Gib mir Liebeslied: Chansons Geschichten Aphorismen
Von Georgette Dee
()
Über dieses E-Book
"Gib mir Liebeslied" versammelt erstmalig ihre Liedtexte vom Alleinsein, vom Begehren und Verlangen. Nach Farben, die Georgette Dee mit den Stimmungen dieser Texte verbindet, sind sie geordnet, eingeleitet werden sie von skurril-komischen Aphorismen. Georgette Dee erzählt von ihren lyrischen Anfängen, den frühen schauspielerischen Versuchen an einem Baum in der Lüneburger Heide, der ersten Begegnung mit ihrem Pianisten Terry Truck in einer Küche im englischen Brixton, von ihrem Bühnenleben und natürlich von ihren Liebhabern.
"Ein besseres Programmbuch als diese autobiografischen Skizzen ist zu den Auftritten Georgette Dees kaum denkbar." (Berliner Morgenpost)
Die Reihe "Es geht auch anders" in der Edition diá:
Gad Beck
Und Gad ging zu David. Die Erinnerungen des Gad Beck
ISBN 9783860345016
Georgette Dee
Gib mir Liebeslied. Chansons Geschichten Aphorismen
ISBN 9783860345061
Cora Frost
Mein Körper ist ein Hotel
ISBN 9783860345078
Ulrich Michael Heissig
Irmgard, Knef und ich. Mein Leben, meine Lieder
ISBN 9783860345085
Lotti Huber
Diese Zitrone hat noch viel Saft. Ein Leben
ISBN 9783860345023
Lotti Huber
Jede Zeit ist meine Zeit. Gespräche
ISBN 9783860345030
Charlotte von Mahlsdorf
Ich bin meine eigene Frau. Ein Leben
ISBN 9783860345047
Napoleon Seyfarth
Schweine müssen nackt sein. Ein Leben mit dem Tod
ISBN 9783860345054
Rezensionen für Gib mir Liebeslied
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Gib mir Liebeslied - Georgette Dee
Über dieses Buch
Sie ist eine der Letzten einer aussterbenden Gattung, changiert auf der Bühne zwischen den Geschlechtern, beherrscht die schrillen wie die sanften Töne; ihre Aphorismen sind geliebt und werden gefürchtet: Georgette Dee, Sängerin und Schauspieler, die »größte Diseuse des Landes, kann alles, kennt alles, fühlt alles« (Die Zeit).
»Gib mir Liebeslied« versammelt erstmalig ihre Liedtexte vom Alleinsein, vom Begehren und Verlangen. Nach Farben, die Georgette Dee mit den Stimmungen dieser Texte verbindet, sind sie geordnet, eingeleitet werden sie von skurril-komischen Aphorismen. Georgette Dee erzählt von ihren lyrischen Anfängen, den frühen schauspielerischen Versuchen an einem Baum in der Lüneburger Heide, der ersten Begegnung mit ihrem Pianisten Terry Truck in einer Küche im englischen Brixton, von ihrem Bühnenleben und natürlich von ihren Liebhabern.
»Ein besseres Programmbuch als diese autobiografischen Skizzen ist zu den Auftritten Georgette Dees kaum denkbar.« (Berliner Morgenpost)
Die Autorin
Georgette Dee wurde auf dem Land bei Celle geboren. Zunächst arbeitete er als Krankenpfleger, dann begegnete er dem Pianisten Terry Truck. Seit Anfang der achtziger Jahre Auftritte in der ganzen Republik, begleitet von unterschiedlichen Musikern. Immer wieder Arbeiten für Theater und Oper, 1994 Deutscher Kleinkunstpreis. Georgette Dee lebt heute in Berlin.
Georgette Dee
Gib mir Liebeslied
Chansons · Geschichten · Aphorismen
Edition diá
Inhalt
Wenn Geist und Seele sich reiben
Das Mädchen hätte man schnell verheiraten sollen
Beim ersten Mal, da tut’s noch weh
There is a guy, he plays the piano
Theaterlust und Sinnestaumel oder Wie Frankfurt mir plötzlich Heimat bot
Hexenkinder unterwegs: Knasttournee
Rosa Sterne am Himmel und Eiswürfel in der Aorta
Wie man sich zwischen Zeit und Raum singt oder Die Zeit der Dreißig-Stunden-Tage
Sherry-Lady entert Hochkultur
Die Liebe scheint wie ein Zuhause oder Wie Berlin mich wieder in seinen Armen halten konnte
Man fängt immer wieder von vorne an
»Amok … oder mich?« Ein deutscher Theaterversuch mit Musik
Zwischen Woolworth und Weltpolitik
In diesen Tempel wird man gebeten
Die roten Texte
Die grünen Texte
Die blauen Texte
Die gelben Texte
Georgette über Terry
Das Leben hat eine so schöne Melodie – schade, dass man manchmal den Text nicht kann
Meine Hand in deiner Hand ist Morgenstern im Abendland
Geheimnisse zu lüften hat nichts damit zu tun, seinen Schlüpfer auszuziehen
Reisen an sich ist nicht schön, aber da zu sein belebt ungemein
Wer nichts mehr provoziert, braucht einen jungen Liebhaber
Ein Star will ich nicht werden, ein Glanz vielleicht
Zukunft ist etwas Schönes, wenn man sie nicht mit Unsterblichkeit verwechselt
Ein Engel auf Abwegen
Gelebtes Leben, geliebte Liebe, gelächeltes Lächeln, Vergangenheit – gelebte Zeit. Beim Wieder-in-die-Hand-Nehmen von »Gib mir Liebeslied«
Die Texte
Die Quellen
Die Fotos
Impressum
Was uns verbindet, ist das Geheimnis der Gefühle.
Für Terry Truck
Außerdem widme ich dieses Buch allen Technikern, Theaterleuten und denen, die mir Gastfreundschaft im Hause und im Herzen gewährten. Sozusagen all denen, die, wie man so schön sagt, im Dunkeln stehen, um einen ins Licht zu schieben.
Wenn Geist und Seele sich reiben
Und dann war da der Weltschmerz, so 1972, der mich dazu brachte, Gedichte zu schreiben. Immer in dem Bewusstsein, dass sie für andere lesbar und später vielleicht auch hörbar sein sollen, das heißt, es waren keine heimlichen Tagebuchnotizen. Es waren vor allem Texte, in denen es um Natur und Schöpfung ging – religiös angehaucht. Als Kind hat man noch die Kraft der Fantasie und damit die Macht, alles gut werden zu lassen, was mit der Pubertät plötzlich nicht mehr möglich ist.
Einerseits war ich das Wirtschaftswunderkind, in der nachkrieglichen Konfliktlosigkeit erzogen: ein Prinz ohne Land. Andererseits war ich erregt vom Elend, über das ich las und von dem ich hörte. Ich hatte den Wunsch, die ganze Menschheit an meinen Busen zu drücken und in den Schlaf zu singen. In der Schule lasen wir Wolfgang Borchert und Franz Kafka. Das gab mir Mut, ich war nicht allein mit Weltschmerz und Sehnsucht. Nebenbei entwickelte ich ein kleines fettes Helfersyndrom. Dazu kam dann noch der freundlich-gleichförmig pulsierende Rhythmus der Lüneburger Heide, in der ich aufgewachsen bin, sodass ich immer schon ahnte, die Welt ist groß.
Ich hab keine Jahreszeit als so mächtig empfunden wie den Sommer. Weil man in so einer weiten Landschaft ein Fernweh kriegt, dass es einen fast zerreißt. Der Herbst war immer meine Lieblingszeit, im Winter und im Sommer konnte ich mich nicht entscheiden, wie ich das finde, und Frühling mochte ich nie. Der war mir ein Graus, weil er immer so lange dauert und nichts passiert. Da zippelt das da rum, bis dann endlich mal was auf den Punkt kommt. Im Herbst sind alle Jahreszeiten für mich: Da wächst noch vieles, da vergeht schon vieles, vieles ist auf dem Höhepunkt, und einiges ist schon tot – das ist eine so romantische Zeit. Aber ich bin ja auch geboren im Herbst, insofern hängt meine Vorliebe wahrscheinlich damit zusammen.
Vielleicht ist auch der Urquell meiner Sehnsucht in dieser Jahreszeit begründet. Ich habe Gedichte und Oden an Geliebte verfasst, die ich gar nicht kannte, sondern mir auf der Straße oder im Zug flirtenderweise angeschaut hatte. Dadurch hatte ich in meiner Fantasie schon so viel und so heftig geliebt, dass ich später meinen tatsächlichen Liebhabern im Inneren Vorwürfe machte und mich heimlich wunderte, warum sie mir all diese Empfindungen nicht zurückgeben konnten. Die wirklichen Menschen, die in die Ströme meiner Liebe verwickelt waren, habe ich erst viel später real in meinen Texten verarbeitet.
Untergang
Die Sonne stieg hinab
Die Angst schlich herbei
Stille wurde zum Grab
Schweigen wurde zum Schrei
Es jagten sich Gedanken
in luftleeren Räumen
Hoffnungen ertranken
Es fand sich nichts zum Träumen
Und da: Lärm im Herzen verklingt
Sturm in der Seele glättet sich
Nebel der Angst zerrinnt
Schweigen, das fürchtet sich nicht
Es kamen liebe Gedanken zu mir
ein Hauch deiner sehnenden Seele
Sie kamen und brachten Hoffnung von dir
und gaben mir träumende Stille
Juli
Weißt du, wie das Moos riecht? Warm und trocken
herb und nach Sonne –
nach Sonne, die an einem glasblauen, weiten
in Vogelsang getauchten und mit Tau benetzten
Himmel aufgeht
und scharfe Schatten auf grünen, duftenden Rasen wirft
ein Beet voller Blumen und Bäume, die verheißungsvoll
in den Tag schimmern
Weiße Rosen und hellblauer Rittersporn
blinzeln sich am Morgen zu und küssen sich im heißen Mittag
und erglühen im Abendlicht
und wissen von der sternklaren Nacht
die, den Tau versprühend, aus den Wiesen
vor dem Wald steigt
Und Grillen, die am Mittag im Gras am Sandweg durch
die Wiesen zirpen, sind neu erwacht
und grüßen den stillen Mond, der sich im lauen Wasser
eines Grabens spiegelt und versinkt im dunklen Wald
wenn die Nachtigall schweigt und die Nacht
den Morgen küsst
der leicht errötet und die erste Lerche weckt
zu einem neuen Tag, an dem auch du weißt
wie das Moos riecht
warm und trocken, herb und nach Sonne –
Rosengarten
Ich habe dir nie einen Rosengarten
versprochen
und doch – sieh:
eine Farbe, rot und sammetwarm
als ich dein Herz berührte
erblühte sie auf deinen Wangen
Ich habe dir nicht versprochen
das zu geben, was ich nicht kann: mich!
und doch – fühl:
eine Hand, vorsichtig und jugendfrisch
als ich deine Augen sah
leuchteten sie
Du hast mir nie einen Rosengarten
versprochen
und doch – ich danke dir:
als zartes Licht uns umfloss
gabst du mir eine Rose
Du hast mir nie deine Liebe
versprochen
und doch – horch:
als der Tod uns berührte
erblühte sie in unseren Herzen
Das Mädchen hätte man schnell verheiraten sollen
Irgendwann einmal nach der Schule schickten mich meine Eltern zum Arbeitsamt, weil sie ja auch mitkriegten, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich wollte. Ich hatte wirklich keine Idee, und meine Eltern meinten nur, du musst wissen, was du willst. Himmel, Arsch und Zwirn, dachte ich, wie soll ich – mit fünfzehn Jahren – wissen, was ich will, während man vorher immer im gemütlichen Salzstreuerchen rumkugeln konnte und für nichts Verantwortung übernehmen musste. Ich wusste doch überhaupt nichts vom Leben! Und dann bin ich zum Arbeitsamt gegangen, saß da und sagte schüchtern, ja, ich hätte gerne die »Blätter zur Berufskunde« – die berühmten, die es früher immer gab –, ja, Schauspieler und Sänger. Und das auf dem Arbeitsamt Celle! Ja, wie, was? Der Sachbearbeiter schaute mich verständnislos an. Wie geht das denn?, fragte ich. Ja, das weiß ich auch nicht, meinte er, und ich weiß auch gar nicht, ob wir die haben. Da musste er erst ins Archiv runterrüschen. Hatten sie dann aber doch. Die hab ich dann durchgelesen, und da stand auch tatsächlich, was man alles so machen kann: Ausbildung vom Sopran bis hin zum weichen Tenor und all den anderen Stimmfächern, die es da noch gibt. Aber wie man Sänger wird, dazu stand nicht ein Satz drin. Also alles ziemlich diffus. Aber immerhin waren in dem Schauspielerblättchen die Adressen von einigen Schauspielschulen.
Als ich mit diesen beiden Heftchen wieder nach Hause kam, war man dann doch etwas irritiert. Meine Eltern sagten zwar nichts dagegen, eigentlich sagten sie gar nichts, außer, vielleicht solltest du doch irgendwas Handfestes … erst mal. Denn das sei doch kein richtiger Erwerb. Sie hatten eben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich auch nicht, ich dachte nur, es muss wunderbar sein, auf der Bühne zu stehen und irgendwas zu spielen, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Den Leuten Sachen erzählen, sie etwas glauben machen, das ist es. Und genau das hatte ich früher als Kind stundenlang gemacht: Ich bin einfach rausgegangen in den Garten und habe Wetter und Himmel, Natur und Stimmung auf mich wirken lassen. Dann irgendwas angezogen und losgespielt: stundenlang an einem Baum gestanden und im Kopf Monologe und Dialoge gehalten mit Personen und in Situationen, die gar nicht wirklich da waren. Wunderbar, das hat großen Spaß gemacht! So was hab ich mir vorgestellt für mein Leben, aber irgendwie war es sehr unwirklich, und so bin ich letzten Endes Krankenschwester geworden, da hatten ja dann auch alle ihre Ruhe.
Der Wunsch, zur Bühne zu gehen, war intuitiv schon sehr stark, geradezu eingegeben. Wort, Sprache, Ausdruck – das faszinierte mich. Musik nicht so, das hat mich eigentlich weniger interessiert, aber da wir viel Hausmusik gemacht haben und ich eine sehr gute Stimme hatte, lag es natürlich nahe, das alles miteinander zu verbinden. Merkwürdig, aber eigentlich kam ich nur mit Glück – oder war es Schicksal und Fügung? – in die Musik- und Bühnengeschichten rein. Denn die Krankenpflegerausbildung verdrängte zunächst alles andere.
Durch meine Ausbildung hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eigenes Geld. Das war für mich wie ein Mirakel: Ich arbeitete und kriegte plötzlich sehr viel Geld. In meinem Elternhaus war Geld etwas, über das man nicht sprach. Ich glaub, ich hab mit sechzehn Jahren fünf Mark in der Woche gekriegt. Ich habe Geld nie vermisst, denn es war immer alles da, und ich hatte auch nie große Ansprüche. Ich hab wirklich mühselige zehn Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass das Geld, das zu mir kommt, meins ist und es nicht aus Versehen kommt. Ich war immer dankbar für mein Gehalt, hatte fast ein schlechtes