Ich reiche Wörter zum Reisen: Gedichte und Prosa – Ein Lesebuch
Von Gianni Kuhn
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Über dieses E-Book
Gianni Kuhn
Gianni Kuhn, geboren 1955, Besuch der Kunstgewerbeschule in St. Gallen, studierte von 1979-1982 Germanistik und Kunstgeschichte in Zürich, Studienaufenthalte in Paris und New York. Er lebt in Frauenfeld. Von ihm sind zahlreiche Gedichtbände, Erzählungen, Novellen, Prosabände und Romane erschienen. Zuletzt »Die kleinste Galerie der Welt«, ein Band mit Kurzgeschichten und Fotografien, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde, die »Trilogie des Verschwindens«, der Gedichtband »Der Büroangestellte, die Prostituierte, der Klempner, die Lehrerin« und die Werkausgabe in vier Bänden.
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Buchvorschau
Ich reiche Wörter zum Reisen - Gianni Kuhn
Inhalt
GEDICHTE
warten auf den zug
airports gilgamesch
zürich überbrücken
schamrot mit weissem kreuz
white out
stau kolonnade gotthard
stauseen
zeit für die sennerin
quelle des rheins
greina hochebene
leventina
rhônegletscher
salzluft vom meer her
möwengelächter über bages
nachtkonzert
salinen
venedig überbrücken
schwarze küsten
andalusía
abendverkauf
verregnets gesicht austria
fussballs gewittersturz singen
intro
griffel
festland für matrosen
napoli negra
roma amor
kosmisches hintergrundrauschen
gibraltar
sahara
ölplattform
gletscherkinder
überflug
new york city kanal strömen
das pelagische schleppnetz
das mädchen björk
herz der finsternis
das herz australiens
donau quellen
valser therme
passo del lucomagno
solio paradies
lai da tuma
zugspitze
stilfser joch
hellbrunn zeitlos, ein teich
salzkammer süss
Nahender Tod
Rollstuhl
Dämmerung
Der Fremde
Tanka
Belauschen
Lebenseinstellung
Stiller
Steuerfrei
Rede an den jungen Dichter
Die Ballade vom Auswandern
Belfast
Elektromagnetisches Gedicht
Die Agonie der Fotografie
PROSA
Nackte Besucher
Mercier fährt immer Rad
Mein Haus in Novosiwinsk
Amor als Sieger
Zug nach Pankow
Blendung
Das erregendste Rot
Die fliegenden Hunde von Feldkirch
Drei Männer vom See
Fotografie von Apollo
Perlenkette
Wie atmet ein Fahrradfahrer?
Der Falkner von Brest
Aufenthalt im Paradies
In allen Dingen
Löschflugzeuge
Rot lackierte Fingernägel
Der Aquarellist
GEDICHTE
warten auf den zug
ein herzlich schweigendes willkomm
am bahnhofswartestamm um sechs in der früh,
alles ist rückwärts gewandt, der magen
noch kaffeeisoliert, die augen vertraumzipfelt,
die träume meist bös oder schlimm oder peinlich
oder einfach keine erinnerung mehr,
nur schmerzen
an schultern, nacken, im kreuz,
den krampf im bein, das stechen in der brust,
die zeitungslettern drücken sich
fest in die leere des hirns,
die lippen trocken ohne tau,
noch lange keine kussbereitschaft
zu erwarten,
obwohl der morgen fürs sinnliche
wie geschaffen wär, keine lust,
vielmehr noch keine zeit,
nur futter für die augen und
die empfindlichsten morgenohren
der welt,
der mond jedenfalls
zwillingt sich gegen den zigaretten
glimmpunkt, verfehlt die einheit
nur knapp, sinkt schliesslich ab,
der einfahrt des zuges,
wenn auch mit verspätung,
platz zu machen,
freie bahn!
airports gilgamesch
flughafen, gigantischer menschenarsch,
signalrot die feuerlöscher des gilgamesch,
dreiklänge scheinen aus den miniaturvideo
überwachungskameras zu kommen,
flughafen kloten, hier wird dem magermilch
pulver einer frühfahrt das wasser hinzugerührt,
der reizhusten durch reizende schuhe ersetzt,
und allmählich macht sich das vorstadtgewinsel
bemerkbar,
oh kloten, deine grünen augen wie sterne,
wer möchte da nicht songschreiber werden,
wer nicht abheben, durchziehen und raus
aus des schaffners augenpaar und knips,
raus aus der schweizerischen demokratie
und zollfrei fliegen,
doch der schaffner drückt den knopf,
was heisst, der zug ist zur abfahrt bereit,
näxt stop zjurik erklingts durch seinen
stimmgewaltigen mund
zürich überbrücken
zürich blauer trunkenbold
unter des himmels gedröhne seltsam still
wie gedanken an nichts und nochmals
das gestammel der kaffeetassen,
das klirren, alles umsteigen jetzt,
bleibt viel zeit noch, mehr als erwartet
zwischen urinoir und espressobar,
hier reimt sich selbst die duschanlage
mit der bijouterie,
nur der tau fehlt ein bisschen
auf den blumensträussen,
sgilt weiter die wartezeit zu überbrücken,
bis die bahnsteige für die nächsten anschlüsse
feststehn,
in der marmorhalle wieder auftauchn
in den halboffenen dreiklang
der allseits bekannten ansagerstimme,
wie heimat seine worte, wie glück,
eine zigarette entzündt sich hier einer,
ein kleiner privater, ein reisender
fast intim schon mit diesem ort,
graffiti stehen für den blauen himmel,
seine blicke kreisen hinauf
zur nana, dem engel
der niki de saint phall
schamrot mit weissem kreuz
wenn der alpenfirn sich rötet
geht’s unweigerlich gegen den alpstein,
der zug wiehert und winselt
unter den churfirsten lustgeprügelt
in vollster viersprachigkeit,
landlady landquart ist richtig gestimmt,
um nach schiers, küblis, klosters
den joint durchzuziehen:
davos track six,
18 stockwerke manhattan gischt
gleich bei der station flattert die u.s.a.,
die speckigen sterne im rheintal,
in gedämpftem ton die schmalspurbahn,
die rhätische château weiss gott was
für ein bordeauxrot ihre farbe,
spätestens in klosters das geschwätz
vor dem aufstieg,
welches die schweiz mit österreich
in ein bett legt,
der gotschna in helios sperre heisst
nebelverhangene schispitzen,
und zauberberg heisst deutsch
in der schweiz
und die schweiz ist eh für sich allein
nie etwas gewesen,
von dem die andern
nicht gewusst hätten,
dass es dies gibt,
so zieht die rhätische bahn
die völkergemeinschaft der touristen
unter ächzen und stöhnen weiter hinauf,
näher zum paradies
white out
der waldfriedhof liegt etwas ausserhalb
von davos
zwischen lärchen abgesenkt
und tief verschneit,
etwas oberhalb nur wenige meter vom hang
die kreisenden rotorblätter,
die vier männer mit dem sprengsatz,
der die lawine auslösen soll,
auf dass die skifahrer wieder sicher fahren
können,
white out
ist die vollkommene orientierungslosigkeit
eines hubschrauberpiloten,
wenn dieser zu viel schnee aufwirbelt,
rundherum ist alles weiss,
kein oben, kein unten,
weit dehnt sich das schneefeld in die tiefe
der lärchen
und selbst die vielen grabsteine sind nichts
weiter
als kaum wahrnehmbar sich wölbende
verschneite hügel
stau kolonnade gotthard
die hitze ist gussreif, kein kälteriss
nur offene münder und volle windeln,
kein platz für erbärmliche platzhirsche,
nur soziales geschiebe auf dem einstigen
urmeer,
nun treten wir am ort, kühlen uns
im biertopf die erhitzten sinne,
das sirrende wasserfallen in der ferne
schürt sehnsucht,
an den bergflanken vor der lockenden röhre
allerlei kapellen und landwirtschaftliches
gefährt,
der überhitzte kühlerhaubenunterbau knurrt,
ich tret mal aus und piss ins kohlenmonoxyd,
nichts als granitabpraller,
seh dabei kinder mit rahmverschmierten
mündern ausm schwarzwald, einen bergbauern
am berg die sense gewetzt, eine gruppe
strassenarbeiter ausm ausland die ausladende
inlandstrasse repariern, frag mich, was ich hier
mach, bis mirs abstellt,
endlich richtiges austreten, tankstelle in sicht,
zufrieden die zunge im dampfenden sprit,
spiritus sanctus kumpel, ein brandopfer
ist allerdings nicht angesagt, also halbier dir
die zigarette, spuck drauf, oder mach sie
sonstwie zur sau, ganz feucht muss sie sein,
kein glimmen mehr, keine hoffnung auf rauch,
sonst sind wir mächtig vor der zeit in der hitze
des südens,
nur explosiver und schneller
stauseen
schieferndes gneissgeschiebe unter meinem steiss,
weil oben hinter der mauer was wassermasse ruht,
allein die turbinen zu bedienen, lichtschienen
und allerlei steckdosiges zeugs,
aus der adlerperspektive ein richtiger see
wie die unten bei zürich, zug, luzern und genf,
zwar viel kleiner auf der karte, viel grösser
vor ort, weil sich niemand drauf wagt
mit einem heimatlichen schiff, nur vereinzelte
baumstämme kreiseln im blaugrünen wasser
als reaktion auf den turbinensog aus der tiefe,
die verwitterte betonwand hält alles zusammn
in ihrer monumentalen biegung armiert,
die ziegen am hang kümmert das allerdings
einen feuchten dreck
zeit für die sennerin
1
nebelbandagen über der unterkühlten haube,
drunter der scharrende motor, die lackkarosserie
hellblau voller taumoleküle,
vorbei am bretterzaun mit den abgerissenen plakatn,
vorbei am halbleeren buswarteschuppen, besprayt,
vorbei an hunden an der leine und fussgängern
die hundekacke ihrer lieblinge aufnehmend,
beide sind sie keine jäger mehr, nur noch sammler
2
bergwärts geht’s voller freude, ist doch klar,
voller vorfreude und hunger nach ionisierter luft
und fichtigem, moosigem, felsigem, wo alles
noch zusammenkommt, wos wasser direkt
aus der quelle sprudelt, wo alles noch stimmt
und auch mal richtig urtümlich stinken darf
gegen den blauen himmel
3
hanglagig den wagen parkiert, die waden mit
ringelblume einmassiert, aufm geröll der rutschtest
für die boots,
dann kreuz und quer hinaufgekeucht, den rost
im eigenen blut ausgekocht,
die lungen durchgeschruppt,
den körper geschlaucht,
den geist befreit
4
bei einbrechender dunkelheit ankunft
direkt ins nachtaugige kuhgemelk und blökecho,
spät, zu spät schon für die alpine siesta,
bald schläft die sennerin, muss morgens um vier
wieder raus für die milch und den käs,
keine zeit für den städter mehr heut
5
von der mehrstimmigen morgenkadenz
aus dem schlaf gesogn wies mark ausm knochen,
schnell in den tagesarm genommen der benommene
städter, besonnt wie von sinnen,
der morgenmond schon abgeplattet,
der mund trocken, die kühe gemolken
6
der hochsonnenstand schattiert die armmuskeln
der sennerin, die schläft schon wieder ermattet,
nur der hund gibt laut,
brav, ist gut so,
die kühe sind an die bergweide geworfenes spielzeug,
die gletscherzungenluft züngelt aus dem nebental,
in weiter ferne ein hubschrauber mit holz
7
der abend löscht