Liebe muß der Wahrheit Schwester sein: Die Gedichte
Von Eva Schönewerk
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"Liebe muß der Wahrheit Schwester sein" umfasst das lyrische Werk von Eva Schönewerk (1946 bis 2009). Der Herausgeber Henry-Martin Klemt wählte die Gedichte aus Manuskripten, Typoskripten und Veröffentlichungen aus, er nutzte Tagebücher, Korrespondenzen, Publikationen, Notizbücher und Zettelsammlungen. Mit mehr als 250 Gedichten zeichnet er Eva Schönewerks Lebenskreise nach. So entsteht das umfassende Bild einer Autorin, für die das poetische Wort das wichtigste Mittel war, Erfahrenes wiederzugeben und zu gestalten. Eva Schönewerks Bildsprache ist reich und präzise, sie kann sich mit großen Vorbildern von Erich Arendt bis Johannes Bobrowski messen.
"...Aber man sieht eben nicht nur mit dem Auge. Wenn die Seele, warum auch immer, sich nicht geöffnet hat, dringt nix ins Bewusstsein. Und das geht schnell, wenn alles verstellt ist von Sorgen und Problemen. Ich glaube, daß ich deshalb schon immer schreibe - sehen wollen, die Seele freimachen für das, was vor ihr, um sie herum ist, eine tiefe Art Entspannung, in der sogar Schmerz eine sanftere Form annimmt...", schrieb Eva Schönewerk in einem Brief. Die Seele des Hörenden, des Lesenden zu öffnen, war ihr wichtiger, als ein Urteil zu fällen. Dem Wahrgenommenen sprachliche Gestalt zu geben, schien ihr bedeutsamer als die Reflexion.
„Lyrik war Randbemerkung des Tages, das vernachlässigte Gespräch, Ermunterung, sich selbst zu stellen; Spaß an der Metapher…, Versuch, dem Begriff beizukommen, ihn im Sinnlich-konkreten erlebbar, erfüllbar zu machen“, bekannte die Dichterin, die zugleich leidenschaftliche Pädagogin war, Poesiepädagogin, wie sie sich nannte, als sie Heranwachsende zum Schreiben ermutigte. Der Sinn zeigt sich in den Dingen, er offenbart sich im Spiel mit ihnen. Spiel ist Ernst ohne Angst vor dem Unwiderruflichen. Die Dichterin Eva Schönewerk hat daraus Bleibendes geschaffen.
Ihr Werk reiht sich ein in die deutsche Natur- und Gesellschaftslyrik des 20. Jahrhunderts. Sie vermittelt ein Frauenbild im Wandel und ein Menschenbild, in dem Nähe größte Sehnsucht und größte Triebkraft ist.
Eva Schönewerk
Eva Schönewerk war eine Dichterin von Rang. Wenn sie es wusste, nahm sie es nicht wichtig. Sie hat nie versucht, einen eigenen Gedichtband herauszugeben. Einige ihrer Arbeiten erschienen in Zeitschriften und Anthologien. Wenn sie bei den Lyrikwettbewerben, an denen sie sich eher zufällig und aufs Geratewohl beteiligte, Erste und Zweite Preise erhielt, war sie eher erstaunt. Als Eva Camilla Obst am 5. November 1946 in Kranichfeld geboren, begann sie als Kind zu schreiben und besuchte später den Zirkel schreibender Arbeiter in Weimar. An der Erweiterten Oberschule Bad Berka legte sie das Abitur ab. Die Oberschulzeit war auch geprägt von der Begegnung mit Barbara Albrecht, ihrer Deutschlehrerin, die zur lebenslangen Freundin wurde. In der LPG Mellingen-Köttendorf erhielt Eva Schönewerk die berufliche Grundausbildung zum Agrotechniker. 1965 bis 1969 studierte sie Germanistik und Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Klaus-Dieter Schönewerk kennen. Zwei Jahre arbeitete sie als Lehrerin in Kölleda. Nach der Hochzeit zog sie 1971 nach Berlin und unterrichtete an der Pestalozzi-Oberschule. 1974 brachte sie ihren Sohn Kai zur Welt, der nur wenige Tage lebte. Von 1979 bis 1982 war Eva Schönewerk im Zentralen Methodischen Kabinett des Ministeriums für Volksbildung tätig. Während ihres Direktstudiums am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ 1982 bis 1986 beschäftigte sich Eva Schönewerk intensiv mit dem Werk des aus ihrem Heimatort stammenden Dichters Rudolf Baumbach (1840 bis 1905), um ihn, wie sie schrieb, „aus dem Butzenscheibengefängnis der Literaturgeschichte zu befreien“. Ihr Studium musste sie wegen einer Hirnblutung, von der sie sich nur langsam erholte, ein Jahr lang unterbrechen. Danach arbeitete sie mit schreibenden Kindern und Jugendlichen am Pionierpalast Ernst Thälmann / FEZ Wuhlheide. Sie selbst nannte sich Poesiepädagogin. Neugier, Lebendigkeit, Lust an der eigenen schöpferischen Fähigkeit - damit steckte sie nicht nur Heranwachsende an, sondern ermutigte oft auch Erwachsene, sich auf sich selbst zu besinnen. Kunst und Literatur spielten die Hauptrolle dabei. Künstlerische Betätigung jeder Art weckte ihr Interesse: Malen und Zeichnen, Modellieren und Fotografieren, Musizieren. Was sie interessierte, versuchte sie auch selbst – ohne den Anspruch, dabei zur Meisterschaft zu gelangen, aber mit dem lustvollen Genuss des schöpferischen Spiels, zu dem sie auch andere immer wieder einlud.
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Liebe muß der Wahrheit Schwester sein - Eva Schönewerk
dabei.
Der Herausgeber:
Henry-Martin Klemt (*1960)
Henry-Martin Klemt, geboren 1960 in Berlin, betreut den literarischen Nachlass von Eva Schönewerk. Er selbst ist Lyriker, Liedtexter und Nachdichter, freiberuflicher Text- und Bild-Journalist, hat sieben Gedichtbände veröffentlicht sowie an zahlreichen CD-Produktionen mitgewirkt, und lebt mit seiner Familie in Frankfurt (Oder). 2016 erscheint mit „wurzelland. wo, sein achter Lyrikband. Die Dichterin Eva Schönewerk spielte in seinem Leben eine bedeutsame Rolle. Er lernte sie als Zwölfjähriger kennen. Sie unterrichtete Deutsch, und er vertraute ihr seine ersten eigenen Texte an. Daraus erwuchs eine lebenslange Freundschaft. Eva Schönewerk nahm ihn mit in den von ihrem Mann und ihr gegründeten Zirkel schreibender Arbeiter des Neuen Deutschlands (heute Friedrichshainer Autorenkreis). Während des Studiums am Literaturinstitut „Johannes R. Becher
waren Eva Schönewerk und Henry-Martin Klemt Kommilitonen. Zeitweise teilten sie sich auch die WG. Wenn andere Menschen sagen: Ich denke an dich, dann sagte Eva Schönewerk: Ich denke zu dir hin. Vielleicht beschreibt das ihr Wesen am besten. Sie hat sich immer auf den Weg zu Menschen gemacht, um bei ihnen zu sein, um mit ihnen die Kunst des Annehmenkönnens und des Angenommenseins zu genießen. Sie konnte geduldig sein, aber nur in der Natur und in ihren Gedichten wartete sie darauf, dass die Dinge von selber zu ihr kämen. Das machte sie nicht nur zu einer bemerkenswerten Dichterin, sondern auch zu einem besonderen Menschen.
Der Apfel
Am Ast, am Baum im Garten
Hinter ihm sah ich Raum
Und dahinter
Weltraum
Und dahinter
Vielmal viele
Viele Weltenräume
Und dahinter
Das Unsichtbare
Wurde
Immer größer
Der Baum des Schnitzers
Mit jeder Faser
mein Leben
Wie Harz in den Adern
so schreit Holz, wenn
ich nicht hör seine
und meine Stimme: ein Lied
der Schrei des Hähers
trifft mich ins Herz
1979
Kindheit
kratzdistels roter schmerz, sagt sie,
wie spucke auf dem reibstein, mein
nackter fuß ist warm, in der höhle
der schenkel schwitzt das vögelchen,
sagt sie, öffnet den schnabel, sagt sie
seht ihr, und spreizt die beine, daß wir die kleine
zunge sehn, o, sagen wir, und
bestaunen die feuerwanze, die
auf ihren zeh kriecht.
***
Jenzig
horniger Glatzkopf
mit märzlichtem Bart
Gebirge meiner Enge
Wenn das
Mondlicht noch
silbern auf deine Augen adert
schmückt die Spitze sich schon
mit den roten Schleiern des Morgens
Grelle Spiegellichter
zerschneiden das Gesicht
bohren schwarze Löcher
in die Augen
Tot das Gesicht
im weißen Wirbel des Lichts
ein bleiches Laken liegt auf
1967
Auf der Erde meine Spur
Erde,
dein Bauer bin ich, der
in deinen Wettern wohnt, ganz
Klang deines Steins,
der schwer vom Berg
zur Sohle schlägt, sitz
gern in der Kehle der
Lerche, die du
mit Sehnsucht in den Himmel
treibst.
Wie Gras kann ich wachsen dir
aus der Brust, in den
Sonnenbogen prägen
deine Spur.
Hängst manchmal schwer
an den Füßen mir und
am Kleid. Wenn ich,
wie Mond über deinen Schlünden,
suchen geh
nach meinesgleichen,
dann trägt mich im
Sturm die Flugbahn
deiner Vögel.
Landeinsatz
Als die Distel noch
Herrscherin der Parzelle
war, brannte abends
ihr Hohn in der Haut,
stießen wir mit müdem Stahl
auf Stein, hämmerten
morgens die
Glieder.
Reicht ins Heute noch, Land,
dein Horizont, wenn die
Maschine die Ferne
bis vor die Tür bläst,
weicher schon
wurde die Hand, zaghafter
nicht.
Steine suchen
als Souvenir um den Hals.
Pfeifen ein Lied
dem Wind und
haben den Blick aufgerichtet.
***
Als aus den Zweigen
fiel
ein Blatt
auf
meinen Schoß
saß ich ganz still und
grub mich in
sein Flüstern.
Kennst du mich wieder, ich
bin jener Sproß
der sich im März in deinem
Haar verfing.
Ich hob es auf
sah nur das
Blatt, herbstbunt.
Das laute Herz, es wurde plötzlich schwer
als ob es eilt, weil es verstanden hat –
Der Wind trieb hinterher
1965
Die Stunde
Meine Jugend war
Warten auf die Stunde, wo ich
mich umseh
mit Staunen
An einem Baum im Park, da
der Abend noch flammt, und
das Erinnern
umwebt
mich ganz: für etwas, sei es
das Blut, die Liebe oder
der Freund
aus einem früheren Leben
da das Begehren sich flüchtig
erhob und die Zukunft
gebar für eine Zeit
ohne größeren Wunsch
Und ich seh
das bis dahin Tiefste
in meinem Leben, was
andere „nicht viel" nennen mögen
An einem Baum im Park, wohin
der wärmere Wind kam, seh ich
das Eis sich verlieren, so
wie es sich verschloß: still
nach all den kühleren Schatten.