Mon Amie
By Katarina Genar and Lina Bodén
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Book preview
Mon Amie - Katarina Genar
Es ist früh an einem Sommermorgen. In Saras Zimmer steht das Fenster einen Spalt offen. Vom Meer hört man die Möwen schreien, aber Sara schläft tief und fest. Bea muss sie mehrmals über die Wange streicheln, ehe sie endlich verschlafen aufsieht.
»Ich haue jetzt ab«, flüstert Bea. »Halte es hier zu Hause nicht länger aus.«
Mit einem Mal erinnert sich Sara. Der schreckliche Streit gestern. Bea, die Mama und Papa angeschrien hat, dass sie ja gar nichts begreifen würden. Und die Eltern, die wütend waren. Sara wusste nicht, worum es ging, denn sie hatte getan, was sie immer tat, wenn es Streit gab: Sie war in ihr Zimmer gegangen und hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Sich die Ohren zugehalten. Mama, Papa und Bea stritten oft, doch dieses Mal war es schlimmer gewesen als sonst.
Vor dem Haus fährt ein Auto vor.
»Das Taxi«, sagt Bea. »Ich muss los.«
Sie steht auf.
»Ich nehme den Zug nach Kopenhagen. Ich kenne einen Typ, der mir da einen Job in einer Kneipe besorgen kann. ›Zum Prinzen‹ heißt der Laden.«
Sie beugt sich vor und packt Saras Schultern.
»Aber versprich mir, dass du das niemandem erzählst! Egal, was passiert. Erzähl es niemand!«
Sara schluckt ein paarmal, es fühlt sich an, als hätte sie einen dicken Kloß im Hals. Dann nickt sie und verspricht, nichts zu sagen.
Bea lässt sie los und streicht mit der Hand über Saras Wange.
»Du bist die beste kleine Schwester der Welt.«
Leise und vorsichtig schleicht Bea aus dem Zimmer. Sara bleibt im Bett liegen und hört sie draußen die Treppe hinuntergehen. Es knirscht, als Bea über den Kiesweg zum Taxi geht. Da beeilt sich Sara, aus dem Bett zu kommen. Durch das Fenster kann sie sehen, wie der Taxifahrer Beas Rucksack ins Auto hievt. Sie sieht Beas schmalen Rücken, das lange, rot gefärbte Haar, die ausgefranste Jeansjacke.
Nein, sie darf nicht wegfahren!
Sara eilt die Treppe hinunter, reißt die Tür auf und rennt, sodass ihr das Nachthemd um die Beine flattert, in die kühle Morgenluft hinaus. Der Kies schneidet in die Füße, als sie sich beeilt, zum Gartentor zu kommen. Aber das Taxi ist schon auf dem Weg den Hügel hinunter, und genau in dem Moment, als Sara am Tor ist, verschwindet es um die Kurve.
Sara seufzt. Der erste Tag der Sommerferien. Und Bea ist abgehauen. Dabei hatte sie doch versprochen, dass sie bis Mittsommer, wenn der Urlaub von Mama und Papa anfängt, gemeinsam zu Hause bleiben würden. Und jetzt das!
Sara starrt zu der Kurve. Vielleicht kann sie Bea ja dazu bringen, es sich anders zu überlegen und zurückzukommen. Sie schließt ganz fest die Augen, kehr um, denkt sie, kehr um, kehr um, kehr um … In ihrem Kopf sieht sie, wie Bea dem Taxifahrer auf den Rücken klopft und ihm sagt, dass er zurückfahren soll. Und zwar so schnell wie möglich, denn zu Hause wartet meine Schwester auf mich!
Als sie die Augen aufschlägt, ist ihr ganz schwindelig, und es sieht aus, als würden in der Luft kleine Sternchen flimmern. Wenn die Gedankenübertragung funktioniert hat, dann müsste das Taxi jetzt kommen.
Aber natürlich kommt kein Taxi. Die Straße bleibt leer. Nein, war doch klar, dass Bea es sich nicht anders überlegen und zurückkommen würde. Bestimmt sitzt sie bei heruntergekurbeltem Fenster, und das rote Haar flattert im Wind, und sie sagt zum Fahrer, er soll so schnell wie möglich fahren!
Sara fröstelt in ihrem dünnen Nachthemd. Das Licht vom blauen Himmel ist stechend, aber der Garten liegt immer noch im Schatten. Da sieht sie plötzlich, wie sich unten am Hügel etwas bewegt, genau in der Kurve, die die Straße dort beschreibt. Jemand kommt langsam den Berg heraufgeradelt. Ist das Bea, die zurückkommt?
Nein, natürlich ist es nicht Bea. Ein Mann sitzt auf dem Fahrrad. Er ist klein, hat einen braunen Bart und einen dicken Goldring in einem Ohr. Ein wenig sieht er aus wie ein Troll und hat gar keine Ähnlichkeit mit Bea.
»Guten Morgen, schöne Maid!«, ruft er feierlich, als er sich dem Gartentor nähert. »Ich bitte ergebenst, eine Zeitung an diese entlegene Adresse leverieren zu dürfen!«
Der Zeitungsbote bleibt genau vor Sara stehen und zieht eine zusammengerollte Zeitung aus dem Fahrradkorb. Seine Stirn glänzt von Schweiß nach dem langen Weg den Hügel herauf, und er stützt sich auf den Lenker und schnauft.
»Fantastische Aussicht«, sagt er und schaut über das glitzernde Meer. »Aber der Berg ist der reinste Albtraum für einen Fettwanst wie mich.«
Er streicht sich