Der Euro-Wahn und seine Nutznießer: Politische und ökonomische Motive, Hintergründe und Folgen
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Mit dem Euro untrennbar verbunden ist die Legende, dass die Deutschen die größten Profiteure des Euro seien. Das widerspricht den Tatsachen, es ist eine Lüge:
Innerhalb weniger Monate nach Einführung wertete der Euro um 30 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab! Und mit ihm die an ihn gebundene DM. Das hatte nicht nur zur Folge, dass die deutschen Exporte für Ausländer um 30 Prozent billiger wurden, auf der Gegenseite wurden alle Importe um 30 Prozent teurer. Diese schlagartige Verwerfung der Preis- und Kostenstrukturen löste in Deutschland die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Der Euro als Ursache dieser Krise wurde nie genannt. Weder von den stets zitierten Ökonomen, noch von den Medien und schon gar nicht von der Politik.
Für das internationale Finanzkapital, das weltweit nach profitablen Aufkäufen giert, verbilligten sich Aufkäufe deutscher Unternehmen, Grundstücke, Wohnungen und Agrarflächen. Der Anteil ausländischer Eigentümer an den größten deutschen Aktiengesellschaften stieg von 1997 - 2007 von 10 auf 65 Prozent. Ohne den Euro wären diese Eigentumsübertragungen unmöglich gewesen. In den Jahren von 1970 bis 1995 war der Wert der DM jährlich um 6,17 Prozent angestiegen.
Die ehemaligen Schwachwährungsländer hat der Euro auf andere Weise geschädigt. Dank des für ihre Verhältnisse hohen Euro-Außenwertes konnten sie billiger im Ausland einkaufen als im Inland selbst produzieren. Ihre Wettbewerbsfähigkeit war sogar bei ihren typischen Exportgütern, wie dem Tourismus, erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Der Euro verschaffte ihnen in den ersten Jahren einen großartigen Aufschwung. Doch es war eine mit billigen Krediten finanzierte Scheinblüte, die in der von den USA losgetretenen Finanz- und Wirtschaftskrise schlagartig zusammenbrach. Die anschließenden Rettungsversuche galten primär dem Euro. Die den zahlungsunfähig gewordenen Euro-Ländern auferlegten Spardiktate mussten ihre Krise zwangsweise noch verschärfen und vertiefen. Das hätten Ökonomen und Politiker auch wissen müssen. Ein Blick in die Geschichte der Weimarer Republik (Brüningsche Notverordnungen) hätte sie das lehren können.
Als Fazit bleibt festzustellen: Den "Europäern" wäre viel Leid erspart geblieben, wenn ihre Politiker - aus unterschiedlichen und sogar gegensätzlichen Motiven heraus - nicht der Euro-Wahn ergriffen hätte. Er hat den Völkern Europas weder Wohlstand noch Frieden gebracht.
Hermann Patzak
Jahrgang 1942, Diplom-Kaufman, Diplom-Volkswirt, Studiendirektor a.D., Fachbetreuer Wirtschaftswissenschaften an Berufsoberschule. Vorlesungen an Fachhochule in Finzanzierung und Rechnungswesen. Ausbilder an IHK für Bilanzbuchhalter in Bilanzanalyse und Rechnungswesen.
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Book preview
Der Euro-Wahn und seine Nutznießer - Hermann Patzak
Tabellenverzeichnis
1 Ein erster Ein- und Überblick zum Thema
Die politischen Eliten der einstigen Imperial-Mächte des Westens haben ihren Weltmachtanspruch zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Unter der Führung der USA, die nach zwei Weltkriegen ihre Weltmachtstellung weiter ausbauen und vertiefen konnte, nutzen sie jede sich bietende Gelegenheit zur Intervention, wenn sich irgendwo in der Welt unerwünschte politische Machtveränderungen anbahnen. Sie nehmen für sich das Recht in Anspruch, ihre Version von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie weltweit zu implementieren, wo immer es ihnen notwendig erscheint. Da werden dann auch schon einmal vorbeugend Entwicklungen angestoßen, die unerwünschte Machtverschiebungen verhindern sollen. Der Euro war ein solches Mittel. Er sollte den unaufhaltsamen ökonomischen Aufstieg Deutschlands, der sich im Wertanstieg seiner Währung zur zweiten Welthandels- und Weltreservewährung (hinter dem US-Dollar) manifestierte, ein Ende bereiten³:
Tabelle 1, DM als Weltreservewährung
Der Anteil der DM an allen Weltdevisenreserven lag 1995 bei 15,8 Prozent, er war damit mehr als siebenmal so hoch wie der Anteil des englischen Pfund. Der Euro lag auch ganz offensichtlich im Interesse Englands und Frankreichs, die lange vor der Wiedervereinigung, bereits in den Jahren 1959 und 1960 erleben mußten, daß sie von der Wirtschaftkraft des westdeutschen Teilstaates BRD überholt wurden, wie die nachstehende Graphik belegt:
Abbildung 1, das BIP der BRD übersteigt das Frankreichs und Englands⁴
Mit dem Verschwinden der DM, in das die Deutsche Regierung unter Kanzler Kohl einwilligte, ebenso wie die übrigen Konsensparteien des Bundestages, war dieses Problem der ehemaligen Siegermächte und jetzigen „Partner-Länder" vom Tisch, und es geschah, was kommen mußte: Der Euro und mit ihm die an ihn gebundene DM verloren dramatisch an Wert, mit den für die deutsche Volkswirtschaft vorhersehbaren schweren Schäden, auf die wir in dieser Abhandlung ausführlich eingehen werden.
Der Euro hatte noch eine zweite Auswirkung, die nicht so ohne weiteres vorhersehbar war. Er wurde für die vormaligen Schwachwährungsländer zur Knute einer globalkapitalistischen Rationalität, die in ihrem Kern das Dogma der Renditemaximierung vollstreckt. Das beschönigende Wort für Renditemaximierung heißt Wettbewerbsfähigkeit. Es ist seit der Euro-Krise in aller Munde. Alle Länder der Währungsunion mußten ihre Wettbewerbsfähigkeit an dem Wert des Euro ausrichten, ob sie wollten, konnten oder nicht. Und dieser Wert war für die tradierten europäischen Schwachwährungsländer viel zu hoch. Das brachte ihnen zwar anfangs erhebliche Konsumvorteile, die aber die Wirtschaftssubjekte dieser Länder (Konsumenten, Unternehmen und den Staat) dazu verleiteten, die neuen Möglichkeiten des leichten und billigen Konsums zu nutzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu vernachlässigen. Das war eine Sekundärfolge des Euro (und der EU-Transferzahlungen), die letztendlich auf direktem Weg in die Eurokrise führen mußte. Die notwendigen Anpassungen der Produktivität an die Anforderungen des technischen Fortschritts – die sog. Reformen – unterblieben.
Diese Reformen nachträglich den bereits in die Krise gerutschten EuroLändern aufzwingen zu wollen, war – neben der Einführung des Euro selbst – der zweite große Fehler der vom Euro-Wahn befallenen Politiker Kaste. Fassen wir zusammen:
Der Euro lockte und verführte die Menschen in den Beitrittsländern zum leichten Konsum auf Pump. Sie wurden reicher, ganz ohne eigenes Zutun. Das aber schwächte die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft, weshalb die Wirtschaftskrise über kurz oder lang kommen mußte.
Als sie die ersten Euroländer in die Zahlungsunfähigkeit getrieben hatte, verhinderte die Politik der Euro-Retter den Konkurs, indem man ihnen das Geld für die Schuldenbegleichung vorstreckte und sie zum Sparen durch Ausgabesenkungen zwang. Da aber die in Not geratenen Staaten ihre Schulden nur dann würden zurückzahlen können, wenn es ihnen gelänge, ihr Volkseinkommen (BIP) zu steigern, machte man ihnen Reformen zur Auflage, die die Leistungsfähigkeit ihrer Volkswirtschaft steigern sollten.
Wir werden auf diese Zusammenhänge im Verlauf dieser Abhandlung immer wieder stoßen. Doch zu Beginn ist eine banale Richtigstellung notwendig: Es geht um die offenkundige Lüge, daß die Deutschen vom Euro profitieren, sogar am allermeisten profitieren, weshalb sie moralisch verpflichtet seien, die Schulden derjenigen Länder zu bezahlen, die über ihre Verhältnisse gelebt haben und ihre Schulden jetzt nicht mehr bezahlen können. Es ist schon fast belustigend, daß die Medienmeute diese Lüge nun schon seit Jahren weiterverbreitet, obwohl sie selbst in ihrer täglichen Arbeit immer über Entwicklungen und Fakten berichten, die sie mit der Nase drauf stoßen müßten, daß der Euro die Deutschen ärmer gemacht hat. Dies ist jetzt wieder dem Mitherausgeber der FAZ, Holger Steltzner, passiert. Er hat damit der Wahrheit einen schmalen Spalt geöffnet. Das tat er sicherlich unbeabsichtigt. In seinem Leitartikel⁵: „Deutschland verschenkt Wohlstand" zählt er einige der Fakten auf, die seine Zeitung – im Kanon mit allen anderen Leitmedien Deutschlands – seit gut zwanzig Jahren erfolgreich immer verleugnet hat. Er macht den Deutschen zum Vorwurf, daß sie es dem internationalen Finanzkapital ermöglichten, große Teile des deutschen Produktivvermögens aufzukaufen. Daß diese Aufkäufe aber erst durch den Euro ermöglicht wurden, weil er den Kaufpreis deutscher Unternehmen für die Internationale der Heuschrecken halbierte, wohingegen die potentiellen deutschen Aufkäufer den vollen Euro-Preis zahlen mußten, erwähnt er mit keiner