Die Weisheit des Brahmanen: Dichterisches Tagebuch
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Friedrich Rückert (1788-1866) war ein deutscher Dichter, Sprachgelehrter und Übersetzer sowie einer der Begründer der deutschen Orientalistik. Er ist Namensgeber des Friedrich-Rückert-Preises und des Coburger Rückert-Preises. Rückert beherrschte neben der Muttersprache mindestens 44 weitere Sprachen und gilt als Sprachgenie.
Inhalt:
Einkehr
Ein indischer Brahman, geboren auf der Flur
Zwei Spiegel sind, worin sich selber schaut mit Wonne
Ich habe nichts erdacht, nur manches ausgedeutet
Nichts Bessres kann der Mensch hienieden thun, als treten
Du sondre stolz und kalt dich nicht von der Gemeine
Beglückt der Weise, der ein kluges Weib gefunden
Verstand ist vom Verstehn, Vernunft ist vom Vernehmen
Du bist beglückt, wenn dir gegeben ist, zusammen
O klage nicht mein Herz, daß dir zu spät nun kommen
Gar manches sagt nicht rein Brahman'sches der Brahman
Wer mit geschickter Hand die heil'ge Schrift abschreibt
Nicht g'nug ist's, selber nicht zu hassen noch zu neiden
Du sagst: Die Rose blüht, es singt die Nachtigall
Hauch Gottes, Poesie, o komm, mich anzuhauchen
Wo hört die Heimat auf und fängt die Fremde an
Zwei Dichter weiß ich, die zur höchsten Höhe flogen
Wenn ihr vielleicht vermißt in diesem Buch die Einheit
Die schönsten Lieder, die aus vollstem Herzen dringen
Ihr mögt mich umganglos und ungesellig schelten!
Stimmung
Zum Milden sprach ein Freund: "Du mußt die Mild ablegen
Kann jeder doch die Welt nur seinem Sinn anpassen
Wenn du das dicke Buch durchblätterst der Geschichte
Wenn du am rechten Ort das rechte Wort zu sagen
Zu lesen lieb' ich nicht, was aneinander hängt
Was unterscheidet Kunst von Wissenschaft. Das Können und vieles mehr
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Book preview
Die Weisheit des Brahmanen - Friedrich Rückert
Band I.
Inhaltsverzeichnis
1.
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8.
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1.
Inhaltsverzeichnis
Ein indiſcher Brahman, geboren auf der Flur,
Der nichts geleſen als den Weda der Natur;
Hat viel geſehn, gedacht, noch mehr geahnt, gefuͤhlt,
Und mit Betrachtungen die Leidenſchaft gekuͤhlt;
Spricht bald was klar ihm ward, bald um ſich's klar zu machen,
Von ihn angeh'nden halb, halb nicht angeh'nden Sachen.
Er hat die Eigenheit, nur Einzelnes zu ſehn,
Doch alles Einzelne als Ganzes zu verſtehn.
Woran er immer nur ſieht ſchimmern einen Glanz,
Wird ein Betkuͤgelchen an ſeinem Roſenkranz.
2.
Inhaltsverzeichnis
Die Flamme waͤchſt vom Zug der Luft, und mehrt den Zug;
So haͤlt ſich Leidenſchaft durch Leidenſchaft im Flug.
Das Feuer ſchuͤrt der Wind, und loͤſcht das Feuer wieder;
So kaͤmpfet Leidenſchaft die Leidenſchaft danieder.
Wie ſtill die Lampe brennt am windbeſchirmten Ort,
So ein beruhigt Herz in Andacht fort und fort.
3.
Inhaltsverzeichnis
Wie nur die Schleuder kann in rechter Ferne wirken,
So muß der Sinne Kraft auch eine Grenz' umzirken.
Zu nah den Augen iſt nicht beſſer als zu fern;
Dich ſelbſt durchſchauſt du nicht, und nicht den Himmelsſtern.
Doch zwiſchen deinem Ich und jenem Daͤmmerſterne
Liegt eine weite Welt, die zu durchſchauen lerne!
4.
Inhaltsverzeichnis
Wer Furcht vor keinem hegt, Furcht keinem auch erregt,
Sieht den furchtbaren Tod von keiner Furcht bewegt.
Wer keine Luft verſtoͤrt, wen keine Luft bethoͤrt,
Erlangt die hoͤchſte Luft, wo alle Luft aufhoͤrt.
Wem hoch und niedrig gleich, gleichviel iſt hart und weich,
Gleichgiltig reich und arm, der iſt in Armuth reich.
Wer Lieb' mit Lieb' umfaßt, und ſelbſt den Haß nicht haßt,
Der iſt zu Hauſe dort, hier auf der Welt ein Gaſt.
5.
Inhaltsverzeichnis
Bedenke daß ein Gott in deinem Leibe wohnt,
Und vor Entweihung ſei der Tempel ſtets verſchont.
Du kraͤnkſt den Gott in dir, wenn du den Luͤſten froͤhneſt,
Und mehr noch wenn du in verkehrter Selbſtqual ſtoͤhneſt.
Gott ſtieg herab, die Welt zu ſchaun mit deinen Augen;
Ihm ſollſt du Opferduft mit reinen Sinnen ſaugen.
Er iſt, der in dir ſchaut und fuͤhlt und denkt und ſpricht;
Drum was du ſchauſt, fuͤhlſt, denkſt und ſprichſt, ſei goͤttlich licht.
6.
Inhaltsverzeichnis
Alswie der Menſch, ſo iſt ſein Gott, ſo iſt ſein Glaube,
Aus geiſt'gem Aether bald, und bald aus Erdenſtaube.
Doch doppelt iſt der Gott, der Glaube doppelt auch,
Hier ſelbſtentglommner Trieb, dort uͤberkommner Brauch.
Das Eigenſte wird ganz nie frei vom Angenommnen,
Doch uͤbt die Eigenheit ihr Recht am Ueberkommnen.
Man reißt das Haus nicht ein, das Vaͤter uns gebaut,
Doch richtet man ſich's ein, wie man's am liebſten ſchaut.
Und raͤumt man nicht hinweg ehrwuͤrd'ge Ahnenbilder,
Durch Deutung macht man ſie und durch Umgebung milder.
Des Glaubens Bilder ſind unendlich umzudeuten,
Das macht ſo brauchbar ſie bei ſo verſchiednen Leuten.
7.
Inhaltsverzeichnis
Wie Blaſen in dem Strom auftauchen und zergehn,
So ſah die Fantaſie Goͤtter aus Gott entſtehn.
Die Kunſt, das wirre Spiel der Fantaſie zu mildern,
Bezaubernd bannte ſie den Geiſt in Marmorbildern.
Des Sinnbilds Misgeſtalt will nichts ſein, nur bedeuten;
Der Wohlgeſtalt gebuͤhrts, Anbetung zu erbeuten.
Doch ſoll der Allgeiſt nicht im engen Haus verkuͤmmern,
Muß mit dem falſchen Schein die Schoͤnheit ſelbſt zertruͤmmern.
Wenn der verſoͤhnte Geiſt frei mit unſchuld'gem Spiel
Begoͤttert die Natur, dann iſt die Kunſt am Ziel.
8.
Inhaltsverzeichnis
Wenn das Erhabne ſtaunt die junge Menſchheit an,
Spricht ſie im hellen Traum: das hat der Gott gethan.
Und wenn ſie zum Gefuͤhl des Schoͤnen dann erwacht,
Bekennt ſie freudig ſtolz: Es hats der Menſch vollbracht.
Und wenn zum Wahren einſt ſie reift, wird ſie erkennen,
Es thuts im Menſchen Gott, der nicht von ihm zu trennen.
9.
Inhaltsverzeichnis
Die Sekten alle ſind im Glauben einverſtanden,
Es ſei ein hoͤchſtes Gut zu ſuchen und vorhanden.
Wo es zu finden ſei, das iſt die erſte Spaltung,
Und wie zu ſuchen? das des weitern Streits Entfaltung.
Der eine ſteckte hoch das Ziel, der andre tiefer,
Danach nach ſeiner Kraft dann kroch er oder lief er.
Der Niedrigſte wird auch nach etwas Hoͤchſtem geizen,
Das hoͤchſte Hoͤchſte kann den hoͤchſten Sinn nur reizen.
Ein Hoͤchſtes iſt Genuß, ein Hoͤh'res ſel'ge Ruh;
Was dir das Hoͤchſte gilt, Erkenntnis ſuche du.
In der Erkenntnis iſt Genuß das Suchen ſchon,
Und einſt wird ſel'ge Ruh ſeyn der gefundne Lohn;
Wenn alles du als gut im hoͤchſten Gut erkennſt,
Und einen boͤſen Schein allein das Boͤſe nennſt.
Inzwiſchen mußt du Gut und Boͤſes unterſcheiden,
Und fuͤr das Gute ſelbſt den Schein des Boͤſen meiden.
Erkenntnis, Ruh, Genuß, iſt nie bei boͤſem Muth;
Nur auf des Guten Pfad kommſt du zum hoͤchſten Gut.
10.
Inhaltsverzeichnis
Drei Eigenſchaften gibts, die ſich verſchieden gatten
In dir und jedem Ding: Licht, Finſternis und Schatten.
Urgoͤttlich iſt das Licht, ungoͤttlich Finſternis,
Und zwiſchen beiden ſind die Schatten ungewis.
Die Schatten ſuchen Theil am Licht, um zu entſtehn,
Und durch die Finſternis beſtehn ſie und vergehn.
Ob ſie in Finſternis vergehen, ob im Licht?
Im Kampf vergehen ſie, den dis und jene ficht.
Im Kampf, in welchem ſie vergehn, entſtehn ſie immer,
Verſoͤhnen wollen ſie den Kampf und koͤnnens nimmer.
Sie legen, um den Kampf zu ſuͤhnen, ſich dazwiſchen,
Und muͤſſen in den Kampf ſich wider Willen miſchen;
Alswie ein Brudervolk ſich in zwei Voͤlker ſpaltet,
Wenn um die Krone Streit von zweien Haͤuptern waltet.
Das iſt der große Kampf, der ringt durch die Natur,
Und alles Groß' entringt ſich dieſem Kampfe nur.
11.
Inhaltsverzeichnis
Aus Finſternis zum Licht ſteigt eine Stufenleiter,
Die dunkel iſt am Fuß und an der Spitze heiter.
Im Schatten ſiehſt du nicht, wie hoch die Leiter du
Aufklommeſt, doch du klimmſt zum Licht auf, klimm nur zu!
Wenn du im Licht erkennſt, wie aus dem Licht erſtanden
Nothwend'ge Finſternis, dann iſt die Welt verſtanden.
War Finſternis einſt Licht, ſo wird ſie Licht einſt ſeyn,
Wann das Entſprungne geht in ſeinen Urſprung ein.
Jedweder Sieg des Lichts im ſchwachen Geiſt vollbracht,
Weiſſagt den ew'gen Sieg der lichten Geiſtermacht.
Ihn profezeit die Sonn' an jedem Tage tagend,
Mit einem Stral von Licht ein Heer von Schatten ſchlagend.
Am Abend wird ſie roth vor Scham daß ſie erlag,
Und traͤumt die Nacht hindurch vom großen ew'gen Tag.
12.
Inhaltsverzeichnis
Als Knabe hab' ich einſt die Frucht am Baum geſehn,
Und ſehe nun als Greis die Bluͤtenknoſpen ſtehn.
Vom Menſchen wird nur das, was er nicht hat, geſucht,
Der Bluͤtentrieb vom Greis, vom Kind die reife Frucht.
Warum nach reifer Frucht das Kind begierig greift?
Weil es die Bluͤt' iſt, die der Frucht entgegen reift.
Warum das alte Herz an jungen Trieben haͤngt?
Weil die getriebne Frucht zu neuen Trieben draͤngt.
Wo traͤgt die Gegenwart der Zukunft Bluͤtenkrone?
Wo ſich ein Vater ſieht verjuͤngt in ſeinem Sohne.
Der Gaͤrtner ſei gelobt, der dieſen Baum begießt,
Wo Frucht aus Bluͤt' und Bluͤt' aus Frucht unendlich ſprießt.
13.
Inhaltsverzeichnis
Stell dich in Reih und Glied, das Ganze zu verſtaͤrken,
Mag auch, wer 's Ganze ſieht, dich nicht darin bemerken.
Mag auch, wer 's Ganze ſieht, dich nicht darin bemerken;
Das Ganze wirkt, und du biſt drin mit deinen Werken.
Stell dich in Reih und Glied, und ſchaare dich den Schaaren;
Und theilſt du nicht den Ruhm, ſo theilſt du die Gefahren.
Wird nicht der Muſterer den Einzelmann gewahren,
Mit Luſt doch wird er ſehn vollzaͤhlig ſeine Schaaren.
Damit im Lanzenwald nicht fehlet eine Lanze,
Heb deine fein, und ſei gefaßt auf jede Schanze.
Sei nur ein Blatt im Kranz, ein Ring im Ringeltanze,
Fuͤhl' dich im Ganzen ganz, und ewig wie das Ganze!
14.
Inhaltsverzeichnis
Wenn es dir uͤbel geht, nimm es fuͤr gut nur immer;
Wenn du es uͤbel nimmſt, ſo geht es dir noch ſchlimmer.
Und wenn der Freund dich kraͤnkt, verzeih's ihm, und