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Tod eines Schweins
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Tod eines Schweins

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About this ebook

Die Gesamtschule Engerode bei Hannover scheint wie für eine Werbebroschüre gemacht: engagierte Lehrer, fleißige Schüler und ein herausragender Schulleiter. Doch die Idylle trügt, das stellt sich heraus, als ein Mord geschieht. Der allseits beliebte und geachtete Schulleiter wird mit einer Kugel in der Brust aufgefunden. Und rasch wird deutlich: Es ist alles nur Tünche. Hinter der Heilen-Welt-Fassade lauern Konkurrenz, Machtgier und gnadenloser Hass.

Egbert Osterwald, selbst im Schuldienst tätig, zeichnet mit seinem Kultroman ein eindringliches und packendes Bild der Abgründe des heutigen Schullebens.
LanguageDeutsch
Publisher110th
Release dateDec 2, 2014
ISBN9783958653740
Tod eines Schweins

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    Tod eines Schweins - Egbert Osterwald

    Kriminalromane.

    Prolog

    Die letzten Takte des Largos von Händel waren verklungen. Susanne Weichelt, die einzige Schülerin der Schule, die so gut Klavier spielen konnte, dass sie vorzeigbar war, saß in ihrem schwarzen Kleid am Flügel und blickte auf. Frau Nickel, die grauhaarige Musiklehrerin, setzte ihre Geige ab. Die weißen Lilien und Nelken verbreiteten einen durchdringenden Duft. Es war still. Frank Zeidler erhob sich und fühlte die Blicke aller auf sich gerichtet, als er mit langsamen Schritten durch den freien Raum ging und an das Rednerpult trat.

    Er hatte sich sorgfältig gekleidet für diesen Augenblick: sein schwarzer Anzug, ein eleganter, etwas taillierter Einreiher, saß wie angegossen. Nach mehreren Versuchen heute Morgen hatte er auch die Krawatte genau auf die richtige Länge gebunden. Der schmale schwarze Steifen unterstrich seine sportliche Figur. Elegant, aber zu dieser Stunde auch würdevoll.

    Als er das Pult erreichte, drehte er sich um. Vor ihm die lange Reihe von Ehrengästen und Trauernden, im Hintergrund ein paar Schulklassen. Die Aula der Gesamtschule Engerode war voll. Die an den Wänden hängenden bunten Fähnchen und die grellen Pop-Poster von der letzten Musikveranstaltung waren in letzter Minute von den Teilnehmern einiger Kunstkurse abgenommen worden und durch schwarze Stoffbahnen ersetzt worden. Ein gutes Bild. Er hatte auf die Dekoration Einfluss genommen, weil er es genauso haben wollte wie vor vier Jahren, als der damalige Stellvertretende Schulleiter Selbstmord begangen hatte.

    Er entfaltete sein Manuskript und blickte auf. Nur ein kleines Husten hinten im Raum durchbrach die Stille. Vor ihm die tief getroffene Ehefrau, dazu Verwandte, Angehörige, das Kollegium, die Vertreter der Bezirksregierung.

    »Sehr geehrte Frau Sattler, liebe Trauernde!«

    Er hatte zusammen mit dem Fachbereichsleiter Ästhetik die komplizierte Aufnahmetechnik des Mikrophons so eingestellt, dass seine von Natur aus etwas helle Stimme einen dunkleren Klang und ein warmes, einfühlsames Timbre erhielt. Ein Sarg stand nicht da, obwohl er ihn gerne als Requisit benutzt hätte. So gab es neben einer Fülle von Blumen und Kränzen nur die großen, messingfarbenen Kandelaber mit ihren weißen Altarkerzen auf der Bühne. Wie ein Großteil der Blumen waren auch sie von einem Dekorationsgeschäft ausgeliehen worden.

    »Noch immer stehen wir fassungslos und voller Entsetzen. Noch immer können wir es nicht fassen: Unser Schulleiter, Gregor Sattler, ist tot. Ein feiger Mord hat sein Leben beendet — ein feiger, hinterhältiger Mord. Die tödlichen Schüsse trafen ihn dort, wo wir ihn alle kannten: bei seiner Arbeit. Wir wissen nicht, wer der oder die Täter waren, aber sie trafen ihn dort, wo sein Herz schlug — in unserer Schule, für die er sich bis zur Selbstaufgabe einsetzte. Unermüdlich.«

    Er hatte die Rede zu Hause memoriert, Franziska hatte sie quergelesen und etwas verbessert, sie war gut. Das Loblied auf einen unermüdlich arbeitenden, aufrechten, rechtschaffenen Mann.

    Er spürte das Wohlwollen, mit dem ihn der Blick des zuständigen Dezernenten der Bezirksregierung streifte. Er sammelte Punkte. De mortuis nihil nisi bene — über die Toten nur Gutes, an diese römische Weisheit würde er sich halten.

    Die elegante Frau hinten im dunklen Kostüm erkannte er. Sie war die Kriminalkommissarin, die den Fall untersuchte. Kein Wunder, dass sie da war. Auch in Kriminalfilmen verrieten sich die Mörder häufig am Grab.

    Er zwang sich einen Augenblick zur Ruhe und entspannte seine Stimme. Dann würde sie tiefer und mitfühlender klingen.

    »Nicht nur die Schule hat einen Verlust erlitten, sondern jeder von uns. Jeder einzelne kann sich letztlich nur selbst fragen, worin der Verlust für ihn persönlich besteht. Ich werde Gregor Sattler als einen fairen Vorgesetzten, ein berufliches und, ich möchte auch sagen, menschliches Vorbild vermissen, dem ich gerne vor seinem Tod noch so vieles gesagt hätte.«

    Es gab keinen Beifall, als er langsamen Schrittes wieder zu seinem Platz ging, aber der fehlte bei solchen Reden immer. Doch die Sympathie der geladenen Gäste war ihm sicher, vielleicht würde sich nachher noch ein Gespräch mit dem Dezernenten ergeben.

    Er setzte sich. Der Stuhl neben ihm blieb leer. Gregor Sattler würde dort nie wieder Platz nehmen...

    1

    Ich hasse ihn, dachte er, oh, wie ich diesen Kerl hasse.

    Frank Zeidler lehnte sich zurück und fühlte die Wärme der Sonne auf seinem Rücken. Die Vorhänge waren zwar zugezogen worden, aber aus irgendeinem Grunde blieb immer ein Spalt frei, durch den ihn das Sonnenlicht traf. Er spürte ein wohliges Gefühl der Wärme, das sich von seinem Rücken über seine Schulter bis hin zu seinem Nacken und Kopf ausbreitete. Es machte ihn schläfrig. Jetzt einfach die Augen zumachen und ein kleines Mittagsschläfchen halten. Einfach wegdämmern. Oder draußen spazierengehen. Die frische, warme Luft atmen. Den Frühling genießen.

    Trotz der weichen Unterlage spürte er zunehmend jede einzelne Strebe des Korbgeflechts. Er setzte sich gequält auf und blickte sich aufmerksam im Raum um.

    Mit heimlicher Befriedigung bemerkte er, dass sein Nachbar zur Linken, Norbert Weinitz, der Leiter des Realschulzweiges, ebenfalls mit der Müdigkeit kämpfte. Seine Augen schlossen sich, sein Kopf sackte manchmal vornüber, um dann in einem Ruck nach oben zu fahren.

    Ein Blick auf die Tagesordnung zeigte ihm, dass sie immer noch bei Tagesordnungspunkt 3, Berichte und Termine, verharrten und dass die Uhr auf halb drei zuging. Wieder einmal war die Zeit gnadenlos überzogen worden.

    Endlos, dieser TOP 3, Berichte und Termine. Fußlappenthemen, jedesmal das gleiche, und nichts wurde fertig. Raucherhof auf dem Schulhof. Neben der Sporthalle, bei den Fahrradständern oder doch im kleinen Karree? Da allerdings einsehbar von den Nachbarn. Also wohin? Sollte das Formular zur Benachrichtigung der Eltern noch einmal geändert werden?

    Und die wichtigen Themen waren noch nicht einmal behandelt worden. Auch sein Thema nicht, auf das er sich vorbereitet hatte. Wahrscheinlich würde man es wieder vertagen. Leistungsprobleme der Schulabgänger in der gymnasialen Oberstufe. Wen scherte es denn schon, dass die Leistungen ihrer Schüler im Abitur verglichen mit denen des Nachbargymnasiums immer schlechter wurden? Und wen kratzte es ernsthaft, dass es Jahr für Jahr immer weniger Eltern gab, die ihre Kinder auf dem Gymnasialzweig der Schule anmeldeten? Sie waren nun einmal eine Gesamtschule, die drei Schulzweige unter einem Dach hatte und die von den Eltern angewählt oder aber abgewählt werden konnte. Stattdessen wurde seit einer halben Stunde die bevorstehende Aufführung eines Musicals ›Rock-Night‹ in gut einer Woche besprochen. Wichtiges wurde hier seit langem nicht mehr behandelt.

    Es ist meine Zeit, dachte er, es ist meine Lebenszeit, die hier verrinnt. Und auch das Bewusstsein, dass es den anderen vielleicht ebenso erging, beruhigte ihn nicht. Es war einfach langweilig, schlichtweg langweilig. Zum Kotzen. Furchtbar. So mussten sich Schüler in einem Unterricht fühlen, der sie überhaupt nicht interessierte. Gnadenlos genervt. Und die Zeit schleicht wie eine Schnecke.

    Der Stuhl drückte, der aufkommende Ärger machte ihn endgültig wach, und mit einem Anflug von übergroßer Deutlichkeit nahm er den Raum wahr. Ein großer heller Sitzungstisch, acht Stühle, zwei davon waren heute leer, darum herum Aktenschränke, viele davon unaufgeräumt. Die Tür zum kleineren Nachbarzimmer stand offen, und man konnte ganz im Hintergrund des Zimmers eine skandinavische Sitzecke mit einem Sofa erkennen. An den Wänden Übersichtskarten, Zettel, ein paar Fotos. Das Bild einer Schülergruppe mit der Unterschrift Wir grüßen unsere Freunde in Deutschland. Das Überbleibsel eines Austauschversuches mit Polen. Auch wieder so ein Projekt, das als Investitionsruine herumstand und das seine Existenz nur der Durchsetzungsfähigkeit des Schulleiters verdankte. Einmal ein Besuch, ein Foto mit dem Minister für die Zeitung, dann schlief das Ganze ein. Und zurück blieb die Enttäuschung auf der anderen Seite.

    Er musterte zum wiederholten Male die Reihe seiner Kollegen, die mit ihm jeden Montag ab zwölf Uhr diese quälende Prozedur über sich ergehen lassen mussten.

    Norbert Weinitz hatte wohl gerade seine Müdigkeitsphase überwunden, denn er meldete sich auf einmal mit einem Engagement zu Worte, das er die letzte halbe Stunde hatte vermissen lassen. Wenn, dann sagte er nur etwas zu technischen Fragen. Beginn, Ende von Veranstaltungen, Busprobleme, mehr nicht. Wilhelm Brahms, der Leiter des Hauptschulzweiges. Er war der einzige, mit dem er etwas befreundet war, privat war er ganz lustig, ein Sportvereinstyp, Handballspieler, den man gerne um sich hatte, aber hier hielt er sich seit langem zurück. Daneben die dicke Uschi, die Leiterin der Orientierungsstufe. Sie war zwar am längsten hier, aber ihr Wort galt am wenigsten.

    Schließlich noch Walter Meyer, der Stellvertreter, wie immer wie aus dem Ei gepellt, wenngleich diesmal die rote Krawatte nicht ganz zum Türkis des Anzugs passen wollte. Aber er trug ein neues Parfüm, das ihm gut stand. Auch er ohne eigene Meinung. Der Platz von Dr. Finkenburg, dem Didaktischen Leiter, war leer. Dr. Finkenburg war nach einem Herzinfarkt, den er nur mit Mühe überstanden hatte, noch immer krankgeschrieben. Wahrscheinlich würde er in den vorzeitigen Ruhestand treten und seinen Sessel räumen. Mit ihm hatte sich Frank Zeidler gut verstanden, Finkenburg hatte hin und wieder mal ein offenes Wort riskiert, man konnte sich auf ihn verlassen. Er hatte eine Lücke hinterlassen.

    Auch so einer, den der Kerl geschafft hat, dachte er verbittert. Und dann sagte er sich ganz leise, aber eindringlich: In drei Monaten bin ich hier weg. In drei Monaten sehe ich von all diesen Menschen keinen einzigen mehr. Und vor allen Dingen ›ihn‹ nicht.

    ›Er‹ saß an der Stirnseite des Tisches. Da der Raum für die Menge der Möbel nicht sehr groß war, stieß er mit dem Rücken fast direkt an seinen chronisch unaufgeräumten Schreibtisch, der mit einem Berg von wichtigen oder vielleicht auch unwichtigen Papieren bedeckt war. dass man in diesem Durcheinander überhaupt noch etwas wiederfinden konnte! Auf dem Tisch und in unmittelbarer Umgebung drei Telefone. Drei! Mann, musste der Kerl wichtig sein! Drei Telefone für einen Schulleiter.

    Getarnt von einem ewig freundlichen Lächeln blickte Frank Zeidler seinen Vorgesetzten an und musterte ihn. Rundes Gesicht, etwas fett, aber vermutlich noch ganz beweglich, untersetzt, knapp einsachtzig. Manchmal, wenn er schnell sprach, unterliefen ihm noch leichte grammatische Fehler, und sein Ruhrpottslang schlug durch.

    Er isst zu viel, und jetzt trinkt er noch zu viel, dachte er, als er die rötliche Hals- und Gesichtsfärbung seines Chefs bemerkte. Und seine Herzprobleme, von denen er immer erzählt — vielleicht kriegt er ja mal einen Herzinfarkt, und den hoffentlich bald. Wenigstens muss er jetzt Betablocker schlucken. Da ist er bestimmt impotent. Und seine Frau ist hübsch. Bestimmt hat sie einen Liebhaber, einen Lover. Geschieht ihm recht.

    Er fühlte es an der Zeit, sich wieder an der Diskussion zu beteiligen, um seine Aufmerksamkeit zu demonstrieren.

    Er meldete sich nachlässig.

    »Frank.« Gregor Sattler hatte ihn bemerkt und erteilte ihm das Wort.

    »Ich finde, dass wir dem Problem der Fremdbesucher noch mehr Aufmerksamkeit widmen müssen«, begann er. (Ein gutes Thema, insgeheim lobte er sich.) »Zu jeder unserer Veranstaltungen kommen ja immer auswärtige Schiller und Jugendliche. Und gerade bei dieser wichtigen Veranstaltung, dem Höhepunkt des Schuljahres sozusagen (er trug doch wohl nicht zu dick auf?), müssen wir daran denken! Außerdem sollten wir noch das Problem des Alkohols in Betracht ziehen.«

    Frank lehnte sich zurück. Eine schöne Rede, der Sache gerade angemessen. Gute Worte, alte Probleme, nichts gesagt. Als er merkte, wie Gregor Sattler ihn etwas verblüfft anstarrte, setzt er hinzu: »Dieses Musical, das immerhin von einer zehnten Hauptschulklasse selbständig entwickelt worden ist — ein hohes Lob noch einmal unseren Kollegen aus dem Hauptschulzweig —, ist doch der Höhepunkt unserer diesjährigen Veranstaltungsreihe. Und gerade wir sind doch auch aus Gründen der Außenwirkung gezwungen, dafür zu sorgen, dass nicht ein paar chaotische Störer den guten Eindruck zunichtemachen, an dem wir seit Jahren gearbeitet haben.« Das Wort ›Außenwirkung‹ war immer gut. Augenblicklich glätteten sich die Züge von Gregor Sattler.

    »Was schlägst du vor?«

    Frank erhob sich und trat an das Flipchart, auf dem ein Verlaufsplan der Veranstaltung eingetragen worden war. Das Ergebnis der Diskussion der letzten Stunde. Und dabei hatte doch Wolfgang Schwarzer, der Klassenlehrer, der mit seiner 10. Hauptschulklasse das Musical aufführen wollte, schon einen sehr guten Vorschlag vorgelegt, der einfach nur in die Tat hätte umgesetzt werden müssen. Vielleicht hätte man hier und dort noch einige Verbesserungen vornehmen können, doch war dies allenfalls die Arbeit für eine lockere Arbeitsgruppe. In der Schulleitungssitzung, wo sie alle doch recht gut bezahlt wurden, hatte ein solches Thema jedoch mit Sicherheit nichts zu suchen.

    Frank stellte sich an das Flipchart und nahm einen blauen Stift. Er sah den resignierten Blick des Realschulzweigleiters, der jetzt eine Verlängerung der Debatte um mindestens eine Viertelstunde befürchtete. Zu Recht, dachte Frank hämisch. Zu Recht. Aber wenn euch die Themen so auf die Nerven gehen, warum sagt ihr Feiglinge denn nichts! Wenn man die Sitzung zur Farce machte, dann konnte man sie sogar genießen.

    »Wenn die Besucher den Eingang passiert haben ...«, er machte ein dickes Kreuz bei dem Punkt Einlasskontrolle, »dann können sie sich im Schulgebäude fast ohne Kontrollen bewegen. Sogar der Verwaltungstrakt stünde ihnen dann offen. Wir müssen also ...«

    Das Telefon schnarrte und unterbrach ihn. Es war das rote Telefon, eine gesonderte Leitung mit einer Nummer, die nur wenige kannten und die nicht an die normale Telefonanlage der Schule angeschlossen war.

    Es schnarrte mehrfach, bis schließlich Gregor Sattler scheinbar genervt den Hörer abhob und dann ein zunehmend engagierter werdendes Gespräch begann. Es ging offensichtlich um dringende Probleme einer Fortbildung im nächsten Monat, die Sattler leiten würde.

    Das Gespräch stockte. Frank stand ein wenig verloren neben dem Flipchart, legte schließlich den Stift beiseite und setzte sich.

    Die Diskussion am Telefon beschränkte sich jetzt im Augenblick nur noch auf »hm, so ..., gut und doch«, wurde also zunehmend uninteressanter für die anderen. Norbert Weinitz, der Realschulzweigleiter, gähnte verstohlen und schaute demonstrativ auf seine Uhr. Walter Meyer nestelte an seiner Krawatte herum und dachte wohl an seinen Vertretungsplan, den er bis morgen noch erstellen musste.

    Und keiner sagt etwas, dachte Frank. Jeder lässt es zu, dass ein beliebiges, im Grunde genommen unwichtiges Thema auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, aus einer Laune, einem Augenblick heraus.

    Die Haltung des Schulleiters hatte sich verändert. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, seine Ausführungen am Telefon wurden länger und zunehmend ausführlicher. Gelegentlich verzog er seine Miene, wie um anzudeuten, dass ihn das Telefonat grenzenlos langweile und störe.

    Es ist alles meine Zeit, dachte Frank Zeidler. Ich habe einen Bericht über die nachlassenden Leistungen unserer Schüler im Vergleich zum Nachbargymnasium vorliegen. Ich habe daran noch gestern Nacht gearbeitet. Und jetzt wird wieder alles verschoben. Der Gesichtsausdruck seiner Kollegen wandelte sich von gelangweilt in genervt. Jetzt schaute auch Walter Meyer auf die Uhr. Sogar Uschi, die dicke Orientierungsstufenleiterin, kramte in ihrer Handtasche.

    Gregor Sattler deckte das Mikrophon des Hörers ab. »Macht mal weiter«, sagte er, »das dauert hier noch etwas. Geht leider nicht anders.«

    Aber keiner der anderen machte irgendwelche Anstalten.

    Und das ist schon das dritte Telefonat, dachte Frank. Was haben wir nicht schon alles versucht, dies abzustellen. Er hält sich einfach nicht dran. Gott sei Dank, in drei Monaten bin ich hier weg.

    In drei Monaten, dann würde er, wenn alles gutging, seine neue Stelle als Studiendirektor am Ernst-August-Gymnasium in Hannover antreten. Sein Amt als Leiter des Gymnasialzweiges dieser Schule würde er nur noch bis zum Ende des Schuljahres innehaben, und dann ...

    Einfach weg.

    Endlich war das Gespräch beendet, Sattler hatte aufgelegt. Mit sicherem Blick erfasste er die mangelnde Bereitschaft der anderen, noch einmal den Verlauf des Musicals durchzusprechen.

    »Wollen wir so verfahren, wie es Wolfgang Schwarzer uns in seinem Infopapier vorgeschlagen hat?« fragte er kurz. Alle wollten es.

    »Die weiteren Tagesordnungspunkte verschieben wir auf das nächstemal«, schlug er noch vor. »Wir sollten dann auch konzentrierter arbeiten.« Und nach einer Pause fügte er jungenhaft grinsend hinzu: »Dabei fass' ich mich zuallererst auch an meine Nase.«

    Widerwillig musste sich Frank eingestehen, wie geschickt es Sattler verstand, den Unmut der anderen aufzufangen, freiwillig auf sich zu lenken und damit zu entkräften.

    »Wir sollten unbedingt noch klären«, ließ sich Walter Meyer vernehmen, »welche Fächer wir ausschreiben lassen, damit wir unsere Unterrichtsversorgung für das nächste Schuljahr sichern. Die Anforderungen an die Schulaufsicht müssen diese Woche noch heraus.«

    Sattler nickte nur kurz. »Ich habe das schon weitgehend mit der Bezirksregierung

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