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Route 66: Mit dem Fahrrad von Chicago nach Los Angeles
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Ebook534 pages7 hours

Route 66: Mit dem Fahrrad von Chicago nach Los Angeles

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About this ebook

"Get Your Kicks On Route 66" - Bobby Troup sang es in den Vierzigerjahren vor, Millionen Automobilisten folgten ihm. Heute wird die legendäre Route 66 quer durch die USA nur noch touristisch genutzt. Dres Balmer hat die rund 3900 Kilometer lange Strecke von Chicago nach Los Angeles mit dem Fahrrad bewältigt und erzählt von euphorisierenden Strapazen, überraschenden Begegnungen und einem Amerika jenseits der Klischees.

Ergänzt wird sein Bericht von Hintergrundinformationen, praktischen Tipps und zahlreichen Fotos.
LanguageDeutsch
Release dateAug 28, 2012
ISBN9783858695260
Route 66: Mit dem Fahrrad von Chicago nach Los Angeles

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    Route 66 - Dres Balmer

    Ödipuskomplex?

    Auf den Spuren eines Mythos

    Spätestens mit dem Song von Bobby Troup Get Your Kicks On Route 66 schaffte es Amerikas erster Ost-West-Highway in den 1940er-Jahren an die Spitze der automobilen Traumdestinationen. Die Strecke wurde nach dem Krieg zum Synonym für den wirtschaftlichen Aufbruch und zum Inbegriff der mobilen Ferien- und Freizeitgesellschaft. Alle mussten da hin. 1939 hatte John Steinbeck in seinem preisgekrönten Roman Früchte des Zorns zudem die Geschichte erzählt vom Exodus einer verarmten Bauernfamilie aus Oklahoma auf dem Weg ins gelobte Land Kalifornien. Trotz des harten Loses, das sie als Wanderarbeiter erwartete, galt auch für sie der amerikanische Traum. Und die Route 66 war dafür lange ein Sinnbild.

    Ab den 1960er-Jahren verlangte die ungebremste Automobilität neue, schnellere Verbindungen. Die ehemalige Traumstrecke war mit Millionen von Fahrzeugen, die sich auf den zwei Spuren wälzten, und mit Tausenden von Verkehrstoten zum Albtraum, zur »blutigen 66«, geworden. Ihr Niedergang war unaufhaltsam, und gleichzeitig entstand die Legende, die sich bis heute gehalten hat. Vor allem bei Motorradfahrern und Harley-Davidson-Fans gilt die Route 66 neben der Pazifik-Küstenroute als die amerikanische Traumstraße schlechthin.

    Was aber bringt einen Radfahrer dazu, die knapp viertausend Kilometer von Chicago nach Los Angeles unter die Räder zu nehmen? Die Antriebsfeder ist wohl, diesem Mythos auf die Spur zu kommen. Dazu gehören auch eine gute Portion Mut und eine Prise Verrücktheit sowie die Energie, diese Reise auch durchzuziehen. Amerikas endlos leere Landschaften üben auf Europäer eine ungebrochene Anziehungskraft aus. Bei der Route 66 kommt dazu, dass sie sich wie eine Lebensader in die Leere einbettet und dieser Landschaft etwas von ihrer Unwirtlichkeit und Bedrohlichkeit nimmt. Ist es das, was uns heute noch fasziniert: ein Abenteuer, aber eines mit einem klaren Anfang und Ende?

    Bis wir das Zielbild in Santa Monica machen können, dauert es noch ein Weilchen.

    Wenn wir von der Lebensader schreiben, gilt eine große Einschränkung: Die Route 66 ist heute nicht mehr durchgehend, sie muss hier und dort auch gesucht werden. Dabei erweist sich gerade das Velo beziehungsweise das Fahrrad als ideales Verkehrsmittel, weil es uns Zeit lässt, die losen Enden der ehemaligen Traumstraße zu suchen und zu verknüpfen. Dabei entdecken wir vieles, was beim schnellen Fahren im Auto oder auf dem Motorrad übersehen wird.

    Auf seiner Reise durch den amerikanischen Kontinent durchquert Dres Balmer im Sommer 2008 (ab New Mexico begleitet vom Autor dieser Zeilen) die Kornkammer von Illinois und die gigantischen Wälder der Ozark Mountains. Ab Oklahoma führt die Straße durch die Steppe, danach durch die Mojave-Wüste und erreicht schließlich den Moloch Los Angeles. Ein harter Kontrast zu den menschenleeren Landschaften in Missouri, Texas, Oklahoma und Arizona.

    Dres Balmer beschreibt in seinem Tagebuch die Leute vor Ort, bringt seine Bewunderung für die Menschen zum Ausdruck, die an unwirtlichen Orten unbeirrt an »ihrem« Way of Life festhalten. Und er durchlebt auf vielen Strecken auch die Einsamkeit des Radfahrers. Auf seinem roten Schwinn-Sattel fühlt er sich mal als Lucky Luke, als Don Quijote oder als tapferes Schneiderlein. Daneben plagen ihn immer wieder Albträume, dass er wie im Film No Country for Old Men von einem Killer abgeknallt werden könnte.

    Den Spuren der Route 66 zu folgen, heißt auch, dem Zerfall zu folgen. Über weite Strecken treffen wir nur noch auf Geisterstädte, viel früherer Glanz ist verloren gegangen. Motels sind verschwunden oder mussten Neubauten weichen. Einigen aber wurde mit viel Geschick neues Leben eingehaucht. So finden sich entlang der Route 66 neben viel Nostalgiekitsch auch neues Leben und zeitgenössische Kultur, die Zeugnis ablegen von der sprichwörtlichen amerikanischen Innovationskraft.

    Die Route 66 ist – das zeigt dieses Buch – neu zu entdecken. Auch und gerade auf dem Fahrrad. Dres Balmers Tagebuch schildert, wie das geht. Angereichert ist der Bericht mit spannenden Hintergrundinformationen des schweizerisch-amerikanischen Paares Ivo und Jessica Mijnssen, welche im Sommer 2011 die Strecke nachrecherchierten. Die Lektüre macht den breiten nordamerikanischen Kontinent Amerika dank schmaler Reifen zu einem intensiven Erlebnis.

    »Aber warum tut man sich so etwas an?«, fragt sich Dres Balmer mehr als einmal. »Weil es so wunderbar ist«, gibt er zur Antwort.

    Pete Mijnssen

    Chefredaktor des velojournal – Magazin für Alltag und Freizeit

    Der einzige Gebirgsübergang ist der Sitgreaves Pass an der Grenze zu Kalifornien.

    Route-66-Vademecum von A bis Z

    Abenteuer: Ist die Route 66 per Fahrrad ein Abenteuer? Ja, weil die Tour rund 2400 Meilen oder 3900 Kilometer lang, hügelig, windig und ziemlich anstrengend ist. Nein, weil die Route 66 uns zwischen den Wildnissen immer wieder in die Zivilisation bringt. Wir halten uns an diese Faustregel von Blaise Cendrars: »L’aventure c’est du boulot« (Abenteuer ist viel Arbeit). Außerdem wird, wer auf der Route 66 mit dem Fahrrad unterwegs ist, von Tag zu Tag stärker.

    Anreise: Das Flugangebot aus Europa nach Chicago, von Los Angeles zurück nach Europa ist reich und verwirrend. Sobald der Passagier ein Velo mittransportieren will, wird es schon übersichtlicher. Wir sind die Sache beizeiten und mithilfe eines Reisebüros angegangen und haben das keinen Moment bereut.

    Autofahrerinnen, Autofahrer: Schon nach wenigen Tagen in den USA glauben wir Radler zu träumen. Die Leute, welche mit dem Auto unterwegs sind, verhalten sich uns gegenüber sehr rücksichtsvoll, auch auf der Autobahn. Die europäische Autofahrerei ist im Vergleich dazu die reine Barbarei.

    Diners: So heißen die kleinen, oft sehr gemütlichen und preisgünstigen family restaurants. Sie sind für Radler neben den Tankstellen wichtige Stützpunkte.

    Distanzen: In den USA werden die Distanzen in Meilen angegeben. 1 Meile = 1,609344 Kilometer. In diesem Buch weisen die Entfernungsangaben im Informationsteil und in der Reisegeschichte zuweilen Unterschiede auf. Diese erklären sich durch die Irrfahrten des Autors.

    Etappen: Wie lang sollen sie sein? Sportliche Fahrer auf einem Halbrenner planen für eine Tagesetappe 80 Meilen oder 129 Kilometer ein, für Reisevelofahrer sind 62 Meilen oder 100 Kilometer ein vernünftiges durchschnittliches Tagespensum. So schaffen sie die Route 66 ohne Ruhetage in 30 bis 40 Tagesetappen.

    Fahrrad: Das Nächstliegende sind Velos (siehe auch »Velo«, S. 18), welche unter der Bezeichnung Reiserad gehandelt werden. Etwas anderes ist schwer zu finden. Vorteil: Sie sind solide. Nachteile: Sie sind schwer, haben Überflüssiges wie Winterreifen, Schutzbleche, Federgabeln, Festschlösser, Lichtanlagen und Lenkertaschen montiert. All das verleitet dazu, überflüssiges Gepäck aufzuladen. Für eine sportliche Fahrweise sind sie nicht geeignet. Mit den handelsüblichen Lenkern ist die aufrechte Sitzposition im Gegenwind ungünstig. Für unsere Fahrt entschieden wir uns für einen leichteren Halbrenner und ein Trekkingrad. Auf beiden Typen mit glatten Reifen fährt man, mit Klickpedalen, wie auf einem Rennrad, was sich im Gegenwind bewährt. Ein modernes Velo nach gutem Service übersteht die 2400 Meilen. Als Ersatzmaterial reichen in der Regel zwei Ersatzschläuche, ein Faltreifen, eine gute Pumpe und das Flickzeug.

    Fahrstil: Je nach persönlichem Stil wählt man zwischen sportlich oder gemächlich, sechs Stunden mit Schwung oder zehn Stunden Spazierfahrt, was sich auf die gesamte Rhythmusbilanz auswirkt, und da sind die Menschen verschieden. Für uns unverzichtbar ist das Handwerk des Windschattenfahrens, der regelmäßigen Ablösung. Wen das interessiert, der lernt es vorher.

    Gepäck: Die Faustregel, dass das Volumen der Packtaschen 40 Liter nicht überschreiten soll, bewährt sich. Vier kleine Taschen sind uns lieber als zwei große, auf den Gepäckträger kommt nichts. Ein Trick beim Packen: Dinge, an deren Notwendigkeit der kleinste Zweifel besteht, bleiben zu Hause. Man hat unterwegs lieber etwas zu wenig als etwas zu viel. Was ist nötig? Kombinierte Velo- und Freizeitbekleidung, kleines Zelt, Liegematte, dünner Schlafsack, Kulturbeutel für Schreibzeug und Papiere, Necessaire für die Hygieneartikel, Verbandszeug, Flickzeug. Aber kein Kocher.

    Hunde: Die Wahrscheinlichkeit, unterwegs von Hunden belästigt zu werden, ist groß. Diese Tiere nerven mehr, als dass sie gefährlich sind. Ruhig im Rhythmus weiterradeln und nicht hinschauen ist die beste Methode. Wer in der Tricottasche am Rücken einen Stein mitführt, sollte dann aber auch treffen.

    Hygiene: Toilettenutensilien, insbesondere Haut- und Sonnencrème, alles in kleinem Necessaire.

    Karten: Wir haben aus dem Straßenatlas von MapArt die entsprechenden Seiten fotokopiert, dann unterwegs in Tankstellen hie und da, aber nicht immer, die ungenauen Staatenkarten gekauft und sind so durchgekommen. Gelegentliche Irrfahrten sind nicht auszuschließen. Wer eine genauere Karte der Route 66 sucht, dem sei der EZ66 Guide for Travelers von Jerry McClanahan empfohlen, der auf Englisch die Route erstmals Abzweigung für Abzweigung beschreibt. Dessen Ringbindung macht den Führer auch recht handlich. Die gleichen Informationen sind auch auf www.historic66.com/description verfügbar. Zudem gibt es für die Route 66 eine GPS-Applikation, die der Strecke Abzweigung für Abzweigung folgt und zahlreiche Hinweise auf Attraktionen enthält (http://shop.spotitout.com/products/route66-garmin).

    Schweres Gepäck hat Harry aus Graz.

    Kleider: Velokleidung: Träger-Rennvelohose, Schwitzleibchen, Rennfahrertricot mit drei Rückentaschen, Socken, Ärmlinge, Velohandschuhe, Helm. Im Gepäck: eine Rennhose, ein Tricot und zwei Paar Socken, auch als Zivil-Ersatz, ein langarmiges Fleece-Tricot, auch für den Ausgang, dazu eine Regenjacke. Freizeitbekleidung: eine Unterhose, dünne Jeans, ein Leibchen.

    Klima: Unsere Straße durchquert mehrere Zeit- und Klimazonen. Zu keiner Jahreszeit sind die Temperaturen durchgehend gleichmäßig. Im Frühsommer und Herbst schwanken sie von Ost nach West zwischen 10 und 50 Grad Celsius.

    Motels: Manche berühmte Motels sind geschlossen, neue sind entstanden, aber noch in keinem Führer zu finden. Über ihren aktuellen Zustand geben unsere Informationsseiten, unterwegs und an Tankstellen Einheimische Auskunft.

    Museen: Zahlreich sind die Route-66-Museen am Weg. Sie gleichen sich alle stark, und doch ist es gut für die Moral, hie und da eines anzuschauen.

    Panne: Mehrere platte Reifen unterwegs sind wahrscheinlich. Wer auf die Route 66 fährt, sollte einen, sollte zehn Platte flicken können. Wer es noch nicht kann, lernt es vor der Abreise – oder halt unterwegs.

    Motel, eine Form der Erlösung.

    Proviant: Wir haben für unterwegs nur selten Proviant eingekauft und uns meistens an Tankstellen mit den nötigen Kalorien versorgt. Wer weniger asketisch reisen möchte, findet in jedem Info-Teil Hinweise auf Wochenmärkte und Bioläden in und um alle größeren Städte.

    Plattfuß, leicht zu finden.

    Reiseführer: Im Gepäck hatten wir Conrad und Ingrid Steins und Horst Schmidt-Brümmers Route-66-Führer. Ersterer ist für unterwegs hilfreich und handlich und wiegt 120 Gramm, Letzterer ist 1200 Gramm schwer und hat gute Kapitel zu Geschichte und Kultur der Route 66.

    Reisezeit: April bis Juni oder September bis November.

    Richtung: Ost–West oder West–Ost? Technisch wäre West–Ost vermutlich einfacher, weil man so vielleicht mehr Rückenwind hätte. Doch kulturell wäre es ein Irrtum, denn die Route 66 war und ist die Straße all jener, die vom Gelobten Land träumen und von Osten nach Westen fahren.

    Schuhe: Die modernen Mountainbike-Schuhe, zum Beispiel von Sidi, sind rund um die Uhr bequem. Ihr Sohlenring um die Klickplatte herum macht sie auch für den Spaziergang bequem. Bei Regen sind sie schnell nass, am nächsten Morgen aber schon wieder trocken. Auf unserer Fahrt hatten wir außer diesen keine anderen Schuhe dabei.

    San Gabriel Mountains, California: An dieser Baustelle ist heute für Zyklisten kein Durchkommen.

    Straßentypen: Die Route 66 ist eine Landstraße, die zum Teil aufgegangen ist in Interstate Highways. So heißen die großen, meist vierspurigen Verbindungsstraßen, welche unseren Autobahnen gleichen. Die Interstates haben über weite Strecken parallele Servicestraßen, sogenannte frontage roads, oft Stücke der alten Route 66, welche parallel, mehr oder weniger nahe an der Interstate-Autobahn verlaufen. Für Radler sind sie auf drei Vierteln der Strecke ein Geschenk, auch wenn sie auf manchen Straßenkarten fehlen, oft in Schotterpisten übergehen oder im Nichts enden. Bis zur Transitstraße ist es aber nie weit. Wo die Interstate der einzige Weg ist, dürfen auch die Velos auf ihr fahren, und das stört niemanden. Rund 10 Prozent der Route 66 sind auf Interstates zurückzulegen.

    Tagesablauf: Möglichst früh starten, lieber am Nachmittag als am Abend ankommen und dann das Velo bis zum nächsten Morgen nicht mehr berühren. Die alltäglichen Erholungsstunden ohne Velo sind wesentlich für das Gelingen der langen Reise.

    Tankstellen: Was der Radler zuerst als etwas Minderes belächelt, mausert sich rasant zu kleinen paradiesischen Inseln. Hier ist die Luft gekühlt, es gibt Speise, Trank und Auskunft, man kann mit freundlichen Menschen schwatzen. Tankstellen werden zu Überlebensoasen. Außerdem zeigen sie auf elektronischen Informationstafeln die Uhrzeit und die Temperatur an.

    Telefonieren: An jeder Tankstelle, in jedem Motel, an mancher Straßenecke sind öffentliche Telefonapparate. Die US-Telefonmethode hat man bald begriffen. Europäische Handybenutzer machen sich vor der Reise bei ihrem Anbieter kundig.

    Topografie: Liest man die gängigen Automobilbücher, könnte man glauben, die Route 66 sei flach. Dem ist nicht so, denn auf der ganzen Reise geht es rund 18 000 Höhenmeter bergauf und etwa gleich viele abwärts. Außer auf gewissen Abschnitten in Illinois, Texas und in der Mojave-Wüste ist die Straße hügelig. Wir liefern auf den Informationsseiten von Staat zu Staat die Zahl der Höhenmeter bergauf und bergab.

    Leergesogen und ausgetrocknet sind die legendären Tanksäulen am Straßenrand.

    Das Blue Swallow Motel in Tucumcari (NM).

    Unterkunft: Da ist ein wichtiges Kriterium, ob man allein oder in einer Gruppe reist. Für den Soloradler sind Motels teuer, ab zwei Personen mäßigen sich die Preise deutlich. Ein budgetbewusster Soloradler nimmt ein Zelt mit. Gruppen, die ohne Zelt reisen wollen, müssen auf Etappen über 100 Meilen gefasst sein. Auf der Webseite www.warm-shower.org finden Radfahrer bei Radfahrern kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten. Alle Abschnitte über 50 Kilometer ohne Unterkunft sind auf unseren Serviceseiten vermerkt.

    Velo: In der Schweiz bezeichnet man das Fahrrad als Velo, das kommt vom französischen vélocipède, Schnellfuß.

    Wasser: Wir waren mit zwei 7,5-dl-Bidons pro Velo unterwegs, und das bewährte sich. An wenigen Tagen kauften wir in Tankstellen eine zusätzliche Flasche Wasser und nahmen sie mit. Unterwegs schenkten uns ab und zu auch Autofahrer Wasser – eisgekühltes.

    Zelten: Auf den RV-Parks (recreational vehicle), auch auf manchen Campgrounds gibt es Tarife ausschließlich für automobile Camper. Da nimmt der Radler die Chance wahr, einen fairen Preis auszuhandeln, und hat meistens Erfolg. Mit der nötigen Vorsicht ist wildes Zelten an der Route 66 problemlos.

    Mit ein bisschen Vorsicht ist wildes Zelten in den USA problemlos.

    Illinois

    Art Institute of Chicago.

    Wandbild in Dwight.

    Das Ariston Cafe in Litchfield.

    Route: Chicago–Romeoville–Joliet–Pontiac–Bloomington–Springfield (IL)–Litchfield–St. Louis (MO).

    Distanz: 277 Meilen (446 Kilometer), davon 18 Meilen (29 Kilometer) auf der Interstate-Autobahn.

    723 m

    Straßenzustand: Zuerst sind die Straßen mittelmäßig. Besondere Vorsicht ist geboten bei Abflussdeckeln am Straßenrand und bei den Übergangsnähten zu Brücken. Dann bessert sich die Straßen-Qualität, auch auf den Pflastersteinstücken. Der Pannenstreifen der Autobahn ist auf weiten Strecken eine Abfallhalde.

    Unterwegs: Die Strecke verläuft meist flach, zeigt gut ausgeschildert den Weg aus der Agglomeration Chicago, führt dann durch unendliche Getreidefelder in die Weite. Es sind Teile der alten Pflastersteinstraße zu entdecken und 18 Meilen auf der Interstate-Autobahn zurückzulegen. Auf unserer Reise hatten wir damit kein Problem, obwohl es in Illinois offiziell verboten ist, mit dem Velo auf Autobahnen zu fahren. Der Route 66 Trail (siehe dazu S. 50) bietet Ausweichmöglichkeiten. Gegen die Staatengrenze hin geht es in die Hügel und hinunter zum Mississippi. Über die Chain of Rocks Bridge gelangen wir ans rechte Mississippi-Ufer und auf einer luxuriösen Velopiste in den ältesten Stadtteil von St. Louis.

    Sehenswürdigkeiten

    Chicago: Art Institute of Chicago, 111 S Michigan Ave., Tel. 312 443 3600, www.artic.edu; Grant Park und die Strände des Michigansees, Millennium Park mit »Bohnen«-Skulptur.

    Dwight: Ab hier gut restaurierte Stücke der alten Route 66 mit Kopfsteinpflaster. Manche abgesperrte Teile sind mit dem Velo befahrbar.

    Pontiac: Route 66 Association Hall of Fame and Museum, 110 W Howard St., www.il66assoc.org.

    Immer wieder am Straßenrand: Die witzig-lyrischen Rasier-Werbeschilder von »Burma Shave«.

    Kost und Logis: Der erste Teil der Route 66 durchquert ziemlich dicht besiedeltes Gebiet, die Distanzen zwischen Kneipen und Motels sind nirgends groß.

    Besonders zu empfehlen

    Mc Cook: JCs Ristorante, an der Route 66, Tel. 708 387 0030.

    Braidwood: Polk-a-Dot Drive In, an der Route 66, Tel. 815 458 3377, www.polk-a-dot.com.

    Bloomington: Rosie’s Pub, 106 E Front St., Tel. 309 827 7019, www.rosiesbloomington.com.

    Springfield: Cozy Dog Drive In, 2935 S Sixth St., Tel. 217 525 1992, www.cozydogdrivein.com.

    Litchfield: Ariston Cafe, an der Route 66, Tel. 217 324 2023, www.ariston-cafe.com.

    Zeltplätze

    Rochester (bei Springfield): Springfield KOA, 4320 KOA Rd., Tel. 217 498 7002, http://koa.com/campgrounds/springfield.

    Chatham: Double J Campground & RV Park, 9683 Palm Rd., Tel. 217 483 9998, www.doublejcampground.com.

    Granite City: St. Louis (MO) NE I-270/Granite City, 3157 W Chain of Rocks Rd., Tel. 618 931 5160, http://koa.com/camp-grounds/st-louis-ne.

    Fahrradläden

    Chicago: Kozy’s Cyclery, 811 S Desplaines St., Tel. 312 360 0020; Carmen Schwinn, 6519 W Archer Ave., Tel. 773 586 3247.

    Joliet: Dave’s Bikes etc., 1416 N Broadway St., Tel. 815 723 2204, www.davesbikes.com.

    Normal: Main Street Bicycle, 1601 N Main St., Tel. 309 826 1111, www.mainstreetbicycle.com; Vitesse Cycle Shop, 206 S Linden St., Tel. 309 454 1541, http://vitessecycle.com.

    Bloomington: Bloomington Cycle and Fitness, 712 E Empire St., Tel. 309 820 8036, www.bloomingtoncycleandfitness.com.

    Lincoln: Back Alley Bikes, 113 Willard Ave., Tel. 217 735 9787.

    Springfield: R & M Cyclery, 832 W Washington St., Tel. 217 544 9550, http://rmcyclery.com; Ace Bicycle Shop, 2500 S MacArthur Blvd., Tel. 217 523 0188, http://acebicycleshop.com.

    Chatham: Wheel Fast Bicycle Co, 20 Cottonwood Dr., Tel. 217 483 7807, http://wheelfast.com.

    Edwardsville: Cyclery & Fitness Center, 2472 Troy Rd., Tel. 618 656 0070, http://thecyclerys.com.

    Es gilt ernst: Das Wegschild kündigt das Programm für die nächsten Wochen an.

    Lokale/biologische Lebensmittel

    Joliet: Joliet City Center Farmers Market, Ecke W Van Buren und N Chicago Sts., 5. Juni bis 25. August: freitags von 8 bis 14 Uhr, www.jolietdowntown.com.

    Dwight: Dwight Main Street Farmers Market, 132 E Main St., 6. Juni bis 3. Oktober: samstags von 8 bis 12 Uhr, www.agr.state.il.us/agrihappenings/farmlist.php.

    Pontiac: Pontiac Farmers Market, Courthouse Square an der Washington St., 5. Juni bis 30. Oktober: samstags von 7 bis 12 Uhr, www.agfun.com/central_farmersmarkets.html.

    Bloomington: Downtown Bloomington Farmers Market, N Main St. bei E Jefferson St., 16. Mai bis 31. Oktober: samstags von 7.30 bis 12 Uhr, www.downtownbloomington.org/farmersmarket; Common Ground Grocery, 516 N Main St., Tel. 309 829 2621, www.agfun.com/central_farmersmarkets.html.

    Normal: The Fresh Market, 200 N Greenbriar Dr., Tel. 309 888 4192, www.thefreshmarket.com/stores/store_locationsDetail.aspx?StoreId=101.

    Atlanta: PrairiErth Farm, 2047 County Rd. 2100 N, Tel. 217 871 2164, www.prairierthfarm.com/PrairiErth_Farm/Homepage.html.

    Springfield: County Market (2 Filialen), 1903 West Monroe St., Tel. 217 546 8671; 2777 S 6th St., Tel. 217 744 2290; Cub Foods, 3001 S Veterans Parkway, Tel. 217 793 3773. Die Öffnungszeiten der Bauernmärkte können sich ändern, weshalb es sich lohnt, diese auf dem Internet oder telefonisch zu überprüfen.

    Öffentlicher Verkehr: Eisenbahn- und Buslinien erschließen die ganze Strecke.

    Amtrak: Chicago (IL) nach St. Louis (MO) mit dem Lincoln Service und dem Texas Eagle: Fünfmal pro Tag, Dauer ca. 5 h 30. Preis variiert je nach Zeitpunkt der Buchung. Velomitnahme ist erlaubt, eine Reservation im Vorfeld aber notwendig, da der Platz sehr beschränkt ist. Kosten: 5–10 Dollar, je nach Destination. Haltestellen an der Route 66: Joliet; Dwight; Pontiac; Bloomington-Normal; Lincoln; Springfield (IL); St. Louis (MO). Die Abfahrtszeiten können sich ändern und sollten auf jeden Fall unter www.amtrak.com oder telefonisch (Tel. 800 872 7245) überprüft werden.

    Chicago Transit Authority (CTA): Velomitnahme ist kostenlos auf dem ganzen Streckennetz möglich. Gerade für die wenig charmante Strecke vom Flughafen O’Hare in die Chicagoer Innenstadt bietet sich die U-Bahn als billige und schnelle Alternative zum Velo an. Wer das Fahrrad dabeihat, macht die Bähnler auf sich aufmerksam, damit diese einen Durchgang öffnen. Pro U-Bahn-Wagen sind zwei Velos erlaubt, wobei man während der ganzen Fahrt das Fahrrad halten muss. Auf der Blauen Linie (u.a. Flughafen) haben die Velowagen grüne Velo-Piktogramme, www.transitchicago.com.

    Auskunft vor Ort

    Chicago: Visitor Information Center, 78 E Washington St., Tel. 312 744 2400.

    Joliet: Joliet Historical Museum and Route 66 Welcome Center, 204 N Ottawa St., Tel. 815 723 5201.

    Auskunft im Netz

    Tourismusbüro Illinois: www.enjoyillinois.com.

    Verkehrsbüro Chicago: www.chicagotraveler.com/chicago_tourism.htm.

    Verkehrsbüro Springfield: www.visit-springfieldillinois.com.

    Chicago Bike Guide: www.ridethecity.com.

    League of Illinois Bicyclists: www.bikelib.org.

    Route 66 Association Illinois: www.il66assoc.org.

    Eisenbahnzüge sind beruhigend.

    Henry’s Rabbit Ranch in Staunton.

    Ahornsirup in Funks Grove.

    1. Tag Donnerstag, 8. Mai. Flughafen O’Hare, Chicago–Chicago, Stadtzentrum. 24 Meilen (39 Kilometer)

    Ich fahre los. Ha, dieses Gefühl: am Flughafen O’Hare Chicago losfahren. Es ist Anfang Mai, es ist kühl und windig. Ich finde die Mannheim Road, deren Verlauf ich auf einer Karte ohne Maßstabangabe studiert habe. Es gibt aber nicht viel zu studieren, denn die Mannheim Road, eine Stadtautobahn, führt lange Zeit einfach geradeaus bis zur Roosevelt Road, und dort biege ich links ab. Die Mannheim Road ist fürchterlich. Der Belag ist löcherig und mit Abfall übersät, der Verkehr dicht. Alle Nahtstellen an den Brückenlagern sind wahre Velofallen, bei denen man jedes Mal stark abbremsen muss. Wo ist die Stadt? Was ist eine Stadt? Irgendwo muss doch eine Stadt sein, irgendeine Stadt. Links und rechts ist zwar alles überbaut mit Fabriken, Lagerhallen, mit Gartenzentren, Autotempeln und Sportplätzen, doch man hat kein Stadtgefühl, und das passiert einem ausgerechnet in einer der größten Städte der USA. Ich sehe nirgends Trottoirs. Wozu auch? Es gibt ja keine Fußgänger.

    Später erreiche ich Viertel, wo es anders ist. Es sind schäbige Wohnviertel mit breiten Trottoirs. Auf ihnen sind nun plötzlich Fußgänger, die aber nicht gehen. Diese Fußgänger wollen nirgendwo hingehen. Sie sind nicht Fußgänger, sie sind Fußsteher. Sie stehen vor verlotterten Fassaden herum, sie haben kein Ziel, sie haben nichts zu tun. Alle die Fußsteher sind ausschließlich armselig gekleidete Schwarze. Ich scheine der erste Velofahrer zu sein, den sie sehen, und dann bin ich erst noch ein Weißer. Dass ich hier Stadtviertel mit hohen Kriminalitätsraten durchfahre, lese ich erst später.

    Die Ampeln an den Kreuzungen haben hier lange Phasen. Was machen die weißen Autofahrer? Bei Rot gehen sie schon lange vorher, auf Distanz, vom Gas. Dann rollen sie langsam auf das Signal zu, sodass sie, wenn es grün wird, durchfahren können, ohne stoppen zu müssen. Die weißen Autofahrer halten hier nicht gerne an. Und was mache ich weißer Velofahrer? Bei Rot halte ich, wie üblich, mitten in der rechten Fahrbahn an, stelle den linken Fuß auf das Pflaster und warte. Ich warte eine Minute, ich warte zwei Minuten. Die Blicke aus zwanzig Augenpaaren sind auf mich gerichtet, und ich bin froh, wenn die Ampel auf Grün wechselt. Dann fahre ich wieder. Ich fahre und fahre mit dem Gefühl, nicht voranzukommen. In der Distanz verschätze ich mich zum ersten Mal, und es wird nicht das einzige Mal sein. Vom Flughafen ins Zentrum ist es viel weiter, als ich dachte. Ich werde mich noch oft verrechnen, denn ich habe keine Ahnung, wie groß Amerika ist.

    Wrigley Building und Chicago Tribune Tower. 1925 fertig gebaut, gehören sie zu Chicagos »Wundermeile«.

    Als ich in der Abenddämmerung beim Hostel mitten im Zentrum ankomme, habe ich 24 Meilen auf dem Zähler. Zum Glück ist ein Bett reserviert. Das Zimmer teile ich mit zwei polnischen Reisenden. Ich würde gerne schön essen gehen, frage den Mann an der Réception, wo man schön essen kann. Er sagt: »Nirgends«, und er lacht. Die Stadt scheint mir gespenstisch und ungemütlich. Es zieht eisig um die Hausecken, die Hochbahn verursacht auf den ausgeleierten Gleisen einen Höllenlärm. Ich lande in einem leicht schmuddeligen Thai-Restaurant. Es heißt Hotspoon. Deutsche Gäste am Nebentisch suchen das Gespräch mit mir. Sie fragen mich ziemlich aufsässig aus, was ich vorhabe. Sie rufen »Ooh!?« und »Echt!?«, voller Bewunderung tun sie’s, doch es gibt da nichts zu bewundern, weil ich noch nichts gemacht habe außer die lange und schlechte Mannheim Road. Ich habe noch nichts zu erzählen, weil ich noch nichts erlebt habe, weil noch alles vor mir liegt. Das ist mir ein wenig peinlich, denn ich würde ihnen gerne etwas erzählen, sie könnten wieder »Ooh!?« und »Echt!?« rufen, und diesmal könnten sie es mit gutem Grund tun, weil ja schon etwas hinter mir läge, das ich erzählen könnte. Dass ich aber jetzt etwas erzählen würde, was nicht aus Amerika stammt, ist für mich unmöglich, und weil ich von Amerika nichts weiß, habe ich von ihm auch nichts zu erzählen.

    Marina City ragt 60 Stockwerke hoch über den Chicago River und wird auch »Maiskolben« genannt.

    Es ist schön, von Amerika nichts zu wissen und deshalb auch nichts erzählen zu können, weil ich nicht die geringste amerikanische Vergangenheit, wohl aber hoffentlich eine kleine amerikanische Zukunft habe, die noch schön leer und duftig feucht wie das leere Notizbuch vor mir liegt. Dieser Gedanke macht mich glücklich, und da habe ich dieses Reise-Kribbeln im Bauch. Amerika liegt vor mir. Ich bin müde, kehre zurück ins Hostel. Samt dem amerikanischen Reise-Kribbeln schlafe ich ein.

    Genau hier beginnt die Route 66.

    2. Tag Freitag, 9. Mai. Chicago–Joliet. 50 Meilen

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