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Geheimbünde von Frauen
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Geheimbünde von Frauen

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Geheimbünde erregen seit Jahrhunderten die Phantasie der Menschen. Gerade durch ihr geheimes und nach außen abgeschlossenes Auftreten wecken sie einerseits die Neugier und schüren andererseits tief verwurzelte Ängste vor dem Okkulten oder einer groß angelegten Weltverschwörung. Der Hype, der nicht erst seit Dan Browns Bestsellern um die prominenten Gruppierungen der Illuminati und der Freimaurer entstanden ist, ist sicherlich das prägnanteste Beispiel...

Doch sowohl bei den Illuminati und Freimaurern als auch bei allen anderen bekannteren Geheimbünden handelt es sich um reine Männerkreise. Das weite und breit gefächerte Feld der weiblichen Geheimbünde ist bisher dagegen nicht ins Bewusstsein der Gesellschaft vorgedrungen.

Dieser Missstand wird mit Helmut Werners Buch nun endlich behoben. In einem detaillierten Überblick schildert Werner die facettenreiche Geschichte der weiblichen Geheimgesellschaften vom berühmten Mädchenclub der griechischen Dichterin Sappho auf Lesbos über die antikirchlichen Beghinen des Mittelalters bis hin zum modernen Hexenwesen.
Auf diese Weise wird der Leser auf eine Reise in die bisher unentdeckte Geschichte der Frau entführt...
LanguageDeutsch
Release dateDec 6, 2011
ISBN9783939284307
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    Geheimbünde von Frauen - Helmut Werner

    KAP. I

    WAS IST EIN GEHEIMBUND bzw. EINE GEHEIMGESELLSCHAFT?

    Definition, die wichtigsten Merkmale und Formen

    Unter einem Geheimbund oder - in der heutigen Ausdrucksweise - einer Geheimgesellschaft versteht man eine Organisation, die ihre innere Struktur und ihre Ziele vor der Öffentlichkeit verbirgt. Aus diesem Grund sind solche Gruppen streng darauf bedacht, dass das Wissen um ihre Existenz nicht bekannt wird. Diese Form der Organisation wird absolut notwendig, wenn man Ziele verfolgt, die den Normen der Gesellschaft zuwiderlaufen oder sogar strikt verboten sind. Echte Geheimgesellschaften können religiöse Sekten, aber auch kriminelle Banden sein. Von diesen echten Geheimorganisationen unterscheiden sich die sogenannten diskreten Gesellschaften, die zwar auch die Öffentlichkeit meiden, aber doch einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzen. Ursprünglich waren auch diese Organisationen, z. B. die heutigen Freimaurer oder andere esoterische Gruppen, echte Geheimorganisationen. Ihre Ziele bzw. Lehren werden daher nur eingeweihten Mitgliedern offenbart. Wie in den echten Geheimbünden gibt es auch in den diskreten Gesellschaften eine Rangordnung. Die geheimen Lehren werden dabei nur an die Inhaber bestimmter Grade weitergegeben.

    Vermutlich setzt die Existenz von Geheimbünden die nicht geheime Vergesellschaftung voraus. Aber in jeder Gruppenbildung innerhalb eines Stammes oder einer Gesellschaft ist die Tendenz zur Geheimhaltung im Keim bereits angelegt, da man andere Stammesmitglieder oder Mitmenschen ausschließt, weil sie die Voraussetzungen wie Alter, Geschlecht oder Herkunft, Vermögen usw. nicht erfüllen. Von diesen geheimen Vergesellschaftungen sollte man alle Organisationen abgrenzen, die nur zeitweise bestanden, um politische und soziale Aufgaben zu erfüllen, auch wenn sie sich mit geheimnisvollen Zügen umgeben. Hierzu gehören z.B. die geheimen Organisationen, die in den Kolonien gegründet wurden, um die Vorherrschaft der fremden Kolonialherren zu beseitigen.

    Von einem Geheimbund im strengen Sinne kann man nur sprechen, wenn ihm nicht sämtliche Männer oder Frauen eines Stammes angehören oder ab einem gewissen Alter in besonderen Einweihungszeremonien aufgenommen werden.

    Zu den wesentlichsten Merkmalen einer echten Geheimgesellschaft gehört daher die Geheimhaltung (Arkandisziplin) ihrer Existenz und Lehren (Mysterium) sowie die besondere Aufnahme (Initiation) neuer Mitglieder nach einer Prüfungszeit in einem besonderen Ritual.

    Im Regelfall wird die Einweihung stufenweise vollzogen, indem sich die Mitglieder bewähren und die einzelnen Rangstufen erarbeiten müssen. Solche Einweihungsprüfungen können sich oft über viele Jahre erstrecken. Schon hieraus ergibt sich, dass geheime Gesellschaften nur einen kleinen Kreis von Mitgliedern haben konnten. Tatbestand ist, dass es eine nicht geringe Zahl solcher echter Geheimbünde gibt bzw. in der Vergangenheit gegeben hat, was durch zahlreiche historische Quellen belegt ist.

    In diesem Zusammenhang muss auf das Problem eingegangen werden, dass unstrittig zahlreiche Geheimbünde eine sehr enge Verbindung mit den Pubertätsriten eingegangen sind, denen sich der junge Mann oder das junge Mädchen unterziehen muss, sobald er das Erwachsenenalter erreicht. Vieles spricht dafür, dass diese Pubertätsriten in einen bestehenden Geheimbund einverleibt wurden. Bei der Lockerung und Auflösung der festen Strukturen der Sippen (Klane) eines Stammes schlossen sich die Angehörigen aus verschiedenen Sippen (Klane) zu exklusiven Gruppen zusammen, die als Machtzentren oder eine Art Exekutive von wichtigen Personen, z.B. Oberhäupter der Klane, der Priester, der Zauberer und Medizinmänner eines Stammes dafür sorgten, dass das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben eines Stammes nicht abebbte. Zur Aufrechterhaltung der Autorität gegenüber den Nichtmitgliedern und vielleicht auch gegenüber den Frauen umgaben sich diese Bünde mit dem Schleier des Geheimnisvollen. Die bestehenden Stammesriten bei der Aufnahme in der Erwachsenenwelt wurden dabei in den Geheimbund integriert.

    Für die Bildung von Geheimbünden hat man auch die Existenz des Männerhauses verantwortlich gemacht, das sich auf der ganzen Erde bei zahlreichen Naturvölkern bis in die Gegenwart nachweisen lässt. Bei den Bantustämmen am Tanganjikasee in Afrika besteht dieses Haus beispielsweise aus einem großen Raum, wo sich alle männlichen Stammesmitglieder ab dem achten Lebensjahr tagsüber oder abends versammeln, um sich nach Arbeit oder Jagd zu entspannen. Dieser Treffpunkt der Männerwelt eines Stammes, der selbstverständlich für alle Frauen tabu ist, ist der Mittelpunkt des dörflichen Lebens und der Ort, wo sich die religiösen Kulte - wie zum Beispiel die Ahnenverehrung in Melanesien - abspielen. Frauen wird der Zugang zu diesen Häusern strikt verwehrt, da hier auch die Geräte und Masken für die rituellen Handlungen aufbewahrt werden. Wenn die Männer einer Sippe die Kulthandlungen, die wie ein Geheimnis vor den Frauen gehütet werden, durchführen, so ist es den Frauen bestenfalls erlaubt, draußen vor dem Männerhaus zu lauschen. Vermutlich wurden diese Männerhäuser zunächst gegründet, um die Gefahren, die sich aus dem Kontakt mit Frauen ergeben, zu vermeiden. Ausgangspunkt wäre demnach die uralte Angst vor der Frau, besonders der menstruierenden und der schwangeren Frau. Dem Blut, besonders aber dem Menstruationsblut, wird dabei eine unheilvolle Wirkung zugeschrieben. Bei fast allen Naturvölkern wird die Frau daher gezwungen, sich während ihrer Periode abseits zu halten oder sogar außerhalb der Gemeinschaft zu leben. Bei den nomadisierenden Jäger- und Hirtenvölkern, also in Gesellschaften, deren Wirtschaft auf Tieren und ihren Erzeugnissen wie Fleisch und Milch beruht, wird das Menstruationsblut als Unglück bringend angesehen, so dass bei diesen Völkern eine monatliche Isolierung Brauch ist. Auch Schwangerschaft und Geburt sind im Glauben dieser Völker mit Angstgefühlen verbunden. Schon allein, dass eine Frau über die Fähigkeit verfügt, in ihrem Körper ein neues Wesen zu bilden, muss in den Augen dieser Völker bedeuten, dass sie über geheimnisvolle magische Kräfte verfügen muss. So glauben die in Kapstadt (Südafrika) lebenden Bantus, dass man im Kampf den Tod findet, wenn man eine Frau im Kindbett gesehen hat. Bei den Inkas war es sogar ausdrücklich verboten, einer Frau bei der Niederkunft zu helfen.

    Manche Forscher verweisen im Hinblick auf die Entstehung der Männerhäuser auch auf den angeborenen Geselligkeitstrieb der Männer und das natürliche Verlangen der Jäger nach einer Bruderschaft, wo sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen austauschen und neue Jagdtechniken besprechen konnten. Dabei dürfte es sich um eine Tradition handeln, die schon auf die Sitten und Gebräuche der eiszeitlichen Jäger zurückgeht. In diesen Häusern finden auch die Einweihung der männlichen Mitglieder einer Sippe oder eines Stammes statt.

    Wenn man die männlichen Bünde als ursprünglich ansieht, was aber noch einer eingehenden Prüfung unterzogen werden muss, wären Frauenbünde nur Nachahmungen nach dem Muster der Geheimbünde der Männer. Der Ursprung dürften demnach gewisse geheime Rituale bei der Niederkunft einer Frau gewesen sein. Diese geheimnisvollen Bräuche haben sich sogar in Europa bis ins letzte Jahrhundert erhalten. Wenn beispielsweise in Schleswig - Holstein eine Frau ein Kind gebar, zogen alle Frauen des Dorfes schreiend und tanzend zu dem Haus der Wöchnerin. Männern, denen sie unterwegs begegneten, rissen sie die Hüte vom Kopf und füllten sie mit Pferdemist. Wagen, die ihnen begegneten, wurden zerstört und die Pferde ausgespannt. Nach der Zusammenkunft am Haus der Wöchnerin zogen sie weiterhin wild schreiend durchs Dorf und stahlen in den Häusern Getränke und Speisen. Falls ihnen dabei ein Mann über den Weg lief, zwangen sie ihn zum Tanzen. Ähnliche uralte Bräuche, bei denen die Geheimbündelei eine wichtige Rolle spielt, finden sich auch im dänischen Brauchtum. Grundlage dieser Bräuche ist, dass ein Mann alle Rechte verliert, wenn die Niederkunft einer Frau herannaht. Die Nachbarinnen - meist 12 bis 14 Frauen - übernehmen das Kommando und helfen der Wöchnerin. Der Mann muss diese Frauen bedienen und darf das Zimmer seiner Frau nur nach einem Opfer an die Frauen betreten. Am Abend nach der Geburt wird ein Fest abgehalten, das alle Frauen des Dorfes vereint und mit der Taufe im christlichen Sinn nichts zu tun hat. Die Frauen essen süße Grütze und trinken Bier, bis sie berauscht sind. Die Wildeste unter ihnen wird schließlich zur Wöchnerin geschickt und wünscht ihr alles Gute. Danach ziehen sie durchs Dorf und machen allerlei Streiche, wie zeitgenössische Quellen berichten. Die Vereinigung der Frauen in geschlossenen Kreisen ist somit sicherlich nicht nur eine Nachahmung der Geheimbündelei der Männer. Dahinter steht das Verlangen, unter sich zu sein, wenn es um die Geheimnisse der Empfängnis, der Geburt und der Fruchtbarkeit geht. Natürlich verleiht die Geheimbündelei den Frauen zudem Ansehen und Respekt gegenüber den Männern.

    Auf die enge Verbindung der Einweihungszeremonien in einen Geheimbund und den über die ganze Erde bei den Naturvölkern verbreiteten Ritualen beim Übergang der Jugendlichen in das Erwachsenenalter wurde schon hingewiesen. Hinter diesen Einweihungszeremonien der jungen Männer und auch der Mädchen steht der Wunsch, die jungen Menschen in die Welt der Erwachsenen einzuführen. Reste dieses uralten Rituals finden sich auch in unserem christlich geprägten Kulturkreis und sind dort als Taufe sowie als Kommunion bei den Katholiken und Konfirmation bei den Protestanten bekannt. Bei der nicht religiösen Bevölkerung gibt es für diese christlichen Rituale eine pseudoreligiöse Ersatzhandlung unter dem Namen Jugendweihe. Allgemein kann man diese Initiationsrituale zu den Feierlichkeiten zählen, die bei wichtigen Durchgangsstadien im Menschenleben - wie Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Totenfesten - vollzogen werden. Da diese feierliche Hinführung der Jugendlichen in die Erwachsenenwelt bei den Naturvölern auch eine tiefere religiöse Bedeutung hat, nämlich den jungen Menschen mit den Ahnen oder dem Stammesgeist bekannt zu machen, hat sie dort einen höheren Stellenwert als beispielsweise die Heirat. Diese einschneidende Veränderung im Leben eines Jungen oder Mädchens, die beim Eintritt in das neue Dasein alles, was ihnen in ihrer Jugend wichtig und lieb war, zurücklassen müssen, wird durch das Sinnbild des Todes und der Wiedergeburt verdeutlicht: Nach dem symbolischen Untergang ihrer Kindheit erleben sie eine Wiedergeburt in der Welt der Erwachsenen. Aus diesem Grund ist es auch möglich, die Initiationsweihen auf ein einheitliches Muster zurückzuführen, das hinter der Mannigfaltigkeit und dem Formenreichtum sichtbar ist. Eine echte Einweihung ist niemals nur die Angelegenheit eines Einzelnen, sondern hat stets auch Bedeutung für die ganze Sippe bzw. den ganzen Stamm. Auch wird selten ein einzelner junger Mann oder ein einzelnes Mädchen diesem Ritual unterworfen, sondern man wartet, bis eine genügende Anzahl von Anwärtern das entsprechende Alter erreicht hat. Knaben nehmen in der Regel zwischen dem 10. und dem 16. Lebensjahr und Mädchen bei der ersten Menstruation an dem Einweihungsritual teil, das mit der Isolierung von der Gemeinschaft beginnt. Die Isolierung der Mädchen hat man aus der natürlichen Angst vor dem Menstruationsblut zu erklären versucht. Von einem Kulturkreis zum anderen hat diese Loslösung von der Gemeinschaft eine unterschiedliche Länge, die von drei Tagen bis zu mehreren Jahren dauern kann. Der Verkehr mit der Umwelt beschränkt sich während dieser Zeit auf wenige eingeweihte und kundige Personen. Seinen Aufenthaltsort, der meistens eine Hütte in einer einsamen Gegend ist, darf der Junge bzw. das Mädchen nicht verlassen und muss mit großer Sorgfalt die ihm oder ihr auferlegten Pflichten und Verbote beachten. Die Absonderung aus der gewohnten Umgebung ist jedoch nicht das einzige Ziel dieses Rituals. Sie werden mit den Geheimnissen ihres Stammes, besonders dem religiösen Kultleben, den Sitten und Gebräuchen, bekannt gemacht und in die Sexualität - gleichsam als Vorbereitung auf die Ehe - eingeführt. Den Neulingen werden auch die Mythologie des Stammes und besonders die Taten der Ahnen vorgestellt, die sie während ihrer Anwesenheit auf Erden vollbracht haben. Weiterhin werden ihnen für das Leben in der Gemeinschaft wichtige Fertigkeiten beigebracht wie das Tanzen, das Musizieren, das Anfertigen von Masken oder der Fang und das Zurichten von Opfertieren. Zu diesem praktischen Unterricht gehört außerdem die Vermittlung von handwerklichen Kenntnissen. Zum Abschluss der Isolierung aus der Gemeinschaft wird ein großes Fest gefeiert, das zugleich Höhepunkt und Ende der Einweihung ist. An diesen Tagen müssen die neuen Mitglieder in der Gesellschaft der Erwachsenen Prüfungen bestehen, die nicht selten mit schweren Qualen und großen Schmerzen verbunden sind. Hierbei werden die Neulinge von der ganzen Sippe bzw. dem Stamm beobachtet. Wer den Anforderungen nicht genügt, ungeschickt ist oder über Schmerzen klagt, wird verspottet oder sogar bestraft, weil er die Vorschriften und Verbote während der Isolierung missachtet habe. Den eigentlichen Mittelpunkt dieses Abschlussfestes bildet die Beschneidung der Genitalorgane. Auch das Durchbohren der Ohrläppchen, das Ausschlagen oder Abfeilen der Zähne können bei diesen Riten durchgeführt werden. Wenn der Neuling diese oft mit grausamen Verstümmelungen der Genitalorgane verbundenen Operationen überstanden hat, ist er ein vollwertiges Mitglied der Stammesgesellschaft, dem oft auch ein neuer Name gegeben wird. Man glaubt, dass dieser junge Mensch nach seinem symbolischen Tod in der Absonderung sowie dem Ertragen und Erdulden der grausamen Prüfungen gleichsam neu geboren wurde. Es ist außerdem der Glaube verbreitet, dass ein Neuling in der Abgeschiedenheit von Geistern oder Ahnen verschlungen und gefressen wird. Dies wird drastisch dargestellt, indem man ihn in den Rachen eines künstlichen wilden Tieres steigen lässt. Auch kommt es bei den Prüfungen vor, dass man ihn scheinbar mit einer Waffe erschlägt und dann zur Andeutung des Blutes mit roter Farbe bemalt. Das Aussteigen aus dem Schlund eines wilden Tieres bzw. die Abwaschung der roten Farbe symbolisieren seine Wiedergeburt. Diese dramatische Einweihungsfeier soll dem jungen Menschen das religiöse Erlebnis vermitteln, dass auf den Tod immer die Wiedergeburt folgt. Dies bedeutet auch, dass die Ahnen immer wiederkehren und aus diesem Grund eine besondere Ehrung verdienen. Da in zahlreichen Stämmen der Glaube besteht, man könne die Geheimnisse des Stammes nicht mit einem Mal kennenlernen und begreifen, besteht die Einweihung bei diesen aus getrennten Ritualen, die sich über mehrere Jahre erstrecken und vom Ansehen und den geistigen Fähigkeiten des Neulings abhängig gemacht werden. Diese eben beschriebenen Einweihungsformen könnte man als Kollektivrituale bezeichnen, die beim Übergang von der Kindheit und Jugendzeit zum Erwachsenen vollzogen werden. Sie sind unbedingte Pflicht aller Jungen und Mädchen des Stammes. Hiervon müssen solche Einweihungen unterschieden werden, denen sich Personen unterziehen müssen, die das Amt eines Schamanen oder Medizinmannes ausüben wollen. Diese Ämter sind nicht allen Stammesmitgliedern zugänglich, da ihre Ausübung eine vertiefte religiöse Erfahrung und Kenntnis der Stammesgeheimnisse erforderlich macht. Eingeweiht werden daher nur Personen mit einer besonderen Berufung, außergewöhnlicher Willenskraft und der nötigen geistigen Befähigung.

    Bei dieser äußerlichen Beschreibung der Geheimbünde wurde bewusst darauf verzichtet, auf die inhaltliche Seite und die Funktion dieser Organisationen einzugehen. Sicherlich ist es zutreffend, dass man bei einem großen Teil dieser Geheimbünde so etwas wie eine religiöse Basis entdecken kann. Das religiöse Element spielt mehr oder weniger offen oder in versteckter bzw. entstellter Form eine nicht unbedeutende Rolle (insofern es sich um Geheimbünde bei den Naturvölkern handelt). Die Rituale sind aus den Einweihungsriten, dem Totenkult sowie den Tänzen und Maskeraden der Stammesreligion entlehnt.

    Falls diese Organisationen eine wirklich lebendige Kraft in einem Stamm oder einer Gesellschaft sind, stellen sie eine Art religiöser Einrichtung dar, die den Mitgliedern eine religiöse Erfahrung oder ein übersinnliches Erlebnis vermitteln will. Allen Geheimbünden ist daher die Einweihung eigen, die den Mitgliedern den heiligen Charakter verleiht und ihnen hierdurch den Zugang zu der übernatürlichen Welt und ihren Kräften ermöglicht. Selbst bei Bünden, bei denen die praktischen Zwecke im Vordergrund stehen, bedient man sich religiöser Rituale, um diese Ziele zu erreichen. Vielleicht waren die Geheimbünde ursprünglich auch Kulte, die entstanden, als sich - wie schon dargestellt wurde - die Gemeinschaft in kleinere Menschengruppen auflöste. Man schloss sich auf diese Weise durch die Geheimnistuerei von den Mitgliedern der anderen Kulte ab. Auch wenn die gemeinsame Stammesreligion noch lose weiter bestand und praktiziert wurde, verschafften die Kulte der Geheimbünde ihren Mitgliedern eine höhere oder besser: feinere Form von Religiosität.

    KAP. II

    VOM URSPRUNG DER WEIBLICHEN GEHEIMBÜNDE

    Gab es zuerst Frauen- oder Männerbünde? Wer war die Große Göttin?

    In älteren Büchern über geheime Gesellschaften findet man am Anfang oft die Feststellung, nur Männer besäßen von Natur aus eine besondere Veranlagung, sich in Gruppen zusammenzuschließen. Bei Frauen sei eine solche Vergesellschaftung nicht oder nur in geringem Umfang festzustellen. Wenn es Frauenbünde gebe, so seien sie mehr oder weniger nur eine Nachahmung entsprechender gesellschaftlicher Formen der Männer. Dahinter steht die richtige Beobachtung, dass Männerbünde bei Weitem stärker verbreitet sind als die entsprechenden Frauenbünde. Weibliche Geheimbünde, besonders wenn es sich um echte geheime Organisationen handelt, werden in der Männergesellschaft gefürchtet und verteufelt, wie das Beispiel der mittelalterlichen Hexen eindrucksvoll lehrt. Zahlreiche Riten von Männerbünden, zum Beispiel die Maskierung und furchterregende Maskentänze haben bei den Naturvölkern nachweislich den Zweck, die Frauen eines Stammes einzuschüchtern und zu verängstigen. Dies wirft die Frage auf, ob es einmal Perioden in der Menschheitsgeschichte gab, in der die Frauen eine wichtige oder vielleicht sogar die dominierende Rolle in der Stammesgesellschaft spielten und ihre Bünde von den männlichen Stammesangehörigen so sehr gefürchtet wurden, dass sie sich in geheimen Bünden gegen die Frauen zusammenschlossen.

    Die natürlichen Unterschiede der Geschlechter führten nicht nur dazu, dass Männer und Frauen verschiedene Funktionen in der Gesellschaft wahrnehmen, sondern sie sind auch die Ursache für eine unterschiedliche Wertschätzung und Rangordnung der Geschlechter. Hieraus entstehen sowohl Spannungen, die letztlich auch für die soziale Benachteiligung der Frauen verantwortlich sind, als auch eine gegenseitige Anziehung und Bewunderung. Auf einer uralten Kulturstufe sind die Männer von der geheimen Macht der Frauen fasziniert, da diese Kinder zur Welt bringen können. Aber dasselbe gilt auch für die Frauen in Bezug auf die Männer, weil diese die Technik der Jagd beherrschen und allein das Wissen um die geheimen Jagdrituale besitzen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass beide Geschlechter unabhängig voneinander Bünde bildeten, um die Erfahrung und das Wissen des eigenen Geschlechts zu vertiefen und darauf bedacht zu sein, das andere Geschlecht fernzuhalten. Vielleicht suchten gerade Frauen solche Vereinigungen auf, um die Freiheit zu haben, die ihnen aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit gegenüber dem Mann vorenthalten oder doch zumindest eingeschränkt wurde. Diese Distanz zwischen den Geschlechtern veranschaulicht ein Mythos der afrikanischen Buschmänner, die eines der ältesten Völker der Erde sind und noch am ehesten die uralte Kulturstufe der Menschheit bewahrt haben. So beschaffen sie sich ihren Lebensunterhalt wie die eiszeitlichen Jäger und Sammler im Europa der jüngeren Altsteinzeit (35000 - 10000 v. u. Z): durch die Jagd und das Einsammeln von Beeren, Blättern und Wurzeln. In ihren grob aus Zweigen und Gräsern zusammengefügten Behausungen sitzen Männer und Frauen stets getrennt. Ein Mann, der sich auf den Platz einer Frau setzt, wird impotent. Diese Trennung wird in ihrem Glauben so begründet:

    Mann und Frau gehörten ursprünglich verschiedenen Stämmen an und lebten getrennt voneinander. Die Männer waren immer auf der Jagd und die Frauen ernährten sich durch das Einsammeln von Pflanzen. Eines Tages jedoch ließen fünf Männer, die unterwegs waren, aus Nachlässigkeit ihr Feuer ausgehen. Die Frauen aber, die immer sorgsam und ordentlich waren, hielten ihr Feuer ständig in Brand. Als diese fünf Männer nun einen Springbock erlegt hatten, wussten sie nicht, wie sie ihn braten sollten. Einer von ihnen begab sich daher auf die Suche nach einem Feuer und begegnete unterwegs einer Frau beim Sammeln von Körnern. Diese Frau lud den Jäger ein, in ihr Lager zu kommen, wo sie ihm ein Mahl zubereitete. Da ihm das Essen schmeckte, entschied er sich, bei ihr zu bleiben. Seine Genossen warteten vergeblich auf seine Rückkehr. Ein zweiter Jäger ging weg und wurde ebenfalls von den Frauen bewirtet. Dasselbe Schicksal ereilte auch den dritten und vierten Jäger. Nur der fünfte Mann blieb bei dem inzwischen verwesten Springbock zurück. Panikartig rannte er davon.

    In der Sprache des Mythos werden zwei wichtige Elemente der vorzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaft beschrieben: Auf der einen Seite die Distanz der Geschlechter, die durch die unterschiedlichen Arbeiten und den Zwang bedingt ist und auf der anderen Seite die Notwendigkeit zu kooperieren, nicht nur aufgrund der Zeugung der für den Weiterbestand des Stammes erforderlichen Nachkommenschaft, sondern auch aufgrund der täglichen Sorge um die Lebensmittel. Zu den Aufgaben der Frauen gehörte unter anderem das Hüten und Bewahren des Herdfeuers, dessen Wichtigkeit in der Erzählung der Buschmänner anschaulich geschildert wird. In der Mythologie vieler Naturvölker wird berichtet, dass das Feuer weiblichen Ursprungs sei, da eine Frau das erste Feuer machte, indem sie an ihren Genitalien rieb.

    Aufgrund zahlreicher archäologischer Funde lassen sich die Lebensumstände der Menschen in diesen Jäger- und Sammlergesellschaften näher beschreiben. Die Menschen lebten in Horden von zwanzig bis einhundert Menschen zusammen, die auf der Suche nach Nahrung häufig den Ort wechselten. Es ist jedoch ein Vorurteil, wenn man glaubt, die von den Jägern erlegte Beute habe den Hauptteil der Nahrung ausgemacht. Man nimmt heute stattdessen an, dass Fleisch nur 40% der Nahrung ausmachte. Der Rest bestand aus pflanzlicher Nahrung, die von den Frauen mit ihren Kindern gesammelt wurde. Zu den Aufgaben der Frauen gehörten auch die Haustechniken wie die Herstellung von Körben oder Kleidung. Die Gleichheit in diesen eiszeitlichen Stämmen war sehr groß, besonders unter den Männern. Um erfolgreich zu jagen, mussten sie eng miteinander kooperieren, während auch das Sammeln von Nahrung im Kollektiv erfolgen musste. Was die Verwandtschaftsstruktur anbelangt, so waren sie in Sippen oder Verbänden von Blutsverwandten gegliedert. Die Kinder waren vermutlich nur mit der Familie ihrer Mutter verwandt, da der Begriff der Vaterschaft in diesen ältesten Gesellschaften noch weitestgehend unbekannt war. Man besaß noch kein Verständnis für die Beziehung zwischen Sexualität und Fortpflanzung. Die Mutter wurde als alleinige Erzeugerin der Nachkommenschaft angesehen. Deshalb war auch der Begriff der Vaterschaft unbekannt, wenngleich es sicherlich wie in der überlieferten Mythologie der Naturvölker Erklärungen gab, doch letztlich wurde ein Kind einfach von der Frau geboren. Manche Naturvölker glaubten daher, die einzige Aufgabe des Mannes bestünde darin, das Jungfernhäutchen zu zerreißen und die Vagina zu öffnen.

    Die Angehörigen einer Sippe durften untereinander nicht heiraten, vielmehr galt das strenge Prinzip der Außenheirat. Zu einer Sippe gehörten die durch gemeinsame Abstammung verwandten Mütter und ihre Nachkommenschaft, während die Väter aus einer anderen Sippe stammten. Die männlichen Nachkommen mussten wiederum ihren Ehepartner außerhalb der Sippe suchen, ohne dass sie dadurch jedoch ihre Sippenzugehörigkeit verloren. So bildete sich eine größere gesellschaftliche Einheit, die aus mindestens zwei Sippen bestand, die durch Heiratsbeziehungen eng verbunden waren. Die archäologische Untersuchung der Wohnplätze nach Größe, Anlage und Bebauung ergab, dass sich die Sippen wiederum in Familienverbände gliederten, die zumindest zeitweilig auch ökonomische Einheiten bildeten. Der Mythos der Buschmänner beschreibt diese Familienstruktur. Wegen der strikten Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau kann weder ein Mann ohne Frau noch eine Frau ohne Mann existieren. Die Familie ist somit die wichtigste ökonomische Einheit, arbeitsteilig und mit gemeinsamem Konsum.

    Grabfunde und zahlreiche Denkmäler der bildenden Kunst - Skulpturen und Höhlenmalerei - in den Kältesteppen Europas erlauben Rückschlüsse auf

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