Nachlese: Unveröffentlichte Texte, Zeichnungen und Aquarelle zum Nachdenken und Schmunzeln
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Aus dem Nachlass des vielseitig kreativen Bischofs hat Paul Ladurner, durch Jahrzehnte einer seiner besten Freunde, in diesem Buch rund 20 bisher unveröffentlichte Texte versammelt: Erinnerungen an gemeinsame Kindertage mit den Künstlerpersönlichkeiten Gerhild Diesner und Paul Flora, an schwere und leichtere Tage im Kriegsdienst und an unvergessene Begegnungen. Weiters Gedichte und Gedanken, die Bischof Stecher zu gegebenen Anlässen formuliert hatte.
Aus den Texten und noch mehr aus den Karikaturen lacht deutlich wie noch nie in seinen Büchern die schalkhafte Freude Stechers an skurrilen Lebenssituationen, etwa wenn der Ausmarsch einer Kompanie rekonvaleszenter Soldaten in einer musikalischen Burleske endet oder im Gedicht auf den Tod des Katers Muck.
Aber auch ernste Töne fehlen in der Nachlese nicht. "Es waren keine guten Augen", schreibt Stecher über die des Alfred Rosenberg, der 1942 Stechers Krankenzimmer in Kaunas besuchte. Stecher sieht Unrecht und Fehlentwicklungen und benennt sie, lenkt aber immer wieder den Blick auf den "gütigen Gott, der alles Dunkel und alles Licht der Welt umarmt".
Die Honorarerlöse kommen der Behindertenwohngemeinschaft "Arche" zugute.
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Nachlese - Reinhold Stecher
Ladurner
Der Totznhacker
Es könnte Leserinnen und Leser geben, die keine Ahnung haben, was „Totznhacken" bedeutet. Darum ist hier vorweg eine kleine Einführung nötig. Totznhacken ist eine leider aussterbende Sportart, die selbst in Tirol nur begrenzt verbreitet war und nie eine Aussicht hatte als olympische Disziplin aufgenommen zu werden. Totznhacken wurde in Innsbruck auf dem relativ engen Siedlungsraum zwischen Inn und Nordkette ausgeübt, d. h. in den Gemeinden Hötting und St. Nikolaus. Über das Alter dieser Sportart vermag ich keine Angaben zu machen. Ich weiß auch nicht, ob darüber einschlägige Forschungen vorliegen. Interessant ist, dass diese Sportart nur in den Frühjahrsmonaten nach der Schneeschmelze ausgeübt wurde, was zumindest den Verdacht weckt, es könne hier ein Wachstumszauber im Spiel sein, der bis in vorgeschichtliche Zeiten reicht, wie das bei vielen anderen Tiroler Volksbräuchen der Fall ist.
Sei es, wie es will – noch vor nicht allzu langer Zeit erschienen mit der Frühjahrsonne an verschiedenen Straßenecken und Plätzen die Buben mit ihren Totzn. Es handelt sich dabei um zwiebelförmige Kreisel mit metallener Spitze. Man zeichnet einen kleinen Kreis auf den Boden und legt eine Münze in die Mitte. Dann wird der Totzn mit Hilfe einer umwickelten Schnur zum Kreisen gebracht und muss kunstgerecht so auf den Boden gesetzt werden, dass er in das kleine Rund hineintanzt und das Geldstück herausschlägt. Wer das als erster zusammenbringt, hat das Geldstück gewonnen.
Es ist natürlich klar, dass dieser Sport nicht in Hinterhöfen oder abgelegenen Orten ausgeübt werden kann. Er hat immer die Öffentlichkeit gesucht, weil er notgedrungen Sponsoren benötigt. In diesem Punkte unterscheidet sich diese Sportart, die von Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren ausgeübt wurde, nicht vom modernen Profifußball. Der Unterschied liegt nur in den investierten Summen. Und Totznhacker machen keine Bankschulden und Schwindelmanöver, wenn die Sponsoren ausgehen. Sie stellen dann eben ihre Vorstellung ein. Um Vorübergehende zur finanziellen Unterstützung dieses edlen Brauches zu motivieren, verwendeten die Totznhacker immer den Vers „Lieber Hear! Setzen’s an Groschen ins Kreasel, mei Totzn singt wia a Tannenmeasl!".
St. Nikolaus, Innsbruck
Wenn neulich der Landeshauptmann und der zuständige Landesrat für Sport öffentlich dazu aufgerufen und ermuntert haben, dass potente Sponsoren sich des notleidenden Tiroler Fußballsports annehmen sollten, unterscheidet sich diese Initiative nicht wesentlich vom Singsang der Totznhacker. Nur, wie gesagt, in den angepeilten Beträgen.
Das Tragtier Regina
Heutzutage sieht man bei uns keine Mulis mehr. Selbst das Österreichische Bundesheer hält nur noch am Haflinger fest. Mulis sind eine Kreuzung von Eselshengst und Pferdestute. Und ich hatte immer den Eindruck, dass unsere Mulis beim Militär über diese Tatsache seelisch schwer hinweg kamen. Es muss ja wirklich belastend sein, zu wissen, dass der Vater ein Esel ist. Mulis sind daher nur sehr begrenzt kontaktfähig. Mit Pferden kann man reden. Man spürt Reaktionen. Mulis sind weniger ansprechbar.
Mein Freund Georg, der von Beruf Oberkellner in einem Großhotel am Arlberg war und drei Fremdsprachen beherrschte, wurde in der deutschen Wehrmacht als Muliführer eingesetzt. Man war dort immer sehr darauf bedacht, die Menschen entsprechend ihren zivilen Fähigkeiten einzusetzen. Es ist ihm aber nie gelungen, zu seinem Tragtier Regina eine nähere Beziehung aufzubauen. Regina war weder auf Deutsch noch Italienisch, Englisch oder Französisch ansprechbar und blieb immer abweisend. Sie war schrecklich stur. Georg hat mir versichert, sie könne fünf Stunden in eine Ecke schauen, ohne mit einem Ohr zu wackeln – was auch nicht gerade ein Hinweis auf ein reiches Innenleben ist. An sich wäre es die Rolle Reginas gewesen, als Tragtier den Siegeszug der deutschen Armeen zu verstärken. Sie wollte aber kein Tragtier sein. Sie war ein Zugtier. Aber nicht eines das zieht, sondern das gezogen wird. Wenn man hie und da zu den Kolonnen der Tragtiere zurückschaute, die da durch die klirrkalten Weiten der nordrussischen Landschaft zogen, konnte man immer in der Mitte der hintereinander durch den Schnee stapfenden Soldaten und Mulis eine Lücke entdecken. Da riss die Kolonne ab und kam nie recht zum Anschluss. Das war mein armer Freund Georg mit seinem Tragtier Regina. Er, der selbst schwer beladen war, stolperte voraus und musste mit langem, über die Schulter gelegtem Zügel seine Regina hinter sich her ziehen. Sie machte einen langen Hals, legte die Ohren zurück und folgte nur höchst widerwillig mit hinhaltender Resistenz.
Sie hatte absolut keinen Sinn dafür, dass der große Feldherr seinen Armeen als Programm „Vorrrwärts! (mit drei r) zugerufen hatte und dass alle Generalfeldmarschälle, Generäle, Obersten, Majore und Kompagniechefs dieses „Vorrrwärts
in den verschiedensten Tönen weiter brüllten. Regina war das wurscht. Sie beschleunigte ihren Gang nicht. Sie machte tagelang den Hals lang, als ob sie die Absicht hätte, zu einer Giraffe zu mutieren. Sie wäre das richtige Wappentier für die passive Widerstandsbewegung gewesen. Man weiß natürlich nicht, was in einem so verschlossenen Tier vorgeht. Aber vielleicht hatte Regina eine Ahnung, was für ein ungeheurer militärischer Unsinn der Marsch in den Winter und das Vorrrwärtsgeplärr