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Die Rache des Sidhe
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eBook242 Seiten2 Stunden

Die Rache des Sidhe

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Über dieses E-Book

Silvo, ein junger Sidhe, lebt als Sklave in einem Bordell. Seine gesamte Familie wurde von Menschen getötet. Allein der brennende Wunsch, Rache an den Mördern zu üben, hält ihn am Leben. Doch als der vermeintliche Mörder plötzlich vor ihm steht, ändert sich alles. Joran gehört zu den "Weißen Reitern", Elitekämpfern, die für ihren Hass auf Sidhe bekannt sind. Aber Joran scheint anders zu sein. Ist er wirklich der Mann, den Silvo gesucht hat? Und warum schafft Silvo es nicht, ihn zu töten?
SpracheDeutsch
Herausgeberdead soft verlag
Erscheinungsdatum28. Feb. 2014
ISBN9783944737355
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    Buchvorschau

    Die Rache des Sidhe - Leann Porter

    Leann Porter

    Die Rache des Sidhe

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2014

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com/

    Motive:

    © Stepán Kápl – fotolia.com

    © Bernd S. – fotolia.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-944737-34-8

    ISBN 978-3-944737-35-5

    Prolog

    Er blieb vor dem verwitterten Wohnwagen am Rande des Lagers stehen und betrachtete das über die Tür gemalte Auge. Wie vor jedem Besuch war er angespannt. Was mochte er diesmal erfahren? Oder würden nur verschwommene Fetzen einer verlorenen Erinnerung aus dem Dunkel des Vergessens auftauchen, zu flüchtig, um sie zu begreifen?

    So sehr er die Stunden bei der Seherin Farina herbeisehnte, so sehr fürchtete er sich auch davor. Das starre Auge schien ihn zu verhöhnen, sich über sein Zögern lustig zu machen.

    „Es wird nicht besser, wenn ich hier Wurzeln schlage", wies er sich streng zurecht. Was immer er sehen würde, es waren nur Bilder in seinem Geist. Sie konnten ihm nichts anhaben.

    Seine Hand glitt in die Tasche und legte sich um einen Glasflakon, von schützendem Leinen umhüllt.

    Er atmete tief durch, stieg die drei wackligen Stufen zur Tür hinauf, klopfte energisch und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten.

    Nach der Mittagssonne draußen war er in dem dunklen Wagen einen Moment lang völlig blind. Er blieb stehen und wartete, bis seine Augen sich an das von roten Samtvorhängen gedämpfte Licht gewöhnt hatten. Der Duft von Räucherstäbchen und Kräutertee stieg in seine Nase. Einen Niesreiz unterdrückend tastete er sich weiter vor. Die Sonne hatte den Wagen aufgeheizt. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Im Zwielicht machte er die vertraute Gestalt der Seherin aus, die wie üblich in ihrem Sessel kauerte, der Tür zugewandt. Ihr ausgemergelter Körper war trotz der Hitze in ein Wolltuch gehüllt. Graue Haarsträhnen ringelten sich über gebeugte Schultern.

    „Du kommst spät", sagte sie mit volltönender, kräftiger Stimme, die ihr hohes Alter Lügen strafte.

    „Aber nicht mit leeren Händen."

    Er zog das Bündel aus der Tasche und wickelte den Flakon aus. Farinas tief in den Höhlen liegende Augen leuchteten auf.

    „Du bringst mir einen neuen Duft."

    Er legte den Flakon in ihre ausgestreckte Hand und sah zu, wie sie den gläsernen Stöpsel aus dem Flaschenhals zog, sich das Fläschchen unter die Nase hielt und mit geschlossenen Augen einatmete.

    „Ein Frühlingstag, ein schönes junges Mädchen, das auf seinen Liebsten wartet."

    Ihre Stimme klang, als sei sie selbst dieses Mädchen.

    Silvo setzte sich auf den niedrigen Hocker zu ihren Füßen und wartete geduldig, bis sie den Flakon verschloss und auf ein Regal an der Wand neben ihrem Sessel stellte. Dort reihten sich bereits ähnliche Fläschchen, einige schlicht, andere kunstvoll verziert. Farinas Fingerspitzen glitten mit einer zärtlichen Geste über ihre Schätze und verharrten kurz auf Silvos Gabe, bevor die alte Frau sich zu ihm umwandte. Der Blick, mit dem sie ihn ansah, war streng, ihr Ton hingegen sanft.

    „Du suchst einen Blick in die Vergangenheit. Es ist gut, sich erinnern zu wollen. Erhoffe dir nichts. Sei bereit für Schmerz und Trauer. Bist du stark genug, dich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen, Silvo?"

    Er nickte stumm. Diesen Satz kannte er bereits auswendig. Er hob Farina sein Gesicht entgegen, senkte die Lider und spürte, wie ihre Finger federleicht über seine Stirn strichen, sich auf seine Schläfen legten. Sobald Farina ihn berührte, verlangsamte sich sein Puls. Mit jedem tiefen Atemzug schwand mehr von der nervösen Anspannung, die ihn den ganzen Tag gequält hatte. Zuerst wurden seine Arme und Beine warm und schwer, dann sein ganzer Körper.

    Es ging jedes Mal schneller. Er verglich den Zustand, in den Farina ihn versetzte, mit dem Einschlafen. Dem kurzen Moment zwischen Schlafen und Wachen, der oft mit einem Gefühl des Fallens verbunden war. Auch jetzt fiel er und ihm wurde übel. Er atmete ruhig weiter und wehrte sich nicht. Es war leichter, wenn er nicht dagegen ankämpfte. Bei seinen ersten Besuchen hatte er sich unwillkürlich gegen die Berührung von Farinas Geist gesperrt und war mit heftigen Kopfschmerzen dafür bestraft worden. Mittlerweile wusste er, dass er seine Gedanken vertrauensvoll fließen lassen musste, statt zu versuchen, sie vor der Seherin zu verbergen.

    Zwei Herzschläge später befand er sich in dem Haus seiner Kindheit. Eine karge Hütte nur. Ersterbende Flammen in dem kleinen Kamin. Das Lächeln seiner Mutter.

    Er wollte an dieser Stelle verweilen, doch das war nicht möglich. Die Gewissheit dessen, was kommen musste, ließ ihn erbeben.

    Konnte er es diesmal sehen? Erkannte er endlich, wer seine Familie umgebracht hatte?

    Die schmerzlich vertrauten Schreie ließen ihn zusammenzucken, und er kämpfte gegen den Drang, zu fliehen. Er musste bleiben. Er musste es wissen. Er kannte die verzweifelten Schreie, voller Schmerz und Angst, hörte sie jede Nacht in seinen Träumen. Sie verfolgten ihn, wohin er auch ging. Sie würden erst verstummen, wenn der Tod seiner Familie gerächt war. Darum musste er bleiben, obwohl alles in ihm sich heftig sträubte. Wie einfach wäre es, sich Farinas Berührung zu entziehen und in gnädiges Vergessen zu sinken. Wie oft hatte er diesen Weg schon gewählt und sich danach für seine Feigheit verachtet. Diesmal würde er nicht feige sein.

    Er sah aufblitzenden Stahl, hörte raues Lachen. Beinahe glaubte, fürchtete, hoffte er, am Ziel zu sein. Doch die ebenso vertraute wie verhasste Schwärze legte sich auch diesmal wie ein schwerer Vorhang über die Szene.

    Undurchdringlich verbarg sie die Erinnerung seinem Blick. Warum konnte er es nicht sehen?

    Ein enttäuschtes Heulen stieg in seiner Kehle empor. Er war kurz davor, sich Farinas Berührung zu entziehen, als die Dunkelheit wich, nur einen kurzen Moment, kaum mehr als ein Aufblitzen. Es genügte, um den Anblick für immer in sein Bewusstsein einzubrennen.

    Mit einem würgenden Keuchen kehrte er abrupt in die Gegenwart zurück und schaute zu Farina auf, die ihn besorgt musterte.

    Er hatte es gesehen.

    Eines von den Ungeheuern, die seine Eltern und seine kleine Schwester abgeschlachtet hatten. Und er wusste, wo er es finden konnte.

    Kapitel 1

    Joran verdankte es seinen guten Reflexen und einer gehörigen Portion Glück, dass er noch lebte. Wenn er sich nicht instinktiv aus dem Sattel auf den zum Glück weichen Waldboden geworfen hätte, läge er mit durchgeschnittener Kehle im Schlamm.

    Stattdessen wehrte er nun die in ihrer Wildheit geradezu selbstmörderischen Attacken seines Angreifers ab. Dieses verdammte Spitzohr griff ihn tatsächlich mit einem Messer an! Der Elf kämpfte gar nicht schlecht. Trotzdem war er im Nachteil.

    Zum einen, weil Joran mit seinem Schwert eine wesentlich größere Reichweite hatte, zum anderen, weil es den Jungen nicht zu kümmern schien, ob er verletzt wurde. Seine offenkundige Wut trieb ihn zu unüberlegten Aktionen. Trotz des wilden Kampfes gelang es Joran zunächst, diese Schwächen blitzschnell zu erfassen und zu seinen Gunsten auszunutzen. Die unzähligen Übungsstunden bei dem strengen Meister Roderick machten sich endlich bezahlt.

    Mit hassverzerrtem Gesicht ging der Elf immer wieder auf ihn los. Anfangs versuchte Joran nur, den Elf auf Abstand zu halten, verblüfft über sein plötzliches Auftauchen. Der kleine Mistkerl schien vom Himmel gefallen zu sein. Wie sonst hätte er ohne Vorwarnung hinter ihm auf seinem Pferd Wolf landen können?

    Geschickt tauchte der Elf unter einem Schwerthieb hindurch und stieß mit dem Messer nach Joran, der im letzten Moment zurückspringen konnte. Der Junge war verflucht schnell. Und dies war eindeutig keine Trainingsstunde. Es stand mehr auf dem Spiel, als ein schroffer Tadel vom Schwertmeister. Wie viel mehr das war, wurde Joran nur zu bewusst, als der Elf einen erneuten Vorstoß wagte. Die kurze, aber scharfe Klinge schlitzte Jorans Ärmel auf. Um Haaresbreite verfehlte sie seinen Unterarm. Das war knapp! Keuchend wich Joran zurück. Das Herz hämmerte ihm schmerzhaft gegen die Rippen. Ihm blieb keine Zeit, sich zu fangen. Noch bevor er sein Gleichgewicht zurückgewonnen hatte, fuhr die Messerklinge blitzend durch die Luft wie ein tödlicher Stachel. Sie verfehlte ihn zwar, aber der eisige Hauch an seinem Hals ließ ihn spüren, dass es ihn ein weiteres Mal fast erwischt hätte. Keine Zeit zum Nachdenken. Sein Körper übernahm die Kontrolle. Er warf sich zur Seite und rollte über die Schulter ab, um sofort wieder auf die Füße zu springen. Mit diesem oft geübten Manöver gelang es ihm, mehr Abstand zwischen sich und seinen Angreifer zu bringen. Doch der Elf gönnte ihnen keine Atempause. Auch er rollte sich geschickt ab und entging so Jorans nächstem Schwertstreich. Seinen Schwung ausnutzend stach er nach Jorans Beinen, wobei er behände einem Tritt auswich.

    Mit einer Art Salto federte er auf die Füße. Die artistische Einlage versetzte Joran in Wut. Spielte dieser Kerl mit ihm? Das Blut rauschte in seinen Ohren. Salziger Schweiß brannte in seinen Augen. Er musste dieser Farce ein Ende bereiten! Mit grimmiger Kraft schwang er sein Schwert. Diesmal konnte der Elf sich nur mit einem hastigen Sprung außer Reichweite bringen. Er geriet ins Taumeln und rutschte aus. Joran nutzte die Gelegenheit. Er schlug ihm mit der Breitseite des Schwertes hart gegen die Schulter.    

    „Hör auf mit dem Scheiß", stieß er hervor. Der Arm des Jungen sank schlaff herab, das Messer glitt aus seinen Fingern. Joran ließ das Schwert sinken, schwer atmend, doch dieser Verrückte hatte immer noch nicht genug. Statt aufzugeben, stürzte er sich nun mit bloßen Händen ungestüm auf ihn und wollte ihm an die Kehle gehen.

    Joran wirbelte herum und trat ihm in die Rippen. Der Elf wurde abrupt in seinem Lauf gebremst, pfeifend wich die Luft aus seinen Lungen. Er taumelte zurück und stürzte. Joran war mit einem Satz über ihm, die Schwertklinge quer über seinem Hals.

    „Was soll das?", keuchte er.

    Dieses Miststück hatte ihn wahrhaftig ins Schwitzen gebracht. Japsend rang der Elf nach Luft und sah wütend zu Joran auf.

    „Warum greifst du mich an?", herrschte Joran ihn an.

    Der Junge schaffte es endlich, einzuatmen, und hustete krampfhaft. Dabei ritzte die scharfe Schwertklinge seinen Hals. Ein dünnes Rinnsal Blut lief an seiner Kehle hinunter. Joran nahm die Klinge trotzdem nicht weg. Dieser Kerl war verrückt. Er rechnete fest damit, dass er auf die erstbeste Gelegenheit lauerte, um erneut auf ihn loszugehen. Obwohl der Elf reglos da lag, wirkte er angespannt wie eine Wildkatze vor dem Sprung. Sein Brustkorb hob und senkte sich rasch unter dem abgetragenen Wams. Schwarze Haarsträhnen hingen verschwitzt in sein schmales Gesicht. Er sah elend jung aus. Ein weiterer Hustenanfall schüttelte den schlanken Körper. Hatte er es auf Jorans Geldbeutel abgesehen? Dann war er dumm genug, sein Leben für ein paar läppische Münzen zu riskieren. Heiser krächzte er: „Mörder!"

    Joran blinzelte verwirrt.

    „Mörder!", stieß der Junge wild hervor, lauter diesmal, und versuchte, ihm ins Gesicht zu spucken. Das misslang kläglich, da nur ein winziges Speicheltröpfchen kam.

    Joran runzelte die Stirn.

    „Noch hab ich dich nicht umgebracht", sagte er trocken.

    Der Junge zitterte am ganzen Körper vor Zorn, war aber zumindest schlau genug, sich nicht zu rühren.

    „Du hast meine Eltern umgebracht! Und meine Schwester!"

    „Was für ein Quatsch. Ich hab noch nie ein Spitzohr getötet."

    Nach kurzem Zögern fügte Joran: „Bis jetzt", hinzu.

    Er hatte keine Ahnung, was er mit dem Elf tun sollte. Ihn im Kampf zu töten wäre eine Sache gewesen. Eine ganz andere war es, ihn jetzt umzubringen, hilflos und unbewaffnet. Mit jeder verstreichenden Sekunde wurde diese Möglichkeit immer unwahrscheinlicher. Joran konnte den Elf nicht mehr töten, nachdem er mit ihm gesprochen und in seine Augen gesehen hatte. Was für ein hartgesottener Weißer Reiter er war.

    „Na los, dann töte mich doch endlich!, schrie der Junge, seine Augen blitzten. „Wenn du es nicht tust, wirst du das noch bereuen. Ich bring dich um! Ich stech’ dich ab, du verdammtes Schwein!

    Das war lächerlich. Joran musterte den Elf. War er wirklich verrückt? Sein gerötetes Gesicht war schweißnass und mit seinen grünen, leicht schrägstehenden Augen erinnerte er ihn erneut an eine in die Enge getriebene Wildkatze. Obwohl diese Augen wütend funkelten, fand Joran kein Anzeichen von Wahnsinn in ihnen.

    „Los! Töte mich!"

    Joran zögerte nicht länger. Er schnellte in gebückter Haltung vor und hieb seine Faust gegen die Schläfe des Jungen. Sein Körper erschlaffte augenblicklich.

    Joran stand auf und schob sein Schwert zurück in die Scheide. Langsam kam er wieder zu Atem. Auch sein Herzschlag beruhigte sich. Dafür fingen die Knie an zu zittern. Verärgert über seine Schwäche wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Sein Blick fiel auf den Riss im Stoff. Um ein Haar … Joran schluckte schwer und verdrängte jeden Gedanken daran, dass er fast von einem mickrigen Spitzohr verletzt oder gar getötet worden wäre. Ein kühler Wind strich über das nass an seinem Rücken klebende Hemd und ließ ihn erschauern. Unwillkürlich hob er die Hand und berührte das auf dem Wams eingestickte Symbol der Weißen Reiter, als könne es ihn schützen. Wenn er einfach davon ritt, würde der Elf ihm vermutlich folgen und abermals versuchen, ihn zu töten. Seine zornigen Worte hatten sich nicht wie eine leere Drohung angehört. Und sein Blick … Joran erinnerte sich an eine unliebsame Begegnung mit einem Marderfrettchen, das sich in einen Weißen Reiter verbissen hatte. Er musste es töten, um die hartnäckig zupackenden Kiefer aus dem blutenden Arm des Kameraden zerren zu können. In dem Blick des Elf hatte er die gleiche verzweifelte Beharrlichkeit zu erkennen geglaubt.

    Galt sein Hass allen Weißen Reitern oder ihm persönlich? Hielt er wirklich ihn, Joran, für den Mörder seiner Familie? Jorans Nackenhaare sträubten sich. Auch darüber wollte er nicht nachdenken.

    Ratlos sah er auf den Bewusstlosen hinunter. Er war groß für einen Elf, sehr schlank, wirkte aber durchtrainiert. Sein Kopf war zur Seite gesunken, wirre schwarze Haarsträhnen verdeckten sein Gesicht. Am linken Handgelenk trug er einen Bronzereif. Ein Sklave also. Nichts Ungewöhnliches.

    Die Angst der Menschen vor einer erneuten Rebellion war zu groß. Daher waren seit der Niederschlagung der Elfenaufstände fast alle Spitzohren Sklaven, die nicht während der Säuberungsaktionen den Tod gefunden hatten.

    In Joran regte sich eine vage Erinnerung, die er nicht greifen konnte.

    Der Elf rührte sich immer noch nicht, und er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste, bevor er zu sich kam. Ihn zu töten kam nicht mehr infrage.

    Das Messer lag ein paar Schritte entfernt im vom Kampf platt getretenen Gras. Er hob es auf, betrachtete es interessiert und wog es nachdenklich in der Hand. Gut ausbalanciert. Wo hatte der Elf das her? Sklaven war es gesetzlich verboten, Waffen zu tragen.

    Es war ihnen auch verboten, durch den Wald zu streifen und Weiße Reiter anzugreifen.

    Joran könnte ihn mitnehmen und in das Verlies der Waldfeste werfen lassen, wo er auf seine Verurteilung warten dürfte. Das würde seinen Tod bedeuten. Entweder durch den Strang oder, wahrscheinlicher, schon vorher. Mit Spitzohren gingen die Wachen nicht zimperlich um. Joran gefiel diese Lösung nicht und er ärgerte sich über sich selbst. Die Vorstellung, dass grobschlächtige Kerle den Elf aus Langeweile und bloßem Vergnügen demütigten und quälten, bereitete ihm Übelkeit. Was war er doch für ein Weichei! Um ein Haar hätte dieser Junge ihm die Kehle durchgeschnitten. Warum sollte er ihn verschonen? Er verdiente es nicht besser.

    Leises Stöhnen ließ Joran herumfahren. Der Elf regte sich schwach. Ein Zucken ging durch seinen Körper, er würgte und übergab sich, ohne richtig zu sich zu kommen. Er würde an seinem Erbrochenen ersticken. Ohne darüber nachzudenken, war Joran mit einem großen Schritt neben ihm, kniete sich hin und drehte ihn auf die Seite. Der nächste Schwall halbverdauten Mageninhalts landete auf seinem Ärmel. Vielen Dank auch! Leise fluchend hielt er den Kopf des Jungen fest, bis er aufhörte, zu würgen und zu spucken und nur noch keuchte. Vorsichtig ließ er ihn los und stand auf. Er ging rasch hinüber zu Wolf, der unbeeindruckt an einem Grasbüschel rupfte, behielt den Elf dabei aber im Blick.

    Joran war froh darüber, dass er in seine Satteltaschen immer einige Lumpen steckte, bevor er losritt. Er pflegte vor der Rückkehr in die Feste die oft schlammbespritzten Satteltaschen und seine Stiefel damit zu reinigen. Mit einem der alten, aber sauberen Tuchreste ging er zurück zu dem Elf, der versuchte, sich in eine kniende Position zu stemmen. Sein Kopf hing schlaff herab, schwarzes Haar fiel wie ein Vorhang vor sein Gesicht.

    „He, Spitzohr, sagte Joran rau und hielt ihm das Tuch hin. Er reagierte nicht. Der säuerliche Geruch des Erbrochenen stieg beißend in Jorans Nase und er musste beinahe selbst würgen. „Hier, putz dich mal ab!

    Langsam hob der Elf den Kopf und blinzelte ihn benommen an. Sein Blick war verschleiert. Joran wollte keinen erneuten Angriff provozieren, auch wenn der Elf gerade sehr angeschlagen wirkte, und warf ihm den Lappen hin. Er nahm ihn zögernd und wischte sich das Kinn ab. „Warum tötest du mich nicht?" Jeder Kampfgeist schien von ihm gewichen zu

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