Wortlaut 13. Klick
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2013 wird das Dutzend voll! Zum zwölften Mal bot der Radiosender FM4 unbekannten Autoren die Möglichkeit, eine Kurzgeschichte einzusenden und zu veröffentlichen. Auch heuer bewertet wieder eine prominent besetzte Jury die zirka 1.000 Einsendungen, diesmal zum Thema "klick".
Die Hauptjury: Françoise Cactus (Musikerin und Autorin), Stefan Gmünder (Literaturredakteur beim Standard), Ulli Lust (Comiczeichnerin und Autorin), Dirk Stermann (Moderator und Autor), Tim R. Zazzara (Gewinner von Wortlaut 2012)
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Book preview
Wortlaut 13. Klick - Luftschacht Verlag
Bauer
Klick it, baby!
„Klick. Mit diesem Wort bzw. Geräusch beginnt der Musiker Frank Spilker seinen Debütroman „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen
. Wir haben über diesen Zufall gelacht. War Frank Spilker doch im Vorjahr in der Wortlaut-Jury. (Sein Roman erschien nach Bekanntwerden des Themas, das auch er nicht kannte.) In seinem Fall hört man das Klicken eines Kugelschreibers.
„Klick" haben wir in den letzten Monaten sehr häufig gelesen. Vom Klicken des Fotoapparats über den Asthmaspray, von der Computermaus zur Tür, von der Zapfsäule zur Pistole.
„klick, „klick
, „klick".
In der Küche, im Bad, auf dem Balkon. In Kroatien, London, der eigenen Wohnung - obwohl man zeitgleich auf Facebook eine Brasilienreise vortäuscht.
Über 900 Kurzgeschichten haben uns erreicht. Allen AutorInnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
Den Dank reichen wir gleich weiter an die redaktionelle Vorjury, die jeden Text mehrfach gelesen hat. Dank also an die FM4 RedakteurInnen Jenny Blochberger, Claudia Czesch, Roland Gratzer, Markus Keuschnigg, Barbara Köppel, Anna Katharina Laggner, Conny Lee, Maria Motter, Martin Pieper und Simon Welebil sowie Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag.
Nach vielen Lesestunden, Beratungen und Debatten einigte sich die redaktionelle Vorjury auf zwanzig Texte, die der Jury übermittelt wurden.
Françoise Cactus (Musikerin und Autorin), Stefan Gmünder (Standard-Literaturredakteur), Ulli Lust (Comiczeichnerin und Autorin), Dirk Stermann (Moderator und Autor) sowie Tim R. Zazzara (Gewinner von Wortlaut 2012) haben daraus in einer fairen und spannenden Diskussion die vorliegenden zehn Kurzgeschichten ausgewählt.
Dabei handelt es sich nicht um eine goldene Mitte, auf die sich die Jury irgendwie einigen konnte. Vielmehr lagen die Juroren und Jurorinnen mit ihren Meinungen teilweise ziemlich auseinander, es kam nicht nur einmal vor, dass der Lieblingstext eines Jurors bei den anderen nicht mal unter die besten zehn kam. Die fünf haben sich aber auf die Lieblingstexte geeinigt. Herzblut statt Durchschnitt. Und so bedanken wir uns bei der Jury für ihr Engagement und ihre Fairness.
Allen zehn Autorinnen und Autoren, die in diesem Sammelband vertreten sind, gratulieren wir umso mehr.
Und den Leserinnen und Lesern der Texte wünschen wir eine unterhaltsame bzw. anregende Lesezeit. Auf dass es beim Lesen immer wieder „klick" macht.
Zita Bereuter und Martina Bauer
(Herausgeberinnen)
Klickfehler einer Kirmeshure
Bei David Foster Wallace steht der schöne Begriff „Fickfehler einer Kirmeshure. Den Sommer über schwirrte der in meinem Kopf herum. In einem Haus in Istrien, in dessen Pool kurz zuvor ein touristisches Kleinkind ertrunken war, saß ich und las mit einem Auge die Wortlaut-Texte, mit dem anderen überwachte ich das einjährige befreundete Kind, das sich weigerte, Schwimmflügel anzuziehen. „Klickfehler einer Kirmeshure
, dachte ich bald schon. Klick. Was für ein bescheuertes Wort.
Einmal erst war ich in einer Jury. Young Muslim Creative Contest. Ich habe damals allen Teilnehmerinnen die höchste Punktzahl gegeben. Ich bin ja nicht Allah oder unser strafender Gott. Aber FM4 ist streng und darwinistisch. 20 Texte lesen und dann reihen. Wie Heidi Klum, nur ganz ohne Foto. Fast 900 hatten eingereicht. Das Kind fiel ins Wasser, ich las den ersten Text und rettete dann das Kind. Ich band das Kind der Freunde an eine Sonnenliege. Es weinte, ich las weiter.
20 Texte. Ich hatte bald meinen Siegertext gefunden. Die Geschichte eines Kleinkindes, das auszieht und nicht mehr in den Kindergarten geht. Ein Text, der mich an John Fante erinnerte. Ich war mir sicher, las aber weiter. Eine Frau zerfiel in viele Teile, der Bub aus der Steiermark fiel mit der Sonnenliege ins Wasser.
Ich Kirmeshure las weiter, nach John Lennon sollte Paul McCartney erschossen werden, ich lachte, das Kind fiel mir ein. Er schaute mich verdutzt an, weil ich ihn so lange unter Wasser gelassen hatte. Ich entschuldigte mich bei ihm, wie jedermann sich bei unterlassener oder verspäteter Hilfeleistung entschuldigen sollte. Ich legte ihn auf meinen Bauch, vergaß ihn und mich einzuschmieren, las weiter.
Knallrot nach Stunden in der prallen Sonne sagte ich zu ihm, der mich aus leeren Augen knallrot anstarrte: „Dieser Text ist der souveränste. Er spielt in Basra." Das Kind, wohl zu jung, schaute verständnislos. Ich las ihm einen weiteren Text laut vor. Junge Männer im Urlaub in Kroatien, die sich mit Gummigeschossen attackieren. Er lächelte, ich grillte uns Cevapcici und mit fettigen Fingern sortierte die Heidi in mir die Texte. 1 bis 10, die schlechten ins Kröpfchen.
Da die Eltern des Kleinen noch immer am Strand waren, sperrte ich ihn ins Klo und joggte zur örtlichen Mülldeponie. Der Weg war menschenleer, herrlich zum Laufen. Merke: In der Nähe von Mülldeponien herrscht oft himmlische Ruhe. Die Touristenmassen suchen andere Orte.
Leopold saß bei meiner Rückkehr auf dem kühlen Fliesenboden der Toilette und lächelte. Vor ihm lag der McCartney-Text. Ich nickte ihm zu. „Find ich auch", sagte ich, nahm ihn auf den Arm und brachte ihm im Pool auch noch das Schwimmen bei.
Dirk Stermann
Dirk Stermann, geb. 1965 in Duisburg, Radio- und Fernsehmoderator für Satiresendungen, Autor, Kabarettist und Schauspieler. Mit seinem Romandebüt „Sechs Österreicher unter den ersten fünf. Roman einer Entpiefkenisierung. hat er 2010 einen Bestseller geschrieben. 2013 erschien der Roman „Stoß im Himmel: Der Schnitzelkrieg der Kulturen
sowie die Textsammlung „Zweier (nach „Eier
und vor „Dreier" der Mittelteil einer Trilogie). 2012 erhielten Stermann und Grissemann den Romy als Beliebteste Comedians/Kabarettisten. Dirk Sterman lebt in Wien.
Glück ist ein warmes Gewehr
Irene Diwiak
Foto: Felix Hafner
geb. 1991 in Graz, aufgewachsen und zur Schule gegangen in Deutschlandsberg. Nach der Matura und einer gescheiterten Au-Pair-Mädchen-Karriere in England Studium der Slawistik und Judaistik in Wien. Nebenher viel Theater, auf und hinter der Bühne. Erste Regiearbeit im Theaterzentrum Deutschlandsberg wurde sogar zu den Schultheatertagen ins Burgtheater eingeladen.
Seit der Kindheit schon einige Literaturpreise eingeheimst, u.a. der Jugendliteraturwerkstatt Graz. Erster Romanentwurf wurde heuer mit dem START-Stipendium des bm:ukk bedacht.
Als Thérèse die Fotos von mir schoss – auf der Tower Bridge, vor dem Parlamentsgebäude, im London Eye – wusste sie noch nicht, dass diese Fotos in die Geschichte eingehen würden, und hätte sie es gewusst, hätte sie die Bilder vermutlich nicht gemacht. Oder vielleicht doch, ihre Einfältigkeit ist größer als ihre Feigheit. Außerdem fand sie zu großen Gefallen am Fotografieren, es war ihre erste Reise und vermutlich auch ihr erster Fotoapparat. Sie drückte ab und es blitzte, sie drückte wieder ab und es blitzte wieder, ihr wurde nicht langweilig. Sie fotografierte sogar die Passanten, wenn sie ihr irgendwie besonders erschienen, zum Beispiel weil sie Japaner waren oder große Hüte trugen oder ein besonders buntes T-Shirt. Sie fotografierte Autos und die ewig gleiche ziegelrote Häuserfront in den Wohngebieten. Sie wusste nicht, dass sie dokumentierte.
Klick, Blitz, Thérèse lachte, ein neues Bild unter Tausenden auf ihrem Apparat.
Thérèse habe ich in den Räumen einer Jugendpsychiatrie kennengelernt, als ich etwa sechzehn war. Ich hatte nie zuvor und habe auch nie wieder Zimmer so voll mit Topfpflanzen und Farbklecksbildern gesehen, und alles war immer weich und rund, damit wir uns nicht verletzen konnten. Vorgespielte Gemütlichkeit ist eine ganz besondere Form der Ungemütlichkeit, ich hätte mir die Psychiatrie lieber weiß und kahl gewünscht, wie ich sie mir vorgestellt hatte, ein bisschen so wie die Gefängniszellen, in denen in Filmen politische Häftlinge sitzen.
Thérèse war in der Psychiatrie, weil sie drei Mal versucht hatte, sich umzubringen. Drei Mal mit dem Aufschneiden ihrer Pulsadern, drei Mal auf der Toilette ihrer Schule. Einmal kann ein Selbstmordversuch durchaus misslingen, aber dann lernt man für gewöhnlich aus seinen Fehlern und macht es beim zweiten Mal richtig. Ich war in der Psychiatrie, weil ich nicht mehr aß. Sie nannten es Anorexie, ich nannte es Hungerstreik. Wofür ich kämpfte, wollte ich später überlegen.
Thérèse hatte ein kugelrundes Gesicht und einen Silberblick. Ihre Augen saßen schräg in tiefen kleinen Höhlen und waren meerblau,