In der Nähe von Palermo
Von Gerd Graenz
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In der Nähe von Palermo - Gerd Graenz
978-3-99047-044-2
1
An diesem Abend saß im Restaurant des »Hotel Krone« eine Frau allein an einem der Tische beim Fenster. Sie starrte mit ungeduldigen Augen hinaus. Hinaus auf die Straße, die nass war von dem plötzlichen Regen. Das fahle Licht der Laterne in der Nähe des Hotels ließ den Asphalt schimmern. Der Himmel hing wie ein großes Stück Pappe über der Stadt. Die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite – dunkle, stumme Schatten. Ein verirrter Hund lief hin und her.
Die Frau war schön. Langes, schwarzes Haar fiel auf ihre weiße Bluse. Vor ihr auf dem Tisch, der mit einem blauen Tuch gedeckt war, stand ein leeres Glas. Daneben lag aufgeschlagen eine Zeitung. Eine Tasche mit Wäsche, Kosmetikartikeln und Pullis hatte sie neben sich zu ihren Füßen abgestellt.
Sie war der einzige Gast. Ab und zu sah sie auf die gelbumrandete Uhr über dem Eingang. Es war 10 Minuten vor Mitternacht.
Sie schien zu warten.
2
Eingebettet zwischen zwei mit Tannenbäumen bewachsenen Hängen lag die Stadt da. Im unteren Teil der Hänge sah man weiß-schwarze Birken und gelb-rote Blumen, die sich zwischen den Sträuchern versteckten. Über der Stadt ein weiß-blauer Himmel. Die Luft war ruhig, nur ein paar Vögel flogen kreuz und quer über die grünen Tannen.
Die – Stadt sie wurde »die schlafende Perle« genannt – gab es schon vor Hunderten von Jahren. Damals noch ein kleines Dorf mit wenigen Häusern, ein unbedeutender Ort, der auf keiner Landkarte eingezeichnet war. Lange Zeit habe es keine bedeutenden Ereignisse gegeben, las man in der Stadtchronik.
Dies änderte sich Jahre später. Dernhard, Robert von Dernhard, ein großer, schlanker Mann mit dunklen, vollen Haaren und mutigen Augen, baute die Zweiganstalt der Firma, die ihren Hauptsitz in Schlesien hatte, aus. Mit der Zeit erweiterte er die Zweiganstalt zu einer großen Fabrikanlage, die Leinenerzeugnisse, Tisch- und Bettdecken produzierte und in der ganzen Welt exportierte. Man schätzte die Qualität der Ware, die pünktlichen Lieferungen und die korrekten Absprachen. Dernhard baute Häuser für die Arbeiter, für sich und seine Frau aber ein großes, schlossähnliches Haus mit Park und Garten. Mit den Erfolgen der Dernhard’schen Fabrik wuchs die Stadt. Sie bekam auf einmal eine Bedeutung.
Jeden Monat kamen neue Menschen, meistens aus den benachbarten Orten, dazu. Schließlich hatte sie etwa 7000 Einwohner.
Vom Bahnhof aus, wo Regional- und Lastzüge stehen blieben und der Stationsvorsteher Kurt Pahl mit seiner roten Mütze und seinen flinken Händen jeden Zug, auch wenn er nicht hier hielt, mit einem wissenden Lächeln begrüßte, führte die Bahnhofstraße direkt zum Marktplatz, wo das Rathaus, ein grauer, quadratischer Bau, stand. Unterhalb des Bahnhofes, wo die Straße einen leichten Bogen machte, das Hospital. Ein Stück weiter Plattenbauten mit breiten Balkonen, Supermärkte und Autowerkstätten. Keine luxuriösen Bauten, einfache Häuser, auf deren Balkonen man keine Blumen sah, nur Wäsche, die auf dünnen Schnüren in dem Wind, der vom nahen Gebirge kam, flatterte.
Je näher man zum Marktplatz kam, desto mehr änderte sich die Stadt.
Es gab verschiedene Läden, zum Teil mit großen Auslagen, Geschäfte, die verschiedene Waren verkauften, Drogerien mit den neuesten Kosmetikprodukten, Häuser mit roten Dächern und hohen Fenstern. Nur wenige Meter vor dem Marktplatz das »Hotel Krone«, die Städtische Sparkasse, eine Konditorei und das »Café Altmann«.
Vom Marktplatz aus – gegenüber dem Rathaus in einem größeren, gelb gestrichenen Haus die Citybank und ein weiteres kleineres Hotel – gingen zwei fast gerade Straßen in verschiedene Richtungen. Die eine führte zu den Schulen – eine Volks- und eine Hauptschule, ein Gymnasium. Wenige Meter dahinter das städtische Freibad und der Sportplatz. Die andere Straße verlief durch einen grünen Park, wo Bänke und Tische standen und die Pensionisten ihre Frühstücksreste mit den frechen Spatzen teilten. Diese Straße führte weiter hinauf zum Sanatorium, das eingeschlossen zwischen den Birken und den Blumensträuchern lag. Entlang dieser Straße elegante Villen, gepflegte Gärten. Auf der Rückseite – die Gartenstraße. Keine lauten Geräusche, sondern eine seltsam ruhige Stille.
Hinter dem Rathaus – der pompöse Bau des Stadttheaters mit genau sechzehn Stufen und einem schwarzen Geländer zu beiden Seiten. Es glänzte in der warmen Sonne, wenn die Sonne darauf schien. Daneben das Kino und etwa zweihundert Meter weiter die Kirche.
Dahinter ein kleiner Sandplatz, niedrige, graue Häuser der Fabrikarbeiter und schräg gegenüber das große Haus der Dernhards. Ein Stockwerk höher als die anderen Häuser der Stadt, gelb gestrichene, hohe Fenster, ein paar Stufen bis zum Eingang. Vor dem Eingang eine Parkanlage, Rasen, Blumen, Heckenrosen.
Dann der Fluss und der Volksgarten mit seinen Bänken, Spielwiesen und zwei Denkmälern. Das eine, vor dem Blumen und Kränze lagen, war das Kriegerdenkmal mit Tafeln der Gefallenen und Vermissten, das andere stand auf einem hohen weißen Sockel und zeigte einen stolzen Mann mit Bart.
In den vielen Jahren, die die Stadt erlebt hat, gab es verschiedene Aufmärsche, oft große Brände, die besonders die Häuser nahe beim Bahnhof zerstörten. Im letzten Krieg von Artilleriegeschossen, Luftangriffen und Straßenkämpfen verschont, lag die Stadt jetzt friedlich da wie in einem Märchen.
Das war unsere Stadt.
3
Kurz nach 24 Uhr kam er. Groß, schlank, in dunkelblauen Jeans, blauem Hemd und eng geschnittenem Blazer.
»Sie entschuldigen, dass Sie so lange warten mussten, aber die Abrechnungen und der ganze Papierkram kosten Zeit.«
Die Frau sagte nichts, sah ihn nur an.
»Ich habe Ihre Unterlagen durchgesehen, sie scheinen in Ordnung.« Er blätterte weiter. »Sie kennen unsere Stadt?«
»Meine Eltern hatten in der Bahnhofstraße in der Nähe des Hospitals ein Haus. Sie sind leider bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich habe dann in der Buchhandlung am Ring gearbeitet.«
Er blätterte weiter in den Papieren, schaute ab und zu auf sie.
»Und dann waren Sie in Sizilien. In der Nähe von Palermo. Ein weiter Sprung von hier nach Palermo.«
»Ja, ein weiter Sprung. Meine Eltern hatten mir ein kleines Vermögen vermacht. Aktien, Sparbücher, Bargeld. Aktien, die einen hohen Kurs hatten und gute Dividenden ausschütteten. Der Leiter der Citybank meinte, ich solle mir doch einmal einen Urlaub gönnen, irgendwo Ferien machen, in der Sonne liegen und träumen. Geld hätte ich ja jetzt. Schon beim Verlassen der Bank dachte ich: Warum eigentlich nicht? Also ging ich ins nahe Reisebüro, wo ich nach meiner Arbeit in der Buchhandlung immer vorbeikam. Dort wurde mir ein Ort in Sizilien in der Nähe von Palermo empfohlen. Das Meer, der Himmel, der Strand und das ›Albergo Maria‹. Ich hatte ein Zimmer im ersten Stock mit Blick auf das Meer. Ich blieb länger als vorgesehen. Gehörte bald zur Familie und half im Service aus.«
»Warum sind Sie zurückgekommen?«
»Finanzielle Probleme.«
»Große?«
»Große.«
Er sah sie länger an. Sie gefiel ihm. Ihre stolze, klare Art. Selbstbewusst und schön war sie.
Er schob die Papiere zu ihr hin.
»Wann können Sie anfangen?«
»Morgen.«
Er lächelte. »Morgen ist Sonntag. Sonntags ist viel los bei uns. Großer Andrang mittags und abends. Nach der Kirche geht man bei uns zum Mittagessen. Gott sei Dank, die meisten kommen in die ›Krone‹. Abends das gleiche Procedere. An der Bar, dort drüben« – er zeigte mit der Hand in eine Richtung – »ist nachmittags und vor allem am späten Abend einiges los. Manche wollen eben nicht nach Hause gehen. Und Manuela, unsere Barfrau, versteht es auch, ihren Gästen Hoffnungen zu machen.«
Einige Minuten Stille.
Draußen regnete es heftig. Ein stürmischer Wind brachte kalte Luft in den nächtlichen Abend.
»Sie wollen also schon morgen anfangen?«
»Warum nicht?«
»Es gelten verschiedene Vorschriften bei der Anstellung von neuen Mitarbeitern, und am Sonntag sind bei uns alle diesbezüglichen Stellen geschlossen.«
»Sie können das doch nachholen.«
Wieder lächelte er. »Schön. Werde es versuchen«, sagte er dann, »wenn Sie es morgen schon wollen. Ihre Arbeitszeit ist von 10 Uhr bis 15 Uhr. Und am Abend von 17 bis 22 Uhr. Sie arbeiten im Service, und wenn Manuela nicht da ist, auch an der Bar. Sie werden nach dem Kollektivvertrag bezahlt. Sind Sie damit einverstanden?«
Sie nickte.
»Kommen Sie morgen etwas früher. Ich stellen Ihnen dann unsere Mitarbeiter vor. Wie es bei uns zugeht, was Sie wissen sollten, erfahren Sie auch morgen. Einverstanden?«
Sie sah ihn an und nickte.
»Sie wollen gleich hierbleiben?«
Wieder nickte sie. »Ich habe in meiner Tasche alles, was ich brauche.«
»Gut, Ihr Zimmer ist im zweiten Stock. Essen und Getränke sind frei. Ebenso das Zimmer. Bei der Sozialversicherung und am Arbeitsamt werden Sie angemeldet. Die Trinkgelder gehören Ihnen. Sprechen Sie diesbezüglich beim Finanzamt vor. Alles andere, was sich so im Lauf des Tages ergibt, können wir mündlich regeln. Wenn Sie mit allem einverstanden sind, unterschreiben Sie bitte hier.«
Sie unterschrieb.
»Ich heiße Hannes«, sagte er und nahm die Papiere wieder zu sich.
»Simone.«
»Gut, dann zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.«
4
Sie schlief bis acht Uhr.
Als sie aufwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war. Sie sah sich um. Fremdes Zimmer, fremde Umgebung. Ein großer Kleiderschrank, eine Kommode mit einem Fernsehapparat darauf, der Tisch und ein Sessel nahe beim Fenster. Dusche, das WC im Vorraum. Blumige Tapeten und zwei Bilder mit Feldern und Wald.
Der Regen hatte aufgehört. Dünne Sonnenstrahlen blinzelten in das Zimmer.
Sie erinnerte sich, wie die Stadt früher war, als sie hier mit ihren Eltern gelebt hatte. Nicht anders als jetzt.
Dennoch schien alles jetzt