sie fehlten ihm die Woche über, wenn er auf Dienstreise war. Und neuerdings waren sie am Wochenende auch nicht immer zu Hause. Sie waren jetzt Teenager, verabredeten sich, mit wem auch immer, und zogen die Gesellschaft ihrer Freunde seiner vor. Und Tanja und er mussten erst wieder lernen, öfter mal nur zu zweit zu sein. Sie gingen wieder ins Kino oder ins Theater und überlegten, einen Tanzkurs zu belegen.

    Er hob die Hand und winkte dem Wirt zu.

    »Ein Bier?«, rief der von der Theke aus.

    Er nickte.

    »Ein Pils?«

    Er nickte wieder.

    Nicht, dass er besonders gern tanzte, auch früher nicht, aber Tanja meinte, sie müssten ein gemeinsames Hobby haben.

    Der Wirt brachte ihm ein Bier und sagte: »Zum Wohl.«

    Während er einen kräftigen, ersten Schluck nahm, blickte er sich um. Er war in eine von tausend Kneipen dieser Welt geraten, die einander alle zum Verwechseln ähnlich sahen. Der Gastraum war dunkel und stickig, erfüllt von Stimmengemurmel und Musik und dem typischen Geruch nach kaltem Rauch und Alkohol.

    Beim nächsten Bier malte der Wirt zwei Striche auf seinen Deckel, verließ ihn wortlos wieder, ging zurück zu seinen Gästen an der Theke, einem Grüppchen älterer, heftig diskutierender Männer. Drüben saß noch ein Pärchen, Kopf an Kopf, und einen Tisch weiter einer wie er, mittelalt, allein, Reisender, dachte er.

    Er blieb länger, als er wollte, und trank auch mehr als einen Schlaftrunk. Auf dem Rand seines Bierdeckels standen schon fünf Striche, und der Wirt reagierte gerade auf sein Handzeichen, als sich die Tür noch einmal öffnete und eine junge Frau allein, aber zielbewusst hereinkam und sich in die ihm gegenüberliegende Ecke setzte.

    Sie war groß, dünn, fast hager und eine lange, rote Haarpracht aus tausend winzigen Löckchen, die bis auf die Taille hing, umrahmte ein zartes, blasses Gesicht. Dieses Rot war faszinierend und leuchtete im Schein der Tischlampe fast orange. Sie trug irgend etwas Schwarzes, Undefinierbares, Langes, Flatterndes mit einem kleinen spitzen weißen Kragen, der ihr etwas Mädchenhaftes gab.

    Der Wirt kam auf sie zu und brachte ihr kurz darauf einen Tee. Ohne abzuwarten zog sie den Teebeutel aus dem Glas, bevor das heiße Wasser sich dunkel färben konnte, und löffelte Zucker hinein. Er zählte bis vier und eine kleine weiße Schicht erschien am Boden des Glases, die sie verrührte. Einmal sah sie hoch, und ihre Blicke trafen sich. Schnell sah er weg, weil es ihm unangenehm war. Aber kurz danach landeten seine Blicke wieder bei ihr, wie sie das Glas von der Tischplatte hob. Kerzengerade saß sie da, ohne sich vorzubeugen und trank mit kleinen vorsichtigen Schlucken. Die roten Haare umrahmten ihr Gesicht. Als sie aufblickte, da sah er nicht mehr weg. Sie schloss beide Hände um das Teeglas, drehte es in kleinen Bewegungen hin und her und blies mit spitzem Mund in den aufsteigenden Dampf.

    Was für eine Frau, dachte er, zog die Augenbrauen hoch, atmete tief durch und winkte dem Wirt. Der kam grinsend auf ihn zu, nickte leicht in die Richtung, in der die Rothaarige saß, und sagte leise: »Was für eine Frau!«

    Er trommelte leise, voller Unruhe, mit den Fingern auf dem Holztisch und blickte sich um, aber seine Blicke kehrten immer wieder zu ihr zurück. Sie sah ihn an, ernst und unverwandt.

    Immer wieder der Blick dieser Frau.

    Wenn das keine Aufforderung war, dann verstand er nichts von Frauen. Tanja und die Kinder waren weit weg, und der Vortrag, mein Gott, das war erst morgen. Unruhig scharrten seine Füße unterm dem Tisch, nervös rutschte er auf der Stuhlkante hin und her. Wie oft würde er so einem Blick noch begegnen?

    Als er das nächste Bier brachte, flüsterte der Wirt: »Nur Mut! Ich an Ihrer Stelle … «

    Und da stand er auch schon, das Glas Bier in der Hand, und ging auf ihren Tisch zu.

    »Darf ich?«

    Sie nickte nur, und er setzte sich ihr gegenüber mit dem Rücken zur Theke und sah in viel zu blaue Augen. Ihre Hände am Teeglas waren blass und überraschend kräftig, sie trug an keinem Finger einen Ring.

    Auf einmal wusste er nicht mehr, wieso er hier saß und was er sagen sollte. Er war verlegen und spürte, wie er rot wurde.

    »Sind Sie öfter hier?« Blöder hätte er nicht fragen können. Aber sie quittierte seine Frage mit einem Nicken und mit einem Lächeln, nur in den Mundwinkeln.

    »Ich nicht.« Ach, du meine Güte, was soll sie bloß von mir denken? Ungefragt erklärte er: »Ich bin nur zwei Tage hier in Trier, dann geht’s wieder nach Hannover, ich bin praktisch nur auf der Durchreise.«

    Wieder nur dieses Lächeln in den Mundwinkeln und dieser Blick.

    »Sie sind aber von hier, oder?« Irgendwie musste er ein Gespräch in Gang bringen, sie konnten sich doch nicht die ganze Zeit nur anstarren.

    Ein Nicken, ein Lächeln.

    Sie machte es ihm nicht einfach. Warum sollte sie auch? Das hatte sie sicher nicht nötig.

    »Nun«, begann sie mit leiser, unerwartet tiefer Stimme, »ich komme nur manchmal hier in die Stadt, um einzukaufen, aber ansonsten wohne ich auf dem Land.«

    Sie sprach so leise, dass er Mühe hatte sie zu verstehen. Er beugte sich vor und fragte: »Und wo da?«

    »Warum wollen Sie das wissen?«, fragte sie zurück. »Kennen Sie sich hier aus?«

    Er schüttelte den Kopf. »Nein, wie gesagt, ich komme aus Hannover.«

    Sie zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck Tee. Sie leckte sich über die Lippen und sagte: »Bitburger Gutland nennt sich die Gegend, aber das wird Ihnen nichts sagen. Es ist etwa zwanzig Kilometer von hier, nordwestlich. In Richtung Bitburg. Da, wo Ihr Bier herkommt«, und sie wies mit dem Kinn auf sein halb leeres Glas.

    Sein Gehirn arbeitete an weiteren Fragen, als er sie sagen hörte: »Der Ort ist ein kleines Nest, ein paar Bauernhöfe, ein Gasthaus, eine Kirche, Scheunen und viele Felder …«

    Ihre Stimme wurde leiser, mit jedem Wort, sodass er sich weiter nach vorne beugen musste, um sie zu verstehen, und er sah, dass ihre Haut fast durchsichtig war, wie klein die Nase, wie dicht und dunkel die Augenbrauen und die Wimpern. Ihr Mund war geschwungen wie bei einer Puppe. Was für eine Frau! Schön wie ein Bild.

    »Und dort wohnen Sie?« Sie lächelte über seine weitere stumpfsinnige Frage. »Und was macht man dort so, außer Kühe melken?«

    »Ich bin Künstlerin.«

    »Künstlerin?«, wiederholte er.

    »Bildhauerin, genauer gesagt.

    »Bildhauerin?« Er seufzte, wenn er sich weiter so anstellte, würde sie sich von ihm abwenden. Jede würde das tun. Er benahm sich wie ein Esel. Aber wie sollte ihm auch etwas Vernünftiges einfallen, wenn sein Magen Achterbahn fuhr und sein Gehirn leer wie ein Tanzsaal war. Wenn er nicht aufpasste, würde er anfangen zu lallen. Dann wäre die Sache gelaufen. Welche Sache eigentlich?

    »Ich habe eine kleine Galerie in einem Bauernhof, mein Atelier in der Scheune und eine Ausstellung im Garten. Es ist wunderbar da.«

    »Wunderbar«, steuerte er bei.

    »Ich mache vor allem Skulpturen.«

    Er öffnete den Mund, ohne etwas zu sagen.

    »Aus Stein, Gips, Bronze oder Holz.«

    »Ach!«

    Sie schob eine Haarsträhne zurück und blickte über ihn hinweg. »Menschen, wissen Sie, die interessieren mich am meisten.«

    »Mich auch«, stieß er hervor und sah auf ihren Mund und folgte den Bewegungen ihrer Lippen, ohne zu hören, was sie sagte. Und sie sprach jetzt immer weiter. Gott sei Dank. Seine Blicke wanderten ihren Hals hinab, zu ihren Schultern, sicher schmächtig ohne Kleider, zu ihrem Oberkörper mit den kleinen, kaum wahrnehmbaren Brüsten, ihre Arme, lang und schmal, die in den kräftigen Händen mündeten.

    »… Modelle«.

    Irritiert zuckte er zusammen, kehrte in die Realität zurück, räusperte sich und fragte: »Modelle haben Sie gesagt?«

    Statt zu antworten nahm sie einen Schluck Tee.

    »Sie arbeiten mit Modellen?«

    »Ja, wie ich sagte«, antwortete sie ernst, und ihr Blick war ein wenig vorwurfsvoll. »Wenn ich welche finde.«

    »Wer würde Ihnen nicht gern Modell stehen?«, parierte er sofort.

    »Das mag sein.«

    »Mit Sicherheit ist es so«, sagte er eifrig.

    »Ich bin wählerisch.«

    »Zurecht!« Natürlich war sie das. Für sie nur das Beste.

    Und da hörte er sich fragen: »Wie wär’s mit mir?«

    Wie konnte er nur! Er presste beide Hände um sein leeres Bierglas, als wollte er es zerdrücken. Er musste morgen früh vor zwanzig Software-Spezialisten im Congress Centrum einen Vortrag halten, um das Programm seiner Firma an den Mann zu bringen. Nicht gerade die Zeit für Liebesabenteuer.

    Sie seufzte hörbar, und er machte sich schon auf eine Abfuhr gefasst, die sie ihm sicher erteilen würde. Obwohl er nicht schlecht aussah, wie er fand. Er war groß und schlank, sein Profil war nicht griechisch, aber immerhin gut proportioniert.

    »Ich habe Sie bereits ausgewählt«, flüsterte sie und legte einige Münzen auf den Tisch.

    Ungläubig blickte er zu ihr auf. Eine Spur Mitleid lag in ihren Augen.

    »Sonst säßen Sie nicht hier an meinem Tisch.«

    »Warum gerade ich?»

    »Ich warte draußen an dem alten Pritschenwagen auf Sie«, antwortete sie. »Man muss uns nicht zusammen sehen.«

    »Aber …?«

    »Warten Sie drei Minuten.«

    Sie wandte sich ab und ging zur Tür. Mit dieser roten Lockenmähne, die ihr bis auf die Taille reichte und mit diesem Gang, bei dem sich ihr Hintern bei jedem Schritt durch den schwarzen Stoff hob. Sie war fast genauso groß wie er. Er liebte große Frauen.

    Er blickte auf seine Uhr und hypnotisierte den Sekundenzeiger. Sein Mund schien ihm ausgetrocknet. Aber für ein Bier war jetzt keine Zeit mehr. Er hatte keine Ahnung, was passieren würde. Würde sie ihn zeichnen? Fotografieren? Seinen Kopf? Seinen Körper? Und dann? Wie im Fieber malte er sich aus, was sie danach machen würden.

    Nach zwei Minuten rief er den Wirt zu sich.

    »War wohl nix?«

    »Nein.« Seine Hände zitterten, als er den Geldschein aus seiner Börse zog. »Stimmt so.«

    »Danke. Wer weiß, wozu es gut ist. Also, noch einen schönen Abend.«

    Er zog seinen Mantel von der Stuhllehne und warf ihn über die Schulter. Mit langen Schritten war er an der Tür und riss sie auf. Als er draußen stand, zog er die kühle Nachtluft ein und stieß sie mit einem langen Atemzug wieder aus. Puh!

    Er blickte sich um und sah sie neben einem Pritschenwagen stehen. Das Licht einer Straßenlaterne fiel auf den dunklen, staubigen Wagen und die leere, offene Ladefläche und ihre roten Haare.

    Als sie ihn entdeckte, öffnete sie die Beifahrertür.

    Er reagierte wie eine Marionette, trat zu ihr und kletterte auf den Sitz. Der Duft, der sie umgab, ein herbes Parfum, stieg ihm in die Nase. Er schloss die Augen.

    Als sie neben ihm saß, öffnete er sie wieder, sah geradeaus und legte wie beiläufig seine linke Hand auf ihren Oberschenkel.

    Sie schob sie weg und sagte: »Langsam, langsam.«

    Sie warf den Motor an, legte den Gang ein und fuhr an.

    Er machte einen neuen Anlauf, hob den rechten Arm und legte ihn wie beiläufig um ihre Schultern.

    »Lass das.«

    Ihre Stimme war fest und duldete keinen Widerspruch, und er gehorchte. Sie lenkte den Wagen durch einen Irrgarten kleiner, verlassener Gassen und Straßen. Den Blick auf diese Frau geheftet, sah er bald das Glitzern der Mosel, als sie über die Brücke fuhren, die letzten Lichter der Stadt, Scheinwerfer auf roten Felswänden vor schwarzem Wald. Es ging steil bergauf in Serpentinen, bis sie die Höhe erreichten, dann Felder, Hügel, Täler und nur noch wenig von der Landschaft zu erkennen war, die sie durchquerten.

    Kleine Orte flogen vorbei. Zu dunkel, um ihre Namen auf den Schildern lesen zu können, die im Scheinwerferlicht auftauchten und wieder in der Dunkelheit verschwanden, zu fremd, als dass er sie sich merken können würde. Eine Fahrt ins Ungewisse, aber er machte sich keine Gedanken darüber. Das bisschen Verstand, das noch funktionierte, war damit beschäftig, sich auszumalen, was geschehen würde. Wenn er nicht schlapp machte konnte diese Nacht die Nacht der Nächte werden. Für den Rest seines Lebens konnte er davon zehren. Die Vorstellung ließ ihn lächeln.

    Sie bogen ab und folgten einer schmalen Straße, die schnurgerade in den Ort hineinführte, an einem Gasthaus vorbei, niemand war auf den Straßen, kein Licht brannte hinter den Fenstern der Häuser, gleich wieder ging es rechts aus dem Ort hinaus, steil bergab, zwei große Kurven und dann war da nur noch Dunkelheit. Nach ein paar Metern stießen sie auf einen schmalen Feldweg mit tiefen Reifenspuren, und wie aus dem Nichts tauchte an seinem Ende ein Bauernhaus mit einer Scheune auf.

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