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Der freie Wille: Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos
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Ebook150 pages1 hour

Der freie Wille: Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos

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Seit jeher streiten sich Philosophie, Religion, Psychologie und Naturwissenschaften über den Freiheitsbegriff und die Definition des freien Willens. Aristoteles, Seneca, Plotin, Augustinus, Wilhelm von Ockham, Thomas von Aquin, Erasmus von Rotterdam, Descartes, Leibniz, Hobbes, Voltaire, Rousseau, Hume, Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Schopenhauer, H. Marcuse, Heidegger oder Sartre; all diese großen Denker haben sich in ihrer Zeit auf die ein oder andere Art und Weise mit der Frage befasst, ob der Mensch tatsächlich dazu in der Lage ist unter verschiedenen Wahlmöglichkeiten und unabhängig von äußeren Einflüssen, eine bewusste Entscheidung zu treffen. Nicht selten gelangten sie dabei zu völlig gegensätzlichen Auffassungen. Bücher und Ansätze zu diesem und verwandten Themengebieten gibt es daher zuhauf, und man hat es somit als philosophisch Interessierter häufig nicht leicht, die guten und klaren von den schlechten und unklaren Ansätzen zu unterscheiden.
LanguageDeutsch
Release dateDec 8, 2015
ISBN9783843805216
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    Der freie Wille - Prof. Ph.D. Mark Balaguer

    Gutachtern.

    1

    EINLEITUNG

    Die Wissenschaft hat bewiesen, so wurde in den letzten Jahren vielfach und auf unterschiedliche Weise behauptet, dass Menschen keinen freien Willen haben. Leute wie der Harvard-Psychologe Daniel Wegner und Sam Harris, ein Neurowissenschaftler und Autor verschiedener »populärphilosophischer« Bücher, erklären aufgrund gewisser wissenschaftlicher Befunde unsere Willensfreiheit zur Illusion.

    Wenn das stimmen würde, wäre das alles andere als erfreulich. Es wäre außerdem überraschend, denn es scheint doch so, als ob wir über einen freien Willen verfügen. Anscheinend wird das, was wir von einem auf den anderen Moment tun, von bewussten Entscheidungen bestimmt, die wir frei treffen. Nehmen wir zum Beispiel an, ich liege auf dem Sofa, sehe fern und beschließe unverhofft, aufzustehen und einen Spaziergang zu machen. Anscheinend ist der Grund, warum ich aufgestanden bin, um spazieren zu gehen, dass ich eine bewusste Entscheidung getroffen habe, genau das zu tun. Ich hätte auch weiter fernsehen oder etwas ganz anderes tun können. Teufel, ich hätte mich grün anmalen und so tun können, als wäre ich der unglaubliche Hulk im Kampf auf Leben und Tod mit einer bösen Truppe litauischer Trapezkünstler. Aber das habe ich nicht; ich bin spazieren gegangen. Und als ich das getan habe, habe ich meinen freien Willen ausgeübt. Oder so jedenfalls kommt es uns vor. Doch wenn Leute wie Wegner und Harris recht haben, dann ist dieses Gefühl der Freiheit, das wir alle haben, eine Illusion. Ihrer Auffassung nach haben wir keinen echten freien Willen. Mit anderen Worten, wir haben keine echte Wahl bei dem, was wir tun; all unser Tun wird vielmehr von Antrieben verursacht, die völlig außerhalb unserer Kontrolle liegen. Und, sagen wieder dieselben Leute, dass wir keine Willensfreiheit haben, das ist sogar wissenschaftlich bewiesen.

    Ich traue diesen Leuten nicht über den Weg. Es ist nicht so, dass ich der Wissenschaft nicht traue. Im Gegenteil, ich vertraue ihr unbedingt. Ich halte sie für den besten Weg, den wir haben, um Wissen über die Welt zu erlangen. Ich traue nur eben den Leuten nicht, besonders dann nicht, wenn sie mir weiszumachen versuchen, die Wissenschaft habe irgendeine verrückte Behauptung bewiesen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es bin mir durchaus bewusst, dass bereits viele zunächst irrwitzig erscheinende Behauptungen wissenschaftlich bewiesen worden sind. Aber auf jeden einzelnen Fall, wo die Wissenschaft zu Recht die Wahrheit eines verrückt klingenden Ergebnisses festgestellt hat, kommen tausend Fälle, bei denen fälschlicherweise behauptet wird, die Wissenschaft habe verrückt klingende Resultate bewiesen. Die Moral von der Geschichte ist also: Nur weil uns jemand mit einem Doktorgrad und einem Laborkittel erzählt, dass irgendeine hirnrissige Schlussfolgerung wissenschaftlich bewiesen sei, muss das noch lange nicht stimmen. Natürlich heißt das nicht, dass sie falsch sein muss. Ich sage nur, wir sollten die Behauptung erst einmal selbst überprüfen.

    Ich stehe also der Idee, dass die Wissenschaft beweisen könnte, dass wir keinen freien Willen haben, völlig offen gegenüber. Schließlich handelt es sich bei unseren Entscheidungsabläufen um Hirnprozesse, insbesondere um neuronale Prozesse, und die fallen offenkundig in die Domäne wissenschaftlicher Forschung. Genau das ist es ja, was die Neurowissenschaft tut: Sie untersucht neuronale Prozesse. Es besteht also die reale Möglichkeit, dass Neurowissenschaftler entdecken könnten, dass wir keinen freien Willen besitzen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sie das auch tatsächlich geschafft haben. Daher will ich mir die Sache genauer anschauen, um zu sehen, ob sie recht haben.

    Davon handelt dieses Buch. Ich werde darin die verschiedenen Argumente und wissenschaftlichen Experimente erörtern und bewerten, die als Beweise vorgebracht werden, dass Menschen keinen freien Willen besitzen. Am Ende des Buchs werden wir dann in der Lage sein, die Frage zu beantworten, ob die verschiedenen Argumente dafür etwas taugen; mit anderen Worten, wir werden beurteilen können, ob wir wirklich gute Gründe dafür haben, unseren Glauben an den freien Willen aufzugeben.

    Bevor ich fortfahre, möchte ich ein Problem ansprechen, dass für unsere Diskussion relevant ist. Grob gesagt können wir zwei verschiedene Standpunkte über das Wesen des Menschen beziehen. Diese beiden Auffassungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    Die spirituelle, religiöse Auffassung des Menschen: Jede Person besitzt eine unsterbliche Seele oder einen immateriellen Geist, der sich vom physischen Körper unterscheidet und den Körper irgendwie »antreibt« oder »dem Körper sagt, was er tun soll«. Wenn man zum Beispiel durstig ist und sich bewusst entscheidet, in die Küche zu gehen und ein Glas Wasser zu trinken, dann ist es unsere Seele, die diese bewusste Entscheidung trifft und den Körper veranlasst, aufzustehen und sich in die Küche zu begeben.

    Die materialistische, wissenschaftliche Sicht des Menschen: Am Menschen ist nicht mehr dran als sein physischer Körper, er besitzt jenseits seiner materiellen Leiblichkeit keine immaterielle Seele. Daher findet man alles, was einen Menschen zu dem macht, was sie oder er ist, im Gehirn. Ihre Überzeugungen und Wünsche, Hoffnungen und Ängste, Ihre Erinnerungen und Gefühle wie Liebe oder Hass: das alles hat, kodiert in neuronalen Pfaden, seinen Sitz in Ihrem Gehirn.

    Es besteht also die reale Möglichkeit, dass Neurowissenschaftler entdecken könnten, dass wir keinen freien Willen besitzen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sie das auch tatsächlich geschafft haben.

    Und wenn wir wissen wollen, warum wir aufgestanden und in die Küche gegangen sind, müssen wir nur in unser Hirn schauen. Man kann nirgendwo sonst nachsehen, weil wir keine immaterielle Seele besitzen. Ihr Durst war etwas Physisches, neuronal kodiert in Ihrem Gehirn. Ebenso war Ihre bewusste Entscheidung, aufzustehen und sich ein Glas Wasser zu holen, physisch – ein physikalisches, neuronales Ereignis, das sich in Ihrem Hirn ereignete. Und dieses neuronale Ereignis setzte Ihre Muskeln in Bewegung und so weiter und so fort.

    Zwischen diesen beiden Anschauungen findet offensichtlich schon für sich genommen eine sehr hitzige und kontroverse Debatte statt, und ich werde hier nicht den Versuch unternehmen, sie beizulegen. Aber der Unterschied zwischen diesen beiden Auffassungen des Menschen ist aus einer Reihe von Gründen für unser Thema wichtig. Zunächst ist anzumerken, dass die wissenschaftlichen Feinde des freien Willens – Leute wie Wegner und Harris, die glauben, die Wissenschaft habe bewiesen, dass wir keine Willensfreiheit besitzen – im Allgemeinen eine materialistische, wissenschaftliche Sicht des Menschen vertreten.

    Angesichts dessen könnten Gläubige denken: Ich glaube an Gott, und da ich überzeugt bin, eine immaterielle Seele zu besitzen, muss ich mir keine Sorgen über die Argumente machen, die diese Leute vorbringen. Ich muss keine Bange haben, dass ich keinen freien Willen besitze.

    Aber dieser Schluss ist durchaus nicht offensichtlich. Es könnte sein, dass der Glaube an die Seele das Problem gar nicht löst. Mit anderen Worten, es könnte sein, dass selbst wenn man sich die spirituelle, religiöse Sicht zu eigen macht – selbst wenn man also glaubt, dass wir alle eine immaterielle Seele besitzen, die unseren Körper antreibt –, dieser Glaube nichts nützt, um sich aus den Argumenten gegen den freien Willen herauszuwinden. Diese Argumente könnten sich trotzdem als tragfähig erweisen. Wir werden darauf zurückkommen müssen.

    Auf alle Fälle werde ich – unabhängig davon, ob sich die spirituelle, religiöse Sicht dazu benutzen lässt, die Argumente gegen den freien Willen auszuhebeln – viel mehr Zeit darauf verwenden, nach einer Erwiderung auf die Argumente gegen den freien Willen zu suchen, die alle benutzen können, ganz gleich, ob sie an eine immaterielle Seele glauben oder nicht. Dem Argument zuliebe will ich davon ausgehen, dass die materialistische, wissenschaftliche Sicht des Menschen zutreffend ist. Ich werde also der Frage nachgehen, ob wir ausgehend von der Annahme, dass Menschen keine immaterielle Seele besitzen, gute Argumente gegen die Feinde des freien Willens finden können. Wenn sich, das ist meine Idee, ein Weg für eine materialistische Antwort auf die Argumente gegen den freien Willen auftäte, dann sollten die Verfechter einer spirituellen, religiösen Sicht in der Lage sein, eine ähnliche Antwort zu geben. Mit dieser Vorgehensweise suchen wir also eine Erwiderung, die alle gleichermaßen nutzen können.

    Doch im Geist der Freimütigkeit will ich, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, meine Karten auf den Tisch legen. Ich glaube nicht an Gott, und ich glaube nicht an eine immaterielle Seele. Ich bin kein wütend schnaubender Atheist mit Schaum vor dem Mund, aber ich glaube einfach nicht, dass es so etwas wie Gott oder eine immaterielle Seele gibt. Doch wird diese meine Auffassung in diesem Buch keine wirkliche Rolle spielen, denn ich werde hier, wie gesagt, nach einer Antwort auf die Argumente gegen den freien Willen suchen, die wir alle benutzen können, ja, mehr noch, ich werde die Frage stellen, ob wir den Argumenten gegen den freien Willen entgehen können, indem wir den Materialismus aufgeben und uns die Idee einer immateriellen Seele zu eigen machen.

    Bevor wir zum Wesentlichen kommen, ist wohl eine Anmerkung über die Tatsache angebracht, dass uns der freie Wille so am Herzen liegt.

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