Meine Welt: Mein Kirgistan: Reisegeschichten aus dem Land der Aprikosen
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Urlaub in Kirgistan! Wo ist das denn? Geht das überhaupt? Zwei Fragen, die im Vorfeld der Tour immer wieder gestellt wurden. Erstaunen und Bewunderung, Ablehnung und Zweifel spiegeln sich in den Gesichtern der Fragesteller. Nein, das ist nichts für mich. Ja, da würde ich am liebsten die Koffer packen und mitreisen. Der erfreuliche Auftakt dieser Reise, die durchaus spontan angetreten werden kann: Es gibt keine Visumspflicht für dieses Land, das je nach Geschmack unterschiedlich benannt wird, mal als Kirgisien, dann als Kirgistan und schließlich auch als Kirgisistan. Alle drei Namen sind gebräuchlich, wobei die kirgisische Schreibweise die Bezeichnung Kirgistan nennt.
Kirgistan ist ein autonomer Staat, der nach dem Zerfall der Sowjetunion seinen eigenen Weg geht. In Mittelasien gelegen grenzt es im Norden an Kasachstan, im Osten an China, im Süden an Tadschikistan und im Westen an Usbekistan.
Ein Urlaub im herkömmlichen Sinne ist sicherlich nicht drin. Deshalb sollten alle Sonnenanbeter und Diskohengste, Schicki-Micki-Ladies und Poolliegen-Besetzer tunlichst davon Abstand nehmen, überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden.
Kirgistan ist ein Land für Unerschrockene, Hartgesottene, Abenteuerlustige und Unempfindliche. Sie erwartet in diesem Land eine Zeitreise zurück ins Jahr 1950, wenn nicht sogar 1930, eine Erlebnisreise, die jeden Tag neue, unvorstellbare Eindrücke bringt. Der Reisende sollte sich alles abschminken, nicht nur die Kosmetik, sondern auch mitteleuropäische Standards und Essgewohnheiten sowie den Glauben, er käme irgendwie durch mit seinen Deutsch-, Englisch- und/oder Französisch-Kenntnissen. Wer kein Russisch, geschweige denn Kirgisisch, spricht oder nicht wenigstens die russischen Beschreibungen lesen kann, der ist hoffnungslos verloren an diesem Flecken der Welt; es sei denn, er hat Begleiter, die die russische Sprache beherrschen.
Kurt Lehmkuhl
Kurt Lehmkuhl wurde 1952 in der Nähe von Aachen geboren. Nach dem Abitur und dem Studium der Rechtswissenschaften war er über 30 Jahre lang für den Zeitungsverlag Aachen tätig, zunächst als freier Mitarbeiter, danach als Redakteur und als Lokalchef in Erkelenz. Nach seinem Ausscheiden aus dem Zeitungsverlag Aachen arbeitet er als freier Journalist für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland. Neben der journalistischen Tätigkeit ist Kurt Lehmkuhl schriftstellerisch aktiv. Seit 1996 werden seine Romane veröffentlicht, beginnend mit "Tödliche Recherche". Häufig stehen aktuelle Themen oder regionale Besonderheiten im Mittelpunkt seiner Krimis, etwa der Aachener Karlspreis oder die Braunkohleförderung im Rheinland. Außerdem verfasst Kurt Lehmkuhl Reisereportagen und Kurzgeschichten und ist als Dozent für Kreatives Schreiben sowie als Moderator und Organisator von literarischen Veranstaltungen und als Herausgeber von Anthologien tätig. Gemeinsam mit dem Hör-buchsprecher René Wagner tritt er als "Die Vorleser" auf.
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Meine Welt - Kurt Lehmkuhl
Die erste der Geschichten aus Kirgistan: Es tut sich was in Bischkek
Die häufigste Antwort auf die Frage, wie die Hauptstadt von Kirgisien heißt, wird lauten: „Woher soll ich das wissen?" Es ist zugegebenermaßen auch etwas kompliziert, zu erkennen, dass es sich um Bischkek handelt, während der internationale Flughafen FRU abgekürzt wird, was für Frunze steht und damit an die Bezeichnung der Hauptstadt der kirgisischen Sowjetrepublik bis zum Ende der Sowjetunion erinnert. Der Flughafen diente übrigens den amerikanischen Streitkräften als Basis für Kampfeinsätze im Krieg in Afghanistan, was nicht ohne Langzeitfolgen für die Region Manas geblieben ist. Die Militärflugzeuge ließen dort in der Luft das Kerosin ab, bevor sie zu Landungen ansetzten. Der permanente Kerosinregen hatte fatale, immer noch erkennbare Auswirkungen für die Vegetation und dem folgend für die Tierwelt. Der chemisch verseuchte Boden ist quasi wertlos, ebenso wie es die vielen Bauruinen beiderseits der breiten Straße sind, die von FRU in Richtung Bischkek führt. Manch einer hatte wohl damit spekuliert, dass die Amerikaner diese Region in eine blühende Landschaft verwandeln, in der sich Immobilien lohnen. Das Gegenteil ist eingetreten. Die USA haben verdorrtes Land hinterlassen, ohne sich darum zu kümmern. 2014 sind sie endgültig abgezogen.
Aber im Prinzip kümmert es die wenigsten Kirgisen. Man hat genug mit sich selbst zu tun, und kann allein schon in diesem Jahrhundert auf zwei politische Umstürze verweisen, durch die die jeweiligen Machthaber in Bischkek gestürzt wurden. Die nicht unblutigen Revolutionen von 2005 und 2010 sind für den Normalbürger abgehakt, aber nicht vergessen; eben so wenig wie das Ende der Sowjetunion, das von manch einem bedauert wird, der in dem überkommenen Regime Geborgenheit und Weisungsgebundenheit gefunden hatte. Heutzutage ist zwar die russische Sprache neben dem Kirgisischen allgegenwärtig, aber die Planwirtschaft hat den Umbruch nicht überstanden. Mit dem Aus der Planwirtschaft kam auch das Aus der Fabriken, die in Kirgisien für die Sowjetunion produzierten. So ist die Wirtschaft in Kirgisien nahezu nicht von Bedeutung. Es wächst ein zartes Pflänzchen, das den Namen „Tourismus" trägt, einmal abgesehen von der drittgrößten Goldmine der Welt. Allein sie macht 15 Prozent der Wirtschaftskraft dieses Landes aus. Es wird ein weiter Weg sein und ein großes Umdenken in den Köpfen der Menschen erfordern, um einen Tourismus zu bewerkstelligen, der den Anforderungen eines zahlungswilligen Besuchers entspricht.
Auch wenn es sich merkwürdig anhört, in Anbetracht des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der beiden Revolutionen 2005 und 2010: Kirgisien ist ein für die Besucher sicheres Land.
„Kirgistan ist ein ideales Reiseziel für die Liebhaber unberührter Gebirgslandschaften", so heißt es im Reiseführer von Flechtner und Schreiber. Ein Vorgeschmack auf das Gebirge bietet die Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt. Im Hintergrund immer dabei ist eine Gebirgskette mit 4000 bis zu 5000 Meter hohen Bergen, in denen Gletscher wie weiße Farbtupfer hängen. Dort herrscht ewiger Frost, anders als in Bischkek, wo scheinbar der ewige Frühling und der beständige Sommer herrschen. Nur an drei Monaten im Jahr gibt es Herbst und Winter, wobei auch dann nicht nur Temperaturen bis -25 Grad, sondern auch angenehme 20 Grad gemessen werden. In der Hauptreisezeit von März bis Oktober kann das Thermometer locker mal die 40 Grad anzeigen. Dennoch ist es, auch bei sommerlicher Glutofenhitze in Bischkek gut auszuhalten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Bischkek eine grüne Stadt ist. Rund eine Millionen der rund 5,8 Millionen Staatsbürger wohnt in der Hauptstadt. Für jeden Bewohner gibt es einen Baum, so heißt es, und so hat es auch den Anschein, wenn der Panoramablick auf Bischkek fällt.
Das gleichnamige Ausflugslokal im Hang über Bischkek hat schon bessere Tage erlebt. Es ist geschlossen. Verbretterte Fenster, eine verrostete Terrassenkonstruktion, der von der Natur überwucherte Garten deuten nicht darauf hin, dass dieses Lokal noch einmal geöffnet wird. Dennoch ist der Platz beliebt, wie die zahlreiche Hinterlassenschaften von Grillfesten und alkoholträchtigen Feiern belegen. Ein Berg von leeren Wodkaflaschen und versengte Erde, auf der Reste von Holzkohle liegen, sind unübersehbar.
Ebenso unübersehbar ist der hohe, schlanke Turm, der aus dem vom Grün der Bäume dominierten Stadtbild in der Ebene herausragt. Er gehört zu einem Kohlekraftwerk und stößt eine schwarze Wolke aus, die über die Stadt hinweg zieht.
Noch ist Bischkek die grüne Stadt. Doch es tut sich was. Die Silhouette prägende Hochhäuser sind geplant. Angeblich topmoderne Wohnungen und Geschäfte in bester Lage sollen entstehen. Aber bislang stecken die Investoren im Planungsstadium fest. Denn wer soll sich diese Luxusimmobilien leisten können? Die Zahl der Menschen soll wachsen, die der Bäume sinken. Das Grün soll dem Beton weichen.
Wann? Das ist die Frage. Noch wirkt die Stadt wie eine deutsche Großstadt in den 50er Jahren. Auch die offiziellen, vor Jahrzehnten vielleicht pompös wirkenden Gebäude aus der Sowjetzeit haben den Charme des Morbiden ebenso wie der Sitz des Ministerpräsidenten. Der Präsidentenplast, das Weiße Haus, ist verschlossen, das Gittertor mit einem Schloss verriegelt; nicht einmal eine überwachende Patrouille ist zu sehen; es ist halt Hochsommer in Bischkek mit rund 40 Grad im Schatten. Die trockene Hitze ist auszuhalten, nicht zuletzt dank der vielen Bäume auf den alleeartigen Hauptstraßen oder entlang der holprigen Gehwege.
Wer Kühlung sucht, findet sie in der kleinen Parkanlage mitten im Zentrum mit dichten Baumbestand und einer Brunnenanlage, an der sitzend sich die flanierende Menschenmenge beobachten lässt. Ein Handy hat fast jeder, der vorbeihuscht, die Mutter, die im Gehen ihren Säugling stillt, ebenso wie der wie ein westlicher Geschäftsmann wirkende junge Mann. Es gibt vieles zu beobachten an diesem Flecken in unmittelbarer Nähe des Hauptpostamtes, dessen Anblick an ein Postgebäude von 1950 in Deutschland erinnert, und des zentralen, fünfstöckigen Kaufhauses, das so ganz anders ist als die gewohnten in der deutschen Heimat. Innerhalb einer Abteilung gibt es miteinander konkurrierende Geschäftsinhaber, die alle die gleichen Produkte anbieten, ob Kleidung oder Flachbildschirme, ob Teppiche oder Rasierapparate.
Die kunterbunte Vielfalt der Menschen lässt staunen. Die Vollverschleierung ist ebenso selbstverständlich wie Hotpants, High Heels klappern neben Flipflops übers unebene Pflaster. Männer in Jeans und T-Shirt