Im Sonnenwinkel 54 – Familienroman: Ein Kind irrt durch die Welt
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Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen.
Sissy saß auf dem Fensterbrett, und ein kleiner weißer Spitz kuschelte sich eng an sie. Der Regen klatschte an die Scheiben, die lange nicht geputzt worden waren.
»Jetzt können wir wenigstens wieder durchgucken, Albert«, sagte sie. »Schön dreckig waren die Fenster.«
Es mochte einen Fremden seltsam anmuten, dass ein kleiner Spitz den Namen Albert bekommen hatte, aber damit hatte es seine eigene Bewandtnis.
Onkel Arndt hatte ihr das Hundchen zum Geburtstag geschenkt. Da hatte es noch keinen Namen gehabt, und zu der Zeit war Sissys Vater auch schon sehr krank gewesen. Die Pflegerin, die ihn betreute – Schwester Hermine –, hatte sich ziemlich aufgeregt, dass nun auch noch ein Hund ins Haus kam.
»Albert doch nicht so herum!«, hatte sie gesagt, und darum hatte Sissy dann den kleinen weißen Spitz Albert genannt. Sie fand das lustig. Sie war ein kleines Mädchen und begriff nicht, dass ihr Vater nie mehr gesund werden würde. Sie war glücklich, dass Onkel Arndt da war, dass er mit ihr lachte und ihr ein lebendiges Spielzeug geschenkt hatte, denn Sissy war sehr viel sich selbst überlassen. Spielkameraden hatte sie nicht. Das Haus, in dem sie mit dem Vater, Dr. Werner Rechberg und dessen jüngerem Bruder Arndt lebte, war zu einsam gelegen. Eine ganze Zeit war Lene bei ihnen gewesen, die auch schon ziemlich alt war, aber eines Tages war sie fortgefahren und nicht wiedergekommen. Niemand hatte Sissy gesagt, dass Lene gestorben war, denn da war Dr. Werner Rechberg selbst schon ein vom Tod gezeichneter Mann.
Er wollte es seiner kleinen Tochter,
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Im Sonnenwinkel 54 – Familienroman - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel
– 54 –
Ein Kind irrt durch die Welt
Patricia Vandenberg
Sissy saß auf dem Fensterbrett, und ein kleiner weißer Spitz kuschelte sich eng an sie. Der Regen klatschte an die Scheiben, die lange nicht geputzt worden waren.
»Jetzt können wir wenigstens wieder durchgucken, Albert«, sagte sie. »Schön dreckig waren die Fenster.«
Es mochte einen Fremden seltsam anmuten, dass ein kleiner Spitz den Namen Albert bekommen hatte, aber damit hatte es seine eigene Bewandtnis.
Onkel Arndt hatte ihr das Hundchen zum Geburtstag geschenkt. Da hatte es noch keinen Namen gehabt, und zu der Zeit war Sissys Vater auch schon sehr krank gewesen. Die Pflegerin, die ihn betreute – Schwester Hermine –, hatte sich ziemlich aufgeregt, dass nun auch noch ein Hund ins Haus kam.
»Albert doch nicht so herum!«, hatte sie gesagt, und darum hatte Sissy dann den kleinen weißen Spitz Albert genannt. Sie fand das lustig. Sie war ein kleines Mädchen und begriff nicht, dass ihr Vater nie mehr gesund werden würde. Sie war glücklich, dass Onkel Arndt da war, dass er mit ihr lachte und ihr ein lebendiges Spielzeug geschenkt hatte, denn Sissy war sehr viel sich selbst überlassen. Spielkameraden hatte sie nicht. Das Haus, in dem sie mit dem Vater, Dr. Werner Rechberg und dessen jüngerem Bruder Arndt lebte, war zu einsam gelegen. Eine ganze Zeit war Lene bei ihnen gewesen, die auch schon ziemlich alt war, aber eines Tages war sie fortgefahren und nicht wiedergekommen. Niemand hatte Sissy gesagt, dass Lene gestorben war, denn da war Dr. Werner Rechberg selbst schon ein vom Tod gezeichneter Mann.
Er wollte es seiner kleinen Tochter, die er über alles liebte, ersparen, dass allzu viel Kummer ihr junges Leben überschattete.
Ganz früher nämlich, als sie noch nicht in diesem einsamen Haus lebten, sondern in einer Stadt, hatte Sissy auch eine Mami gehabt. Und auch die war eines Tages fortgefahren. Obgleich Sissy vieles vergessen hatte, an diese Frau konnte sie sich noch genau erinnern. Sie hatte auch so helles blondes Haar gehabt wie sie selbst, und sie lebte in Sissys Erinnerung wie eine Märchenfee.
Dass ihr Vati nun im Himmel war, wusste Sissy, denn Onkel Arndt hatte es ihr erklärt, und sie war auch mit auf dem Friedhof gewesen, als man seinen Sarg in das Grab senkte.
Insgeheim wartete Sissy darauf, dass die schöne blonde Frau, ihre Märchenfee, wiederkommen würde. Sie hatte sich das so vorgestellt.
Gestern Abend nun hatte Onkel Arndt sie in den Arm genommen und sich mit ihr in den großen Sessel gesetzt, der am Fenster stand und in dem auch ihr Vati meistens gesessen hatte.
»Morgen werden die Verwandten kommen, Sissy«, hatte er gesagt.
»Warum denn?«, hatte sie gefragt.
»Weil Vatis Testament eröffnet wird«, erklärte er ihr.
»Was ist ein Testament?«, hatte Sissy gefragt, und er hatte es ihr erklärt.
Darüber dachte sie jetzt nach, als sie zum Fenster hinausblickte. Die Verwandten waren gekommen, aber Sissy hatte sich strikt geweigert, sie zu begrüßen.
Sie hatte nie gewusst, dass ihr Vati auch noch eine Schwester hatte, die verheiratet war und zwei Kinder hatte, und einen Bruder, der auch verheiratet war und drei Kinder hatte. Sie hatte nur Onkel Arndt kennen gelernt, und der war auch ein Bruder von ihrem Vati. Er hatte keine Frau und keine Kinder. Onkel Arndt liebte sie, er war der einzige Mensch, den Sissy liebte, von ihrer Märchenfee abgesehen. Und natürlich liebte sie Albert, aber das war ein Hund.
»Hörst du, wie laut sie reden, Albert?«, fragte Sissy. »Sie streiten sich. Onkel Arndt streitet auch. So kennen wir ihn gar nicht. Er soll sie doch rausschmeißen, damit wir unsere Ruhe haben.«
Diese fremden Leute hatten ihrer Ansicht nach in diesem Haus gar nichts zu suchen. Aber Sissy hatte ja keine Ahnung, dass dieser Tag auch eine Entscheidung über ihr künftiges Leben bringen sollte.
Der Notar war noch nicht eingetroffen, aber gestritten wurde schon. Immerhin war Dr. Werner Rechberg ein bekannter Wissenschaftler gewesen, ein Mediziner von Rang und ein sehr vermögender Mann, seit er einige Heilmittel entwickelt hatte, die ihm hoch honoriert worden waren. Darüber wussten seine Verwandten natürlich Bescheid. Und sie konnten sich auch denken, dass Sissy Rechberg, das einzige Kind dieses Mannes, seine Universalerbin werden würde. Vielleicht bekam auch Arndt einen Teil, der ihm jetzt schon geneidet wurde.
Doch er war Junggeselle. Ihm konnte man das Kind nicht anvertrauen. Dr. Rechberg hatte noch Geschwister, die eine intakte Familie besaßen. Jedenfalls an diesem Tag wollten sie unter Beweis stellen, wie intakt ihr Familienleben war.
Arndt war der jüngste Sohn der Familie Rechberg. Ein Nachkömmling, jetzt gerade erst neunundzwanzig Jahre alt geworden. Er war Biologe. Er hatte seinen ältesten Bruder Werner, der achtzehn Jahre älter als er gewesen war, bei seinen Forschungsarbeiten unterstützt.
Alice Rauchhaupt, geborene Rechberg, war sechsunddreißig und mit einem Oberregierungsrat verheiratet, der in dieser Runde der schweigsamste war.
Franz Rechberg, dreiundvierzig, Geschäftsführer in einem Kaufhaus, erklärte soeben mit dröhnender Stimme, dass selbstverständlich sie dafür prädestiniert wären, Sissy zu sich zu nehmen.
»Wieso ihr?«, fragte Arndt gereizt. »Wolltet ihr euch nicht scheiden lassen?«
»Das ist dummes Gerede«, sagte Ortrud Rechberg, die Frau von Franz, mit schriller Stimme. »Das hat Alice hochgespielt.«
Alice lachte höhnisch. »Ihr hattet doch schon Sühnetermin«, sagte sie anzüglich. »Jetzt wollt ihr doch bloß zusammenbleiben, um Werners Erbe einzuheimsen.«
»Diese Unterstellung lässt du dir nicht gefallen, Franz«, sagte Ortrud Rechberg herrisch.
Arndt musste sich höllisch zusammennehmen, um nicht ausfallend zu werden. Er hatte nie eine innere Bindung zu Franz und Alice gehabt. Nur zu Werner, der wie ein Vater für ihn gesorgt hatte, der ihn studieren ließ und ihm seinen Weg ebnete.
»Wollt ihr nicht erst warten, bis das Testament verlesen ist, bevor ihr streitet?«, fragte er.
»Du sitzt natürlich auf dem hohen Ross«, sagte Alice unbeherrscht. »Du hast dich ja früh genug bei Werner eingeschmeichelt.«
»Hat es euch gekümmert, dass ich existiere?«, fragte Arndt trocken.
»Hat es euch gekümmert, dass Sissy existiert, solange Werner lebte?«
»Deine Vorwürfe sind unbegründet, Arndt«, sagte Franz Rechberg. »Wir wussten nicht, dass Werner todkrank war. Du hast uns darüber nicht informiert.«
»Wir haben ja erst jetzt erfahren, dass ihm seine Frau davongelaufen ist«, rief Alice dazwischen.
»Warum eigentlich?«, fragte Ortrud. »War nicht zwischen dir und ihr etwas, Arndt?«
Arndt stieg das Blut in die Stirn. »Dann wäre ich kaum hier«, stieß er heiser hervor. »Könnt ihr euch nicht zusammennehmen? Redet wenigstens leiser. Sissy könnte euch hören.«
»Es wird Zeit, dass das Kind in geordnete Verhältnisse kommt«, sagte Alice. »Sie muss ja völlig verwahrlost sein in dieser Männerwirtschaft.«
»Pass nur auf, dass deine Kinder nicht verwahrlosen«, schleuderte ihr Ortrud ins Gesicht. »Bei dir würde sie nichts Gutes lernen.«
»Willst du nicht auch endlich etwas sagen, Heinz?«, fuhr Alice ihren Mann an. »Sollen wir uns das bieten lassen?«
Der Oberregierungsrat Rauchhaupt straffte sich.
»Ich bin dafür, dass wir die Testamentseröffnung abwarten«, sagte er kühl. »Immerhin könnte sie doch auch einige Überraschungen bringen, die solche Auseinandersetzungen überflüssig machen.«
Er war Arndt in diesem Augenblick fast sympathisch, obgleich Arndt für pedantische Beamte nichts übrig hatte.
»Ich werde nach Sissy sehen«, sagte er. »Sie muss ja zugegen sein bei diesem traurigen Akt. Würdet ihr euch bitte zusammennehmen? Sie ist ein sechsjähriges Kind.«
*
»In einem Testament steht, was jeder bekommt, wenn er gestorben ist, Albert«, sagte Sissy zu ihrem Hündchen. »Onkel Arndt hat es mir erzählt. Ich will dich behalten, und wenn ich das nicht darf, dann hauen wir ab. Verstehst du mich?«
Albert spitzte die Ohren. Natürlich verstand er nicht, was das Kind sagte, aber da Sissy jetzt sehr abrupt vom Fensterbrett herabsprang, folgte er ihr.
»Du bist ein kluger Hund«, sagte sie. »Am besten wird es sein, wenn wir gleich verschwinden.«
»Das wirst du hübsch bleiben lassen«, sagte Arndt, der eben die Tür geöffnet hatte. »Hast du vergessen, dass ich auch noch da bin, Sissy?«
Sissy senkte schuldbewusst den Kopf. »Kannst du was gegen die Rotte machen, Onkel Arndt?«, fragte sie.
»Niemand wird dir Albert wegnehmen, Sissy. Und niemand wird uns trennen können«, sagte Arndt.
Sie sah ihn mit großen Augen an. Eine seltsame Farbe hatten diese Augen. Eigentlich graublau, konnten sie manchmal schwarz wirken, und sie bildeten einen eigenartigen Kontrast zu dem blonden Haar. Der Blick ging ihm durch und durch.
»Ich habe sie mir angeschaut, als