Das Auge hinter dem Auge
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Das Auge hinter dem Auge - Marica Bodrozic
Poesie
Das Auge hinter dem Auge
Über das Erscheinen des Wortes im Raum
Sprachufer sind jenseits der Zeit. Was in der Zeit lebt, offenbart sich nicht in der Sprache. Die Satzflüsse haben ihr eigenes Uhrwerk, und als ich anfing zu schreiben, wusste ich nicht, dass mein Leben davon nicht nur im Außen, sondern auch grundlegend und in der Tiefe verändert werden würde. Damals schon fühlte ich aber, „dass ich der Zeit nicht erlauben durfte, in meine Seele zu dringen – ein Satz, den ich bei Friederike Mayröcker las, lange noch bevor ich selbst eine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte. Als ich dann in meinen ersten Büchern, wie man mir später sagte, über „meine
Kindheit schrieb, kehrte ich in jenen Raum der Selbst-Erfindung zurück, den alle Menschen kennen. Wir alle hatten eine Kindheit ohne Uhren, eine Welt, die nicht vorsortiert und akribisch bis in alle Einzelheiten verplant war. So konnte sich ein eigener Blick entwickeln. Niemand hat als Kind Beweise für das, was er sieht. Unser Blick ist von Natur aus von einem Erfindergeist durchdrungen, der jenseits der erklärbaren Zuordnungen lebt. Diese geistigen Feuergarben und die aufblitzende Freude am Erkennen spüren wir später in der Literatur wieder auf, empfinden das, was wir einst in unserem Inneren aufblitzen sahen, im zeitlosen Raum – für eine Zukunft, die schon um sich wusste. Nur dichteste sprachliche Konzentration vermag uns zielgenau zu jenem inneren Ort zu geleiten, der zwar schon immer in uns vorhanden ist, aber erst durch das Bewusstsein der Worte geweckt wird. Wir erfahren nur das, was wir in uns tragen. Auch das Fremdeste ist längst schon in uns, wenn es uns in der Sprache eines scheinbar Anderen begegnet. Der Andere sind wir, sonst könnte er uns gar nicht berühren. Das Feuer dieser inneren Land schaft spricht und wird Erinnerung. Die Literatur verbindet uns mit dieser alten Kraft.
Ich möchte meine Bücher in diesem Geist schreiben, ohne sie zu erläutern. Es fällt mir schwer, mich selbst zu zitieren, da sich nach meinem inneren Erleben dabei etwas vom falschen Ich verdoppelt. Andersherum gedacht: das richtige Ich – das genaugenommen das innere Selbst ist – jenes leise, namenlose, wird im Prozess der leeren Wiederholung zum Verschwinden gebracht. Und dabei wird auch das Wort, das ernstgemeinte, ausgelöscht, in dem Sinne, in dem Edmond Jabès einmal schreibt: „Es ist nicht das geschriebene Wort, sondern das im Wort gelöschte Wort, das uns auslöscht."
Das Buch, so Jabès weiter, gebe uns diese beiden Arten der Auslöschung zu lesen. Würde ich mich selbst zitieren, käme es vielleicht zu einer doppelten Auslöschung des Wortes.
Jede den Geist entleerende Wiederholung ist schädlich. Sie verrät und hintergeht das innere Uhrwerk und macht jeden Satz nicht nur behäbig, sondern auch ungültig, es sei denn, die geschöpfte Empfindung in ihm bleibt im Sprechen bestehen. Aber kann die Tiefe des Wortes laut gesprochen überstehen, kann das Ich stärker sein als das die Worte bergende weiße Papier? Statt mich zu wiederholen, werde ich also die inneren Funken für Sie sammeln und das umkreisen, was der Geburt des Wortes vorausgeht.
Geistesblitze bringen im mäeutischen Nach-innen-Hören polyphone Gefahren und Beglückungen mit sich. Der Raum des Schweigens und des Staunens. Mit einem Mal erzählt er beredet von dem, was die schreibende Person ihr Leben lang an Blickweisen entwickelt hat, durch Beobachten etwa. Es gibt ein Glück des Betrachters in mir, das ich erst beim Verfassen meiner Texte entdeckt habe. Und ich kann auch jedem empfehlen, diesen Raum der Betrachtung in sich selbst zu weiten und die „Öffnung innerer Falltüren zu ermöglichen, wie es einmal bei Francis Ponge heißt. Er beschreibt diese „Öffnung
als eine „Reise in die Dichte der Dinge" und lobt sie mit den Worten: „O unendliche Hilfsmittel der Dichte der Dinge, zurückgegeben durch die unendlichen Hilfsmittel der semantischen Dichte der Worte!"
Er erlebt sie in einem Zusammenhang mit dem Ausruhen in der Betrachtung. Ponge misst dem Sehen eine wichtige Rolle bei und sagt, man müsse die Betrachtung jedem Verlangen nach Ausflucht entgegenhalten, es führe ohnehin zu nichts, wenn man davonlaufe: „Die Betrachtung bestimmter Gegenstände ist auch das Ausruhen, aber ein privilegiertes Ausruhen, wie die fortwährende Ruhe ausgereifter Pflanzen (…)"
Mit meinen ersten Erzählungen lernte ich, dass