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ATLAN X Tamaran 3: Das Urteil des Drachenbaumes
ATLAN X Tamaran 3: Das Urteil des Drachenbaumes
ATLAN X Tamaran 3: Das Urteil des Drachenbaumes
Ebook376 pages5 hours

ATLAN X Tamaran 3: Das Urteil des Drachenbaumes

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About this ebook

In der Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Beginn der christlichen Zeitrechnung ist es wieder einmal soweit: Der Arkonide muss eingreifen. Er befreit das sagenhafte Helle Volk aus der Sklaverei, um es zu einem durch eine Prophezeiung geweissagten mythischen Inselreich zu führen.

Dort angekommen, beginnen die Probleme aber erst: Die Neuankömmlinge müssen sich in der für sie fremden Umgebung bewähren - und Atlans geheimnisvoller Gegner liegt noch immer auf der Lauer...

Folgende Romane sind Teil der Tamaran-Trilogie:
1. "Die Prophezeiung von Saïs" von Hans Kneifel
2. "Sternenfall der Goldenen" von Christian Montillon
3. "Das Urteil des Drachenbaumes" von Marc A. Herren und Dennis Mathiak
LanguageDeutsch
Release dateDec 7, 2015
ISBN9783845349657
ATLAN X Tamaran 3: Das Urteil des Drachenbaumes

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    ATLAN X Tamaran 3 - Marc A. Herren

    cover.jpgimg1.jpg

    Dritter Band der Tamaran-Trilogie

    Das Urteil des Drachenbaumes

    von Dennis Mathiak

    und Marc A. Herren

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Widmung

    Für Hanns Kneifel, Dr. Rainer Nagel, Chris Stok und unseren lieben Testleser, der uns stets ein aufmerksamer, ideenreicher, humorvoller und vor allem bestens informierter Extrasinn war.

    1.

    Ein neuer Tag

    Kühler, nach Meer riechender Wind strich über mein Gesicht, holte mich aus meinen Träumen, in denen grün gewandete Wüstenräuber die Hauptrolle gespielt hatten.

    Acht Monde ist es her, und die gesichtslose grüne Gefahr durch den Sterneanzündmann verfolgt dich noch immer, Atlan!

    Der Logiksektor hatte wohl tadelnd klingen wollen, ich hörte aber einen Hauch Sorge aus seiner mentalen Stimme.

    Nicht gesichtslos, antwortete ich. Und du weißt, wie viel ich von deinen frühmorgendlichen psychologischen Ausführungen über meine Traumbilder halte.

    Der Extrasinn schwieg.

    Ich öffnete die Augen, sog dankbar lächelnd den Duft der herrlichen Frau auf, deren nackter Körper mich von hinten umarmte. Die langen, schmalen Finger ihrer rechten Hand hielten instinktiv den Zellaktivator umschlossen, der in einem mit kleinen Knöchelchen verzierten Lederbeutel steckte.

    Meine Partnerin musste ebenfalls träumen, denn im Schlaf murmelte sie nicht verständliche Wörter. Die zwei, drei kurzen Seufzer, die sie hören ließ, klangen allerdings glücklich und zufrieden.

    Noch einer, der sich frühmorgens mit Traumdeutungen befasst, wisperte der Extrasinn spöttisch. Nur, dass jener die Bilder nicht sehen kann, die gerade geträumt werden.

    Ich ignorierte die Stimme in meinem Kopf, löste Nitetis’ Finger sorgfältig aus der Umklammerung des lebensspendenden Geräts, ergriff das schmale Handgelenk und legte es auf ihre Hüfte – nicht ohne zuvor auf die Fingerspitzen einen sanften Kuss gehaucht zu haben.

    Dann schlug ich die Ziegenfelle zurück und erhob mich von unserem Lager, das aus mehreren Lagen Palmblättern, getrockneten Schachtelhalmen und Fellen bestand.

    Ich band mir die leichte Schürze um, ließ den Brustpanzer mit dem eingestickten Löwensymbol an seinem Platz an der Wand stehen. Das Jahr war zwar noch jung, die Morgen entsprechend kühl, doch für mein Vorhaben benötigte ich weder einen Harnisch noch Hilfsmittel aus dem Fundus meines treuen Roboters Rico.

    Einzig die leichten Laufsandalen zog ich an, bevor ich zu den im sachten Wind wehenden Ledertüchern trat, die den Eingang unserer Wohnhöhle verdeckten.

    Ein letztes Mal blickte ich auf die Schlafende, die ihren rechten Arm in der Zwischenzeit unter den Kopf geschoben hatte und wie ein kleines Kind schmatzte, das gerade an seine Mutter dachte. Eine weißblonde Haarsträhne bewegte sich sacht vor den neckisch geschwungenen Lippen.

    »In einem Mond ist es soweit, Schönste«, flüsterte ich, bevor ich die Tücher zur Seite schob und in den kühlen Morgen trat.

    Ich blinzelte in Larsafs hellem Licht. Durch das Fehlen von Gebirgen im Osten dämmerte der Morgen nur kurz, bevor sich die Sonnenscheibe in den Himmel erhob und das Land mit kräftigen Strahlen eindeckte.

    Der Anblick, der sich mir bot, raubte mir jeden Morgen von Neuem den Atem.

    Jenseits des kurzen, staubigen Trampelpfads und der Ginsterbüsche lag das Meer vor meinen Füßen wie ein dicker, marineblauer Teppich. Es wirkte zum Greifen nah und doch war es mehr als viertausend Laufschritte von mir entfernt – was etwa siebentausendsechshundert Ellen entsprach.

    Anub trottete schwanzwedelnd auf mich zu. Der Roboter in Gestalt eines tamerischen Slugihundes hatte wie jede Nacht den Eingang unserer Schlafhöhle bewacht. Sein Gegenpart Nubis wartete in Ricos Werkstatt-Höhle auf seine Überarbeitung.

    »Irgendwelche Vorfälle, von denen ich wissen sollte?«, fragte ich.

    Anub schüttelte sich als Zeichen der Verneinung.

    Ich erleichterte mich in eine Felsspalte, von der wir wussten, dass sie weitab von den Wohnhöhlen durch das Gestein verlief. Dann gab ich meinem Hund den Befehl, wieder seinen Posten vor der Höhle einzunehmen, und ging den Trampelpfad hinunter zu den Gemeinschaftshöhlen.

    Sie waren etwa fünfzig Schritte von unserer Schlafhöhle entfernt: ein großer Gemeinschaftsraum, eine kleinen Vorratshöhle und ein Dutzend Schlafkammern.

    Im kühlen Eingangsbereich lagen einige leere Ess- und Trinkschalen sowie die farbigen Steine, mit denen die Kinder am Vorabend gespielt hatten.

    Aus mehreren Schlafkammern drangen Schnarchlaute. Ich zählte vier offene Nischen, bei denen die Felle zur Seite geschoben waren und die leeren Schlaflager zeigten. Die Fischer unserer kleinen Siedlung hatten ihr am Vorabend geäußertes Vorhaben umgesetzt und waren mitten in der Nacht zum Meer gegangen. Sie wollten die neu erlernten Fangtechniken ohne meine Aufsicht testen.

    »Chusar, Atlantos!«, begrüßte mich eine raue Stimme in meinem Rücken.

    »Chusar, treuer Krieger!«, gab ich leise zur Antwort, um die Schlafenden nicht zu wecken.

    Ich wandte mich zu Ka-Nachtmin um, dem greisen Rôme, der den weiten Weg aus Ah’mes’ Soldatenlager im fernen Tameri mitgemacht hatte, um das Helle Volk zu befreien und es auf einer abenteuerlichen Reise durch die Wüste, über Gebirge und über das Meer zu den verheißenen Sieben Königreichen zu führen.

    Ka-Nachtmin lächelte. Um seine Augen verzweigten sich Tausende Fältchen, die von einem langen und erlebnisreichen Leben erzählten.

    Vor zweiundzwanzig Sommern hatte er bei einem Vergeltungsschlag gegen Wüstenräuber ein strohblondes Kleinkind gerettet und es zum Hof von König Ah’mes gebracht, dem Herrscher des stolzen Landes, durch das der mächtige Hapi floss.

    »Obwohl du es nun gemächlicher angehen könntest, stehst du unverändert mit den ersten Sonnenstrahlen auf«, stellte ich fest.

    »Man kann neue Wege im Leben einschlagen«, gab Ka-Nachtmin leise zurück, »aber selbst nach einer langen Reise kann man seine Ursprünge nicht vollkommen hinter sich lassen, Atlantos.«

    Ich gab ihm einen freundschaftlichen Klaps gegen die Schulter. »Weise Worte, mein Freund. Sie haben auch für mein Leben Gültigkeit.«

    Ka-Nachtmin und weitere dreiundzwanzig ehemalige Krieger des Pharaos hatten sich dem Hellen Volk angeschlossen. Einige von ihnen hatten sich in junge Canarii-Frauen verliebt und waren ihnen auf ihre Inseln, ihre Königreiche, gefolgt. Den Rest von Ah’mes’ tapferen Männern hatte Rico mit dem Gleiter zurück nach Tameri gebracht.

    »Wie geht es unserer Goldenen?«

    »Sie schläft«, antwortete ich. »Heute Mittag steht eine weitere Unterweisung für die Harimaguadas an.«

    Der alte Rôme lächelte, wie er es stets tat, wenn er Nitetis sah oder von ihr die Rede war. Er liebte sie wie eine eigene Tochter.

    Ich holte mir aus der Vorratskammer eine Wasserkaraffe, nahm einige tiefe Schlucke. Dann reichte ich den Krug an Ka-Nachtmin weiter, blinzelte ihm zu und lief los.

    Zwar hätte ich für die Bewältigung der Strecke mein Pferd nehmen können, aber ich nahm die Gelegenheit wahr, meinen Körper zu stärken. Im letzten Mond hatten wir durch die reiche erste Ernte einige Guatativoas – Gemeinschaftsschmäuse – abgehalten, und ich wollte nicht außer Form geraten.

    Die Sonne hatte sich mittlerweile vier Handbreiten über dem Horizont erhoben. Trotz der kühlen Luft spürte ich ihre wärmenden Strahlen auf meiner nackten Brust, auf der nur der getarnte Zellaktivator im Rhythmus meiner Schritte auf und nieder hüpfte.

    Der staubige Trampelpfad führte mich hinunter zu der weiten Ebene, die an das Meer stieß. Der trockene Boden hatte eine schmutzig-rotbraune Farbe. Die vereinzelten, vor Millionen von Jahren aufgeworfenen Lavabrocken waren durch den für diese Gegend typisch starken Ostwind abgeschliffen worden. In ein paar tausend Jahren würden sie überhaupt nicht mehr sichtbar sein.

    Ich wandte mich leicht nach rechts, wo aus dem Ausläufer des Felstales der kleine Fluss entsprang, an dessen Quelle wir für unsere kleine Höhlensiedlung Wasser holten.

    Außer am Flussbett, an dem verschiedene, hartblättrige Buscharten, niedrige Palmen und Drachenbäume wuchsen, existierte in der Ebene nicht viel pflanzliches Leben. Die Palmenwälder, die für Tamarán – die Palmenbewachsene – Namenspaten gestanden hatten, gab es in erster Linie im Norden der annähernd kreisrunden Insel.

    Dazu kam, dass der Winter eben erst zu Ende gegangen war. Eine Jahreszeit, die auf Tamarán zwischen zwei Vollmonden an die zehn Regentage brachte, während es im Hochsommer nur einer bis höchstens zwei gewesen war; die Situation, die wir direkt nach unserem Transfer angetroffen hatten und die uns zu Beginn unseres Insellebens einiges abverlangt hatte. Die wenigen Büsche und blumenbehangenen Sträucher, die derzeit in der staubigen Ebene wuchsen, würden in wenigen Monden zu weißbraunen Skeletten verdorrt sein.

    So trostlos und sonnig sich der östliche Teil der Insel präsentierte, so mannigfaltig war das Leben in den Wäldern der Anhöhen und im Norden, wo sich die Wolken an den Bergen ausregneten und für eine reichhaltige Natur sorgten.

    Während ich Acht gab, dass meine Atmung mit dem Rhythmus meiner Laufschritte harmonierte, kehrten meine Gedanken zurück zu Ka-Nachtmin und Nitetis. Die beiden hatten ein besonders inniges – und damit auch ausgesprochen interessantes – Verhältnis zueinander.

    Nitetis hatte Ka-Nachtmin nie den Vorwurf gemacht, dass er und seine Männer für den Tod ihrer Eltern verantwortlich gewesen waren – zumal diese im Nachhinein nicht vollständig hatten identifiziert werden können. Der Mann und die Frau, die von Ka-Nachtmins Männern erschlagen worden waren – laut Ricos Aufzeichnungen hießen sie Noyana und Gaoyo – hatten das Kleinkind womöglich gestohlen oder entführt. Ihre Namen waren den Ältesten der Canarii jedenfalls unbekannt gewesen.

    Trotz unzähliger Gespräche mit den geretteten Canarii hatte Nitetis nicht herausgefunden, wann und unter welchen Umständen ihre leiblichen Eltern aus der Sklaverei unter dem König Aferafer geflohen waren oder unter welchen Umständen sie als Kleinkind aus dem Talkessel entführt worden war.

    So bestand die theoretische Möglichkeit, dass sich Nitetis’ leibliche Eltern unter den geretteten Canarii befanden, ohne dass sie das Auftauchen der Goldenen mit dem Verlust ihres Kindes hatten verbinden können.

    Rico hätte durch eine Analyse des genetischen Fingerabdrucks Nitetis’ nächste Verwandte ausfindig machen können. Bei einer vorsichtigen Anfrage hatte die Goldene aber durchblicken lassen, dass ihre Herkunft offenbar ein Geheimnis sei, das nicht aufgedeckt werden wollte, und dass ich meine gutgemeinten Bemühungen ruhen lassen sollte.

    Ich hatte ihren Wunsch akzeptiert, da ich ihre Beweggründe zu kennen glaubte.

    Nitetis hatte an Ah’mes’ Hof keine unglückliche Zeit verbracht. Trotz ihrer vielen Dienerinnen und Diener, trotz aller Annehmlichkeiten, die sie als Pharaonentochter dort genoss, hatte sie eine starke Persönlichkeit entwickelt.

    Durch die Mithilfe bei der Befreiung des Hellen Volkes und ihrer neuen Aufgabe als Goldene hatte sie den Canarii vieles von dem zurückgeben können, das ihnen durch die lange Sklaverei verwehrt geblieben war – und darin ihre Bestimmung gefunden.

    Innerhalb von zwei Jahren war aus der selbstbewussten, aber dem Grunde nach machtlosen Königstochter eine verantwortungsvolle Frau geworden, die für ihr Volk einstand und alles unternahm, damit die Canarii nicht nur eine neue Heimat ihr Eigen nennen, sondern auch in eine verheißungsvolle Zukunft blicken durften.

    Ka-Nachtmin sah sie als guten väterlichen Freund – und mich, nach anfänglichen Schwierigkeiten, als Beschützer und Mentor.

    Und Liebhaber …, fügte der Extrasinn hinzu.

    Ich ging nicht darauf ein, kam schnell voran. Nach der Hälfte der Strecke hielt ich kurz an, vollführte einige Lockerungs- und Atemübungen und kontrollierte meinen Puls.

    Nach einigen Monden mit schwerer körperlicher Arbeit, als es darum ging, die Höhlensysteme weiter auszubauen, Felder anzulegen oder die nächstgelegenen Quellen ausfindig und einfach erreichbar zu machen, wurde das Leben der Canarii stetig einfacher und angenehmer.

    Ich wusste aber nur zu genau, dass übermäßiger Müßiggang in der gegenwärtigen Situation äußerst gefährlich werden konnte. Solange Ricos Spionsonden den Verbleib des Suskohnen, der grünen Gefahr Orsat, nicht geklärt haben, solange ich nicht wusste, welchen Plänen der Außerirdische mit seinen Gefolgsleuten nachging, blieben ich und mein treuer Roboter, der in der Riancoros-Maske auf der kleinsten Insel Esero lebte, der beste, letzte und auch einzige Schutz für die Canarii.

    Aus diesem Grund war es nicht nur eminent wichtig, die Geschehnisse auf und um die Inseln mit technischen Mitteln so gut wie möglich zu überwachen, ich selbst musste auch jederzeit bereit sein, mich einer physischen Auseinandersetzung mit dem Suskohnen zu stellen. Seine Forderung nach einem Stockduell hatte einiges über seine Gesinnung und seinen Charakter verraten.

    Schwitzend und keuchend erreichte ich die schwarzen Felsen vor der Fischerbucht. Auf den höchsten von ihnen kletterte ich.

    Lächelnd sah ich auf die fünf Männer hinunter, die schreiend und gestikulierend um ihre Netze herum eilten, auf rutschige Klippen stiegen und immer wieder mit ihren langen Stangenwaffen auf die Wasseroberfläche schlugen.

    Einer von ihnen – es musste Günjo sein – stand hüfttief im Wasser, drehte sich immer wieder ruckartig im Kreis und versuchte in stetig größer werdender Verzweiflung, einen von meiner erhöhten Position aus nicht sichtbaren Körper zu ergreifen.

    Strähnen von Günjos wilder, weißblonder Mähne klebten ihm quer über das Gesicht. Hastig befreite er die Augen von der störenden Haarpracht, während er sich bereits auf das nächste Objekt der Begierde stürzte.

    Die Bewegung geriet aber zu hastig, zu unüberlegt. Mit einem spitzen Schrei drehte sich Günjo um die eigene Achse wie ein Kreisel und klatschte dann mit dem bärtigen Gesicht ins Wasser. Das Meer verschluckte ihn; seine vier Begleiter lachten und deckten den Schwimmer mit spöttischen Bemerkungen ein.

    Ich rollte die Zunge, stieß sie von innen an die Zähne und stieß einen scharfen Pfiff aus.

    Das schallende Gelächter erstarb wie abgeschnitten. Während Günjo prustend und um sich schlagend wieder hoch kam, hoben die restlichen Fischer die Köpfe und winkten mir, nachdem sie mich erkannt hatten, freudig zu.

    »Chusar, Atlantos!«, rief der bärenstarke Doramas. »Komm und sieh, wie wir deinen Rat umgesetzt haben! In einer Nacht haben wir für einen Viertelmond Fische gefangen!«

    »Von hier oben sieht es so aus, als ob euer größter Fisch dein Bruder Günjo wäre!«, gab ich zurück.

    Der Angesprochene riss wild lachend die rechte Hand in die Höhe, in der ein silberfarbener Fisch zappelte. Die Beute entglitt Günjos Griff, flog in hohem Bogen über die Köpfe seiner Kameraden und landete in einer Gezeitenpfütze.

    Der rothaarige Cosimajú eilte dem Fisch hinterher. Ich konnte den Canarii im letzten Moment mit einem scharfen Pfiff daran hindern, mit seinem Stock nach der Beute zu schlagen.

    Es war Zeit für eine weitere Lektion für die erfolgreichen Fischer.

    Ich blickte nach unten, schätzte die Distanzen ab und sprang von Felsblock zu Felsblock, bis ich die Männer erreicht hatte.

    »Weshalb wollt ihr die Fische gleich umbringen, nachdem ihr sie gefangen habt?«, fragte ich laut, während ich Cosimajú den Stock aus den Händen nahm.

    »Wir müssen sie doch töten, Atlantos«, erwiderte Doramas. »Willst du, dass wir die Fische roh essen?«

    »Du warst es, der uns gezeigt hat, wie wir Fische töten, ausnehmen und von den Schuppen befreien können«, warf der junge Canasigua ein.

    »Ich erwarte nicht, dass ihr sie roh esst«, gab ich zu. »Bei einigen von ihnen wäre dies auch nicht ratsam, außer ihr liebt Bauchgrimmen und Durchfall!«

    Die Fischer lachten.

    Ich deutete auf einen großen Korb aus Palmfasern, in den die Männer ihren Fang gelegt hatten. »Bisher war es aber so, dass wir nur gerade so viel gefangen haben, um uns für einen Tag und eine Nacht zu ernähren. Deswegen reichte es, die Fische im Schatten zu lagern, bis wir sie dann gekocht oder gebraten haben. Wenn ihr nun aber so erfolgreich seid, dass der Fang für mehrere Tage reicht, müssen wir Gedanken machen, wie wir ihn haltbar machen können!«

    Der kleine Parüguada blickte von dem Fischkorb zum Gezeitentümpel, in dem Günjos silberfarbener Fisch im fingertiefen Salzwasser lag und in unregelmäßigen Abständen zappelte. »Sollen wir die Fische in der Pfütze lassen und sie erst holen, wenn wir sie essen wollen?«

    Ich nickte anerkennend. »Deine Überlegung ist gut, Parüguada. Allerdings wäre es auch ein wenig anstrengend, für jeden Fisch hierher zu kommen. Zudem wisst ihr ja nun, dass der Meeresspiegel im Verlauf des Halbtages wieder ansteigt. Euer Fang würde die wiedergewonnene Freiheit genießen, bevor ihr auf Cansat gezählt habt!«

    Die Männer machten angestrengte Mienen, während sie darüber nachdachten, worauf ich hinauswollte.

    Günjo blickte mich an, die blauen Augen weit aufgerissen. »Du willst, dass wir die Fische in Wassertöpfen hinauf zu den Höhlen nehmen und dort …«, er kratzte sich in seiner tropfnassen Mähne, »in einer der Quellen aussetzen!«

    »Leck deine Lippen ab, Günjo«, sagte ich. »Schmeckst du das Salzwasser, in dem die Fische leben? Aus der Quelle sprudelt aber Frischwasser. Nach deiner Methode würden die Fische in kurzer Zeit sterben, und unser Trinkwasser schmeckte schlimmer als Iraguelas Fischsuppe, die sie uns vor drei Tagen kredenzt hat.«

    Wieder lachten die Männer, aber ihre Gesichter verrieten, dass ihnen die Ideen ausgegangen waren.

    Es ist gut, o Lehrmeister, wenn du deine geliebten Barbaren zu selbständigem Denken animieren willst, sagte der Extrasinn mit leichtem Spott. Aber nun verlangst du zu viel von ihnen. Ohne das nötige Vorwissen werden sie kaum die richtigen Schlüsse ziehen können.

    Ich gab meinem zweiten Ich recht. »Ich werde euch gleich zeigen, wie wir euren Fang für viele Tage haltbar machen können«, sagte ich. »Aber vorher sollt ihr mir erzählen, wie es euch in der Nacht und am Morgen ergangen ist!«

    Cosimajú streckte sich. »Wie du uns geraten hast, haben wir im Licht unserer Fackel abgewartet, bis das Wasser den höchsten Stand erreicht hat. Dann schlossen wir die geflochtene Absperrung und beschwerten sie mit mehreren großen Steinen. Dann warteten wir darauf, dass sich das Wasser wieder senkte. Der Abfluss war aber sehr kräftig. Wir mussten mehrere Male ins Wasser springen und die Absperrung mit bloßen Händen absichern, damit sie nicht wegschwamm!«

    »Dafür fanden wir darin den größten Fang, den wir je gemacht haben!«, fügte Doramas hinzu. »Ich hätte nie gedacht, dass es so viele werden würden!«

    »Als Fischer lebt ihr nicht nur vom Geschick, sondern auch vom Glück – das aber bei den Tüchtigen häufiger einkehrt als bei den Faulen«, sagte ich vergnügt. »Wie hat sich die andere Fangmethode bewährt?«

    »Nicht so gut«, sagte der junge Canasigua. »Ich habe mit einer Fackel auf einem Felsen direkt am Meer gestanden, und Günjo hat den Korb unter Wasser gedrückt und darauf gewartet, dass die Fische kommen.«

    »Ich bin zweimal ins Meer gefallen, bevor überhaupt ein Fisch aufgetaucht ist«, beschwerte sich der weißblonde Hüne. »Mir war kalt, und der scharfe Fels schnitt mir in die Fußsohlen.«

    »Und ich sah überhaupt keine Fische«, fügte Canasigua hinzu. »Das Wasser war nur schwarz.«

    »Weil du wahrscheinlich in die helle Fackel geschaut hast«, riet ich. »Aber wie viele Fische habt ihr nun mit dieser Methode gefangen?«

    »Einen«, brummte Günjo. »Aber dafür ist er lang wie mein Arm, geformt wie ein Pfeil und mit silbrigen Streifen versehen, wie der Boden deines Götterwagens!«

    Ich blickte ihn überrascht an. »Hat er ein spitzes Maul mit vorgerecktem Unterkiefer und Zähnen spitzer als Knochennadeln?«

    »Genau so, Atlantos!«

    »Zeig ihn mir!«

    Günjo wandte sich um, eilte zum Fischkorb und kam bald darauf mit einem armdicken, torpedoförmigen Tier zurück. Der Schädel war durch einen Stein oder das Schlagen gegen einen Felsen fast bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert. Trotzdem erkannte ich die Art auf den ersten Blick.

    Lachend schlug ich dem Hünen auf die Schulter. »Canasigua, Günjo: Ich gratuliere euch! Ihr habt in eurer ersten Fangnacht einen der besten und geschicktesten Jäger des Ozeans gefangen!«

    Die Gesichter der beiden Männer hellten sich sofort auf. »Haben wir das?«, fragte der junge Canarii.

    »Das hier ist ein Barrakuda«, sagte ich anerkennend. »Ich habe zwar keine Ahnung, ob uns sein Fleisch schmecken wird, aber schon nur die Tatsache, dass ihr einen Barrakuda gefangen habt sagt mir, dass ihr mit ein bisschen Übung bald schon die geschicktesten Fischer auf ganz Tamarán sein werdet – was selbstverständlich für euch alle gilt!«

    Das Kompliment wirkte. Die fünf Fischer blickten einander voller Stolz an. Sie hatten hart gearbeitet, das sah ich ihnen an.

    Wieder einmal staunte ich über die Selbstverständlichkeit, mit der die Canarii in ihrer neuen Heimat einen persönlichen oder gemeinschaftlichen Erfolg an den nächsten reihten. Obwohl die Frauen und Männer in der Gefangenschaft eines engen Talkessels aufgewachsen waren, in dem sie außer einigen kargen Feldern nichts gehabt hatten, nahmen sie die Schrecken und Gefahren der neuen Welt hin, als hätten sie ein Leben lang darauf hingearbeitet. Die größte Herausforderung stellte sich ihnen in Gestalt und Wesen des unendlich weiten, tiefen und geheimnisvollen Ozeans.

    In der kleinen Höhlensiedlung lebten vierunddreißig Menschen. Einzig Doramas und seine vier Brüder und Freunde hatten sich dem Meer soweit aufgeschlossen gezeigt, dass sie sich von mir im Schwimmen und Fischen unterweisen ließen.

    Wie allen Canarii, die in der Gefangenschaft aufgewachsen waren, flößte ihnen allein der Anblick des wallenden Blaus schon Angst ein. Nach den Erzählungen der fünf Fischer wuchs meine Zuversicht, dass der übermäßige Respekt vor dem Ozean stetig weniger wurde. Der erfolgreiche Fischfang war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

    Ich kontrollierte die sorgsam geknüpften Netze, gab hie und da Ratschläge ab, wie sie bei ihren nächsten Versuchen effizienter und effektiver vorgehen konnten.

    Anschließend fingen wir die beiden letzten Fische, die im Fangbecken um ihr Leben schwammen, töteten sie und nahmen sie aus.

    Als wir die Innereien ins Meer warfen, begann das Wasser sofort zu brodeln. Ein Schwarm aus mindestens drei Dutzend Barrakudas stritt sich um die Reste. Immer wieder tauchten die überlangen Unterkiefer mit den nadelspitzen Zähnen aus dem Wasser, die silbrigen Streifen an den torpedoförmigen Körpern blitzten im Licht der Sonne.

    »Kein guter Moment für ein Bad«, stellte Günjo trocken fest.

    Ich lachte, schlug dem Jungen auf die Schulter. »Kommen wir wieder zu der Frage zurück, wie ihr mit den Fischen verfahren sollt, nachdem ihr sie gefangen habt. Ich will, dass ihr sie möglichst lange am Leben lässt. Dazu benutzt ihr die Gezeitentümpel oder geschlossene Körbe, die ihr mit Steinen im Wasser verkeilt. Sobald ihr das Fischen beendet habt, schlägt ihr euren Fang tot, nehmt ihn aus und werft die Innereien ins Meer. Die Fischköpfe könnt ihr mit zu unseren Höhlen nehmen; Iraguela weiß, wie sie daraus Fischsud herstellen kann.«

    »Wie sollen wir aber verfahren, wenn wir die kleineren Fische als Köder benutzen wollen?«, fragte Doramas.

    »Köderfisch hat eigene Regeln«, räumte ich ein. »Bei ihm ist es sogar hilfreich, wenn er etwas stinkt, da er so mehr Beute anlocken kann. In diesem Fall dürft ihr den Fisch selbstverständlich schon früher töten. Das entscheidet ihr für euch selbst je nach Situation. Ich will, dass ihr keine toten Fische an der Sonne liegen lässt, die wir später noch essen sollen.«

    Die Fischer nickten verstehend.

    »Dann kommen wir jetzt zum nächsten Teil«, sagte ich. »Und zur Frage, weshalb ich euch vor sieben Tagen angewiesen habe, die Mulde in der kleinen Höhle am Ende des Weges mit Meerwasser zu füllen. Kommt mit!«

    Wir ergriffen die Körbe und Wasserkrüge, mit denen die Fischer ihren Durst gestillt hatten. Auf dem schmalen, nur notdürftig abgesicherten Weg stiegen wir zwischen scharfkantigen Felsen und knorrigen Büschen hinauf zur Anhöhe.

    Zehn Schritte vor der Ebene bogen wir nach links ab, wo es mehrere natürliche Höhlen gab. Sie führten nur etwa vier Schritte unter der harten Kruste der Ebene hinein. Sobald die Fischer mehr Zeit am Meer verbrachten, würde ich auch diese Höhlen mit dem Desintegrator erweitern, wie ich es bereits bei der Königsanlage und unseren eigenen Höhlen getan hatte.

    Ich führte die Fischer vor die Mulde, die sie zuvor mit aufwendiger Lauf- und Kletterarbeit mit Meerwasser gefüllt hatten.

    »Was seht ihr?«

    »Das Wasser ist weg«, stellte Canasigua fest.

    »Es ist verdunstet«, präzisierte ich.

    Ich ging in die Knie und ergriff eine Handvoll Salz, das den Boden der Mulde fingertief bedeckte. »Und hier ist das Salz, mit denen wir die Fische haltbar machen werden!«

    Ich ließ mir einen der Tonkrüge geben, in dem die Fischer Datteln, Feigen und eingelegte Bohnen als Zwischenmahlzeit mitgenommen hatten.

    »Achtet darauf, dass der Topf trocken und sauber ist.«

    Ich bedeckte den Boden des Kruges mit Salz, legte vier ausgenommene und gewaschene Sardinen hinein und bedeckte sie wiederum mit Salz. So verfuhr ich, bis der Topf zu zwei Dritteln gefüllt war.

    »Lasst den Topf hinten in der Höhle stehen! Canasigua, in zwei Tagen wirst du kontrollieren, ob aus den Sardinen Öl ausgelaufen ist. Wenn das Salz klumpig ist, ersetzt du es mit frischem.«

    Der junge Mann nickte freudig. »Das werde ich machen, Atlantos.«

    Ich blickte in die Runde. »Bei den restlichen Fischen werden wir uns an der Lufttrocknung versuchen. Dazu werden wir sie salzen, an Faserseile aufreihen, die wir in den Eingang der kleinen windigen Höhle spannen. Aber zuvor …«, ich blinzelte dem hünenhaften Günjo zu, der die Fische keine Sekunde aus den Augen ließ und sich immer wieder über die Lippen leckte, »zuvor werden wir hier einen Happen essen. Das habt ihr euch verdient!«

    Ich schickte Canasigua und Parüguada zum Holzsuchen. Cosimajú trug ich auf, Palmblätter und Kräuter zu holen, während Doramas und Günjo vier größere Fische zum Braten vorbereiten sollten.

    Die Canarii machten sich trotz der wenigen Stunden Schlaf und der harten Arbeit, die sie hinter sich hatten, voller Energie an die Arbeit. Günjo stimmte ein Lied an, während er die Fische von den letzten Schuppen befreite und die Flossen abschnitt. Doramas fiel bald darauf in den Gesang seines Bruders ein. Das Lied handelte von einem schönen Mädchen, das Bienen züchtete und sich vor deren Stichen fürchtete. Was als Kinderlied begann nahm bald schon erwachsene Züge an, da erst in der zweiten Strophe klar wurde, dass sich das schöne Mädchen eigentlich von einem ganz anderen »Stich« fürchtete als demjenigen von Bienen.

    Du solltest ihnen so schnell wie möglich zeigen, wie sie den Fisch pökeln können, Atlan, lenkte mich der Extrasinn ab.

    Ich blickte nachdenklich auf den Sardinentopf. Um Bakterien abzutöten, wäre es in der Tat besser gewesen, die Fische zu pökeln.

    Du hast recht. Aber dafür benötige ich Salpeter, den ich erst noch gewinnen muss.

    Salpeter bildete sich, wenn beispielsweise Tierdung mit Kalkwänden in Berührung kam. Ich beschloss, in den nächsten Tagen einen der Hirten in der Kunst der Salpetergewinnung zu instruieren. Sie waren nicht nur dem Mist ihrer Tiere am nächsten, sie konnten auf ihren Wegen, die sie mit den Ziegen und Schafen zurücklegten, nach kalkhaltigem Gestein umsehen.

    Ein guter Plan, urteilte der Extrasinn. Je mehr Aufgaben die Canarii haben, desto

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