Trans-Maghreb: Novelle vom Bauträger Anton Corwald
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"Trans-Maghreb" ist eine Erzählung zwischen Arabischem Frühling und westlicher Arroganz. Hans Platzgumer wählt die kompakte Form der Novelle, um das gegenseitige Unverständnis zwischen europäischer und arabischer Lebensweise exemplarisch zu skizzieren.
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Trans-Maghreb - Hans Platzgumer
Hans Platzgumer
Trans-Maghreb
Novelle vom Bauträger Anton Corwald
„Elections? What for? We have surpassed that stage that you are presently in. All the people are in power now. Do you want them to regress and let somebody replace them?"
Muammar al-Gaddafi, 2004
1
März 2011. Ich bin wieder daheim in Wien. Sitze in meiner Wohnung, Landstraße, weiß nicht recht, was tun. Ich rasiere mich nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Und im Moment gibt es keinen zwingenden Grund dafür. Ich warte. Das ist langweilig, aber wenigstens bin ich in Sicherheit. Keine Männer mit Maschinengewehren umzingeln mich. Keiner rät mir, einen Dolch griffbereit zu halten. Keine Kampfjets nähern sich der Stadt.
Wien ist kalt, aber in meiner Wohnung ist es stickig heiß. Ich sollte öfter das Fenster öffnen, um den Rauch abziehen zu lassen. Doch selbst dazu kann ich mich kaum aufraffen. Mein Leben verschnauft und ich belasse es dabei. Ich liege auf dem Sofa. Trinke Bier und kann immer noch nicht glauben, dass ich das darf. Jeder Schluck Ottakringer etwas herrlich Verbotenes. Was bin ich froh, der Dschamahiriyya entkommen zu sein! Wer weiß wie, lange ich es noch ausgehalten hätte. Jeden Tag dreißig Grad und dazu dieses süße alkoholfreie Biergetränk. Wenn ich seinen Geschmack nicht mehr ertragen konnte, wechselte ich zu noch süßeren Sarabs, die ich mit Wasser, das nach Plastik schmeckte, verdünnte, und dann bald wieder zurück zu dem Bierartigen. Wie halten das die Araber nur aus.
In diesem Sinn kam mir ihre Revolution durchaus gelegen. Aber trotzdem blicke ich jetzt in eine ungewisse Zukunft. Unser Planungsbüro verliert mit dem libyschen Umbruch einen seiner größten Aufträge. All das Geld, all unsere Arbeit ist in den saharischen Sand gesetzt. Jetzt wissen meine Vorgesetzten erstmal nicht, auf welche Baustelle ich als Nächstes soll. Nach Libyen werden sie mich nicht mehr zurückschicken, das steht fest. Aber wohin dann? Es gibt noch andere Baustellen in Nordafrika, oder vielleicht komme ich nach Osteuropa oder gar nach Sibirien, wenn ich Pech habe. Mit einem Junggesellen wie mir kann man das ja machen. Den schickt man an jene Orte, wo sonst niemand hinwill, zahlt ihm einen kleinen Zuschlag, damit er sich besser fühlt dabei, und ab geht’s in die nächste Einöde.
Den größten Wert, den ich für meine Firma habe, ist, dass ich ungebunden bin, mir kein Privatleben aufgebaut habe, an dem ich festhänge, weder in Österreich noch sonst wo. Mit 38 Jahren hänge ich noch in der Luft, jammert meine Mutter. Wo sie sich doch so sehr ein Enkerl wünschen würde. Ich lass’ sie jammern. Das tut sie eh am liebsten. Die Firma ist jedenfalls froh, dass es einen wie mich gibt, einen Tiefbauingenieur ohne Ansprüche (denken sie), ohne Bindungen (da muss ich ihnen recht geben).
Doch vorerst wissen sie nicht, was sie tun sollen mit mir und meiner Freiheit und ihrem libyschen Dilemma, aus dem ich in letzter Sekunde herausgefischt wurde. Ich sitze rum und koste Geld (auch wenn für März nun schon mein Zuschlag gestrichen wurde). Da unten sammeln sich die Rebellen, und hier oben liege ich auf meinem Sofa und trinke Bier, schon am Vormittag.
Der Fernseher läuft die ganze Zeit. Sportsendungen, Quizsendungen, Tierdokus, Fernsehserien. Ich zieh’ mir alles rein. Natürlich auch die Nachrichtensender. Ich versuche zu erfahren, wie es weitergeht mit den Revoluzzern aus dem Osten und ihrem Kampf gegen al-Gaddafi, für den wir die Eisenbahnstrecke bauen sollten. Die NATO unterstützt jetzt den Aufstand gegen ihn. Sie versuchen den Weg zu seinem Erdöl offenzuhalten und gleichzeitig den Spinner wegzubomben, nachdem er sie vier Jahrzehnte lang alle geärgert hat. Doch Näheres ist auch mit meiner Wiener Satellitenschüssel nicht herauszubekommen. In Japan hat die Erde gebebt. Gerade an dem Tag, an dem Gaddafi sich mit Kampfflugzeugen Zugang zu unserem von den Rebellen besetzten Ölhafen Ras Lanuf verschafft hat, ist ein Tsunami über Japan hergefallen und hat ein Kernkraftwerk lahmgelegt. Das ist der größere Medienerreger. Überall ist es zu sehen. Überall. Man kann den immergleichen Bildern aus Japan nicht entkommen. Wasserdampf steht über den Reaktoren Fukushimas und der Rest der Welt steht still. Die Fantasieschleusen der Mitteleuropäer sind geflutet. Sie befürchten, dass die Radioaktivität herüberweht über den halben Globus und dass sie bald kein Sushi mehr bekommen. Doch für die Kämpfe, die rund um unser Lager in Ras Lanuf toben, für das, was in Libyen gerade geschieht, direkt vor den Toren der Festung Europa, interessiert sich niemand.
Gleich wie 1986, da flogen die US-Bomber auch über al-Gaddafis Kopf und dann explodierte das Kernkraftwerk in Tschernobyl.
Das war dann wichtiger. Europa und Amerika sind immer wichtiger als Afrika und der Rest der Welt. Mit dem Tod einer Hollywood-Diva können in unseren Medien keine hunderttausend toten Afrikaner konkurrieren. Und Libyen – zwar fünfmal so groß wie Deutschland –, dieses ausgedörrte Ödland wäre, wenn Gaddafi nicht auf dem Erdöl säße, in unserer Wahrnehmung gleich inexistent wie sein südlicher Nachbar Tschad.
Bevor die erste libysche Ölquelle angezapft wurde, besaß das Land als einziges Exportmittel den Metallschrott, der vom zweiten Weltkrieg auf