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Der Herr des Totenreichs: Yama - Hades - Osiris
Der Herr des Totenreichs: Yama - Hades - Osiris
Der Herr des Totenreichs: Yama - Hades - Osiris
eBook637 Seiten8 Stunden

Der Herr des Totenreichs: Yama - Hades - Osiris

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Über dieses E-Book

"Öffne dein Herz für Mitgefühl und Liebe zu allen Wesen. Trennst du dich dann vom Körper, wirst unvergänglich du sein."
Hierokles, die goldenen Sprüche des Pythagoras.

Vor dem geschichtlichen Hintergrund der Perserkriege im antiken Griechenland wird eine spannungsreiche Geschichte erzählt, deren tiefe Wahrheit die Fantasie anregt. Der Reichtum an Gedanken berührt sowohl die Philosophie Platos als auch die Mystik des alten Ägypten. Und stellt Fragen, die auch in der heutigen Zeit wichtig sind:
Wodurch wird ein Mensch menschlich? Und wann hört er auf, ein Mensch zu sein?

Ein philosophischer Fantasy-Roman.


Die Yama-Chroniken zweiter Teil- abgeschlossener Roman.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Feb. 2017
ISBN9783739298764
Der Herr des Totenreichs: Yama - Hades - Osiris
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Autor

Sabine Dau

Sabine Dau, geboren 1965, lebt in einem kleinen Dorf am Rande des Sauerlands. Schon als junge Frau beschäftigte sie sich mit klassischen Wahrheitssucher Fragen: Was hat das Leben für einen Sinn? Ist mit dem Tod alles zu Ende? Und wieso zum Teufel stellen sich eigentlich andere Menschen nicht diese Fragen? Schon früh begann sie sich für die Geisteswelt und die Philosophien Asiens zu interessieren. Dabei faszinierte sie besonders der Facettenreichtum der asiatischen Geisteswelt und deren Mythologie, wodurch später ihre Fantasy-Romane stark beeinflusst wurden.

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    Buchvorschau

    Der Herr des Totenreichs - Sabine Dau

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Erster Teil: Der Fuchs

    Der Gott des Chaos

    Niedertracht

    Hades

    Verachtung

    Drei Nächte in der Unterwelt

    Kommt ein Gott zum Arzt

    Glaukon

    Spielen

    Einen Pfirsich essen

    Symposion

    Harkandas

    Marathon

    Die Lanze

    Zweiter Teil: Der Gott in Binden

    Frevel

    Kokon

    Das Königsgrab

    Horus

    Indras Reich

    Die Nachtbarke

    Erste Stunde: Der westliche Torweg

    Zweite Stunde: Die Wächter, die den Herrn schützen

    Dritte Stunde: Gefilde der Uferbewohner

    Vierte Stunde: Die Große, die im Duat ist

    Fünfte Stunde: Haltepunkt der Götter

    Sechste Stunde: Die auf den rechten Weg führt

    Siebte Stunde: Das Tor des Osiris

    Achte Stunde: Die Herrin der tiefen Nacht

    Neunte Stunde: Jene, die die Flut hüten

    Zehnte Stunde: Tiefe Wasser und hohe Ufer

    Elfte Stunde: Die Halle der Wahrheit

    Zwölfte Stunde: Das, was die Götter erhöht

    Feindesland

    Annäherung

    Dritter Teil: Alepou

    Diplomatie

    Temenos

    Salamis

    Sonnenaufgang

    Quellennachweis

    Prolog

    Friedlich und lockend lag die weite, ergreifend schöne Landschaft des Himmels vor Yamas Augen. Ein sanfter Wind trug ihm betörende Düfte zu. Sein Blick war fest auf den gewaltigen Berg Meru gerichtet, den Wohnsitz der Götter.

    Indras Palast konnte er selbst aus der Ferne gut erkennen. Golden glitzerten die Dächer und perlmuttfarben schimmerten dessen Wände. Doch Yama¹ wusste genau, dass er seiner Neugier nicht nachgeben durfte. Er war nicht willkommen.

    Unsichtbar näherte er sich den Eingangstoren, bis er die Devas² erkennen konnte, die den Zugang zur Götterstadt bewachten. Nur durch diese Tore gelangte man hinein, denn die Stadt wurde von einem undurchdringlichen Energiefeld geschützt.

    Neugier quälte ihn seit Langem, und vieles hatte er gesehen, doch die Welt der Devas war ihm nach wie vor verschlossen. Seit seinem Zerwürfnis mit Indra, ignorierten die Götter ihn hartnäckig. Er gehörte nicht zu ihnen! Er war der Herr der Unterwelt und Richter über die verstorbenen Seelen. Ihm waren alle Dämonen unterstellt und ihm mussten sie gehorchen.

    Ein Dämon war er, in den Augen der Devas, kein Gott, so wie sie. Yamas Reich war die untere Welt, das Totenreich und dort – weit entfernt von aller Schönheit des Himmels – sollte er bleiben.

    Vorsichtig schwebte er näher an einen der Wächter heran, der ihn nicht bemerkte. Dadurch ermutigt verharrte er, direkt vor dem Eingangstor. So nah hatte er sich noch nie zuvor herangewagt. Zögernd und mit sich selbst im Krieg, hielt er seinen Blick weiter auf den Palast gerichtet. Welche Geheimnisse liegen dort vor mir verborgen?, fragte er sich zum wiederholten Male.

    Unerträglich wuchs seine Neugier. Selbst jetzt, wo ich so nah bei ihnen stehe, sehen sie mich nicht. Was kann mir schon passieren? Wenn sie mich bemerken, kann ich doch jederzeit zurückspringen in die Sicherheit meines Hauses.

    Beherzt schritt er durch das Tor und spürte dabei ein leichtes, kaum wahrnehmbares Kribbeln in seiner Substanz. Die Wächter schienen sein Eindringen dennoch nicht wahrzunehmen. Deshalb flog er entschlossen abseits des Weges weiter.

    Doch offenbar hatten sie sein Eindringen bemerkt, denn ohne dass Yama wusste, wie ihnen das möglich war, kamen sie auf ihn zu. Noch bevor er aus ihrem Einflussbereich fliehen konnte, schleuderte eine Wächterin ein hauchdünnes beinahe unsichtbares Netz in seine Richtung. Yama erstarrte mitten in der Bewegung, als es sich um ihn legte. Das Netz entzog ihm Kraft und schwächte ihn. Und so kamen die Wächter näher, ohne dass er noch in der Lage war, sich zu rühren.

    Verzweifelt versuchte er sich von der Betäubung des Netzes zu befreien, während die Devas ihn einkreisten. Es gelang ihm nicht.

    „Der Eindringling muss hier in der Nähe sein, das Paralysenetz hat ihn gefangen", sagte eine Devi.

    „Ich kann nichts erkennen. Was auch immer da ist, es ist unsichtbar", stellte ein anderer fest.

    Einer zog eine Waffe, sie glich einer gewaltigen Axt. An ihrem bläulichen Schimmer konnte Yama ihre magische Natur erkennen. Wenn ich mich nicht befreien kann, werden sie IHN verletzen, erkannte er panisch und kämpfte mit aller Kraft gegen die Lähmung an.

    „Tretet zurück! Wir können den Eindringling zwar nicht sehen, aber er ist jetzt unbeweglich. Mal sehen, ob ich ihn treffen kann. Kraftvoll schlug der Wächter zu, die ersten drei Schläge durchschnitten mit einem hörbaren Sirren die Luft und zeigten so an, dass sie ins Leere gingen. Der vierte Schlag jedoch traf und durchdrang die schützende Substanz. Sie schnitt tief in den darunter verborgenen Körper ein und dann geschah alles sehr schnell. Erfreut über seinen Treffer rief der Wächter aus: „Hah! Ich hab was erwischt.

    Zeitgleich verschwand die paralysierende Wirkung des Netzes. Yama wurde sichtbar, vollführte eine kreiselnde Bewegung um sich selbst, durch die er alle Devas in seiner Reichweite von sich stieß. Dabei gab er ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich und sprang sofort darauf instinktiv zurück in die Sicherheit seines Hauses.

    Erleichtert, der Gefahr entkommen zu sein, stand er da. Etwas stimmt nicht!, stellte er fest, nachdem die Anspannung sich gelegt hatte.

    Die Verbindung war zerbrochen, Yama war fort, genau wie sein Freund. Varun war allein. Panik und Grauen ergriffen langsam von ihm Besitz. Er spürte, wie seine Substanz rasch an Kraft verlor. Suchend tastete er in sich selbst nach dem Geist seines Freundes und fand ihn nicht. Verzweifelt lauschte er in sich hinein, hörte jedoch weder das vertraute Pochen des Herzens, noch das sanfte Wogen der Luft, die die Lungen füllte.

    War sein Freund tot? Hatte seine Seele ihn verlassen? In größter Sorge versuchte Varun die Schwere der Verletzung herauszufinden, doch die Wahrnehmung unter seiner Substanz war begrenzt.

    Um die Verletzung von außen betrachten zu können, rief er deshalb seinen Kundschafter herbei, in Gestalt eines Vogels. Anschließend zog er sich in das Innere des Menschenkörpers zurück, den er unter sich verbarg. Ein Schwall von Blut floss aus ihm heraus und breitete sich auf dem schwarzen Steinboden aus. Der Vogel flog auf und betrachtete den Körper genau. Die Klinge der Axt hatte den Leib auf der linken Seite an der Taille getroffen und eine tiefe Wunde hinterlassen. Varun wusste, dass eine solche Verletzung für einen Menschen tödlich war. Doch er war unsterblich!? Oder war es möglich, das eine Verletzung, erlitten durch die magische Waffe eines Gottes den Tod seines Freundes zur Folge hatte? Die Ungewissheit quälte ihn, noch einmal tastete er in seinem Geist nach dem des Anderen. Ohne Erfolg. Sollte ich irgendjemanden bitten, mir zu helfen? Aber wen? Niemanden gab es, dem Varun vertraute. Er war ein Dämon! Unvorstellbar war es für ihn, um Hilfe zu bitten. Einen Menschen vielleicht, einen Deva niemals. Zurzeit gab es jedoch keinen, den Jeng einen Freund nennen würde. Zwar hatte er sich darum bemüht, neue Beziehungen anzuknüpfen, doch die waren alle nur oberflächlich geblieben.

    Nein, er war auf sich selbst gestellt und konnte nur darauf hoffen, dass die Wunde bald heilte und der Geist seines Freundes zu ihm zurückkehrte. Varun überlegte: Er wird Wasser brauchen, wenn er erwacht.

    Er wollte zur Küche gehen, um einen Krug zu füllen, aber die Beine gehorchten ihm nicht mehr. Die Substanz war inzwischen zu schwach, um den Körper noch fortzubewegen.

    Wenn er nicht mehr erwacht, oder aber zu schwach ist, um zum Wasser zu gelangen, wird dieses Haus unser Grab werden. Niemand kann hier eindringen, um uns zu helfen. Varun schauderte. Es war bereits zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, er konnte nicht mehr hinaus. Er konnte sich nicht einmal mehr bewegen.

    Die immer weiter fortschreitende Schwäche drängte ihn, auch seinen Kundschafter in den Körper zurückzuziehen. Die Leere wartete, doch diesmal würden nicht einmal die Träume seines Freundes das Nichts durchbrechen und auch nicht sein gelegentlicher Herzschlag die Zeit zählen. Angst ergriff von ihm Besitz und ließ ihn nicht wieder los. Wach doch auf, Jeng, dachte er verzweifelt.

    Grabesstille umgab ihn, als er den Körper sanft zu Boden gleiten ließ und so seine Kontrolle aufgab. Nur den Kundschafter zog er nicht zurück, denn er wollte seinen Freund, solange es ihm möglich war, von außen betrachten können.

    Der kleine schwarze Vogel hüpfte um ihn herum, flatterte auf seine Brust, pickte an seiner Wange und zog an seinem Haar; in der Hoffnung, Jeng würde davon erwachen. Da dies nicht geschah, setzte er sich schließlich auf ihn und schloss erschöpft die Augen.

    Durch leere Räume flog ein Vogel auf der Suche nach seinem verschwundenen Freund. Immer wenn er einen Raum durchquerte, befand sich auf der anderen Seite eine Tür, die sich von selbst öffnete, sobald er sie erreichte, doch hinter jeder neuen Tür, befand sich stets nur ein weiterer leerer lichtloser Raum.

    Manche Räume waren so groß wie Städte, sodass man die gegenüberliegenden Wände nicht erkennen konnte. Er flog von Tür zu Tür, von Raum zu Raum, bis er schließlich in einen Raum gelangte, der nicht leer war. Keine Farbe gab es an diesem Ort. Die gesamte Landschaft war schwarz in schwarz. Doch das machte nichts, seine Augen konnten die Dunkelheit durchdringen. Es war totenstill, nur der Wind pfiff durch die Zweige entlaubter Bäume.

    Überall auf dem Feld lagen tote Körper von gefallenen Kriegern. In Sorge, seinen Freund unter ihnen zu finden, flog er von einem zum anderen, doch waren es nur die Gesichter von Fremden, in die er schaute. Im Todeskampf verzerrte Fratzen starrten ihm entgegen.

    Donnerhall erklang. Wind kam auf und steigerte sich rasch zum Sturm, der über das Schlachtfeld blies und Bäume, Landschaft und die gefallenen Toten mit sich fortriss. Wieder schwebte der Vogel allein im Nichts. „Gebt ihn mir zurück!", flehte er, doch er wusste nicht, an wen seine Bitte gerichtet war.

    Bald sog der Sturm auch an ihm. Verzweifelt kämpfte er dagegen an, schlug immer schneller mit seinen Flügeln, um dem Nichts zu entkommen, bis er plötzlich eine vertraute Stimme vernahm: „Varun, lass los, lass dich fallen. Du wirst mich finden. Ich bin da." Daraufhin gab der Vogel seinen Versuch auf, dem Sog entkommen zu wollen und stürzte dem Nichts entgegen.

    Ein lautes Piepen riss Varun aus seinem Albtraum. Noch nie zuvor hatte er geschlafen, noch nie geträumt. Im ersten Moment wusste er nicht, was geschehen war und wo er sich befand. Nur langsam gelang es ihm, diese für ihn so erschreckende Erfahrung zu begreifen. Wie lange habe ich geschlafen? fragte er sich. Waren es nur einige Minuten? Stunden, oder gar Tage? Der Kundschafter saß noch immer auf Jengs Brust und sein Freund lag noch genauso leblos da wie zuvor. Die Tafel, die ihn aus seinem Traum gerissen hatte, piepte laut. Mühsam flog der Vogel auf, um zu ihr zu gelangen. Sie lag auf dem Schrank, dort angekommen las Varun die kurze Nachricht:

    An Yama!

    Ich verlange augenblicklich eine Audienz.

    Gezeichnet: Indra, König der Devas,

    Gott der Krieger, Herr des Sturms.

    „ER verlangt augenblicklich!" Zornig sträubte der Vogel sein Gefieder. Dann tippte er mit dem Schnabel seine wütende Antwort ein. Abgelehnt! Anschließend stieß er die Tafel vom Schrank. Hart schlug sie auf dem Steinboden auf, ohne jedoch Schaden zu nehmen. Auf dem Schrank sitzend betrachtete er sie zornig. Der Zorn gab ihm Kraft, er flog zu ihr hinab und schob sie Stück für Stück in Richtung der Sitzkissen, um sie darunter zu schieben. Zufrieden mit seiner Tat hüpfte er anschließend zu seinem Freund zurück.

    Wenn Indra gegen seine Einwilligung zu ihm vordringen wollte, um ihn zur Rede zu stellen, musste er nun mit Gewalt in die Unterwelt eindringen. Er glaubte nicht, dass Indra so weit gehen würde. Schließlich standen tausende Asuras zur Verteidigung bereit und ein erneuter Krieg wäre sicher nicht in seinem Sinn.

    Die Zeit verging, so zäh wie Pech, dann endlich setzte der Herzschlag wieder ein und schnitt die Zeit in kleine Scheiben. Varun fühlte, wie Jengs Geist zurückkehrte und sich mit dem seinen verband. Unendlich erleichtert wartete er sehnsüchtig darauf, dass Jeng erwachte und zu ihm sprach.


    ¹ Herr der Unterwelt und Totenrichter, im Hinduismus und im Buddhismus

    ² Himmlische Wesen, Götter

    Und wieder zielt Eros mit seinem Pfeil auf mich,

    lockt mich mit süßen Klängen zum Fuchs

    und reizt mich, mit ihm zu spielen.

    Doch ihm missfällt mein Haar

    (weiß nämlich ist's); er hofft und harrt,

    träumend von jemand anderem.

    (Frei nach Anakreon 570 v. CHR)

    Der Fuchs

    Es war schon später Nachmittag, als Alepou die Agora betrat. Der Marktplatz war das Zentrum und Herz Athens. Hier spielte sich das öffentliche Leben der Bürger ab. Hier befanden sich die Verwaltungsgebäude, das Gericht, der Senat und die Bank. Die Agora selbst war ein offener Platz mit Schatten spendenden Bäumen, umgeben von Säulenhallen, in denen sich die Verkaufsstände der Händler befanden. Doch der Platz diente nicht nur als Markt, hier feierten die Bürger auch Feste und es fanden Sportveranstaltungen und politische Versammlungen statt.

    Wie immer war der Platz sehr belebt. Alepou überquerte ihn, nahm seine Lyra von der Schulter und setzte sich in den Schatten eines Baumes. Eine kleine Holzschale stellte er vor sich auf den Boden. Sein Ohr dicht an die Saiten haltend, prüfte er danach den Klang des Instrumentes mit den Fingern, zog einen der Schildpattwirbel nach und begann zu spielen. Er sang nie, während er spielte, denn er hatte keine schöne Stimme, aber seine Lyra beherrschte er im Schlaf. Selbst mit verbundenen Augen spielte er fehlerfrei.

    Er war siebzehn und stolz darauf, ein freier Bürger der Stadt Athen zu sein. Alepou war nicht sein richtiger Name, doch niemand außer ihm wusste das. Er hatte ihn sich selbst gegeben, als er mit dreizehn von zu Hause fortlief, um sein altes Leben hinter sich zu lassen. Seitdem sicherte ihm sein Instrument das Überleben in der Stadt.

    Die reichen Athener waren großzügig. In den wenigen Stunden, die er täglich spielte, verdiente er ein bis drei Drachmen am Tag und er brauchte das Geld dringend für sein Studium.

    Xenokrates, der bekannteste Arzt Athens, hatte ihn vor einem Jahr als seinen Schüler aufgenommen.

    Nur seiner Hartnäckigkeit war das zu verdanken gewesen. Als er mit dreizehn von Zuhause floh, wollte er schon Arzt werden und er verfolgte dieses Ziel seither hartnäckig.

    Es war nicht schwer gewesen, herauszubekommen, welcher Heiler in der Stadt den besten Ruf genoss, viel schwerer war es, von ihm als Schüler anerkannt zu werden.

    Da waren zum einen die hohen Studiengebühren, die der Arzt verlangte; im ersten Jahr bereits 200 Silberdrachmen. Darüber hinaus musste Alepou ihn auch noch von seiner Befähigung überzeugen. Doch der Junge war klug und stellte es geschickt an, in die Nähe des Arztes zu gelangen, denn er wusste, das Xenokrates ihn nicht ohne weiteres akzeptieren würde. Er konnte weder Familie noch Bürgen vorweisen. Also erkundigte er sich, welche Heilkräuter der Arzt für seine Behandlungen benötigte und sammelte diese in den nahe gelegenen Bergen, um sie ihm anschließend für einen günstigen Preis anzubieten. So lernte der Arzt Alepou kennen. Mit der Zeit sammelte er nicht nur Kräuter für ihn, sondern besorgte ihm auch Blutegel und Vipern, die für die Behandlung von Kranken häufig gebraucht wurden.

    Mit dem Wissen, das er auf diese Weise über die Heilmittel gewann, gelang es ihm, den Arzt zu beeindrucken, sodass er ihn schließlich als Schüler aufnahm.

    Die Studiengebühren für das erste Jahr hatte er in den drei Jahren zuvor, durch sein Lyraspiel und dem Verkauf der Heilpflanzen, zusammensparen können. Sogar für die ersten drei Monate des nächsten Jahres reichte sein Erspartes noch aus, doch nun war Alepou besorgt. Es blieb nur noch wenig Zeit, genügend Geld zu sammeln, um die Gebühren für die kommenden drei Monate zu entrichten. Im zweiten Lehrjahr verlangte Xenokrates bereits den doppelten Betrag von seinen Schülern. Und die 100 Silberdrachmen pro Quartal waren nicht so leicht zu verdienen.

    An diesem Abend waren seine Einnahmen enttäuschend, nicht einmal eine Drachme hatte er nach dreistündigem Spiel erhalten. Als sich der Platz langsam leerte, packte Alepou seine Sachen zusammen und ging durch die engen Gassen Athens zurück, in die Villa des Arztes. Zusammen mit einem weiteren Schüler schlief er dort in einem kleinen Raum. Ihm knurrte der Magen. Außer dem Gerstenbrei am Morgen hatte er nichts mehr gegessen. Zum Abendessen erwarteten ihn eine Schüssel Linsensuppe und ein Stück Brot, so wie immer. Linsen und Gerste waren das Grundnahrungsmittel der Athener und wer so arm war wie er, aß selten etwas anderes.

    Die Villa betrat er durch einen Nebeneingang, denn der Haupteingang war nur für Familie und Freunde des Hauses bestimmt. Er ging an den Sklavenunterkünften vorbei und betrat den schlichten Raum, in dem er schlief. Dion saß bereits am Tisch und löffelte seine Suppe. Nur Dion und er schliefen im Haus des Arztes. Ariston der älteste Schüler, wohnte ganz in der Nähe, im Haus seiner Eltern.

    „Du bist spät dran, ich habe schon überlegt, deine Suppe zu essen", begrüßte ihn Dion. Alepou lächelte und setzte sich zu ihm. Genau wie er war Dion im zweiten Studienjahr, und seit Beginn ihres Studiums waren sie Freunde.

    „Danke, dass du's nicht getan hast, ich hab einen mordsmäßigen Hunger." Er zog die Schüssel zu sich heran und begann zu essen.

    „Wie immer. Wenn du mich fragst, das, was sie uns geben, ist einfach nicht genug. Xenokrates ist ein alter Geizhals, der spart, wo er nur kann." Alepou kommentierte die Aussage seines Freundes nur mit einem Achselzucken und aß weiter.

    „Hast du heute auf der Agora gespielt?"

    „Hmhm", nickte er.

    „Und? Hast du gut verdient?" fragte Dion.

    Alepou schluckte, bevor er antwortete: „Nein nicht einmal eine Drachme. Morgen versuch ich's auf dem Burgberg, vor einem Tempel."

    „Bekommst du die 100 Drachmen für das nächste Quartal zusammen?"

    „Nicht wenn das so weitergeht. Ich habe erst dreißig, also muss ich in den nächsten zwei Monaten noch siebzig dazuverdienen, das wird nicht einfach werden."

    „Vielleicht solltest du es am Sportplatz oder am Gymnasion versuchen, wäre doch möglich, dass dort ein reicher Gönner auf dich aufmerksam wird."

    Alepou seufzte: „Ich bin siebzehn, es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ich noch einen Erastes³ finde. Außerdem weiß ich nicht einmal genau, ob ich einen will. Ich möchte Arzt werden und bin aus eigener Kraft weit gekommen. Da hoffe ich doch, dass ich meine Ausbildung auch selber zu Ende bringen kann, ohne auf die Geschenke eines reichen Adeligen angewiesen zu sein."

    Dion blickte ihn von der Seite an. „Du bist viel zu stolz. Sieh dir Ariston an, er ist aus einem reichen Elternhaus. Sie bezahlen sein Studium und er hat außerdem noch Isokrates als Freund. Ein Erastes ist für einen jungen Menschen immer von Vorteil. Gerade du könntest davon profitieren."

    „Du hast doch auch keinen."

    „Ja, aber das heißt nicht, dass ich nicht gerne einen hätte. Du sagst, du siehst nicht gut genug dafür aus? Dann schau doch mich an, gegen dich ich sehe aus wie ein Bauerntölpel."

    Alepou sah nachdenklich seinen Freund an, sagte aber nichts zu ihm. Dion war von gedrungener Statur, sein kräftiger Körperbau und die groben, aber freundlichen Gesichtszüge erweckten in einem Betrachter den Eindruck, ein sehr schlichtes Gemüt vor sich zu haben, doch das täuschte. Dion war alles andere als dumm. Er war der jüngste von fünf Brüdern. Seine Eltern besaßen ein Weingut weit außerhalb von Athen. Sie kamen für die Gebühren auf, die der Arzt verlangte.

    Alepou dagegen war dürr, seine Arme und Beine schienen viel zu lang zu sein. Die dunkelroten Haare leuchteten feuerrot, wenn die Sonne darauf schien. Hässlich war er nicht, jedoch war er auch nicht schön.

    Nachdem er aufgegessen hatte, stand er auf und brachte die Holzschüsseln zu Lamia, die am Herdfeuer ihren Dienst versah, sie war die älteste Sklavin im Haus. Danach kehrte er in sein Zimmer zurück und legte sich auf sein Bett. Es war nicht mehr als ein erhöhter Schlafplatz aus Stein, auf dem eine dünne Matte aus Gerstenstroh und ein Laken lagen. „Ich bin müde, Dion, gute Nacht."

    Dion blies das kleine Öllämpchen aus, das auf dem Tisch stand und den Raum spärlich beleuchtete, dann legte er sich ebenfalls schlafen.

    Wie immer wurden beide am Morgen vom lauten Krähen der Hähne geweckt. Es dämmerte bereits. Alepou stand auf und ging zur Zisterne, um sich zu waschen. Dann zog er seinen knielangen Chiton an. Es war die übliche Tracht der Athener und bestand aus nicht mehr als zwei rechteckigen Stoffbahnen, die mit Spangen, den Chlamis an den Schultern zusammengehalten wurden. Dazu trug man einen Gürtel. Nachdem er sich gewaschen hatte, ging er zurück in sein Zimmer und wartete auf das Frühstück.

    Kurz darauf trat Lamia durch die Tür, um den noch dampfenden Gerstenbrei auf den Tisch zu stellen. „Guten Morgen, Ihr Herren, sagte sie gut gelaunt. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht. Lamia verließ nicht wie sonst sofort das Zimmer, nachdem sie den Brei gebracht hatte, sondern zog aus einer Tasche noch getrocknete Feigen hervor und legte jeweils drei neben die Schüsseln. „Die schickt Euch die Herrin."

    „Dann richte ihr bitte unseren Dank dafür aus", sagte Dion, erfreut über die willkommene Abwechslung ihres Speiseplans.

    „Das werde ich tun, sagte sie beim Hinausgehen. „Ich wünsche einen schönen Tag.

    „Sie hätte uns ruhig noch mehr da lassen können", beschwerte sich Dion, während er seinen Brei aß.

    Alepou zuckte mit dem Achseln: „Diotima hätte uns auch keine zu schicken brauchen. Wenigstens hat sie an uns gedacht. Du brauchst dich doch nicht zu beschweren, schließlich kannst du dir von dem Geld, das dir deine Eltern für die Ausbildung geben, ab und zu etwas kaufen. Ich dagegen muss jeden Oboli sparen, also jammre nicht."

    „Viel ist es auch nicht, was nach Abzug der Gebühren übrig bleibt."

    „Mag sein, aber zumindest kannst du das ausgeben, für was du willst."

    Nach Beendigung des Frühstücks stand Alepou auf. Die Feigen verwahrte er sich für den Nachmittag.

    Inzwischen war es hell geworden. Sie überquerten den Hof und gingen in die Behandlungsräume.

    Gleich hinter dem Eingang stand in einer Nische die Statue von Asklepios, dem Gott der Heilkunst. Jeden Morgen vor Arbeitsantritt verbrannten sie für ihn dort einen getrockneten Rosmarinzweig und sprachen ein kurzes Gebet.

    Anschließend durchquerten sie den Vorratsraum, in dem Kräuter, Salben und Tinkturen aufbewahrt wurden und gingen in das größte Behandlungszimmer des Hauses. Wie üblich waren Dion und Alepou die ersten. Also warteten sie darauf, dass Xenokrates und Ariston eintrafen.

    In der Mitte des Raumes stand eine Liege und zwei Stühle befanden sich an der linken Wand. Dem gegenüber war ein Regal mit den Krankenakten und allen Buchrollen der Heilkunde, die Xenokrates besaß. Bücher waren teuer, deshalb durften seine Studenten sie nicht lesen.

    Sie brauchten nicht lange zu warten, da trat der Arzt mit gewichtigen Schritten ein.

    „Guten Morgen", dröhnte seine kräftige Stimme. Alepou und Dion erwiderten den Gruß.

    „Ist Ariston noch nicht da?", fragte er, als er sich im Raum umsah.

    „Nein", antworteten Dion und Alepou gleichzeitig.

    Xenokrates verzog missbilligend das Gesicht. „Mir scheint, er kommt jedes Mal etwas später zum Dienst. Wie dem auch sei, Dion du bereitest heute neue Salben und Tinkturen zu."

    „In Ordnung."

    „Vorher musst du zur Agora gehen. Ich gebe dir eine Liste mit. Wir haben kaum noch Schlafmohn vorrätig, versuche möglichst viel davon zu bekommen. Aber kauf nicht, wenn sie mehr als drei Oboli für zehn Kapseln verlangen, hörst du?"

    „Ja, ich hab's verstanden." Dion nahm die Liste entgegen.

    „Wo bleibt Ariston? Bald stehen die ersten Patienten vor der Tür und er ist immer noch nicht da."

    Xenokrates’ ältester Schüler war unzuverlässig, dennoch sollte er in diesem Jahr seinen Eid als Arzt ablegen. Aristons Eltern gehörten zu den wohlhabendsten Bürgern Athens und waren enge Freunde des Arztes, das war wohl auch der Grund, warum er seine Ausbildung nicht ganz so ernst nahm.

    „Kann ich Euch heute vielleicht assistieren?", fragte Alepou hoffnungsvoll.

    „Nein, Alepou, du kümmerst dich um das Wechseln der Verbände und die Herausgabe der Heilmittel. Das schaffst du doch, oder? Dion kann dir später helfen, wenn er mit seinen Aufgaben fertig ist."

    Enttäuscht nickte Alepou und verließ das Behandlungszimmer. Im Empfangsraum informierte er den Sklaven, der die eintretenden Patienten empfing und auch die Kasse verwaltete, darüber, welche Patienten heute zu ihm geschickt werden sollten. Dann wartete er in einem kleineren Behandlungszimmer.

    Als Ariston eintraf, wies Xenokrates seinen Schüler sofort laut zurecht, sodass Alepou zusammenzuckte. „Was fällt dir ein, erst so spät zum Dienst zu erscheinen, Ariston? Warst du schon wieder auf einem Symposion und hast dich sinnlos betrunken?"

    „Es geht Euch nichts an, was ich außerhalb meiner Dienstzeit mache. Brüllt mich nicht so an, ich habe Kopfschmerzen. So spät bin ich außerdem nicht, es sind noch nicht mal Patienten da."

    Alepou blickte neugierig in den Raum hinein, achtete aber darauf, nicht gesehen zu werden. Xenokrates stand z