Restitution von Würde: Kindheit und Gewalt in Heimen der Stadt Innsbruck
Von Horst Schreiber
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Über dieses E-Book
ARMUT UND SOZIALE BENACHTEILIGUNG ALS URSACHEN DER HEIMEINWEISUNG
Er zeigt die Ursachen der Heimeinweisung auf, die vielfach in Armut begründet lagen, und beschreibt die sozialen Hintergründe der Heimkinder und ihrer Familien. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem Erziehungspersonal, den lange Zeit verheerenden Arbeitsbedingungen und der Frage, wie das gewalttätige Handeln so vieler zu erklären ist.
BETROFFENE BERICHTEN VON IHREM LEID
Auch die Betroffenen selbst kommen zu Wort: Sie erzählen von einem Aufwachsen im Abseits der Gesellschaft, ihrem täglichen Kampf gegen Übergriffe aller Art und vom Fortleben der Gewalt in ihren Körpern.
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Buchvorschau
Restitution von Würde - Horst Schreiber
Freundschaft.
Zum Wohle der Kinder?
Die Heime der Stadt Innsbruck
Die Jugendheimstätte Holzham-Westendorf
1893 wurde auf dem Anwesen der späteren Jugendheimstätte Holzham-Westendorf, Gut Deggenmoos, im Bezirk Kitzbühel ein Gebäude errichtet, das „obere" Badl, in dem schließlich eine Kuranstalt ihren Platz fand.1 Am 1. November 1917 erwarb der Verein für Ferienkolonien in Innsbruck vom Badwirt Balthasar Riedmann um 54.000 Kronen die Liegenschaft mitsamt einem ausgedehnten Grundbesitz, um sie als Sommererholungsheim für Kinder aus Innsbruck zu nutzen.2 Im Kaufvertrag ist die Rede von einer Behausung, mit der das Recht, ein Gasthaus zu führen, verbunden war; weiters von Zugebäuden, einem Gartl und einem Anger, zu dem die Befugnis, ein Heilbad zu betreiben, gehörte. Zur Liegenschaft, die einen Kilometer vom Dorfzentrum und zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt ist, zählten Wald, Weiden, Äcker und Wiesen. Da der Verein für Ferienkolonien das so genannte „Badwirtsanwesen nur zwei Monate lang im Sommer nutzte, verpachtete sie die Liegenschaft mit Ausnahme des Gebäudes („das neue Badhaus
) und des Gemüsegartens an den Verkäufer, der das gesamte Jahr die Aufsicht innehatte, während der beiden Sommermonate für die Wirtschaftsführung im Haus verantwortlich war und auch die Milchversorgung der Ferienkinder sicherstellte.3
Nach dem „Anschluss" löste der Stillhaltekommissar den Verein für Ferienkolonien in Innsbruck auf. Am 21. November 1938 wurde die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) grundbücherlicher Eigentümer, obwohl die Statuten des Vereins für Ferienkolonien im Falle der Vereinsauflösung eine Übertragung des Vermögens an die Stadtgemeinde Innsbruck vorgesehen hatten.4 Im August 1940 kündigte der Personalamtsleiter der NSDAP die Nutzung der Anlage als Heim für Südtiroler Umsiedler-Kinder an, Anfang Dezember dürfte es in Betrieb gegangen sein; schließlich fanden auch Kinder Aufnahme, die vor dem Bombenkrieg in Sicherheit gebracht wurden oder deren Eltern ausgebombt waren.5 Die offizielle Bezeichnung lautete „Jugendheimstätte der NSV in Holzham, Westendorf ".
Die Klärung der Besitzverhältnisse
Mit dem Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 wurden die NSDAP, ihre Wehrverbände, Gliederungen, angeschlossenen Verbände, Organisationen und Einrichtungen aufgelöst und das Vermögen als zugunsten der Republik Österreich verfallen erklärt. Am 4. März 1948 trug sich die Republik als Eigentümer des Besitzes der NSV in Westendorf grundbücherlich ein.6 Mit Beschlussprotokoll Nr.14 vom 9. August 1945 entschied die Tiroler Landesregierung, das NSV-Jugendheim Holzham-Westendorf samt allen dazugehörigen Grundstücken und dem noch vorhandenen Betriebskapital von 74.000 Reichsmark in die treuhänderische Verwaltung des Landes zu übernehmen und das Objekt als Jugendheimstätte weiter zu betreiben. Sie übertrug die Leitung und Verwaltung des Heims an das Landesjugendamt. Das Land stimmte für diese Übergangslösung, weil das Heim unbeschädigt war, keine Kosten anfielen und ein dringender Bedarf für ein „Auffangheim für eltern- und vaterlandslose Kinder bestand. Wesentlich war, dass der letzte Obmann des Vereins für Ferienkolonien, Anton Schuler,7 stellvertretender Magistratsdirektor der Stadt Innsbruck vor 1938, illegaler Nationalsozialist, stellvertretender Regierungsdirektor nach der NS-Machtübernahme und schließlich Regierungsdirektor der Abteilung I der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg,8 diesen Schritt befürwortete. Die wertvolle Liegenschaft bestand aus einem Wohnhaus, einem Hofraum mit Keller und Haus, Futterstall, Schießstand, Wald, Wiesen, Äcker und Weiden. Im März 1947 war das Betriebskapital aus der Zeit des Nationalsozialismus bis auf einen geringfügigen Restbetrag aufgebraucht. Die gesetzliche Grundlage zur Klärung des rechtsnachfolgenden Eigentümers war zwar noch nicht vorhanden, doch standen die Chancen gut, dass einer Übertragung des Besitzes an die Stadt Innsbruck, sofern sie dazu bereit war, nichts im Weg stehen würde. Der Verein für Ferienkolonien in Innsbruck hegte keine Absicht, sich wieder zu konstituieren, so dass entsprechend den Statuten das Vereinsvermögen der Stadt Innsbruck zufallen musste, die es „zu einem das Wohl der Schuljugend förderndem Zwecke zu verwenden hat
. Der Stadtrat beschloss am 13. April 1947 die Übernahme der zeitlich befristeten treuhänderischen Verwaltung des Vereinsvermögens und die Weiterführung des Heimbetriebs unter der Verwaltung des Leiters der Magistratsabteilung V (Wohlfahrtsamt), Franz Duregger. Zwei Tage später unterzeichnete das Amt der Tiroler Landesregierung die Bestellungsurkunde.9
Ob die Stadt das Heim weiterführen, verpachten, einem anderen Zweck zuführen oder wieder dem Land Tirol übertragen sollte, blieb längere Zeit Diskussionsgegenstand im Gemeinderat. Das Gebäude war als Sommerferienheim errichtet worden, nicht aber für einen ganzjährigen Betrieb. Einig waren sich alle Fraktionen, dass die Stadt ein Heim für die Fürsorgeerziehung benötigte, dass aber die Entfernung Innsbruck–Westendorf die finanziellen Kosten in die Höhe trieb und auch die Überwachung erschwerte. Zunächst fiel die Entscheidung, das Heim Holzham-Westendorf weiterzuführen und sich gleichzeitig nach einer Alternative in Innsbruck umzusehen.10 Die SPÖ bevorzugte zwar ein Heim in der Nähe der Stadt: „Das würde die Verwaltungskosten vermindern, auch könnte man die Erziehung besser überprüfen.11 Doch sie setzte sich am stärksten für die Weiterführung des Heims ein und forderte früh die Errichtung geeigneter Schulräume und einen Anbau für eine komfortablere Unterbringung der Kinder. Die SPÖ-PolitikerInnen gingen davon aus, dass das Heim Arbeiterkindern zugutekäme, die in schlechten Familienverhältnissen aufwuchsen. Ihr Verständnis von Erziehung unterschied sich nur graduell von der Auffassung der bürgerlichen PolitikerInnen mit ihrer Forderung nach einer Korrekturerziehung und ihrer Unterstellung von „Kinderfehlern
. Vizebürgermeister und Sozialreferent Hans Flöckinger (SPÖ) sah die Unterbringung von Kindern im Heim Holzham-Westendorf als Präventionsmaßnahme:
„Die vielen Fehler, die in der Erziehung geschehen, machen Korrekturen notwendig und man muß versuchen, den Kindern im Heime einen guten Einfluß zu vermitteln. In einigen Jahren wird man sehen, ob sich der Aufwand nicht doch gelohnt hat. Wenn man die Ausgaben nicht tätigt, könnte es später bereut werden. Der Versuch, aus den jungen Menschen den guten Kern herauszuschälen, muß sich lohnen, ohne Rücksicht darauf, ob die Führung des Heimes etwas mehr kostet als die eines anderen. (...). Man möge einmal ein Landeserziehungsheim besichtigen und wird feststellen müssen, daß die Fehler der dort befindlichen jungen Menschen viel schwerer zu beseitigen sind, als die kleinen Fehler der Zöglinge des Heimes in Westendorf."12
Das städtische Rechnungsprüfungsamt betrachtete das Heim Holzham-Westendorf in erster Linie aus betriebswirtschaftlicher Sicht, machte aber auch auf die Schwierigkeit aufmerksam, den Betrieb von Innsbruck aus kontrollieren zu können. Die abgelegene Lage verhindere „eine doch notwendig erscheinende ausreichende Aufsicht in erzieherischer, schulmäßiger, ärztlicher und betrieblicher Hinsicht". Eine laufende Überwachung sei daher nicht möglich, die Betriebsführung unrentabel. Ökonomisch als auch pädagogisch bestehe ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Daher empfahl das Prüfungsamt, diese Fürsorgeeinrichtung nach Innsbruck oder in die nächste Umgebung zu verlegen.13
Als die Wahlpartei der Unabhängigen (WdU), Vorgängerorganisation der FPÖ, 1952 die Auflassung des Heimes beantragte, hatten sich ÖVP und SPÖ bereits für dessen Fortführung entschieden.14 Anfang 1949 beabsichtigte die französische Militärregierung ihre Hochgebirgsschule ins Heim nach Westendorf zu verlegen, doch Bürgermeister Anton Melzer (ÖVP) konnte dies abwehren.15
Da die NSV das Vermögen des Vereines für Ferienkolonien in Innsbruck nach dessen Auflösung 1938 entgegen den Statuten, die eine Rechtsnachfolge der Stadt Innsbruck vorsah, verwertet hatte, war die Voraussetzung für eine Antragstellung bei der Finanzlandesdirektion für Tirol im Sinne des 2. Rückstellungsgesetzes vom Februar 1947 gegeben. Am 25. November 1949 bestellte das Bezirksgericht Hopfgarten Schulrat Bernhard Amos, ehemaliger Vorstand des Vereines für Ferienkolonien, zum Kurator der Liegenschaft; mit 12. Dezember wurde er auf Begehr der Stadt Innsbruck vom Innenministerium zum Liquidator bestellt, vor allem zur Geltendmachung der Rückstellungsansprüche der Stadt auf dieses Vermögen. Anton Schuler und Viktor Tschamler, Stadtphysikus von Innsbruck im Ruhestand, standen Amos als weitere Liquidatoren zur Seite.16
Mit Bescheiden vom 22. Mai und 9. Dezember 1953 verfügte die Finanzlandesdirektion Tirol die Rückstellung des gesamten Liegenschaftsbesitzes des ehemaligen Vereins für Ferienkolonien (Westendorf, EZ 128 I) in Holzham 19 (vormals Westendorf 157) an die Stadt Innsbruck.17 Bereits zuvor war die Stadt in einem Rückstellungsverfahren vor dem Landesgericht und dem Oberlandesgericht Innsbruck gegen die Ansprüche von drei Schwestern wegen des Gasthauses Badl (Badlwirt, Westendorf 156) erfolgreich geblieben und hatte sich das Gasthaus 1951 grundbücherlich einverleiben können. Die Kegelbahn, die zum Gasthaus Badl gehörte, wurde an den Besitzer des Strandbades von Westendorf mit der Auflage verkauft, den Kindern und dem Personal der Jugendheimstätte sieben Jahre lang den unentgeltlichen Besuch des Strandbades in Westendorf einzuräumen.18
Die Bundesregierung ermächtigte den Liquidator Bernhard Amos mit Beschluss vom 7. September 1954, das Vereinsvermögen im Wege eines Schenkungsvertrages unentgeltlich an die Stadt Innsbruck zu übertragen, die das Vermögen weiterhin nach dem statutenmäßigen Zweck des aufgelösten Vereins zu verwenden hatte. Am 21. Mai 1955 erfolgten die Unterschriftsleistungen.19 Vizebürgermeister Heinrich Süß (ÖVP) unterstrich, dass das Areal mit rund 116.200 m2 „einen respektablen Wert" für die Stadt darstelle.20 Das einsturzgefährdete Gasthaus Badl wurde 1961 abgerissen.21 Ein Jahr zuvor erhielt die Stadt aus dem öffentlichen Gut der Gemeinde Westendorf 631m2 Grund.22
Personelle Kontinuitäten in der Fürsorgeverwaltung
Um die Führungspersönlichkeiten in der Verwaltung der Kinder- und Jugendfürsorge einschätzen zu können, soll vorab kurz auf deren Hintergrund eingegangen werden. Bis zum „Anschluss besorgten im Land Tirol private Vereine die Kinder-und Jugendfürsorge, erst der Nationalsozialismus richtete ein Landesjugendamt und Bezirksjugendämter ein. Nur die Stadt Innsbruck verfügte bereits seit 1918 über ein eigenes Jugendamt. Nach dem Krieg rückten ehemalige Austrofaschisten an führende Positionen, die in der NS-Zeit enthoben oder in die zweite Reihe gedrängt worden waren, bald stellte auch eine Mitgliedschaft in der NSDAP keinen Hinderungsgrund dar, eine leitende Stellung einzunehmen. Die Leiter der Abteilung Vb, Landesjugendamt, Robert Skorpil (Mai 1945 bis Februar 1947) und Aloys Oberhammer (1947 bis 1950) waren Vertreter jener katholisch-konservativen Elite, die bis 1938 in einer führenden Funktion der Kinder- und Jugendfürsorgevereine standen und sich im austrofaschistischen „Ständestaat
engagiert hatten, Oberhammer als Mitglied des Innsbrucker Gemeinderates, Skorpil sogar als Landesrat für Schule, Kunst, Fürsorge und Krankenanstalten sowie als Landesführer des Wehrkampfverbandes der „Ostmärkischen Sturmscharen. Beide wurden von den Nationalsozialisten ihrer Ämter enthoben. Mit ihrer Bestellung an die Spitze des Landesjugendamtes knüpfte der Fürsorgebereich personell und inhaltlich an den „Ständestaat
an. Beide machten nach 1945 weiter Karriere, Skorpil als Präsident des Landesgerichtes Innsbruck, Oberhammer als Landesrat und Landesparteiobmann der ÖVP.23 Alfred Haindl, so wie Oberhammer an leitender Stelle im Landesverband Barmherzigkeit der Caritas tätig, zählte zu jenen Konservativen, die geschmeidig genug waren, sich an den Nationalsozialismus so gut anzupassen, dass sie im neu errichteten Gaujugendamt weiterverwendet wurden. Zu diesem Zweck trat er der NSDAP bei. Das Gaupersonalamt bestätigte, dass er sich bereit vor der NS-Machtübernahme zum Nationalsozialismus bekannt habe.24 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wirkte Haindl zunächst als stellvertretender Leiter des Landesjugendamtes, 1950 erklomm er als Nachfolger von Oberhammer die Spitze des Amtes, an der er bis 1968 verblieb. Auch die Leitung des Wohlfahrtswesens in der Stadt Innsbruck war von politischen Wendehälsen und ehemaligen NSDAP-Mitgliedern dominiert. Sowohl Duregger (Leiter der Magistratsabteilung V, Wohlfahrtsamt, von 1935 bis 1954) als auch Alfons Dietrich (Leiter der Magistratsabteilung V von 1955 bis 1970) waren bereits in der Ersten Republik im städtischen Wohlfahrtsamt tätig. Im „Ständestaat hatten sie ihre Position gefestigt oder waren wie Duregger an die Spitze der Magistratsabteilung gestoßen. Im Nationalsozialismus konnte Duregger seine Stellung behaupten und Dietrich weiter aufsteigen. In der Zweiten Republik setzten beide ihre Karriere nahtlos fort. Beispielhaft soll die Anpassungsbereitschaft an den Nationalsozialismus an der Person von Franz Duregger kurz aufgezeigt werden. Nachdem er im „Ständestaat
die Leitung des städtischen Wohlfahrtsamtes übernommen hatte, sollte er nach dem „Anschluss von dort abgezogen und als Verwaltungsbeamter ins Stadtbauamt versetzt werden. Doch NS-Oberbürgermeister Egon Denz hielt seine schützende Hand über ihn, dafür trat Duregger der NSDAP bei, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, dem Reichsbund deutscher Beamter, dem NS-Rechtswahrerbund, dem Reichsluftschutzbund und der Deutschen Jägerschaft.25 Nach dem Krieg verteidigte sich Duregger mit den für ehemalige Parteimitglieder typischen Argumentationsmustern. Er sei „erst über 5–6-malige, schliesslich energische Aufforderung des damaligen Fachschaftsleiters des RDB [Reichsbund deutscher Beamter] beigetreten, der mir bedeutete, dass meine konstante Weigerung, den Eintritt in die Partei zu vollziehen, als mangelnder Wille unter dem Regime legal und loyal zu arbeiten, ausgelegt werden müsste
. Das Parteiabzeichen habe er weder besessen noch getragen. „Ich war in meiner Amtstätigkeit insoferne beschränkt, als ich in mancher Hinsicht nicht nach Recht und Gesetz vorgehen konnte", betonte Duregger im Bewusstsein um die Verstrickung der Fürsorgeverwaltung in die Verbrechen des Nationalsozialismus. Allerdings nahm er für sich in Anspruch, bestrebt gewesen zu sein, die Gesetze einzuhalten. Dieses Bemühen habe ihn in Konflikt mit dem NS-Regime gebracht. Der stellvertretende Gauleiter habe ihn schwer gerügt und schärfste Maßregelung angedroht.26 An seiner Leitungsfunktion und seinen dienstrechtlichen Vorrückungen änderte der angebliche Disput jedenfalls nichts. Der einzige Nachteil, der Duregger nach dem Krieg erwuchs, war, dass er von 1947 bis 1950 als Sühnemaßnahme in eine niedrigere Dienstklasse eingeteilt wurde.27
Im März 1948 wurde Alfons Dietrich, die rechte Hand von Duregger, zum Leiter des Jugendamtes bestellt, um Duregger zu entlasten. „Herrn Magistratsoberrat Dr. Duregger soll dadurch Gelegenheit geboten werden, die Magistratsabteilung V besser zu überblicken und die Tätigkeit seiner Mitarbeiter genauer zu kontrollieren",28 stellte Vizebürgermeister Hans Flöckinger (SPÖ) fest. Im März 1954 erkrankte Duregger, der mit Jahresende in Pension geschickt wurde, und sein Stellvertreter Alfons Dietrich stieg zum Leiter des städtischen Wohlfahrtsamtes auf. 1970 wurde er von Helmut Lagger abgelöst. Von 1976 bis 1995 leitete Hermann Schweizer das Sozialamt.
Diebstahl, Betrug, NSDAP-Mitgliedschaft:
Die Leiter der Jugendheimstätte Holzham-Westendorf
Klaus Krüger, vom 3. Dezember 1940 bis 15. Juni 1945 Leiter des Heimes der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in Holzham-Westendorf, traf Ende Mai / Anfang Juni zu einer Besprechung mit dem Leiter des Landesjugendamtes Robert Skorpil und dessen Stellvertreter Alfred Haindl zusammen, die ihn laut Krüger schriftlich mit der kommissarischen Weiterführung des Heims betraut hatten. Doch am 15. Juni verhafteten US-amerikanische Soldaten und Vertreter der Österreichischen Widerstandsbewegung Krüger und seinen Vorgänger Eugen Hoppmann. Krüger sprach von drei „ehemaligen KZlern", die ihn festgenommen hätten.29 Er bat seinen Vorgesetzten aus der NS-Zeit nicht nur um Unterstützung bei der Beschaffung sei