Der rubinrote Mantel
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Book preview
Der rubinrote Mantel - Katarina Genar
Katarina Genar
Der rubinrote
Mantel
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
Urachhaus
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Impressum
Kapitel 1
Livia erwacht mit einem Ruck. Im Zimmer ist es dunkel, und es dauert eine Weile, bis sie begreift, dass sie in ihrem Bett liegt. Ihr Herz klopft laut.
Was für ein seltsamer Traum!
Sie war irgendwo gewesen, aber wo?
Es war in der Dämmerung, das erinnert sie, und über allem lag dichter Nebel. Plötzlich kam ein Mädchen auf sie zu. Das Mädchen war bleich und hatte große, dunkle Augen.
»Habe die Ehre zum Geburtstag«, flüsterte sie. »Mein Buch …«
Es war, als wollte sie noch mehr sagen, aber der Nebel schloss sich um das Mädchen, und dann war sie fort. Livia rief nach ihr. Doch das Einzige, was sie noch hörte, war das Singen eines einsamen Vogels.
Livia schaltet die Nachttischlampe ein und blinzelt in das grelle Licht. Der Wecker zeigt 02 : 26 Uhr. Das Herz beruhigt sich in der Brust, doch hat sie noch ein unangenehmes Gefühl im Körper. Irgendwie war der Traum schaurig. Dass das Mädchen »Habe die Ehre« gesagt hatte! Ob sie wohl noch mehr sagen wollte?
Aber es ist ja nur ein Traum. Nichts, worüber man weiter nachdenken muss. Vielleicht bin ich nur ein bisschen überdreht vor meinem Geburtstag, denkt Livia.
In ein paar mickrigen Stunden wird sie elf Jahre alt. Wie sie sich danach gesehnt hat! Fast alle in der Klasse hatten schon Geburtstag. Klara, Livias beste Freundin, sogar schon im Januar.
Sie betrachtet das Klassenfoto, das neben dem Bett hängt. Da stehen Klara und sie nebeneinander. Livia lacht wie verrückt auf dem Bild. Genau in dem Moment, als der Fotograf abdrückte, hatte Klara sie in die Seite gekniffen. Typisch Klara!
Früher, als Klaras Eltern noch verheiratet waren, wohnte sie im Reihenhaus direkt nebenan. Da konnten sie jeden Tag gemeinsam zur Schule gehen und sooft sie wollten zusammen übernachten. Die Hausaufgaben machten sie fast immer gemeinsam, manchmal tauschten sie sogar die Hefte, denn jede konnte die Handschrift der anderen perfekt nachmachen. Die Lehrerin hatte nie etwas gemerkt.
Meist waren sie bei Livia zu Hause.
»Bei dir ist es so ruhig und schön«, sagte Klara immer.
Bei Klara zu Hause herrschte immer Durcheinander. Ihre beiden kleinen Schwestern wollten immer mitspielen. Und Klaras Eltern hatten fast die ganze Zeit gestritten. Am Ende ließen sie sich scheiden und verkauften das Reihenhaus.
Livia kriegt heute noch Bauchschmerzen, wenn sie an den Tag zurückdenkt, an dem Klara weggezogen war. Sie und Klara hatten beide geweint, als der Umzugswagen kam.
Mama und Papa versuchten, sie zu trösten.
»Ihr werdet euch doch jeden Tag in der Schule sehen«, sagten sie.
Livia hatte gebettelt und gefleht, dass Klara doch zu ihnen ziehen könnte. Doch das hielten sie für keine gute Idee.
»Ist doch klar, dass Klara bei ihren Eltern wohnen will«, hatte Mama gesagt.
»Und außerdem will sie mit ihren Schwestern zusammen sein«, hatte Papa hinzugefügt.
Und ich?, dachte sich Livia. Ich habe keine Geschwister. Insgeheim tat sie so, als wäre Klara ihre Schwester. Aber das verriet sie niemandem.
Wenn man nur eine Zwillingsschwester hätte! Dann könnte man jetzt zusammen hier liegen und darauf warten, Geburtstag zu haben.
Livia hatte schon heimlich ihre Geburtstagsgeschenke angeschaut, die ihre Mutter wie immer in ihrem Kleiderschrank versteckte. Eines der Pakete war ziemlich groß und in etwas altmodisch aussehendes, braunes Papier eingeschlagen.
Was mochte das nur sein?
Ihre Mutter und ihr Vater hatten sie gefragt, was sie sich wünschte. Und sie hatte wie immer geantwortet, dass sie ein kleines Kaninchen mit Schlappohren haben wollte. Obwohl sie wusste, dass das nicht ging, weil ihr Vater allergisch ist.
»Wie wäre es mit einer Stabheuschrecke?«, hatte ihre Mutter vorgeschlagen.
Als ob das vergleichbar wäre!
Sie seufzt. Mama und Papa wollen ja nur nett sein. Aber manche Sachen kapieren sie einfach nicht.
Morgen wird Klara kommen, und sie werden Torte essen. Sie wird der einzige Gast sein. Normalerweise kommen auch Oma und Opa immer, aber die sind gerade auf Weltreise.
Livia knipst die Lampe aus und rollt sich unter der Decke zusammen. Doch es fällt ihr schwer, wieder einzuschlafen. Die Gedanken kreisen im Kopf, und das schaurige Gefühl aus dem Traum will sie nicht richtig loslassen.
Kapitel 2
»Hoch soll sie leben, hoch soll sie leben …«
Livia hört die flüsternden Stimmen von Mama und Papa näher kommen. Dann fühlt sie, wie Mama ihre eine Hand nimmt. Papa die andere. Vorsichtig steht Livia auf und geht mit geschlossenen Augen zwischen den beiden aus ihrem Zimmer, die Treppe hinunter. Aus dem Wohnzimmer kann sie einen schwachen, schimmernden Lichtschein erahnen. Da brennen massenhaft Kerzen. Jedes Jahr an ihrem Geburtstag holen Mama