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Europa demokratisieren
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Europa demokratisieren

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Die demokratische Legitimität der Europäischen Union wird in der Öffentlichkeit mehr und mehr in Zweifel gezogen. Die Vielzahl der aktuellen Krisenphänomene, wie die Finanz- und Griechenlandkrise, sowie zentrale politische Steuerungsaufgaben werden von Experteneliten der scheinbar unabhängigen, unparteilichen EU-Institutionen wie dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank verhandelt. In ihren rechtlichen und regulatorischen Maßnahmen drückt sich die Fähigkeit zur politischen Einflussnahme aus. Die Institutionenarchitektur beruht zwar auf der Idee objektiver Experten, deren besondere Form der Legitimität auf der Unabhängigkeit von partei- und gesellschaftspolitischen Themen und von nationalstaatlichen Egoismen basiert. Die Realität, so Vauchez, sieht jedoch anders aus: In Wahrheit bestimmen die vermeintlich neutralen Institutionen die politischen Geschicke Europas.

Erst wenn man die politische Schlüsselrolle dieser expertokratischen Institutionen versteht und verändert, können Demokratisierungsbemühungen und die Krisenbewältigung erfolgreich werden.
Ein flammendes Plädoyer für die Reform und Demokratisierung der EU-Institutionen.
LanguageDeutsch
Release dateMar 7, 2016
ISBN9783868546651
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    Europa demokratisieren - Antoine Vauchez

    Anregungen.

    1 Eine »potemkinsche Demokratie«?

    Es muss nicht mehr eigens festgestellt werden: Europa hat definitiv ein Problem mit der Demokratie, und es ist folglich unangebracht, den Schwellenländern entgegenzuhalten, die Union habe es nicht nötig, »Lektionen in Sachen Demokratie erteilt zu bekommen« (wie noch unlängst vom ehemaligen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso zu hören). In der Tat hat ein englischer Politologe schon vor mehr als dreißig Jahren die Diagnose »Demokratiedefizit« gestellt,² und seither ist Europa das Stigma fehlender Legitimität nicht mehr losgeworden. Man muss zugeben, dass an Indizien in diese Richtung kein Mangel besteht: nachlassendes Interesse an den Wahlen zum Europaparlament, wiederholtes »Scheitern« von Volksabstimmungen über die europäischen Verträge, manchmal gefolgt von befremdlichen Neuabstimmungen wie im Falle Irlands oder Dänemarks.

    Obendrein hat die europäische Demokratiekrise jüngst durch die Bewältigung der Eurokrise einen neuen Höchststand erreicht. Während die Institutionen der Europäischen Währungsunion und Wirtschaftsregierung immer fordernder und zwingender wurden, insbesondere Euroländern und Beitrittskandidaten gegenüber, ist der Abstand zum Mechanismus der Wählerlegitimation immer größer geworden. Die von der Troika in Griechenland seit 2010 durchgesetzten Maßnahmen und das Referendum vom Juli 2015 über die von ihr vorgeschlagenen Rettungsbedingungen haben einen zunehmenden Gegensatz zwischen der demokratischen Legitimität auf nationaler Ebene und der von EU-Kommission und EZB geltend gemachten »Notwendigkeiten« der Europäischen Währungsunion offenbart.

    Als Folge der Finanz- und Eurokrise und der mit ihr verbundenen Herausbildung einer Wirtschaftsregierung der Eurozone stellte sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Demokratie in zugespitzter Form. In Scharen fanden sich die Wissenschaftler und Politiker am Bett jenes neuen »kranken Mannes von Europa« ein, zu dem mittlerweile die Europäische Union selbst geworden ist, und überboten sich an Vorschlägen, wie dem Patienten auf den rechten Weg der Demokratie zurückzuverhelfen sei, zumal sich die wirtschaftlichen Turbulenzen gelegt zu haben scheinen. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Ideen präsentiert worden. Manche, wie die deutschen Christdemokraten, meinen, der Kommissionspräsident müsse aus allgemeinen und direkten Wahlen hervorgehen, während für die französischen Sozialisten die Demokratisierung der Union über die Stärkung ihres parlamentarischen Zweigs und die Einführung eines Gesetzesvorschlagsrechts für Europaabgeordnete verläuft. Auch Intellektuelle haben ihre Präferenzen geäußert. Thomas Piketty und eine Gruppe französischer Wissenschaftler empfahlen die Schaffung eines neuen Europaparlaments, und zwar nur für die Eurozone, als Gegengewicht zur Entwicklung der Euro-Gruppe,³ während Jürgen Habermas wiederholt ein europaweites Referendum für oder gegen die Vertiefung der europäischen Integration forderte, ein Votum, das eine klärende Wirkung haben soll.⁴

    So tun als ob

    Bei aller Unterschiedlichkeit schöpfen diese Lösungen allesamt aus dem gleichen Reformprogramm, das Europa schon seit Jahrzehnten als politische Inspirationsquelle dient: Wieder einmal geht es darum, wie bereits beim Verfassungsprojekt, Europa mit aller Macht am nationalstaatlichen Demokratiemodell auszurichten. Als könnten wir Demokratie auf supranationaler Ebene nicht denken, ohne das parlamentarisch-demokratische Muster unserer politischen Systeme zu reproduzieren. Dieser Versuch, die Sprache und die Sachverhalte nationaler Politik auf die europäische polis zu übertragen, hat so manche Hirngespinste und »Zauberkugeln«⁵ erzeugt und, sobald die Hoffnungen einmal verflogen waren, nur lauter bittere Enttäuschungen hinterlassen. Aus diesen wiederholten Frustrationen speist sich heute, was Mario Monti vorsichtig als »Integrationsmüdigkeit« bezeichnet hat⁶ und was wohl zutreffender als tiefgreifende Entfremdung vom europäischen Projekt zu beschreiben

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