Weltbild: in 11 Geschichten mit Druckerschwärze auf weissem Papier
By Klaus Wahl
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Sie verlangen nach Ruhe, um gelesen zu werden. Nach einem Samstagnachmittag im bequemen Sessel, nach einer Parkbank mit alten Bäumen außen herum oder einem Liegestuhl im Garten.
Sie brauchen nur ein wenig Zeit und Aufmerksamkeit, dann fangen ihre Figuren an zu leben. Marie Foucault, wie sie die Schokolade auf ihrer Zunge schmelzen lässt, Herr Karl, wie er sich in seinem Fernseher widerspiegelt und Paula Possen, wie sie sich kein Auto, sondern ein Fahrrad mit gemütlichen Reifen kauft. Sing Sang, wie er sich mit einem Eichhörnchen unterhält.
Klaus Wahl
Meine Abneigung, über mich selbst zu schreiben, so als ob ich ein Waschmittel wäre, oder ein klebriges Erfrischungsgetränke, wird nur noch von der gegen Netzwerke im Internet und industriell produziertem Essen übertroffen. Dennoch: Ich wurde 1956 in einer süddeutschen Stadt geboren und setze seit dreißig Jahren all meinen Ehrgeiz daran, meine Tage nicht auch dort beschließen zu müssen. Folge dieses Ehrgeizes war ein bewegtes Leben. Ich habe mich daran gewöhnt, nirgends zu Hause zu sein. So sehr, dass es mir mittlerweile schwer fällt, mich für längere Zeit an einem Ort aufzuhalten. Kurios ist, dass ich mich trotzdem danach sehne, eine Heimat zu finden. Ich gehöre mit meinem Jahrgang nicht nur zu der Generation, die gerade mit dem Aussterben beginnt, sondern ich stamme damit tatsächlich noch aus dem letzten Jahrhundert. Ich kann mich noch an Straßen ohne parkende Autos erinnern, an Bierkutschen, Erntehilfe, Maikäfer (keine Erinnerung, die ich schätze) und an die Wohnung meiner Urgroßmutter, deren einziger Komfort in einem Wasserhahn in der Küche bestand. Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, dann hat mir das Leben damals trotzdem besser gefallen als heute.
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Weltbild - Klaus Wahl
Oberengstirn
Der Kanzler der anfängt zu denken
Vor vielen Jahren, als es in Deutschland noch Industrie gab und Strom aus Atomkraftwerken und die Menschen morgens in ein Büro fuhren, um eine Arbeit zu verrichten von der sie nicht genau wussten wofür sie eigentlich gut war, saßen der damalige Kanzler und sein Minister für die Wirtschaft auf dem Rücksitz ihrer Luxuslimousine. Sie waren gemeinsam unterwegs zu einer der vielen Konferenzen, von denen auch niemand so recht wusste, wem sie nutzen und die das Leben von Regierungsmitgliedern früher einmal so anstrengend gemacht haben.
„So geht das nicht weiter, Herr Wirtschaftsminister!", sagte der Kanzler.
„Die Chinesen kaufen ein deutsches Unternehmen nach dem anderen. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, sondern noch länger tatenlos zuschauen, dann ist unser Land bald eine chinesische Provinz."
Der Wirtschaftsminister antwortete, ohne auch nur von den Akten aufzuschauen, die auf seinen Knien lagen.
„Ich denke das ist unser Land, wie Sie das nennen, bereits, Herr Kanzler und im Übrigen ist das eine gute Gelegenheit Sie darüber zu informieren, dass ich gestern einen Vertrag unterschrieben habe, der mich nach meiner Amtszeit als Minister zum Vorsitzenden des Industrierates macht."
Dem Kanzler war die Bedeutung der Worte des Wirtschaftsministers vollkommen klar. In anderen Ländern Europas hatte die, von China großzügig finanzierte und als Industrierat bezeichnete, Institution immer mehr Einfluss gewonnen und schließlich die Regierung in der Machtausübung praktisch abgelöst. Was der Wirtschaftsminister ihm zu verstehen gab war, dass er auch nach Hause gehen könne. Was er ihm sagte war, dass seine Zeit dieses Land zu regieren abgelaufen sei.
Der Kanzler hörte sich ein wenig hilflos sagen:
„Aber…. aber…. das bedeutet doch dann das Ende unserer deutschen Kultur."
Der Wirtschaftsminister antwortete darauf trocken:
„China interessiert sich nicht für die deutsche Kultur, Herr Kanzler, sondern nur für die deutsche Wirtschaft, unsere Industrie und unseren Markt. Außerdem, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, eine „deutsche Kultur haben wir erstens schon lange nicht mehr und es ist zweitens ein anrüchiger Begriff.
Danach fiel kein Wort mehr zwischen den beiden.
Am Abend dieses Tages saß der Kanzler dann Zuhause in seinem Wohnzimmer. In der bequemen Ecke seines Sofas, mit einem Glas Rotwein in der Hand. Die Fenster standen offen und die Nacht senkte sich über das Land. Von draußen drang der Geruch des nahen Waldes in den Raum. Vor ihm flackerte eine Kerze auf dem Tisch. Gegen zehn Uhr rief er seine Sekretärin an. Er gab ihr auf alle Termine für den Rest der Woche abzusagen, was keine leichte Aufgabe war. Aber als Sekretärin des Kanzlers war sie späte Anrufe, genauso wie Kummer, gewohnt. Der Kanzler ging kurz danach zu Bett. In den folgenden Tagen machte der Kanzler viele Spaziergänge und saß in seinem Garten, mit einem Krug Wasser neben sich. Er dachte nach und so war alles, was er in diesen Tagen tat für ihn ungewohnt.
Am Montagmorgen erschien er, als ob nichts