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Sigmund Freud - Revolutionär der Seele: Ein SPIEGEL E-Book
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Sigmund Freud - Revolutionär der Seele: Ein SPIEGEL E-Book

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Lustprinzip und Libido, Über-Ich, Unbewusstes und Schuldgefühle – die Bedeutung Sigmund Freuds für unsere Sprache und unseren Alltag ist unbestritten. Aber was genau fangen wir im 21. Jahrhundert an mit Traumforschung, Sexualtheorie und Redekur? 160 Jahre alt wäre Freud in diesem Jahr geworden. In diesem E-Book würdigt der SPIEGEL ihn umfassend: als Abenteurer der Seele, Literat, Naturforscher, Arzt, Kulturtheoretiker und Jahrhundertgenie.
In Artikeln, Gesprächen, Titelgeschichten und Essays aus vier Jahrzehnten kommen glühende Bewunderer und Feinde des Begründers der Psychoanalyse gleichermaßen zu Wort.

Unter anderem:
•Der französische Philosoph Michel Onfray begründet seinen Totalangriff auf Freud mit dessen Irrtümern und seinem angeblichen Desinteresse für Menschen.
•Freud-Biograf Peter Gay beschreibt den einflussreichsten Theoretiker der Seele als "Bourgeois, der Bomben baut" und illusionslosen Propheten.
•Der Hirnforscher und Psychoanalytiker Mark Solms untersucht das Verhältnis zwischen den modernen Neurowissenschaften und Freuds Theorien
LanguageDeutsch
Release dateApr 8, 2016
ISBN9783877631669
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    Book preview

    Sigmund Freud - Revolutionär der Seele - SPIEGEL-Verlag

    Inhaltsverzeichnis


    Sigmund Freud - Revolutionär der Seele

    Vorwort


    SIGMUND FREUD

    Mehr als eine Theorie der Seele

    Freud-Biograf Peter Gay über Sigmund Freud und die Psychoanalyse


    WIEDERENTDECKUNG FREUDS

    Die Natur der Seele

    Die Hirnforschung entdeckt Sigmund Freud

    Triebwerk im Keller der Seele

    Freuds Sexualtheorie auf dem Prüfstand

    Was bleibt von Freud?

    Essay des Hirnforschers und Psychoanalytikers Mark Solms

    Knebel für die Triebe

    Seelenkundler fordert ein Recht auf Ängste und Macken


    KRITIK AN FREUD

    Angriff auf das Reich des König Ödipus

    Freuds Lehre unter Beschuss

    „Er baute auf Hirngespinste"

    Der Philosoph Michel Onfray über Freuds Irrtümer


    BIOGRAFISCHES

    Kompaktkurs in Psychoanalyse

    Über Peter Gays Freud-Biografie

    Aus einer verdrängten Jugend

    Über den Briefwechsel mit einem Schulfreund

    Verfluchte Briefe

    Die Korrespondenz zwischen Freud und Carl Gustav Jung


    ERINNERUNGEN UND GEDENKEN

    Schwierige Menschen

    Freuds Haushälterin Paula Fichtl erinnert sich

    Schamlos verunstaltet

    Freuds Londoner Villa wird zum Museum


    Anhang

    Impressum

    Sigmund Freud - Revolutionär der Seele • Einleitung

    Vorwort

    Lustprinzip, Libido, Über-Ich und Schuldgefühle – die Bedeutung Sigmund Freuds für den Alltag und das Selbstverständnis der Moderne ist unbestritten. Kaum etwas hat den Blick auf das menschliche Dasein so tiefgreifend verändert wie seine große Menschheitserzählung von der Macht des Unbewussten. Nicht nur unsere Sprache, auch die Auffassung dessen, was unsere Persönlichkeit formt, was sie zu zerstören vermag und was sie aufbaut, ist im 21. Jahrhundert tiefer denn je durchdrungen von Freuds Entdeckungen. 

    Jahrzehntelang verstellte der ideologische Kampf um sein geistiges Erbe die Sicht auf das zugleich Fundamentale wie Visionäre seiner Arbeit. Mittlerweile laufen, was Freud betrifft, die Erneuerer den Orthodoxen den Rang ab und legen den Blick auf das Wesentliche wieder frei. Selbstverständlich entwickeln wir unser Verständnis von der Bedeutung der frühen Kindheit oder der Sexualität für unser Leben weiter – auch wenn der Ödipuskomplex nur noch als Metapher dient. Längst erforschen wir bis in die molekulare Struktur der Neurotransmitter die „organische Begründung des Seelischen – die Freud zeitlebens zugrunde legte, im Bewusstsein, sie mit den damaligen Methoden nicht nachweisen zu können. Und fraglos erkennen wir an, dass Reden hilft – auch wenn die gute alte „Redekur auf der Couch heute um zahlreiche neue Formen ergänzt und bereichert ist. 

    Der Schöpfer von Psychoanalyse und Traumdeutung begriff seine Arbeit selbst nie als abgeschlossen und mahnte, man solle sein „Gerüste nicht für den Bau halten. Als Vorbild und Seelenverwandten nannte er Kolumbus, den Abenteurer. Wie dieser drang Freud in einen fremden Kontinent vor, den dunklen Kontinent der Seele. Was er von dort aus dem „untersten Stockwerk ans Licht holte – die Faszination der Schlafzimmergeheimnisse mit ihren verbotenen, verdrängten Phantasien – schockierte und elektrisierte die braven Bürger des viktorianischen Zeitalters gleichermaßen; mit einem Mal schlummerte in jedem die Perversion. Freud sah sich als Arzt der Gesellschaft, empfahl den „freien sexuellen Verkehr zwischen jungen, unverheirateten Menschen. Es mache die jungen Damen krank, sie „luftdicht vom Leben abgeschlossen zu halten, schädlich sei die „planhafte Aufzüchtung von Angst". Damals erwarb sich die Psychoanalyse den Ruf einer Befreiungsbewegung.

    Der Weg, den der Sohn eines jüdischen Wollhändlers aus der Josephsstadt zurücklegte, könnte weiter kaum sein: Als junger Neurowissenschaftler erforschte er in Wien mit Skalpell und Mikroskop die Reizweiterleitung in den Hoden des Aals; seine letzte Studie „Der Mann Moses und die monotheistische Religion" gab er kurz vor seinem Tod 1939 im Londoner Exil heraus. Zwischen beiden Stationen liegt ein unvergleichlich vielseitiges, furcht- und tabuloses, kreatives und zugleich stringentes Lebenswerk.  

    160 Jahre alt wäre Freud in diesem Jahr geworden. Anlass genug für den SPIEGEL, ihn umfassend zu würdigen: Als Literaten und Revolutionär der Seele, als Naturforscher, Arzt, Kulturtheoretiker und Jahrhundertgenie. Dessen gedankliche Sprengkraft traf seit jeher auf glühende Bewunderer und Feinde – auch im SPIEGEL, der sich in über 50 Artikeln und Titelgeschichten mit Freud auseinandersetzte, mal getragen von Bewunderung und Respekt, mal von Skepsis, Spott, Verachtung, Neugier. 

    Die Auswahl der 12 Essays, Artikel und Gespräche für dieses E-Book spiegelt diese wechselhafte Beziehung – und damit zugleich das Auf und Ab der gesellschaftlichen Moden und Wellen der Rezeption, die sich auch in Zukunft an Freuds Werk brechen werden. Denn das Abenteuer der Seele geht weiter.

    Beate Lakotta

    SIGMUND FREUD • SPIEGEL 53/1998

    Mehr als eine Theorie der Seele

    Nichts hat den Blick auf das menschliche Dasein so verändert wie die Lehren Freuds. Doch seine Psychoanalyse bleibt umstritten: für die einen Schlüssel zur Seele, für die anderen Scharlatnerie. Im Zeitalter der Psychokulte sind Millionen weiter auf der Suche nach sich selbst. Von Peter Gay

    Der Autor

    Peter Gay, 1923 als Peter Fröhlich in Berlin geboren und später mit seinen jüdischen Eltern vor den Nazis nach Amerika geflohen, lehrte von 1969 bis 1993 Geschichte an der Yale University. Der Historiker mit psychoanalytischer Ausbildung wurde 1987 mit seinem Monumentalwerk „Freud. Eine Biographie für unsere Zeit" (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main; 904 Seiten) zum international bekannten Freud-Interpreten.

    Wir alle sprechen die Sprache Freuds, ob wir es wissen oder nicht, ob wir ihn hoch verehren oder tief verachten. Die psychoanalytische Lehre, oder zumindest der psychoanalytische Jargon, ist unaustilgbarer Bestandteil unserer Welt geworden. Wir sprechen von Ödipuskomplexen, Sublimierung, Penisneid, Ambivalenz oder von Repression, vielleicht ohne die geringste Ahnung, woher diese Worte stammen oder ob wir sie richtig anwenden. Kurz: Freud ist berühmt.

    Berühmt, aber nicht beliebt. In den zwanziger Jahren, als er dem allgemeinen Publikum ein Begriff wurde, war er „Dr. Sex", der Arzt, der in sexueller Promiskuität das unfehlbare Heilmittel für neurotische Beschwerden sah. Daß dies eine grobe Entstellung der Freudschen Lehre war, ist erst später klar geworden. Und bis heute bleibt er oberflächlichen Angriffen und tendenziösen Vorbehalten ausgesetzt.

    Unsere seelische Welt ist einfach undenkbar ohne ihn und wird es auch bleiben, jedoch in einer Weise, die Freud selbst nur verwirrt oder verärgert hätte. Er hat vorausgesagt, daß seine Theorien nicht ohne Anhänger bleiben würden, besonders in den Vereinigten Staaten. Anhänger, die, so fürchtete er aber auch, seine psychoanalytischen Einsichten über kurz oder lang ruinieren würden.

    Dazu ist es nicht gekommen, jedoch der Einfluß Freuds und dessen kulturelle Bedeutung sind heute so umstritten wie vor einem Jahrhundert, als er seine ersten psychoanalytischen Schriften veröffentlichte.

    Freuds Leben ist so kontrovers wie seine Lehre, und seine unerbittlichsten Gegner versuchen seit langem, die letztere mit oft schlecht begründeten Anekdoten aus dem ersten zu diskreditieren. War er ein Papst, der über seiner Gemeinde thronte? Ein Diktator, der keinen Widerspruch tolerieren konnte? Ein Lügner, der seine Fallstudien „korrigierte, bevor er sie der Öffentlichkeit unterbreitete, und noch dazu ein untreuer Ehemann, der mit seiner Schwägerin eine Liebesaffäre hatte? Dann kann seine große „Erfindung, die Psychoanalyse, auch nichts taugen. So urteilen seine Feinde, unlogisch in ihrem Zorn.

    Sigismund Schlomo Freud (er hat seinen jüdischen Vornamen nie verwendet und seinen Rufnamen schon als junger Student abgekürzt) kam am 6. Mai 1856 in dem mährischen Städtchen Freiberg, dem heutigen Příbor in Tschechien, zur Welt. Als Erstgeborener Amalia Freuds ist er immer ihr Liebling geblieben. Amalia war Jacob Freuds dritte Frau, 20 Jahre jünger als ihr Mann, gut aussehend, selbstbewußt und nicht wenig herrschsüchtig. Freuds Vater war ein kleiner, beinah mittelloser Textilhändler, dem es im Lauf der Jahre langsam pekuniär besserging, besonders nachdem die Familie Freud 1860 in Wien Fuß fassen konnte.

    Es war eine jüdische Familie, in der die religiöse Observanz jedoch eine ziemlich kleine Rolle spielte. Sigmund Freud selbst wurde schon als Halbwüchsiger ein aggressiver Atheist und hat diese Haltung niemals aufgegeben. Seine Bereitschaft, sich ohne Gott durch das Leben zu schlagen, bedeutete allerdings nicht, daß er sich nicht zum Judentum bekannt hätte.

    Seine jüdischen Mitbürger, die sich assimilieren wollten und sich aus Berechnung taufen ließen, verabscheute Freud zutiefst. Er hatte zwar, wie er mehrfach betonte, sowenig für die jüdische wie für alle anderen Religionen übrig. Besonders in seinen letzten Lebensjahren war er jedoch geneigt, ein geheimnisvolles ererbtes jüdisches Element in seinem Wesen zu erkennen und zu begrüßen, ein Element, das irgendwie die Jahrhunderte überlebt hatte. Und auf diese Erbschaft war er stolz.

    „Ich habe nie begriffen, schrieb er 1925 in seiner „Selbstdarstellung, „warum ich mich meiner Abkunft, oder wie man zu sagen begann, Rasse, schämen sollte. Wann auch immer der Antisemitismus sein häßliches Haupt erhob – 1873 an der Universität Wien, 1897, als der Antisemit Karl Lueger Bürgermeister von Wien wurde, in den zwanziger Jahren, als die Nazis in Deutschland zu lärmen begannen –, es mangelte Freud nie an Courage. In einem Interview im Jahre 1926 – er war 70 – faßte er seine Haltung klar und bündig zusammen: „Meine Sprache ist deutsch. Meine Kultur, meine Bildung sind deutsch. Ich betrachtete mich geistig als Deutschen, bis ich die Zunahme des antisemitischen Vorurteils in Deutschland und Deutschösterreich bemerkte. Seit dieser Zeit ziehe ich es vor, mich einen Juden zu nennen.

    Zum Stolz seiner Eltern zeigte sich der junge Freud brillant und frühreif. In der Schule und im Gymnasium war er meistens der Primus. Auch als Student ab 1873 an der Universität Wien enttäuschte er seine Familie und seine Professoren nicht. Seine frühesten Arbeiten beweisen eine außerordentliche Auffassungsgabe, einen intellektuellen Wagemut und ein Talent für lesbare, oft originelle Prosa.

    Er wollte Jura studieren, aber das, was er „eine Art von Wißbegierde" nannte, eine Leidenschaft, die keine Grenzen kannte, bewegte ihn, auf Medizin umzusatteln. Die Aussicht, Arzt zu werden, erfreute ihn nicht besonders; doch hoffte er, den Geheimnissen des seelischen Lebens, die ihn schon als jungen Mann fasziniert hatten, auf die Spur zu kommen. Nur seine finanzielle Misere und seine Leidenschaft für Martha Bernays, in die er sich 1881 verliebte, veranlaßten ihn schließlich, eine private Praxis zu eröffnen, so daß er 1886 endlich heiraten konnte.

    Bald spezialisiert auf das, was man in jenen Jahren unter der vagen Rubrik „Neurasthenia verstand, begann Freud, von seinen neurotischen Patienten – meist Patientinnen – zu lernen. Er fing an, ihre (und auch seine) Träume niederzuschreiben, und es wurde ihm klar, daß ein schweigsames und geduldiges Zuhören ergiebige Resultate in der Psychotherapie bringen kann. 1895 analysierte er seinen ersten Traum, bekannt als der Traum von „Irmas Injektion, den er später in seinem ersten Meisterwerk, „Die Traumdeutung" (1900), als ein Modell benutzte, um zu erklären, wie er als erster Psychoanalytiker der Welt Träume interpretieren konnte und wie solche Interpretationen dem Verstehen von Neurosen dienen können.

    In den neunziger Jahren hatte er auch entdeckt, wie stark sexuelle Wünsche und Ängste die Krankheitsgeschichte seiner Patienten beeinflußten. Ein heikles Thema, das die meisten Ärzte seiner Zeit mit größter Vorsicht vermieden. Freud kannte solche Hemmungen nicht. Einige Jahre lang vertrat er sogar die extreme These, daß sexueller Mißbrauch von Kindern alle Neurosen verursache.

    1897 mußte er die Unhaltbarkeit dieser Erklärung zugeben. Es war ein schwieriger Moment für Freud. Schlimmer noch, dieser Fehlschlag seiner sensationellen These konfrontierte ihn, wie schon mehrfach vorher, mit einer persönlichen Niederlage: Er war über 40 Jahre alt, Vater von sechs Kindern mit einem ziemlich schwankenden Einkommen. Sein Leben lang sah er sich als ehrgeizigen Wissenschaftler, der unbedingt etwas Außerordentliches leisten, etwas entdecken wollte, das ihn berühmt und finanziell unabhängig machen würde.

    Glücklicherweise war es typisch für Freuds Charakter, daß er fruchtbare Konsequenzen aus dieser Episode ziehen konnte: Sie zeigte ihm den Weg zu einer bisher vernachlässigten seelischen Tätigkeit, der Phantasie, die für den Psychoanalytiker genauso „wirklich" ist wie eine realistische Erfahrung. Das einzigartige Experiment, das er in diesen Jahren unternahm, eine Selbstanalyse, wurde seine Einführung in die dunkle Welt der Psychoanalyse.

    Zugegeben, er hatte seine Vorgänger. Man denke an den Heiligen Augustin, an Montaigne oder an Rousseau, vielleicht an Goethe. Aber keiner von ihnen hatte das Abenteuer der Selbstprüfung so weit getrieben, so systematisch verfolgt wie Freud. Das Rohmaterial für diese Analyse bildeten seine eigenen Fehlleistungen, seine Träume, seine obskursten Gedankengänge. Die erste Psychoanalyse blieb somit eine rein interne Angelegenheit: Sie war ein ernstes Spiel, für das er erst die Regeln erfinden mußte und das für seine Findigkeit und seine Offenheit steht.

    Dann, im November 1899 (mit dem Impressum 1900), veröffentlichte

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