Und alles wird erinnert: Gedichte 2001-2011
Von Julia Hartwig
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Über dieses E-Book
Julia Hartwig ist eine der wichtigsten polnischen Dichterinnen ihrer Generation, die gleichwohl lange im Schatten von Autoren wie Zbigniew Herbert, Tadeusz Rózewicz oder Wisława Szymborska stand. In Deutschland führte das dazu, dass ihre Lyrik bis heute nicht in Buchform vorliegt (lediglich einige Gedichte wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht).
Die Auswahl von Gedichten Julia Hartwigs aus den Jahren 2001-2011 möchte diese Lücke schließen und dem deutschsprachigen Publikum erstmals eine poetische Stimme von ganz eigenem Charakter und eigenem Klang präsentieren, die einerseits - wie die oben genannten Dichter - die historischen Erfahrungen ihrer Generation keinesfalls negiert, andererseits aber auch andere existenzielle Fragen verhandelt. Dabei achtet Julia Hartwig immer auf die poetische Form und hält Distanz zu übermäßigen Emotionen, ohne Widersprüche, Tragik und menschliche Schwächen zu beschönigen oder auszublenden. Das verleiht ihrem Werk eine einzigartige innere Spannung.
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Buchvorschau
Und alles wird erinnert - Julia Hartwig
2001)
* * *
daß die Gegenwart so sich mit Abwesenheit füllt
daß die Kälte so in einstiger Wärme taut
daß die Tage so von vergangenen Tagen zehren
daß jedes Grün immer an jenes Grün erinnert
BLEIBEN WIR
Bleiben wir noch wach
solange die Musik so schön spielt
Bleiben wir noch wach
solange der Morgen nicht graut
Solange wir mit der Nacht Schritt halten können
im Dunkel mit dem wir uns verbrüdern möchten
Bleiben wir noch wach
solange die Klänge die Zeit verlieren
Bleiben wir noch wach
Bleiben wir wach
GEGEN MICH SELBST
Alle Dichter der Welt schreiben dasselbe Gedicht
beschreiben denselben Fels in der Meeresbrandung
denselben Verlust der keinem von ihnen erspart blieb
verspüren im selben Moment die Ekstase des Daseins
legen sich in derselben Nacht ins Bett der Finsternis
Sie kennen den allumfassenden Zweifel der so stark ist
daß die Welt für sie zu existieren aufhört
und beim Versuch sie wiederaufzubauen
bersten sie vor ihrer Überfülle
In der großen Symphonie die sie aufführen
schüttelt der Dirigent nur den ersten Geigern die Hand
und obwohl alle demselben harmonischen Gesetz unterliegen
möchte jeder von ihnen einzeln geliebt werden
WEDER EWIGKEIT NOCH NICHTS
Die Zeit ist in uns und um uns
obwohl sie nicht wir ist
dabei ist unser Herzschlag
auch ihr Maß
Unsere Schritte messen sie
doch wie eine mythische Götterbotin
eine leichtfüßige Iris mit unbekannter Botschaft
entfernt sie sich immer weiter von uns
Andere würden vielleicht sagen
sie bleibt bei uns wie ein penibler Buchhalter
der das Schwinden unseres Kapitals notiert
das wir wohl oder übel
aufbrauchen müssen
Wohl nichts auf der Welt
wird so verschwendet
oder so sparsam verwendet
wie sie
Doch die Fürsten
die sich ihr nicht untertan fühlen
heißen sie beiseite treten
Hat nicht Baudelaire gesagt:
Was mich groß gemacht hat war auch der Müßiggang
WIE KOMMT MAN
Wie kommt man – muß man das denn? – in die Unterwelt
die wie ein Labyrinth ist und in der man dem Faden
folgen kann den die müde Ariadne spann
(Du bist Ariadne du stirbst verlassen am Ufer)
Wie kommt man – muß man das denn? – in die Unterwelt
der Erinnerung die schläft und darauf wartet geweckt zu werden
auf die Gnade des Einverständnisses mit allem was war
oder aber auf die demütigende Erkenntnis ohnmächtig zu sein
gegenüber der Vergangenheit Was ein Ganzes sein sollte
liegt da wie ein umgestürzter Wolkenkratzer
voll vom Nachhall der Beschwörungen und Abschiede
von Spiegeln mit den Gesichtern derer die gingen
Wo soll man Bilanz ziehen? Wem Rechenschaft ablegen?
DAS ALSO
Das also war nötig
damit die Zeit mit sich eins wurde
damit im tiefsten Zweifel das Sein
in der Niederlage sich offenbarte
wie ein noch immer von Wellen umspülter Stein
wie die Lücke einer amputierten Hand
die im Phantomschmerz daran erinnert
daß es sie gab
UNGEWISSHEIT
Wenn sie wußten was sie von der Kunst wollten
mieden sie die Trugbilder des Schönen
und wenn sie der Versuchung erlagen – bereuten sie ihre Schwäche
So verführerisch ist aber die Schönheit der Welt
so groß unsere Ungewißheit was Schein ist und was Wahrheit
daß wir immer wieder auf Gefühle und Empfindungen hereinfallen
und auf keine Freuden verzichten wollen
selbst wenn wir wissen wie billig und flüchtig sie sind
WIDMUNG
Courbet Ehre erweisen
der die Steinmetze malte, das Begräbnis in Ornans
und der niemandem zu gefallen versuchte
nicht einmal der Natur die er demütigen wollte
indem er sie nüchtern und ungeschönt zeigte
Nach dem Fall der Pariser Kommune 1871
verhaftete man ihn als Mittäter beim Sturz der Vendôme-Säule
Gewiß hatte er sie gestürzt
denn er