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Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Ebook955 pages14 hours

Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi

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About this ebook

Ausgerechnet auf dem Allerheiligsten der Dithmarscher, dem Gedenkstein auf der Dusenddüwelswarf, wird ein toter junger Mann gefunden. Stilvoll von einem Schwert durchbohrt. Das lässt auch den jungen Zeitungsvolontär Heiko Timmermann, Ur-Dithmarscher seit 1447, nicht kalt. Während die Itzehoer Mordkommission unter der bewährten Leitung von Hauptkommissarin Jutta Weishaupt noch im Dunkeln tappt, entwickelt Heiko schon seine eigenen Ideen zu dem Fall. Könnte der Mord etwas mit der Dithmarscher Vergangenheit zu tun haben, vielleicht sogar mit der berühmten Schlacht bei Hemmingstedt im Jahre 1500?
Heiko macht sich auf die Suche nach Hinweisen, die ihn aber zeitweise auch in die Irre führen. Der vermeintliche Täter wird schließlich überführt und ist sogar geständig. Aber dann kommen Heiko Zweifel…
Doch Heiko Timmermann geht nicht nur seinem kriminalistischen Spürsinn nach, das wäre ja nicht abendfüllend, als junger Dithmarscher hat man auch seine Pflichten gegenüber dem weiblichen Geschlecht zu erfüllen. Ob Heike aus der Bäckerei, Maja aus der Redaktion, Bente aus Dänemark, Mandy von der Fachhochschule oder Inken vom TÜV, Heiko schwebt sozusagen von Blume zu Blume, wobei er sich aber auch gelegentlich heftig verfliegt.
LanguageDeutsch
Release dateOct 13, 2015
ISBN9783739278919
Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko: Ein Dithmarschen-Krimi
Author

Niels Philippsen

Niels Philippsen, Jahrgang 1952, ist gebürtiger Flensburger und lebt seit 1983 in Lohe-Rickelshof im Kreis Dithmarschen. Sein erster Kriminalroman, "Kaffee und Mittwochspfeife", erschien 2005. Nach weiteren Büchern wandte er sich der Landschaft Dithmarschen als Hintergrund für seinen ersten regionalen Krimi, "Heiko racing" (2013), zu. In der Figur des Heiko Timmermann aus Wesselburener Deichhausen wird der jugendliche Ich-Erzähler mit dem Ermittler des klassischen Krimis kombiniert. 2014 folgte "Allmählich wird's heftig, Heiko," 2015 "Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko" und 2016 "Hahnemord". Mit "Einer geht noch, Heiko" lag 2020 der fünfte Band der Heiko-Reihe vor. 2021 erschien die fiktive Autobiographie "Nikolaus Friedrichsens Flensburger Erinnerungen", dann folgte 2022 mit "Nikolaus Friedrichsens Flensburger Studentenjahre" die Beschreibung von Nikolaus' Studienzeit an der Pädagogischen Hochschule Flensburg in den Jahren 1971 bis 1975.

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    Book preview

    Jetzt ist aber langsam mal gut, Heiko - Niels Philippsen

    Denk an den Tag von Hemmingstedt,

    Wo siebentausend abgemäht!

    Schläft Ditmars Vater unterm Sand,

    Ist Ditmars Sohn noch bei der Hand.

    (Theodor Fontane)

    Ich überlege schon seit Tagen, wie ich mit meiner neuen Geschichte beginnen soll. Vielleicht sollte ich euch gleich darauf aufmerksam machen, dass es keine ausgedachte Erzählung ist, sondern etwas, was ich selbst erlebt habe. Also vielleicht eher so ein Tatsachenbericht. Aber das klingt dann wieder etwas zu nüchtern oder sogar langweilig, als ob da ein Typ jede Menge Tatsachen aufzählt und das war es schon. Ihr würdet wahrscheinlich auch gerne alle möglichen Hintergründe, Verwicklungen, Stimmungen, Gefühle und so weiter erfahren, die dabei eine Rolle spielen. Und natürlich alles andere, was ich jetzt nicht erwähnt habe.

    Heiner hat mir gesagt: Heiko, mach‘ dir nicht so ‘n Stress, fang‘ einfach an zu erzählen und dann guckst du mal, was dabei herauskommt. Du musst nicht gleich jeden Satz auf die Goldwaage legen.

    Gut, finde ich okay so. Also, fange ich mal einfach an. Am besten gleich mit Heiner selbst. Er heißt eigentlich Heiner Ohlsen, kein besonders spektakulärer Name, und er ist einer von meinen Freunden. Heiner ist Polizist, so eine Art Jungbulle eben, er wohnt in Hemmingstedt direkt über der Polizeiwache, obwohl die offiziell Polizeistation Hemmingstedt genannt wird. Außer Heiner ist da nur noch sein Chef an Bord, der heißt mit Nachnamen Klafky.

    Da nur zwei Polizisten zu der Station gehören, kann man schon merken, dass Hemmingstedt nicht unbedingt ein großer Ort ist. Es gibt da aber eine ziemlich große Raffinerie, wo eben alles Mögliche aus Rohöl hergestellt wird. Bei uns in Dithmarschen ist früher auch mal eine ganze Menge Öl gefördert worden, das ist allerdings schon ziemlich lange her. Es gibt da noch die eine oder andere alte Förderpumpe in der Landschaft, aber eigentlich fällt mir auf Anhieb nur die Pumpe in der Nähe von Lohe-Rickelshof ein, an der Straße von Heide nach Büsum. Dithmarschen habe ich jetzt ja auch schon erwähnt, wer das kennt, muss sich jetzt keine großartigen Gedanken darüber machen. Aber wenn einer von meinetwegen südlich von Hannover kommt, dann wird er sich wahrscheinlich schon sagen: Dithmarschen, äh, habe ich schon mal gehört, aber wo liegt das eigentlich?

    Kurze Antwort: Dithmarschen ist sozusagen der südwestliche Teil von Schleswig-Holstein. Im Norden der Fluss Eider, im Osten der Nord-Ostsee-Kanal, im Süden die Elbe, im Westen die Nordsee. Okay, das mit den Himmelsrichtungen stimmt jetzt nur ganz grob, aber vielleicht genügt das als Anhaltspunkt zur Orientierung.

    Zurück zu Heiner Ohlsen nach Hemmingstedt: Dieses Dorf ist südlich von unserer Kreisstadt Heide. Heide darf man sich auch nicht so groß vorstellen, das hat nur ein bisschen mehr als 20.000 Einwohner. Übrigens, da arbeite ich. In Heide, meine ich. Ich bin Volontär beim Dithmarscher Landboten. Heiko Timmermann, der Volontär. Ich vergleiche mich manchmal gern mit Gaston, dem Redaktionslehrling. Vielleicht kennen ein paar von euch ja den Comic. Gaston, der immer für irgendwelche Katastrophen sorgt. Tue ich aber eher nicht, ich bin eben der ordentliche Heiko.

    Nun werdet ihr euch sagen, ach, der Typ ist so eine Art Lehrling, dann kann er wohl noch nicht so alt sein. Bingo. Ich bin neunzehn, werde aber demnächst zwanzig. Am Zweiten Weihnachtstag. Ist gar nicht mehr so lange hin. Das ist ja immer so ein kleines Problem, wenn man so nah an Weihnachten Geburtstag hat, da bin ich ja nicht der einzige. Das ist ja auch ein bisschen stressig für die Familie, da hat man sowieso alle Hände voll zu tun mit dem Weihnachtsfest, und dann hat der älteste Sohn auch noch Geburtstag. Aber das ist halt so. Ich bin es gewohnt und mein Clan natürlich auch.

    Ich wohne ja noch zu Hause, hätte natürlich auch anders sein können, wenn ich beispielsweise in Kiel oder sonstwo angefangen hätte zu studieren. Wie mein Kumpel Donald Petersen, auf den werde ich bestimmt noch zurückkommen. Aber vielleicht noch mal ein bisschen was zu meiner Familie. Für diejenigen, die mich schon kennen, quasi zur Auffrischung, für alle anderen als kleine Vorstellung. Meine Eltern Heinrich und Erika Timmermann haben so einen Lohnunternehmer-Betrieb, das hat ziemlich viel mit Landwirtschaft und Maschinen, Treckern und so weiter zu tun. Was da so alles gemacht wird, muss ich jetzt hoffentlich nicht aufzählen. Vater ist voll der Chef und Mutter so eher für den inneren Betriebsablauf zuständig. Sie hat aber auch sämtliche Führerscheine und könnte wahrscheinlich notfalls sogar einen Hubschrauber fliegen. Ich habe einen jüngeren Bruder, Lasse, der geht noch zur Grundschule, allerdings eher ungern. Meine Schwester Linda wird im Januar 16, sie ist ein ziemlich heißer Feger, aber auch ein guter Kumpel. Meistens kommen wir prima miteinander aus. Manchmal aber auch eher nicht. Habe ich jetzt jemanden zu Hause vergessen? Ach ja, da gibt es noch unseren Hofhund, Stromer. Der ist schon etwas älter und im Prinzip sehr freundlich, aber er kann schon ganz gut zwischen Freund und Feind unterscheiden.

    Vielleicht noch was Spezielleres über Linda? Die geht in Wesselburen zur Schule und wird sicher im nächsten Sommer ihre mittlere Reife hinter sich haben. Was sie danach vorhat, das weiß sie aber noch nicht so ganz genau.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass Linda schon ihren Weg machen wird, welchen auch immer. Wenn sie ein Ziel vor Augen hat, lässt sie nicht locker. Manchmal kann sie natürlich auch ziemlich verpeilt sein, aber so sind Mädels in dem Alter wohl.

    Ich würde jetzt gerne noch mal auf Heiner Ohlsen zurückkommen. Heiner ist schon etwas älter als ich und ich habe ihn auch nicht durch die Schule oder sonstwie kennengelernt, sondern eigentlich durch meinen Zeitungs-Job. Das will ich jetzt aber nicht alles erzählen. Wichtig ist vielleicht nur, dass Heiner und ich ein oder zwei Kriminalfälle zusammen gelöst haben. Nein, tut mir leid, das stimmt doch nicht so ganz. Besser gesagt, wir haben etwas zur Lösung beigetragen. Es ging dabei tatsächlich um den einen oder anderen Mord, und da waren natürlich die Profis voll beteiligt, allen voran die Hauptkommissarin Jutta Weishaupt aus Itzehoe. Ich habe an anderer Stelle schon davon berichtet.

    Was ich nur damit sagen will: Mit Heiner habe ich gemeinsam schon einiges erlebt, und dann ist es wohl ganz normal, dass man dann irgendwie miteinander verbunden ist. Anders ausgedrückt: Heiner ist natürlich ein ganz anderer Typ als ich, aber wir kommen gut miteinander klar und sind richtige Freunde geworden. Meinetwegen auch richtige Kumpel, ich sehe da keinen großen Unterschied zwischen den Wörtern Freund und Kumpel.

    Eines muss ich wohl noch erwähnen: Mein Heimatdorf heißt Wesselburener Deichhausen. Ganz schön langer Name. Aber ich finde es prima hier. Viel Platz, viel frische Luft, ihr merkt schon, ich bin so eine Art Lokalpatriot. Das Dorf ist zwar etwas abgelegen, aber wenn man motorisiert ist, ist man bald in Wesselburen oder in Heide. Da bin ich ja auch zur Schule gegangen. Übrigens habe ich auch einen fahrbaren Untersatz, nämlich unseren Polo. Der ist zwar schon etwas älter, aber gut in Schuss. Gehört auch zum Betrieb. Und natürlich der alte Unimog, Vaters Hobby-Fahrzeug. Den darf ich im Prinzip immer fahren, damit die Zylinder nicht verschlammen. Vater kommt selbst eher selten zum Unimogfahren.

    Ansonsten bin ich auch häufiger mit dem Rad unterwegs, ich habe ein normales Rad, um mal damit nach Heide zu fahren, aber auch ein Rennrad. Vaters altes Rennrad, das ich aber selbst sozusagen restauriert habe. Nur, jetzt haben wir eher Winter, da macht Fahrradfahren nicht so wirklich Spaß. Ihr versteht sicher, dass ich im Moment lieber den Polo oder den Unimog bewege.

    Heiner und Donald habe ich ja schon erwähnt, aber ich will auch meinen Kumpel Felix Mahn aus Hillgroven nicht vergessen. Den habe ich sozusagen aus der Schulzeit herübergerettet, genauso wie Donald. Felix ist ein cooler Typ, der gerne auf dem Motorroller vor sich hinknattert, aber er hat sich, soweit ich weiß, wohl gerade ein kleines Auto angeschafft, mit dem er jeden Morgen zu der Wesselburener Filiale der Dithmarscher Volks- und Raiffeisenbank düst. Da ist er Auszubildender, obwohl Lehrling irgendwie realistischer klingt. Am Anfang war Felix von seiner Stelle nicht so voll begeistert, aber inzwischen sieht er das wohl etwas positiver.

    Felix ging auch mal eine Zeitlang mit meiner Schwester, aber vielleicht auch nur ein paar Wochen. Heiner übrigens auch. Linda lässt so leicht nichts anbrennen, man lernt bei uns auf dem Lande ja auch nicht dauernd irgendwelche neuen Typen kennen. Da nimmt man schon gerne mal, was gerade angeboten wird.

    Und wie sieht es bei mir so aus mit der Damenwelt? Gar nicht so leicht zu beantworten, aber ich versuche es trotzdem mal: Bis vor ungefähr einem halben Jahr lief bei mir praktisch gar nichts in dieser Hinsicht. Möglicherweise hat mich der eine oder andere auch schon für schwul gehalten. Dann habe ich mich aber ganz plötzlich in Maren Reimers verknallt, Klassenkameradin meiner Schwester. Maren war aber erst vierzehn. Eventuell ist sie immer noch nicht fünfzehn, da müsste ich mal Linda fragen. Mit Maren lief, wie soll ich sagen, in erotischer Hinsicht nicht so wirklich viel ab. Sie war eben einfach zu jung für mich. Dann kam Maja, Maja Schulzik. Auch Volontärin beim Dithmarscher Landboten. Die hat mich praktisch entjungfert, aber danach ging es immer so hin und her mit ihr. Ihr richtiger Freund war ich dann doch nicht, später aber so halbwegs, dann sogar vollständig, dann aber wieder gar nicht. Klingt etwas kompliziert, aber so war es auch. Dann gab es noch eine Gwyneth aus Bad Hersfeld und eine Bente Kristensen aus Dänemark. Habe ich jetzt irgendjemanden vergessen?

    Gut, ich könnte noch ein paar Mädels aus Brasilien erwähnen, mit denen Donald Petersen und ich mal in Kiel abgefeiert haben und dann später noch mal bei Donald in Heide.

    Ich will damit nur sagen, den größten Teil meiner Jugend habe ich eher frauenfrei verbracht, im letzten halben Jahr ist da aber so viel passiert, dass ich das gar nicht so kurz rüberbringen kann.

    Aber jetzt mal zum aktuellen Stand der Dinge.

    Wir haben heute Montag, den 21. November. Ich überlege gerade, ob ich das Jahr auch erwähnen sollte, aber das kann ja sowieso jeder in seinen gesammelten Kalendern nachchecken. Na gut: 2011. Also der 21. November 2011.

    Maja hat gerade Schluss mit mir gemacht. Vor ein paar Stunden, als ich bei ihr in der Redaktion war. Es gab da vorher so ein paar Missverständnisse wegen des vorigen Wochenendes. Da habe ich bei Donald in Heide gefeiert. Ich war von einem reinen Junggesellenabend ausgegangen, mit Donald, Heiner und Felix, aber Donald hatte heimlich die vier brasilianischen Mädels aus Kiel importiert. Das war schon eine lustige Party, kann man sagen. Allerdings auch keine Sex-Orgie, ehrlich nicht. Das hat Maja mir aber nicht abgenommen, sie hatte Donald mit den Brasilianerinnen in der Fußgängerzone gesehen und da war für sie alles klar. Dann hatte ich ja noch diesen Knutschfleck am Hals, zwar durch Pflaster getarnt, aber die Tarnung hat Maja voll erkannt und mir das Pflaster abgerissen. Da halfen keine Erklärungsversuche mehr, da hatte ich sozusagen verspielt bei Maja. Dumm gelaufen.

    Ich verbringe also in eher trüber Stimmung den Rest des Arbeitstages und will mich auf dem Heimweg etwas mit dem Kauf von frischem Backwerk von Bäcker Scharbau in Lohe-Rickelshof aufmuntern. Vielleicht will ich mich auch mit dem Anblick der süßesten Bäckerei-Fachverkäuferin von ganz Dithmarschen aufmuntern, die ich schon seit einiger Zeit immer wieder etwas angehimmelt habe.

    Aber jetzt kommt’s: Ich bin der einzige Kunde, sie ist die einzige Verkäuferin. Sie bittet mich, eine Spinne im Lagerraum zu beseitigen, weil ich ja so schön groß bin. Tue ich ja gerne. Danach kommen wir uns auf dem engen Flur etwas zu nahe und sie fällt über mich her. Ein unabhängiger Zeuge würde vielleicht sagen, dass ich über sie hergefallen bin. So sehe ich das aber nicht, weil ich bis zu dem Zeitpunkt gedacht habe, sie sei verheiratet. So weit ist es mit Heiko Timmermann noch nicht, dass er verheiratete Frauen nicht respektiert.

    Sie erzählt mir dann aber, sie würde den Ehering nur tragen, um anbaggernde Männer abzuschrecken und sie sei frei und ledig und außerdem würde sie auch noch ausgerechnet Heike heißen.

    Heike und Heiko? Das ist hier die Frage.

    Ich bin nicht die Bohne verheiratet, Heiko, ehrlich, ich bin frei wie ein Vogel. Aber wie sieht es eigentlich mit dir aus?

    Pause.

    Die heftige Knutscherei hat mich völlig durcheinandergebracht und ich fühle mich so wackelig wie ein Schokopudding. Im Hundertstelsekundentakt schießen mir jede Menge Bilder durch den Kopf. Angenehme, ja sogar sehr angenehme, aber auch äußerst unangenehme. Ich sehe mich in einem halben Jahr mit Heike vorm Traualtar in der St. Jürgen-Kirche stehen, ihr weißes Brautkleid kann die Schwangerschaft aber nicht so ganz verbergen. Vor der Kirche werden wir von der Belegschaft von Bäcker Scharbau mit Brötchenkrümeln beworfen, nach der Hochzeitsfeier fahren wir im Unimog in die Flitterwochen nach St. Peter-Ording.

    Hilfe!

    Heike schaut mich erwartungsvoll mit ihren dunklen Augen an.

    Also, sage ich, ich bin eigentlich schon in festen Händen. Tut mir echt leid.

    Blöder Spruch, denke ich, und gelogen ist das sowieso. Ich muss raus hier.

    Schade, Heiko, sagt sie, kann man da wirklich nichts machen?

    Nee, sage ich, so ist das nun mal.

    Sie gibt mir noch einen Kuss, aber diesmal nicht mehr so ganz leidenschaftlich, eher so einen Wäre-schön-gewesen-Kuss. Wir lösen uns voneinander und sie geht voraus in den Verkaufsraum und packt mir eher geschäftsmäßig meine acht Loher Lümmel ein.

    Ich zahle, dann sage ich noch: Es gibt ja noch mehr Spinnen.

    Sie schaut mich doch ziemlich traurig an, als ich schon an der Tür stehe und tschüs sage. So traurig, dass ich am liebsten sofort wieder umkehren würde, um die Gästeliste für die Hochzeit mit ihr zu besprechen. Aber jetzt ist es zu spät, ich gehe.

    Tschüs, Heiko, höre ich noch.

    Mit meiner Brötchentüte gehe ich zum Unimog, steige ein, schnalle mich an und muss noch einmal kurz vorglühen, bevor der Motor anspringt. Musik auf mittlerer Lautstärke, hoffentlich baut Vater bald die neue Anlage ein, damit man vernünftig was hören kann. Ich muss noch auf ein paar Autos warten, die an mir vorbeiziehen, dann kann ich den Blinker setzen und rolle langsam auf dem Loher Weg dahin in Richtung Persenweg. Mir ist gar nicht extra.

    Wenn man mal den eingebauten Psychotherapeuten brauchen könnte, ist er natürlich nicht an Bord. Dr. Timmermann, wer weiß, wo der sich wieder rumtreibt. Es könnte natürlich auch sein, dass er der Meinung ist, ich wäre auf dem richtigen Weg. Okay, denke ich, während ich am Ende des Loher Weges anhalte. Stopp. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, weiter geradeaus auf den Persenweg. Heute fahre ich mal wieder über Wöhrden, ist ja mal ‘ne andere Strecke. Ganz schön heftiger Tag. Erst Schluss und Aus mit Maja und dann kneife ich auch noch bei, wie heißt sie noch mal, Heike. Heiko und Heike, nee, ist vielleicht besser so. Ich glaube, ich brauche einfach mal ein bisschen Freiheit. Und ich muss mir auch mal ein paar Gedanken über meine Zukunft machen. Im Sommer habe ich das eine Jahr Volontariat hinter mir und dann muss es ja irgendwie weitergehen. Vielleicht doch in Kiel an der Fachhochschule Journalistik studieren, heißt das eigentlich so oder doch Journalismus? Nee, Journalistik ist wohl doch richtig. Oder sollte ich doch zur Kripo wechseln, wie die Weishaupt vorgeschlagen hat. Herr Timmermann, solche Leute wie Sie brauchen wir bei der Kriminalpolizei. Oder so ähnlich. Jedenfalls hat sie das ernst gemeint, das war kein Witz oder so. Ich muss das alles noch mal gründlich überdenken.

    Das Gewächshaus von Bio Westhof, an dem ich gerade vorbeifahre, ist ja wirklich riesig. Da könnte man wahrscheinlich die Truman Show Folge 2 drin drehen. Ich stelle mir gerade vor, ich wäre auch so jemand, dem alle beim Leben zugucken würden. Was würden die denn wohl jetzt so von mir denken? Die Zuschauer beschweren sich, weil Heiko Timmermann nichts mit der Bäckerin angefangen hat. Dabei hätte es doch so gut gepasst. Nahtloser Übergang von Maja zu Heike. Nur ein paar Stunden Pause zwischendurch.

    Gefällt mir nicht. Ich brauche eine etwas längere Pause. Und außerdem, vielleicht kann ich Maja doch noch mal später erklären, wie das wirklich war mit der Party bei Donald. Ich muss auch mal mit meiner Schwester Linda über Maja reden, damit sie Bescheid weiß. Linda ist ja praktisch auch eine Freundin von Maja. Ob Maja überhaupt noch nach Wesselburener Deichhausen fahren wird? Warum sollte sie eigentlich nicht, Linda kann doch nichts dafür, wenn Maja mit mir nicht klarkommt.

    Solche und ähnliche Gedanken bewegen mich, während ich an der Autolackiererei Stamer und dem Landmaschinenhandel Meifort vorbei durch Wöhrden fahre und schließlich über den Wöhrdener Kreisel in Richtung Heimat steuere. Es ist schon dunkel, ungefähr halb sechs, als ich auf unserem Hofplatz ankomme und den Unimog abstelle.

    Kleiner Nachtrag zum heutigen Wetter: Temperatur zwischen 0 und 6 Grad Celsius, Himmel bedeckt, hier und da leichter Regen, teilweise wird auch die eine oder andere schüchterne Schneeflocke gesichtet. Sonnenuntergang übrigens 16.14 Uhr. Aber wenn die Sonne nicht scheint, sieht man sie auch nicht untergehen.

    Ich habe es irgendwann schon mal erwähnt, aber ich kann das ja ruhig mal wiederholen, jetzt passt es gerade, wir haben so eine Art ehemaligen Bauernhof mit großzügigem, aber altem Haus, jeder Menge Nebengebäuden, Garagen für die Fahrzeuge und so weiter. Der Hofplatz ist außerdem beleuchtet, also kann ich mich auf dem Weg ins Haus auch nicht verlaufen. Stromer kommt gerade angehechelt und streicht mir ein bisschen um die Beine. Vielleicht hat er auch nur die frischen Brötchen gerochen. Geht’s gut, Alter?, frage ich ihn und bekomme ein leichtes Schweifwedeln als Antwort.

    Ich gehe rein, Stromer muss natürlich draußen bleiben, er darf nur zu ganz besonderen Anlässen ins Haus. Ich gehe übrigens durch die Hintertür, manchmal sagen wir auch Hoftür dazu. Dann bin ich im Flur und könnte durch die Vordertür gleich wieder nach draußen gehen, aber das habe ich natürlich nicht vor. Ich hänge meine Jacke im Flur auf und erkenne schon an den anderen anwesenden Kleidungsstücken, dass offensichtlich alle an Bord sind. Ist ja auch dunkel draußen und etwas ungemütlich. In dieser Jahreszeit ist Vater auch schon ziemlich früh zu Hause, landwirtschaftlich läuft da nicht mehr so viel, im Sommer und Herbst sieht das natürlich ganz anders aus.

    Rein in die gute Stube. Schön warm und hell hier, im Hintergrund dudelt irgendwo RSH vor sich hin, wahrscheinlich in der Küche. Bin wieder da, rufe ich und mache mich mal auf den Weg dorthin, wo Mutter vermutlich schon mit den Vorbereitungen fürs Abendbrot beschäftigt ist. Richtig vermutet, sie hat ihre Hände in einer großen Rührschüssel mit Hackfleisch vergraben. Es riecht intensiv nach Zwiebeln, ein paar Eierschalen liegen auf dem Tisch. Aha, es sieht nach Frikadellen aus.

    Hallo Heiko, sagt Mutter.

    Ja, hallo, sage ich, gibt’s heute Frikadellen zum Abendbrot?

    Ja, hat Vater sich gewünscht.

    Ich hab‘ ein paar Brötchen mitgebracht, berichte ich, dann könnten wir ja Hamburger essen.

    Gut, Heiko, ich wollte schon die krausen Nudeln rausholen, aber Hamburger mit frischen Brötchen, das ist auch keine schlechte Idee.

    Ich merke eigentlich jetzt erst, dass ich ziemlichen Hunger habe. Kein Wunder, heute Mittag habe ich nichts Vernünftiges gegessen, ich war innerlich wohl zu sehr mit dieser ganzen Maja-Problematik beschäftigt, da hatte ich überhaupt keinen Appetit.

    Du siehst ja ziemlich angegriffen aus, Heiko, ist irgendwas passiert?

    Mutter kriegt doch immer alles mit, selbst wenn man den Eindruck hat, dass sie einen noch gar nicht richtig angeguckt hat. Ich überlege kurz, ob ich jetzt einen auf cool machen soll oder lieber doch erzählen sollte, was Sache ist. Ich entscheide mich blitzschnell für Erzählen, erstens kommt es sowieso raus und zweitens kann ich meine Geschichte loswerden. Ist vielleicht nicht das Verkehrteste.

    Ja, sage ich, zwischen Maja und mir ist es aus.

    Mutter unterbricht den Hackfleisch-Knetvorgang für zwei Sekunden und schaut mich überrascht an.

    Ach Gott, Heiko, sagt sie, das tut mir ja leid. Und ich dachte vorhin gerade noch, dass ihr euch doch immer so gut versteht. Wie kann das denn angehen?

    Es gab ein bisschen Stress wegen meinem Wochenende bei Donald. Er hatte auch ein paar Mädels eingeladen und das hat Maja eben erfahren. Sie fand das wohl nicht so toll. Und dann war es eben aus zwischen uns.

    Ach, meint Mutter, die wird sich das bestimmt noch mal überlegen, Heiko. Nimm das man nicht so tragisch. Kannst du mir mal den Pfeffer geben? Übrigens, da ist noch Kaffee da für dich.

    Kein schlechter Gedanke. Ich gieße mir einen Becher Kaffee ein und wechsle mal herüber in unseren Wohnbereich, wo Vater in seinem Lieblingssessel sitzt und gerade fasziniert auf einen Artikel im Bauernblatt starrt.

    Moin Vater.

    Moin Heiko.

    Knapper Männerdialog am frühen Abend. Ich setze mich auf die Couch und blättere in der Funk Uhr, während ich ab und zu an meinem Kaffeebecher nippe. Was gibt es denn heute im Fernsehen, frage ich mich. Eine Doku über Krokodile im Ersten. Im Zweiten ein Beziehungsdrama. Nein danke, habe ich heute schon selbst gehabt. Science Fiction haut mich jetzt auch nicht um. Irgendwas Comedymäßiges, damit ich wieder auf andere Gedanken komme? Gags am laufenden Band, aber erst um halb elf. Ist mir eigentlich doch zu spät, ich muss morgen wieder früh raus. Also kein Fernsehabend, vielleicht guck‘ ich mir nachher noch ein paar Clips bei YouTube an. Mal sehen.

    Bis nachher, sage ich in Richtung Vater und verziehe mich nach oben. In Lindas Zimmer tönt We Found Love von Rihanna, so was hört meine Schwester gerne, außerdem tönt Linda persönlich, klingt aber eher nach Handy-Telefonat. Nicht dass ihr denkt, dass sie gerade am Mitsingen ist. Das wäre auch nur schwer zu ertragen, denn Linda ist bemerkenswert unmusikalisch und trifft nur selten den richtigen Ton. Ich gehe in mein Zimmer und stelle fest, dass es leider in einem ziemlich unaufgeräumten Zustand ist. Ist noch ein bisschen Zeit bis zum Abendbrot, also kann ich mal ein bisschen klar Schiff machen. Noch mal kurz lüften, Bett machen und so weiter. Wir haben keinen vollen Service zu Hause, bei uns muss jeder im Prinzip seinen Kram selber machen. Nur Lasse kriegt sein Bett noch von Mutter gemacht, aber sie arbeitet schon dran, dass er das demnächst übernimmt. Ich finde das alles auch ganz okay so, Mutter hat ja auch voll im Betrieb zu tun, allerdings eher im Büro und nicht auf den weiten Feldern von Dithmarschen. Es soll ja auch Eltern geben, die ihren Gören alles abnehmen und sie auch dauernd voll unter Kontrolle haben müssen. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass ich noch die Schulbank gedrückt habe, und es gab sogar in meinem Abiturjahrgang einen, der immer von seiner Mutter zur Schule gebracht und wieder abgeholt wurde. Obwohl er nicht behindert war, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Er kam auch nicht aus Dellstedt, Dörpling oder Kleve, sondern tatsächlich aus Heide. Ich glaube, er hätte fünf Minuten mit dem Fahrrad zur Schule fahren können oder meinetwegen zwanzig Minuten zu Fuß gehen können. Na gut, seine Mama hatte wahrscheinlich sonst nichts zu tun.

    So, noch mal kurz den Staubsauger holen und einmal durch mein Zimmer düsen. Was macht der jetzt für komische Geräusche? Ach so, es klopft an meiner Tür. Sogar ziemlich heftig. Ich stelle den Staubsauger ab. Das Düsengeräusch verebbt allmählich.

    Ja?

    Es ist Linda, mein Schwesterherz. Sieht ungefähr so aus wie ich, nur etwas weiblicher und mit längeren Haaren.

    Hallo Heiko, ich komm‘ mal kurz rein.

    Das sehe ich. Sie macht die Tür zu und setzt sich auf eine Sessellehne meiner gepflegten Ikea-Sitzgruppe. Irgendwas will sie jetzt, also stelle ich den Staubsauger mal zur Seite, eigentlich war ich sowieso schon fertig mit Saugen, und ich setze mich zu ihr.

    Ich hab‘ gerade mit Maja telefoniert, sagt Linda ohne Umschweife.

    Das glaube ich jetzt nicht, Maja hat also gleich meine Schwester angerufen und sich über mich beschwert. Ja, gibt’s denn so was überhaupt.

    Ich hab‘ bei ihr angerufen, fährt Linda fort, weil ich sie schon länger nicht gesehen habe. Ich wollte einfach mal fragen, ob sie nicht Lust hätte, mal wieder bei uns vorbeizukommen.

    Bei uns vorbeikommen ist bis vor kurzem eigentlich eine von Majas Spezialitäten gewesen. Teilweise kam sie ja auch direkt zu mir, aber mehr in letzter Zeit, vorher eher zu Linda. Linda ist ja merkwürdigerweise so etwas wie eine beste Freundin von Maja, obwohl Linda ja um einiges jünger ist. Ein bisschen seltsam ist das schon, aber meine Schwester ist eben so ein spezieller Typ, im Grunde genommen ist es eigentlich ganz egal, wie alt sie tatsächlich ist. Sie könnte auch als achtzehn durchgehen. Auf jeden Fall ist sie durchaus Maja-kompatibel, jedenfalls aus Majas Sicht. Aber das habe ich eventuell an anderer Stelle schon mal erwähnt.

    Dann weißt du ja jetzt Bescheid, sage ich ziemlich kurz angebunden. Ja, antwortet Linda, Maja hat mir alles erzählt, dass du dich heimlich mit diesen ganzen Weibern bei Donald getroffen hast und so weiter.

    Ich finde diese Beurteilung der Sachlage ziemlich daneben und beginne meine Regierungserklärung, die unter anderem davon handelt, dass ich ein armes Opfer der Umstände bin und dann auch noch unter den Folgen von Missverständnissen zu leiden habe. Linda guckt mich mit einem Blick an, der ungefähr bedeutet, dass sie mir ja gerne glauben würde, die Tatsachen sprächen aber eher gegen mich und so weiter und so fort. Außerdem fixiert sie ständig das Pflaster an meinem Hals, was mich schon ein wenig nervös macht. Die Geschichte, dass ich mich beim Rasieren geschnitten hätte, hat sie mir ja heute Morgen schon nicht ganz abgekauft.

    Kann ich dir alles in Ruhe erklären, sage ich, aber im Moment muss ich noch…

    Abendbrot!, schallt es durchs Haus. Diesmal ertönt Vaters Stimme, die bedrohlich nach Hunger klingt.

    Komm, lass uns schnell runter, sage ich, heute Abend gibt’s Hamburger.

    Familie Timmermann ist vollzählig am Tisch angetreten, ein großer Teller mit handverlesenen Frikadellen steht in der Mitte, außerdem Brötchen, Ketchup, Remoulade, Röstzwiebeln, Gurkensalat. Herz, was begehrst du mehr. Vater hat sich ein Dithmarscher Pilsener gegönnt, ich eifere ihm gleich nach. Lasse und Mutter halten sich an Milch, Linda hat ihre Kanne mit Heubusch vor der Nase. Ja, ich weiß, das Zeug heißt Rooibos-Tee, Aspalathus linearis. Aber ich finde, Heubusch klingt besser und außerdem kann man Linda damit ärgern.

    Mutters Guten Appetit allerseits geht im allgemeinen Gewühle unter. Es wundert mich immer wieder, dass nur fünf Leute so eine Menge Krach beim Essen machen können. Wenn man das mal hochrechnet, müsste man mit ungefähr fünfzig Timmermanns eigentlich ein solides Gebäude zum Einsturz bringen können. Aber das kommt nur selten vor, dass wir so viele sind, obwohl Vater immer noch vom großen Timmermann-Treffen im Gasthof Leesch in Reinsbüttel vor ungefähr zwei Jahren beseelt ist. Aber Leesch steht noch.

    Allgemeine Gespräche kreuz und quer, der Beruf, die Schule, was macht eigentlich der, was macht eigentlich die. Was gibt’s denn im Fernsehen, da bin ich ja noch voll informiert und gebe meine Infos gleich weiter. Gar nicht Millionär heute, doch, ich glaube schon, danach sogar Bauer sucht Frau.

    Mutter ist voll zufrieden, Wer wird Millionär und Bauer sucht Frau gehören zu ihren Favoriten. Vater ist halb zufrieden, er guckt Millionär auch ganz gerne und rät dann immer fleißig mit, aber die Sendung mit den frauensuchenden Landwirten findet er ziemlich ätzend. Linda und ich erklären jedenfalls gleich unsere Bereitschaft, später den Tisch abzuräumen und die Küche auf Vordermann zu bringen. Zahlreiche elterliche Sympathiepunkte schweben in unsere Richtung. Lasse hat wohl damit gerechnet, dass er mal wieder davonkommt, aber Linda schließt ihn sicherheitshalber mit ein: Und Lasse hilft natürlich auch mit.

    Das Gesicht solltet ihr mal sehen.

    Das Abendbrot ist beendet, die jüngere Generation macht sich nach dem Abräumen auf den Weg in die Küche. Lasse erklären wir zum Ober-Abwäscher, er spielt ja sonst auch gerne mit Wasser. Er verbucht das auch gleich als Waschen, dann braucht er sich vorm Zubettgehen nur noch die Zähne zu putzen. Ich trockne ab, muss aber Lasse das eine oder andere noch mal als Reklamation zureichen. Linda räumt ein und stellt dann schon mal die Sachen fürs Frühstück in Bereitschaft. So, alles klar jetzt? Vielleicht noch mal kurz durchfegen, sieht aber so weit ganz ordentlich aus. Arbeitseinsatz beendet, wir entlassen Lasse, was aber jetzt kein Wortspiel sein soll. Er verlässt jedenfalls ganz erleichtert die Küche. Lasse soll um neun im Bett liegen, vorher düst er wahrscheinlich noch ein bisschen herum oder hängt eventuell sogar bei den Eltern vor der Glotze ab.

    Es ist kurz vor acht, da könnte man ja eigentlich mal die Tagesschau sehen, als angehender Journalist soll man ja immer voll informiert sein. Ich gehe ins Wohnzimmer, Linda hat wohl im Moment auch nichts Besseres vor und folgt mir einfach. Familie Timmermann ist bis auf Lasse feierlich vorm Fernseher versammelt. Marc Bator legt los: Innenausschuss tagt zum Thema Rechtsterrorismus, Proteste gegen Militär in Kairo, Konservative gewinnen Wahl in Spanien, Schuldenkrise in Griechenland, Regierungsbildung in Belgien gescheitert, Verhandlungen in den USA zum Haushalt gescheitert, Obama streichelt einen Truthahn, Energiewendekosten werden auf Privathaushalte umgelegt, Stromnetz muss massiv ausgebaut werden, Nebel, Sonne, Wolken, leichter Nachtfrost, morgen Temperaturen bis vier Grad.

    Gut, das werde ich jetzt nicht alles behalten können, aber wer kann das schon. Testet euch ruhig mal so ungefähr eine Stunde nach der Tagesschau, indem ihr alles aufschreibt, was ihr noch im Gedächtnis habt von den ganzen Nachrichten. Ich schätze mal, zwanzig Prozent bleiben höchstens in den kleinen grauen Zellen kleben. Das liegt vermutlich daran, dass die meisten Meldungen keine unmittelbare Bedeutung für einen haben. Mit Griechenland zum Beispiel habe ich persönlich nichts zu tun, aber die Sache mit dem Stromnetz könnte für unsereinen schon bedeutsam sein. Ich zahle ja nicht die Stromkosten, das regeln die Eltern, aber nachher heißt es Computer aus, wir müssen sparen, und dann kommt das Problem natürlich auch bei mir an. Oder wenn es um neue Stromleitungen geht, die habe ich eventuell ja dann auch selbst dauernd vor Augen. Bei uns in der Gegend gibt es sehr viele Windkraftanlagen, manche sagen auch einfach Windräder, die ganze Gegend ist im Prinzip schon ziemlich damit zugepflastert. Es ist schon toll mit dem Ökostrom, den liefert die Natur ja praktisch umsonst, ich möchte auch keine Atomkraftwerke vor der Nase haben, die sind nun wirklich nicht sehr vertrauenerweckend, aber schön sind die ganzen Windräder natürlich nicht. Man gewöhnt sich zwangsläufig dran, irgendwann nehme ich diese Dinger wahrscheinlich gar nicht mehr wahr. Übrigens ist Vater auch an so einem Teil beteiligt, außerdem überlegt er, unsere ganzen Dächer mit Sonnenkollektoren zuzupflastern. Aber ich glaube, bei ihm sind es eher ökonomische als ökologische Überlegungen. So, das waren Heiko Timmermanns Gedanken zur Tagesschau. Was machen wir denn jetzt?

    Was machen wir denn jetzt, fragt Linda mich auch gerade. Sie ist von der Couch aufgestanden, Wer wird Millionär interessiert sie nicht die Bohne, höchstens wenn da gerade ein knackiger junger Bursche auf dem Stuhl sitzt. Danach sieht es im Moment aber eher nicht aus.

    Zu mir oder zu dir, sage ich, wir können ja noch ‘n bisschen quatschen.

    Die jüngere Generation rückt ab, die jüngste Generation in Form von Lasse hat sich aber gerade wieder eingefunden und räkelt sich auf der Wohnzimmercouch.

    Viel Spaß noch und schon mal Gute Nacht, wünsche ich und mache mich mit Linda zusammen auf den Weg nach oben. Halt, noch mal kurz umkehren, zwei Weingläser holen. Den Korkenzieher brauche ich nicht, mein Original-Aldi-Wein verfügt über einen praktischen Schraubverschluss. Linda hat schon bei sich Licht gemacht, also gehen wir in ihr Zimmer. Sie zündet Kerzen an und legt Bravo Hits Nummer sowieso auf, glücklicherweise in verminderter Lautstärke. Ich schaue noch mal in meinem Zimmer nach dem rechten und tauche dann mit der Weinflasche in der Hand wieder bei Linda auf. Die Timmermann saufen ja alle gerne, aber erst nach der Konfirmation, allerdings am Wochenanfang eher in Ausnahmefällen. Ein solcher Fall scheint mir aber jetzt vorzuliegen. Wenn ich meine Schwester etwas mit Rotwein betäube, wird sie mir hoffentlich auch mal vernünftig zuhören.

    Also erzähl‘ schon, Heiko, was ist da eigentlich los zwischen Maja und dir? Bisher weiß ich ja nur, was Maja mir gesagt hat.

    Du hast mich ja auch noch gar nicht zu Wort kommen lassen, denke ich. Ich sage aber: Okay, das begann eigentlich schon damit, dass Maja wohl gerne wollte, dass ich mit ihr und ihrer Mutter zur goldenen Hochzeit von Oma & Opa nach Bad Bramstedt mitkommen sollte. Hat sie zwar nicht so ganz ausdrücklich formuliert, aber ich konnte schon merken, dass sie das gerne so gehabt hätte. Und am nächsten Wochenende, also am letzten Wochenende, war ja diese Fete bei Donald. Prost, Linda. Und ich ging davon aus, dass es voll der Männerabend wäre. Aber Donald hatte ‘ne nette kleine Überraschung geplant, er hat nämlich vier Mädels aus Kiel importiert.

    Und so weiter und so fort. Ich mache Linda allmählich plausibel, dass ich wirklich keine Ahnung vom Brasilien-Import hatte und dass ich erst recht nicht wissen konnte, dass Maja wohl schon am Samstag Donald und das brasilianische Quartett zufällig in der Stadt gesehen hatte. Wie gesagt, Linda glaubt mir das allmählich auch, besonders nach dem zweiten Glas.

    Gut, Heiko, versteh‘ ich auch voll, aber das mit dem Knutschfleck, das hätte natürlich nicht sein müssen. Der ist ja wohl nicht von Donald, Felix oder Heiner.

    Ha, ha.

    Also wenn ich Maja wäre, wäre ich auch total sauer auf dich. Aber ob ich gleich Schluss mit dir gemacht hätte, kann ich echt nicht sagen. Ich kenn‘ ja Majas Gefühle nicht so ganz genau.

    Der Wein beginnt auch bei mir zu wirken, wir reden noch ein bisschen über Maja und ob sie überhaupt noch mal bei uns vorbeikommen wird, wobei Linda eher doch davon ausgeht, ich jedoch weniger.

    Irgendwann haben wir uns dann aber doch ausgequatscht, es kommt irgendwie nichts Erhebendes mehr dabei heraus, und wir schließen die Krisensitzung. Normalerweise hätte Linda jetzt auch noch etwas über ihr Liebesleben vom Stapel gelassen, aber vielleicht hat sie gleich gemerkt, dass ich da heute nicht so recht drauf abfahren würde. Also gute Nacht, Schwesterherz, ich bringe die Gläser in die Küche und sage auch den Eltern noch einmal gute Nacht, die haben schon die Glotze ausgemacht und wollen sich offenbar auch zur Nachtruhe begeben.

    Es ist erst kurz nach elf, da könnte ich doch noch ein bisschen vorm Einschlafen lesen. Ich bin ja so ein Freund von altertümlichen Krimis, meist von englischen. Also solche Autoren wie Agatha Christie, Edgar Wallace oder Francis Durbridge. Die Geschichten handeln alle irgendwie zwischen 1930 und 1960, ist so mein Eindruck. Also in der Zeit, als man noch Telefone mit Wählscheiben hatte und Dampflokomotiven. Mich fasziniert die Handlung meist nicht so sehr, es sind eher die Personen und die Schauplätze.

    Ich habe in Vaters Bücherkiste, eigentlich müsste ich sagen, in einer seiner Bücherkisten, nach Lese-Nachschub gesucht. Dabei bin ich auf ein Taschenbuch gestoßen, das ich zunächst für einen deutschen Krimi gehalten habe. Das Buch heißt Mein Onkel Ferdinand und ist von einem Horst Biernath. Irgendwie hieß es auf dem Umschlag, dass der Onkel Ferdinand ein Detektiv wäre oder so ähnlich. Ich habe also angefangen das Buch zu lesen, fand es zunächst ziemlich blöd, dann aber doch ein bisschen weniger blöd. Der Held der Geschichte ist nicht der Onkel Ferdinand, sondern so ein junger Typ, der Name tut jetzt nichts zur Sache. Der ist jedenfalls Doktor der Chemie, verdient aber erstaunlicherweise wenig Geld und lebt noch bei seinen Eltern. Sein Vater ist Professor für irgendwas, ich glaube, Geschichte. Ferdinand ist das schwarze Schaf der Familie, er ist ein Bruder der Mutter. So eine Art Weltenbummler, Lebemann und Pleitegeier in einem. Ferdinand pumpt sich Geld vom Professor und eröffnet ein kleines Detektivbüro. Dieser junge Chemie-Doktor hilft ihm ein bisschen aus beim Ermitteln. Dabei lernt er dann eine leckere junge Frau kennen, die eine Leihbücherei betreibt. So etwas gibt es heutzutage gar nicht mehr, eine private Leihbücherei. Gab es aber früher tatsächlich, sogar in Heide. Das hat mir mein einer Opa mal erzählt. Im Schuhmacherort, glaube ich, in so einem Zeitschriftenladen.

    Worauf will ich jetzt eigentlich hinaus? Ich will nur damit sagen, dass es eigentlich doch kein Krimi ist, sondern eher eine leicht kitschige Liebesgeschichte. Wäre vermutlich gut als Strandlektüre für Mutter geeignet. Aber ich habe jetzt schon so weit gelesen, da bin ich doch neugierig geworden, wie es wohl ausgehen wird. Vielleicht passiert ja doch noch was richtig Krimimäßiges. Aber nicht mehr heute. Licht aus, gute Nacht, Dithmarschen. Viertel vor sechs, der Wecker schlägt erbarmungslos zu. Bin ich schon wach? Muss ich ja wohl. Habe ich geträumt? Jedenfalls nicht von Maja, aber an irgendwelche Traum-Details kann ich mich nicht erinnern. So wirklich munter bin ich zwar noch nicht, aber ich wage mich mal aus dem Bett und ins Bad. Zum Glück noch nicht besetzt, das hätte sonst noch gefehlt. Es gibt ja manchmal etwas Kleinkrieg mit Linda deshalb, sie neigt dazu, sich morgens umfangreich vorm Badezimmerspiegel aufzustylen. Der Wein dröhnt noch etwas hinter meinem linken Schläfenlappen, man sollte in der Woche eben nicht so viel saufen. Aber egal jetzt, eine gepflegte Dusche mit meinem Lieblings-Duschgel bringt mich schon wieder in Form.

    Was ich in dieser Jahreszeit echt nicht abkann, ist diese totale Dunkelheit am Morgen. Wann geht denn heute die Sonne auf? Bloß nicht drüber nachdenken. Einmal an Lindas Tür klopfen, Bad ist frei! Ich ziehe mich einigermaßen ordentlich an, als Volontär will man ja nicht dumm auffallen. Halb zerrissene Jeans sind in der Redaktion eher nicht angesagt, es sei denn, es handelt sich um Designer-Teile ab 200 Euro aufwärts, wie Miss Landbote sie manchmal trägt. Ach so, die kennt ihr vielleicht noch nicht, ist sozusagen eine Kollegin von mir, so um die dreißig, blond, schlank, Fielmann-Brille, insgesamt ziemlich gut gebaut, die Tante. Sie ist aber meistens eher ein bisschen abweisend, arrogant wäre aber das falsche Wort. Blasiert könnte auch ein schönes Wort dafür sein, aber ich weiß eigentlich gar nicht so genau, was das bedeutet.

    Ich gehe runter. Bei dieser Gelegenheit verbreite ich mich noch einmal kurz über unsere Räumlichkeiten. Also: Altes, aber sehr geräumiges Haus mit ziemlich vielen großzügigen Zimmern. Im Erdgeschoss haben wir die Küche, die ist eigentlich auch ganz schön groß, und vor allem das Wohnzimmer. Das ist im Prinzip ziemlich riesig, aber auch ein bisschen verwinkelt. Da haben wir auch unsere Ess-Ecke, wo wir eigentlich sämtliche Mahlzeiten einnehmen. Man könnte auch mal in der Küche essen, aber das machen wir eher selten, zum Beispiel wenn nicht alle aus der Familie an Bord sind. Dann ist da noch der Flur, auch ziemlich groß, mit den beiden Türen nach vorne und nach hinten raus. Was gibt’s noch? Hauswirtschaftsraum mit Kühltruhen und so weiter, dann noch die Waschküche, die gehört aber eigentlich schon zum Nebengebäude. Im ersten Stock, also oben, haben wir sozusagen unsere Kinderzimmer und das Elternschlafzimmer. Ach ja, und das Bügelzimmer, wie Mutter immer sagt. Mit Fernseher, da legt sie sehr viel Wert drauf. Linda und ich sind übrigens eher zum Selber-Bügeln verdonnert, Lasse aber noch nicht. Wenn ich also gepflegt gebügelte Hemden haben will, muss ich sie selber am Bügelbrett bearbeiten. Das Bügelzimmer dient notfalls auch als Gästezimmer, dann muss eben irgendwo anders geplättet werden. So, ich hoffe, das reicht jetzt erstmal zur Architektur unserer Hütte.

    Moin, Mutter, sage ich, als ich mich dem angenehm gedeckten Frühstückstisch nähere.

    Ausgeschlafen, Heiko?

    So halb. Zeitung schon da?

    Ja, hab‘ ich schon durch.

    Vater schon los?

    Nee, der liegt noch. Der muss heut‘ nicht unterwegs sein, er hat nur was am Case zu reparieren.

    Case ist in diesem Fall kein Koffer, sondern einer von unseren Traktoren. Genau genommen Case Magnum, 340 PS. Ein ziemlich starkes Teil, ich hab‘ den auch schon mal gefahren. Ich habe ja Führerschein Klasse CE, damit darf ich alle unsere Unimogs und Trecker fahren, so richtig gewerblich aber noch nicht. Aber ich will ja auch nicht offiziell in Vaters Betrieb arbeiten, sondern bei der Zeitung.

    Mutter steht während der Schulzeit immer als erste auf, ich will lieber nicht darüber nachdenken, um welche Uhrzeit das ist. Vater muss im Prinzip ja auch immer sehr früh raus. In der Winterzeit ist im Betrieb aber nicht so super viel los, da kann er sich durchaus mal ein Extrastündchen Schlaf gönnen.

    Ich greife zu Kaffee und Zeitung. Natürlich unser heimisches Blatt, der Dithmarscher Landbote, der ja auch mein Brötchengeber ist. Aber Brötchen gibt es jetzt nicht, stattdessen Toast, den ich mir sorgfältig mit Leberwurst und Käse belege. Jetzt kommt Linda auch runter, trotz Styling sieht sie noch ziemlich verschlafen aus, ich hoffe für sie, dass sie nicht gleich Sport in der ersten haben wird. Linda frühstückt eher schweigend vor sich hin, im Hintergrund nervt RSH mein Gehör. Tut mir leid, ich weiß, das ist der Lieblingssender von ganz vielen Leuten, aber ich stehe nicht so da drauf. Mein Sender ist eher Delta Radio, da gibt es ganz ordentliche Musik und nicht so viel albernes Gelaber. Ich höre aber manchmal auch NDR Info, wenn mir eher der Sinn danach steht, mich zutexten zu lassen.

    Lasse kommt auch endlich an, er wirkt heute Morgen relativ munter. Wahrscheinlich ist er gestern Abend ausnahmsweise mal einigermaßen früh eingeschlafen.

    Und, Heiko, fährst du heute wieder mit dem Unimog, fragt Mutter. Ach nee, heute lieber mal wieder mit dem Polo. Ich muss auch mal wieder tanken.

    Wir haben zwar unsere eigene Zapfsäule auf dem Hof, aber nur für Diesel. Unser Polo ist aber an Super gewöhnt. Früher gab’s wohl noch Normal, aber heute ist Super eben normal. Vater hat mir das alles mal erklärt, diese ganzen Geschichten mit Klopffestigkeit und so weiter, aber davon ist bei mir nicht viel hängengeblieben. Aber vielleicht kriegt er noch Lasse eher in die Richtung Technik gedreht, zu dem passt das auch irgendwie besser. Ich bin nicht so der Typ fürs Handwerkliche. Ich freue mich zwar auch, wenn mir was in der Richtung gelungen ist, aber, wie soll ich sagen, ich bin da eben nicht so heiß drauf wie Vater. Dem macht das richtig Spaß, an unseren ganzen Fahrzeugen herumzubasteln.

    Allmählich habe ich den Landboten durchgearbeitet und auch mein gesamtes Frühstück. Die weltpolitischen Ereignisse, die gestern Abend in der Tagesschau eine Rolle spielten, werden auch in unserem Blatt entsprechend wiedergekäut. In Dithmarschen ist auch nichts besonders Aufregendes passiert. Okay, ich muss dann mal gleich los, lasse ich hören und räume mein Frühstücksgeschirr ab. Kleiner Blick aus dem Küchenfenster in Richtung Hofplatz: Leichter Raureif auf den Poloscheiben, ich werde wohl ein bisschen kratzen müssen. Tschüs everybody, rufe ich zum Abschied ins Wohnzimmer, hole dann meine Jacke aus dem Flur und mache mich vom Acker. Erstmal den Polo anwerfen und das Gebläse auf volle Kraft voraus. Sicher, das ist nicht sehr umweltfreundlich und soll angeblich auch dem Motor schaden, aber Vater sagt, das ist Quatsch, die Verkehrssicherheit ist viel wichtiger und was nützt es einem, wenn man mit halb zugefrorenen Scheiben gleich an der nächsten Kreuzung einen Unfall baut.

    Da es auch ein bisschen glatt sein könnte, fahre ich erst einmal relativ vorsichtig und langsam. Ich könnte jetzt natürlich durch Lohe-Rickelshof kurven und bei Heike ein paar belegte Brötchen fürs zweite Frühstück erwerben. Aber das lasse ich jetzt lieber mal, nachher denkt die noch, ich will sie ärgern. Will ich aber nicht. Eigentlich finde ich sie immer noch toll, obwohl ich ihr ja sozusagen einen Korb gegeben habe. Aber, nee, ich glaube, das war auch ganz richtig so für mich. Nicht schon wieder neuen Stress mit der Damenwelt. Es reicht mir schon, dass ich bestimmt bald wieder Maja über den Weg laufen werde.

    In unserer Redaktion, die heißt übrigens Heide, Dithmarschen-Nord, herrscht erstaunlicherweise schon Hochbetrieb. Normalerweise sind um diese Zeit noch nicht alle an Bord, manchmal ist natürlich auch schon der eine oder die andere unterwegs auf Recherche-Tour. Gute Gelegenheit, meine lieben Kollegen noch einmal kurz vorzustellen:

    Anna Brüggmann, ca. 55 Jahre alt, Brille, hat was kuschelig-mutti-mäßiges, Sören Callsen, ca. 40 Jahre, dunkles, kurzes Haar, Dolf Harder, ca. 35, blond, groß, etwas blass, Dreitagebart, Joachim Lorek, ca. 45, sieht aus wie ein Banker, Annika Piwek, ca. 30, im Prinzip sympathisch, Brille von Fielmann, Rolf Teichgraeber, auch ca. 30, sieht aus wie der typische Dithmarscher Jung und Holger Fuchs, ca. 40 Jahre, Brille, rötlicher Vollbart, sieht wirklich so ähnlich aus wie ein Fuchs.

    Ich muss noch mal ergänzen, dass Rolf Teichgraeber so etwas wie mein Mentor, Trainer oder Betreuer ist. Übrigens ist er auch wirklich Trainer, aber Fußball, bei der SG Westerdöfft. Bei dem Verein bin ich eigentlich ja auch, aber ich bin schon so ungefähr ein halbes Jahr lang nicht mehr hingegangen. Irgendwann schmeißen die mich wahrscheinlich raus, oder ich muss mich doch mal wieder dazu durchringen, zum Training zu gehen.

    Ich grüße alle Anwesenden sehr freundlich und ernte ein mittelmäßiges Echo. Dann setze ich mich an meinen Schreibtisch gegenüber von Rolf.

    Was hast du denn da am Hals, fragt er, klingt aber nicht wirklich nach echtem Interesse.

    Beim Rasieren geschnitten, sage ich.

    Soso. Sag‘ mal, Heiko, was macht dein Übungstext über den Marktfrieden?

    Diese Frage hatte ich befürchtet. Ich finde, dass Texte nur zur Übung irgendwie nicht sehr motivierend sind. Ich würde lieber an etwas arbeiten, was zumindest eine kleine Chance hat, demnächst in unserem Blatt veröffentlicht zu werden.

    Ist bald fertig, sage ich, aber ich müsste vielleicht noch ein paar Infos von den Veranstaltern einbauen.

    Gut, Heiko, da kannst du ruhig noch mal etwas herumtelefonieren.

    Du, Rolf…

    Ja?

    Wie sieht das denn aus mit meinem Artikel über Tellingstedt? Du hattest gesagt, der würde noch ein bisschen hinausgeschoben werden.

    Ach so, ja, Unsere Dörfer: Heute in Tellingstedt… Ich weiß, Heiko. Ja, wenn du mit dem Marktfrieden durch bist, kannst du dich gerne weiter mit Tellingstedt beschäftigen. Auch vor Ort recherchieren, du kennst das ja.

    Immerhin etwas. Ich beschließe also, mich heute noch einmal intensiv dem Heider Marktfrieden zu widmen und dann hoffentlich morgen mal nach Tellingstedt zu fahren und mir den Wind ein bisschen um die Nase wehen zu lassen.

    Wenn was ist, sagt Rolf noch, kannst du mich auf meinem Handy erreichen. Ich muss los, tschüs denn.

    Tschüs, Rolf.

    Rolf Teichgraeber ist nicht der einzige, der heute noch etwas vorhat, auch die anderen verschwinden allmählich, sogar Frau Brüggmann. Schließlich bin ich ganz allein und grabe in meinen Aufzeichnungen zum Thema Marktfrieden. Was das ist und was das soll, darüber habe ich mich an anderer Stelle schon einmal verbreitet, damit will ich euch jetzt nicht langweilen. Mein weiterer Vormittag geht dahin mit ein paar Anrufen, die auch einigermaßen erfolgreich verlaufen. Dann verbringe ich noch etwas längere Zeit im Archiv. Ich bekomme immerhin heraus, dass tatsächlich eine Menge Gäste aus dem In- und Ausland beim Heider Marktfrieden aufschlagen, also auch aus Dänemark, den Niederlanden oder Frankreich. Es sollen sogar schon mal ein paar Amerikaner aufgetaucht sein, aber vielleicht hatten die sich nur verfahren und waren nur zufällig bei uns erschienen.

    Mittagspause, mir knurrt der Magen, mir fehlt eben das zweite Frühstück von Bäcker Scharbau. Ich gehe in die Friedrichstraße zu Schlachter Fiebelkorn, da gibt es heute mal wieder Spaghetti Bolognese, esse ich gerne, obwohl mich das Gedrehe mit der Gabel ganz schön nervt. Spaghetti müsste man als Norddeutscher eigentlich mit Gabel und Schere essen dürfen. Maja ist nicht in Sicht, obwohl sie auch manchmal hier isst. Ich habe meinen kleinen runden Stehtisch im Moment für mich allein, da kann man durchaus mal etwas großzügiger die Ellenbogen ausfahren. Das kann ja sonst auch ganz schön schwierig sein, wenn man mit vier oder sogar fünf Leuten um so einen Minitisch herum steht und dann auch noch versucht, einigermaßen gesittet zu speisen. Aber jetzt schiebt sich gerade ein weiterer Spaghetti-Teller vorsichtig auf meinen Tisch. Klack, Gabel und Löffel, in Papierserviette eingewickelt, folgen. Ich rücke instinktiv ein wenig nach rechts.

    Oh, hallo Heiko!, höre ich da.

    Nein, das war jetzt nicht etwa Majas Stimme, aber der Ton war schon weiblich. Und zwar sehr weiblich. Ich drehe meinen Kopf fünf Strich West und erkenne: Mandy.

    Kurze Erholungs- und Erklärungspause: Mandy heißt wirklich so, das habe ich mir jetzt nicht einfach ausgedacht. Ich nehme es jedenfalls an, dass Mandy ihr tatsächlicher Vorname ist, ihren Personalausweis habe ich noch nicht gesehen. Woher ich die kenne? Sie saß Montag vor einer Woche, also gestern vor einer Woche, neben mir beim Essen in der Mensa der Fachhochschule Heide. Da bin ich bei Gelegenheit mal zum Mittagessen, wenn ich unterwegs bin. Es ist günstig und gut und eben auch mal eine andere Atmosphäre. Ein Kollege aus der Redaktion hat mir den Tipp gegeben. War es Harder oder doch Fuchs? Das weiß ich leider nicht mehr so genau. So, zurück zu Mandy: Sie hat in der Mensa neben mir gesessen und sprach mich, glaube ich, ganz spontan an. Oder war ich das? Nee, sie hat sich zu mir gesetzt und dann gesagt: Neu hier? Ich hab‘ dich hier noch nie gesehen. Übrigens: Mandy.

    Dann haben wir uns beim Essen ganz nett unterhalten und ich habe ihr erzählt, dass ich nicht studiere, sondern bei der Zeitung bin. Sie hat mir gesagt, was sie studiert, aber das habe ich nicht behalten. Ansonsten kann ich mich nur noch an ihre nicht unheftige Oberweite erinnern und an die ziemlich große, aber modische Brille. Es ist ja auch schwierig, sich ein Bild von jemandem zu machen, der genau neben einem sitzt. Dazu müsste man ja eigentlich aufstehen und sich dann gegenüber wieder hinsetzen. Das macht man natürlich nicht. Ich habe sie dann auch nur noch beim Weggehen etwas genauer betrachten können. Mein Urteil war: durchaus Heiko-kompatibel. Fehlt jetzt noch was? Ach ja, dass ich mich praktisch mit ihr in der Mensa für den nächsten Montag verabredet hatte.

    Das wäre gestern gewesen.

    Ja, hallo Mandy, sage ich. Wie geht’s denn, ergänze ich, obwohl das jetzt irgendwie nicht passt. So redet man eigentlich nur mit Leuten, die man gut kennt.

    Ach, sagt sie, ich war ‘n paar Tage erkältet, musste sogar im Bett liegen. Deshalb war ich gestern auch nicht in der Mensa, tut mir leid. Ich hoffe, du hast nicht auf mich gewartet.

    Nee, nee, lüge ich.

    Ich kann ihr ja wohl jetzt schlecht erzählen, dass ich sie schlicht und ergreifend völlig vergessen hatte.

    Ich rücke ein bisschen mehr nach rechts, um sie etwas genauer anschauen zu können. Ich ergänze meine bisherigen Daten um folgende Erkenntnisse: Das mit der Oberweite stimmt immer noch und auch das mit der Brille, sie hat blonde lange Haare, die aber nicht mehr so strähnig sind wie vor acht Tagen. Wahrscheinlich hat sie heute Morgen Haare gewaschen. Riechen auch ganz angenehm, ich habe eine Nase dafür. Sie ist außerdem schön groß, aber doch noch etwas kleiner als ich. Augenfarbe: Ziemlich dunkles Blau. Alter? Schwer zu schätzen, vielleicht zwischen zwanzig und dreiundzwanzig. Irgendwie so wie Bente Kristensen aus Dänemark, falls ich die schon mal erwähnt habe. Falls nicht, werde ich vielleicht noch mal auf die zurückkommen. Aber nicht jetzt, jetzt passt es überhaupt nicht.

    Und was macht dein Studium so, frage ich, war das nicht was mit Steuern? Ja, Betriebswirtschaft mit der Ausbildungsrichtung Steuern. Triales Modell. Ach ja, das hast du mir ja neulich schon mal erklärt, einerseits lernst du beim Steuerberater, andererseits machst du ein Studium. So eine Art Kooperation zwischen Berufsschule, Ausbildungsbetrieb und Fachhochschule.

    Das hast du ja gut behalten, Heiko, sagt sie. Und du machst eine Ausbildung beim Landboten, oder?

    Ja, sage ich, nennt sich Volontariat. Aber im Grunde genommen bin ich so eine Art Redaktionslehrling.

    Das habe ich das letzte Mal auch schon gesagt, fällt mir gerade ein. Wir drehen an unseren Spaghetti, immerhin sind wir hier ja beim Essen und nicht in der Talkshow.

    Bei welchem Steuerberater bist du denn eigentlich, frage ich. Bei Egge in der Bahnhofstraße, sagt Mandy und dreht dabei ihre letzten Spaghetti geschickt mit der Gabel in den Löffel.

    Das ist ja gleich um die Ecke von uns, denke ich. Von uns soll in diesem Zusammenhang bedeuten: gleich um die Ecke vom Wulf-Isebrand-Platz, also da, wo der Dithmarscher Landbote seinen Sitz hat. So ein Zufall aber auch. Oder ist das jetzt eher Schicksal? Diese Frage möchte ich mir lieber nicht beantworten. Außerdem fällt mir gerade ein: Egge, ist das nicht Vaters Steuerberater? Auch das noch. Dann ist Mandy ja voll informiert über unseren Betrieb. Das sage ich natürlich alles nicht, sondern schweige freundlich lächelnd für anderthalb Minuten vor mich hin.

    Mandy schaut mich auffordernd an. Sie hat bereits ihren Mund sorgfältig mit der Papierserviette abgetupft und hat das Besteck ebenso ordentlich auf dem Teller abgelegt. Jetzt muss ich aber dringend was sagen, ist so mein Eindruck. Irgendwelche Warnhinweise im Hintergrund? Gute Ratschläge von Donald Petersen oder Dr. Timmermann? Sieht nicht so aus, ich sage mir: Heiko, hier ist dein Bauchgefühl gefragt. Mein Bauch sagt mir: Hallo, hier spricht dein Bauch, grünes Licht für alle Aktionen.

    Also sage ich: Wie sieht’s bei dir aus, hast du diese Woche abends mal Zeit?

    Ja, sagt sie, nur heute ist schlecht, ich bin ja noch krankgeschrieben, muss gleich noch meinen Zettel vom Arzt zu Egge bringen. Aber morgen Abend wär‘ schon okay. Was hältst du vom Mex?

    Kurzer Einschub: Das Mex ist so eine Mischung aus Restaurant und Cocktailbar oder Kneipe, ganz nach Geschmack, im Schuhmacherort in Heide. Ich war da ein paarmal von der Schule aus, ist nicht schlecht da, aber auch nicht so toll, dass ich da jeden Abend gern abhängen wollte.

    Ja, okay, kenn‘ ich. Morgen Abend um acht?

    Ja, passt gut. Morgen Abend um acht im Mex.

    Mandy lächelt, sichtlich erfreut. Ich natürlich auch. Ich meine, ich bin natürlich auch erfreut. Allmählich gewöhne ich mich auch etwas an den Namen. Schon wieder mit M. Hoffentlich sage ich nicht aus Versehen Maja zu ihr.

    Du, ich muss jetzt leider los, Heiko, also bis morgen, ja?

    Ich nicke. Mandy bringt ihren Teller zum Tresen. Mir fällt gerade auf, dass wir im Moment die einzigen Kunden im Fleischerei-Fachgeschäft Fiebelkorn sind. Zum Abschied bekomme ich noch einen ebenso überraschenden wie flüchtigen Kuss auf die Wange, den ich nur sehr ungeschickt erwidere.

    Tschüs, Mandy.

    Tschüs, Heiko.

    Das dreiköpfige Team der Fleischerei-Fachverkäuferinnen lächelt vielsagend hinter der Aufschnitt-Theke. Ich versuche das zu ignorieren und schiebe vorsichtig meine letzten Spaghetti-Teilstücke und Hackfleischkrümel auf den Löffel.

    Ich bin wieder auf der Friedrichstraße. Oder sagt man in der Friedrichstraße? In the street but on the road, zitiere ich innerlich meinen alten Englischlehrer. Egal. Erst mal kräftig durchatmen. Temperatur fünf Grad Celsius, Luftfeuchtigkeit neunzig Prozent. Was mach‘ ich jetzt? Ich habe noch ein bisschen Zeit, also gehe ich noch mal kurz auf einen Becher Kaffee in die Back-Factory. Ich erwische einen freien Platz am Fenster, gucke etwas auf die Leute, die draußen herummarschieren und sinniere ein bisschen vor mich hin.

    Wow, das muss ich erst mal verarbeiten. Mandy. Warum eigentlich nicht? Ich bin frei und unabhängig, ich kann doch tun und lassen, was ich will. Also warum nicht mit Mandy im Mex verabreden. Spricht ja eigentlich nichts dagegen. Bei Egge arbeitet sie also. Und studiert nebenbei. Aber wie das alles so abläuft, das kann sie mir ja morgen Abend erzählen. Heiko, da bahnt sich was an. Aber jetzt erst mal ruhig bleiben und nicht so viel erwarten oder herumspekulieren. Bin ich jetzt eigentlich schon verliebt oder so was in der Art? Keine Ahnung. Das mit dem Kuss, das war ja schon toll. Andererseits verabschiedet sich heutzutage jeder Hans und Franz so. Sieht man ja auch dauernd in den Serien, die sich Linda immer reinzieht.

    Ich komme allmählich wieder runter von meiner kleinen Wolke und gehe die Friedrichstraße in Richtung Wulf-Isebrand Platz, zurück zum Landboten. Etwas beschwingter als sonst, das muss ich aber schon zugeben.

    Habe ich da nicht gerade Maja auf dem Flur gesehen? Ich sage noch: Hallo, M…, doch da ist sie schon verschwunden. Ob sie mich überhaupt wahrgenommen hat, bleibt unklar. Zumindest scheint sie heute auch an Bord zu sein und ist nicht krankgeschrieben wegen Beziehungsstress oder so etwas in der Art.

    Meine Redaktion ist nicht mehr so verwaist wie heute Vormittag, ich ernte ein Echo auf mein: Mahlzeit! von mindestens drei Anwesenden, darunter auch Frau Brüggmann, die eher selten unterwegs ist. Computer aus dem Mittagsschlaf erwecken, ich beschäftige mich weiter mit dem Marktfrieden. Allerdings ist mit diesem Thema nur meine eine Gehirnhälfte ausgelastet, die andere wiederholt ständig mein Fiebelkorn-Erlebnis mit Mandy, der Steuerberaterin, in einer Art Endlos-Schleife. So wie bei Bernd, das Brot, im KiKa nach Sendeschluss. Irgendwann gewinnt aber doch die Marktfrieden-Hälfte meiner grauen Zellen die Oberhand und ich beginne heftig zu arbeiten. Was mir jetzt nicht so ganz klar ist: Welche Zielgruppe spreche ich eigentlich mit meinem Übungstext an? Alle Leser des Landboten? Nur Auswärtige? Nur Heider? Nur Rolf? Nach drei Minuten Überlegung komme ich zum Schluss, dass natürlich alle Leser unseres Blattes angesprochen werden sollten. Darunter werden viele sein, die sich mit dem Marktfrieden gut auskennen, teilweise aber auch solche, die noch nie etwas davon gehört haben. Das macht die ganze Sache natürlich schwierig, und ich beginne im Prinzip noch einmal ganz von vorn.

    Es sind mitten am Nachmittag schon fast vier Seiten geworden, das ist natürlich viel zu viel. Also kürzen, streichen, zusammenfassen. Noch einmal lesen. Noch weiter kürzen.

    Irgendwann bin ich fertig. Rolf ist auch gerade hereingekommen und ich kann ihm meinen Text präsentieren.

    Schön, Heiko, sagt er nach intensiver Lektüre. Da hast du eigentlich alles Wesentliche gut reingebracht. Könnte man glatt bei Gelegenheit verwenden. Speicher das mal so ab, dass du das auch wiederfindest, wir kommen vielleicht noch mal drauf zurück. Und morgen…

    Ja, morgen…?

    Morgen kannst du dich dann wieder mit Tellingstedt befassen. Und wenn du dann noch mal vor Ort recherchieren willst, meldest du dich einfach ab, bei mir oder bei wem auch immer.

    Ja, prima, Rolf.

    Das finde ich sehr okay so. Offenbar haben meine Marktfrieden-Bemühungen Rolf doch so überzeugt, dass er mir wieder etwas mehr freie Hand lassen will. Diese Aussichten sind ja echt günstig. Ich mache mir noch ein paar Notizen für morgen, dann räume ich meinen Arbeitsplatz schön ordentlich auf und fahre den Rechner runter.

    Schönen Feierabend noch, dann gehe ich.

    Auf zum Polo, ich wollte ja noch tanken. Ich hätte natürlich noch mal im Internet nachgucken können, wo der Sprit in Heide im Moment am günstigsten ist, aber das habe ich eben verpennt. Ich tanke sowieso am liebsten bei Esso Pusch in der Nähe vom Marktplatz, einmal ist es auf dem Weg nach Hause, zum anderen ist mir die Tanke noch gut vertraut aus meiner Schulzeit, weil wir da in den Pausen oder Freistunden mal das eine oder andere erworben haben. Ich schätze mal, dass es gerade in den Pausen garantiert nicht erlaubt war, aber wir sind halt nie erwischt worden.

    Den Tankvorgang muss ich jetzt hoffentlich nicht schildern, es passiert ja nichts Außergewöhnliches dabei. Das Einzige, was ich jetzt noch dazu erwähnen könnte, ist, dass es ziemlich voll ist und dass ich darum etwas warten muss, bis ich an meiner Super-Säule anlanden kann. Was mich beim Tanken aber manchmal nervt, ist der Umstand, dass manche Leute offenbar nicht wissen, an welcher Seite ihres Autos sich der Einfüllstutzen befindet. Dann müssen sie sehr umständlich am Schlauch ziehen und sich echt einen dabei abwürgen. Oder sie haben ihr Auto so weit von der Zapfsäule entfernt abgestellt, dass kein anderer mehr an ihnen vorbeifahren kann. Geduld ist gefragt.

    Kleine Überraschung, als ich mit dem Polo auf unserem Hofplatz ankomme: Vater winkt mir hinter dem Werkstatt-Tor zu, ich soll doch gleich mal zu ihm kommen. Unser alter Unimog steht in der Werkstatt, ziemlich auf Hochglanz poliert. War er eigentlich jetzt schon zum TÜV?

    Diese Frage beantwortet Vater sogleich: Moin Heiko, war heute Nachmittag zum TÜV, alles in Ordnung mit der alten Mühle. Null Beanstandungen.

    Klasse, sage ich.

    Komm, wir setzen uns mal kurz rein.

    Vater besteigt den Fahrersitz, ich klettere von der anderen Seite rein.

    Und? Fällt dir was auf?

    Äh, was soll mir denn jetzt auffallen?

    Na, dann klapp‘ mal deine Ohren auf.

    Augenblicklich werde ich von allen Seiten heftig mit Musik beschallt. Nicht ganz nach meinem Geschmack. Die Musik, meine ich. Klingt sehr nach Welle Nord oder NORA. Aber der Sound, mein lieber Schwan, der ist wirklich super.

    Vier mal hundert Watt, Heiko, kommentiert Vater, hab‘ ich vorhin noch eingebaut. Hier ist der CD-Wechsler und da ist die USB-Buchse.

    Geil, sage ich, einfach geil.

    Ich erinnere mich und eventuell auch euch daran, dass ich mal ein bisschen gemault hatte wegen der schlechten Anlage im Unimog, und Vater hat dann bei Ebay was Gebrauchtes günstig geschossen. Das muss ja dann irgendwann von

    Enjoying the preview?
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