Matjes mit Wasabi: Eine deutsch-japanische Culture-Clash-Liebe
Von Andreas Neuenkirchen und Junko Katayama
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Über dieses E-Book
Drei Jahre später sind Andreas und Junko verheiratet, vier Jahre später ist Nachwuchs im Anmarsch und fünf Jahre später schreiben sie auf, wie das alles passieren konnte. Eine Liebesgeschichte zwischen Tokio, München und Bremen-Vegesack, im Spannungsfeld von Dirndl und Kimono, von Schweinshaxn und Reisbällchen, deutscher Korrektheit und japanischer Überkorrektheit, runtergespült mit der nötigen Menge Weißbier und Sake.
Müssen Japaner unbedingt Milchtüten bügeln und Deutsche täglich Fenster putzen? Ist man eine schlechte japanische Ehefrau, wenn das Abendessen aus weniger als fünf Gerichten besteht? Wird ein deutscher Ehemann es überhaupt bemerken? Und was kommt dabei heraus, wenn Matjes-Tempura im Backofen brutzeln?
»Please create a new culture!«, wiederholt der Vater der Braut mantramäßig seinen einzigen englischen Satz. Und nichts Geringeres haben Tochter und Schwiegersohn sich vorgenommen.
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Buchvorschau
Matjes mit Wasabi - Andreas Neuenkirchen
Inhalt
Prolog
Am Anfang war die Zukunft
Das Blaue und das Rosa Zimmer, der LAN-Sexismus und sonstiger Müll
Die fließende Welt
Die Dolmetscherin, Woody Allen und die Frau mit der Plastikente im Mund
Der lange Weg nach München-Moosach
42,195 Kilometer und ein Vorstellungsgespräch
Darf ich um die Hand Ihrer Tochter anhalten und meine Beine unter Ihrem Tisch ausstrecken?
Herr Noienkiruhien, Familie Katayama und Big Smile!
Die deutsche Sprache, die deutsche Polizei und die deutsche Sprachpolizei
Funky Movie Night ist nicht Jever-Fun-Tag
Matjes mit Wasabi und ein Gefrierschrank voll Reis
Die japanische Delegation in Vegesack
Die Wilde 13 hebt nicht ab
Der Tag des Hundes und das Berghotel der Schwangeren
A New Culture is Born
Epilog
Anmerkungen & Danksagungen
Prolog
Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen, als ich Junko meinen ersten Antrag machte. Heute nehme ich erneut all meinen Mut zusammen, um Junko meinen zweiten Antrag zu machen: »Du, Spatz, ich hatte da neulich so eine Idee ... Wie wäre es, wenn wir mal ein Buch zusammen schreiben würden?«
»Ein Buch? Worüber sollten wir wohl ein Buch schreiben?«
»Na ja, über unser Leben in Japan und Deutschland, unser Leben mit einem Deutschen beziehungsweise mit einer Japanerin. Ich schreibe über das Japanische, du über das Deutsche.«
»Ja, haha, sehr lustig. Jetzt mal eine ernsthafte Frage: Schauen wir heute Abend Scandal oder Downton Abbey?«
»Es ist nun so, dass ich nicht der Einzige bin, der das für eine gute Idee hält ... Viele haben mich schon darauf angesprochen. Professionelle Büchermacher genauso wie hobbymäßige Bücherleser.«
»Nicht der Einzige, der was für eine gute Idee hält?«
»Das mit dem Buch.«
»Ach, das war dein Ernst?!«
»Was dachtest du denn?«
»Manchmal bin ich mir bei dir nicht sicher ...«
»Siehst du? Das ist schon mal eine Sache, über die wir schreiben können.«
»Ich habe doch noch nie etwas geschrieben!«
»Du schreibst jedes Jahr nach groben Schätzungen 800 Neujahrskarten und jeden Tag zwei Tagebücher. – Warum eigentlich zwei?«
»Eines über das, was wir gegessen haben.«
»Und das andere?«
»Über alles andere. Also unsere Beziehung.«
»Da hast du es doch!«
»Aber das ist in dieser Form nur für mich! Außerdem könnte ich das bestimmt nicht auf Deutsch schreiben.«
»Das erwartet auch niemand. Das wäre so, als müsste ich ein Buch auf Japanisch schreiben.«
»Na, ehe du ein Buch auf Japanisch schreibst, schreibe ich wohl doch eines auf Deutsch.«
»Dann ist es abgemacht?«
Sie seufzt. »Gut, so können wir es vielleicht machen: Ich erzähle dir über mein Deutschland und meinen Deutschen, mache vielleicht ein paar Notizen, aber du schreibst für mich ins Reine. Und du schreibst nichts, was ich nicht gesagt habe.«
»Ich schwöre bei unserer Liebe.«
»Schwöre lieber bei der Liebe von Anna und Mister Bates.«
»Consider it handled.«
Am Anfang war die Zukunft
Bevor Junko und ich so gut wie alles im Leben gemeinsam gemacht haben, hatten unsere Leben so gut wie nichts gemein. Eines allerdings doch: Wir hatten beide Begegnungen mit professioneller Wahrsagerei. Und zwar beide im Ausland.
Die Prophezeiung der Madame X
Ich gehe zu der Wahrsagerin in der Williams Street, weil alle dort hingehen. Vielleicht nicht alle, aber ziemlich viele. Ziemlich viele von denen, mit denen ich in Rockhampton, Australien, studiere. Sie soll gut sein. Ich glaube nicht an Wahrsagerei, bin allerdings neugierig. Nennen wir sie Madame X, obwohl sie überhaupt nicht danach aussieht. Sie ist wohl in den Fünfzigern und sieht ganz normal aus, Jeans und T-Shirt, ein offenes und freundliches Gesicht. Sie sagt, sie käme ursprünglich aus Österreich, habe Zigeunerblut (ihre Formulierung) in den Adern und die Gabe von ihrer Großmutter geerbt. Als Kind habe sie sich gewundert, dass andere nicht sehen konnten, was sie sah. Sie verrichtet ihre Wahrsagerei in einem gemütlichen Café, das sie selbst betreibt. Wir unterhalten uns zwanglos, dann fragt sie nach meinem Geburtsdatum, und ob ich das Gespräch gerne aufnehmen oder mitschreiben würde. Ich entscheide mich fürs Aufnehmen, weil ich meinem Englisch noch nicht ganz traue. So kann ich später alles in Ruhe rekapitulieren. Das Erste, was ich in Australien gelernt habe, war, dass der Fremdsprachenunterricht in Japan einen nicht unbedingt auf das Sprechen und Verstehen fremder Sprachen vorbereitet. Nichts habe ich verstanden, als ich hier ankam. Meinen japanischen Kommilitonen ging es genauso. Einige sind nach kürzester Zeit wieder nach Hause geflüchtet. Ich beinahe auch. Allerdings hatte meine ältere Schwester ihr Studium in Kanada überstanden, da wollte ich nicht hintenanstehen. Dass ich heute passabel Englisch spreche, verdanke ich einzig und allein meinen vier Jahren in Australien. Dass mein Englisch nicht einrostet, verdanke ich vor allem Andreas’ ausbaufähigen Japanischkenntnissen.
Madame X legt mir Tarotkarten und sagt: »Mein herzliches Beileid für deinen Verlust.«
Ich weiß nicht, von welchem Verlust sie spricht.
»Deine Großmutter ist gestorben ... oder dein Großvater?«
Nein, weder noch, tut mir leid. Dann erzählt sie mir, jemand tratsche hinter meinem Rücken und ich solle mir nichts draus machen. Keine Ahnung, was sie damit meint. Ich habe mich gut mit ihr unterhalten, ich bereue nichts, glaube allerdings auch nichts. Immerhin war sie nett, das kann ich nicht von allen hier sagen. Ich wurde schon mit Steinen beworfen. Nicht von jedem, und nicht ständig, aber einmal reicht, würde ich sagen.
Zurück im Studentenwohnheim kommt eine Freundin auf mich zu und sagt: »Keine Sorge, ich glaube kein Wort von dem, was die alle sagen! Ich weiß, dass du nicht so eine bist.«
Man hat tatsächlich über mich getratscht! Ich rufe lieber zu Hause an. »Hallo Mama, geht es allen gut?«
Ja, alles in Ordnung. Nein, halt – da fällt meiner Mutter etwas ein. Mein biologischer Großvater, ihr Vater, ist gestorben. Meine Großmutter, fortschrittlich für ihre Generation, ist seit Langem geschieden und neu verheiratet. Mein eigentlicher Großvater war immer mein Stiefgroßvater gewesen, der biologische spielte in unserer Familie keine entscheidende Rolle. Deshalb hatte ich ihn gar nicht auf dem Schirm, als Madame X von meinem Verlust sprach.
Nüchtern betrachtet: Dass Mädchen in meinem Alter tratschen, ist nicht ungewöhnlich, außerdem ist dies das Alter, in dem Todesfälle unter den Großeltern wahrscheinlicher werden. Ich will nicht sagen, dass ich Madame X plötzlich glaube. Dennoch beschließe ich, sie noch einmal aufzusuchen und mit ihr über die Liebe zu sprechen.
»Ich sehe einen Ehemann«, sagt sie. »Aber ich kann ihn nicht genau erkennen.«
»Macht ja nichts.« Ich weiß schließlich selbst, wie mein Freund aussieht. »Was ist mit Kindern?«
»Ein Junge und ein Mädchen. Beide grüne Augen, beide weiß.«
»Weiß?«
»Weiß. Der Vater ist West-Europäer, würde ich vermuten. Deine Tochter kann gut mit Worten umgehen. Sie hat ein Talent fürs Schreiben.«
»Nicht von mir.«
»Von deiner Mutter. Der Junge ist schlau. Aber du musst achtgeben, dass er seine Schläue nicht missbraucht.«
»Das muss ich erst mal verarbeiten.«
Vor allem muss ich überlegen, wie ich das mit den weißen Kindern meinem philippinischen Freund beibringe.
Die Wahrsagerin, die verschwinden konnte
Ich war auch mal bei einer Wahrsagerin, wobei das sogar untertrieben ist. Ich war mit einer Wahrsagerin bei einer Wahrsagerin. Ich war sozusagen bei der Wahrsagerin, zu der Wahrsagerinnen gehen, wenn sie sich die Wahrheit sagen lassen wollen. Kompetenter und koryphäenartiger ist es kaum möglich.
Dabei bin ich außerordentlicher Skeptiker, wobei auch das untertrieben ist. Eine Skepsis ist ja ein Zweifel. Ich allerdings hege keinerlei Zweifel daran, dass alles Esoterische ausgemachter Humbug ist. Ich durchlebte selbst eine kurze, aber intensive esoterische Phase in meiner Jugend, bis ich eines Tages aufwachte und klar sah: Alles Quatsch. Seit ich all meinen Unfugsglauben von mir geworfen habe, glaube ich nicht mal mehr an Außerirdische, was Freunde aus Wissenschafts-Hipster-Kreisen regelmäßig zum Verzweifeln bringt. Gibt es eigentlich eine borniertere Religion als diese moderne, sich cool gerierende, dabei völlig betriebsblinde Naturwissenschaftshörigkeit? Mir egal, wie viel Wasser auf dem Mars gefunden wird. Wir sprechen uns wieder, wenn auf dem Mars in Flaschen abgefülltes Wasser und Pfandautomaten gefunden werden.
Ich erwähne das nur, um wirklich unmissverständlich deutlich zu machen, dass ich seit Überwinden meiner eigenen Esoterik-Idiotie an so ziemlich gar nichts glaube, was nicht mit meiner direkten Erlebniswelt zu tun hat. Trotzdem gehe ich eines Tages in Tokio mit einer Freundin zu einer Wahrsagerin. Noch dazu mit einer Freundin, die selbst eine Wahrsagerin ist. Nennen wir sie der Einfachheit halber Midori, nach der Wahrsagerin, die gelegentlich in meinen Yuka-Sato-Romanen auftritt. Umso vehementer muss ich an dieser Stelle betonen, dass alle Figuren des Satoversums reine Erfindungen sind. Mit dieser realen Midori mit dem fiktiven Namen bin ich nicht deshalb befreundet, weil sie Wahrsagerin ist; das habe ich erst erfahren, als es schon zu spät und sie mir sympathisch geworden war. Kennengelernt habe ich sie, weil sie Dichterin ist. Und zwar habe ich sie auf einer ihrer Vernissagen kennengelernt. Ach ja, Malerin ist sie auch noch. Ihre Bilder sind schön, aber ihre Gedichte sind es, die mich zweimal und mehr hingucken lassen. Midori schreibt sie auf Deutsch, eine Sprache, die sie kaum beherrscht. Dadurch gelingen ihr Formulierungen von einer echten poetischen Schönheit, auf die ein Muttersprachler nie kommen würde.
Als Wahrsagerin ist sie weitaus erfolgreicher, obgleich von vornherein ausschließlich in Japan. Das ist auch eine Sache, bei der ich ihr nicht reinrede. Ich stelle nur interessierte Fragen. Zum Beispiel: »Was ist die seltsamste Frage, die dir jemals ein Kunde gestellt hat?«
Midori: »Was ist der schnellste Weg nach Tokyo Station?«
Midori arbeitet mal per Skype von zu Hause in die eigene Tasche, mal in einem Fernsehstudio für eine Wahrsagefirma mit einem Wahrsagefernsehsender. Den Rest ihres Gehaltes verdient sie damit, regelmäßig mit ihrer Band ein Ramen-Restaurant in einem Tokioter Vorort mit Bossa-Nova-Evergreens zu beschallen. Ach ja, Sängerin ist sie auch noch.
Warum sie mich an diesem einen Tag zu ihrer Wahrsagerin mitnehmen möchte, ist nicht ganz klar. Ich habe ihr durch die Blume zu verstehen gegeben, dass ich von diesem Quatsch nicht ganz so viel halte wie sie. Sie glaubt übrigens wirklich, dass sie übernatürlich begabt ist. Das zu ihrer Verteidigung. Sie ist keine zynische Abzockerin. Tatsächlich sind ihre Honorarforderungen rührend gering. Ich habe ihr etliche Male nahegelegt, sie solle ruhig das Zehnfache verlangen, und sie hat mich nur angeschaut, als sei ich ein zynischer Abzocker. So muss sie zusätzlich vor Nudelschlürfern singen.
Das Café, in dem wir die Wahrsagerin der Wahrsagerinnen treffen, ist an eine christliche Kirche angeschlossen. In der Interpretation des christlichen Glaubens, und welche Praktiken sich damit vereinbaren lassen und welche nicht, ist man in Japan etwas liberaler als anderswo. Ein Geheimtipp ist das Café offenbar nicht. Eine Menschenschlange erstreckt sich über den langen Eingangsflur bis auf die Straße. Midori ist sicher, dass sich das Anstellen lohnt. Schließlich betreten wir das Café gemeinsam und setzen uns an einen kleinen Tisch. Die Wahrsagerin bringt uns Kaffee und Kuchen. Zuerst ist Midori dran. In letzter Zeit war ihre Stimmung ein wenig trübe, das ändert sich in wenigen Momenten, als die Wahrsagerin zu ihrem Stakkato-Monolog ansetzt. Ich verstehe so gut wie nichts, aber es wird wohl alles gut sein. Danach bin ich dran.
Als erstes fragt die Wahrsagerin: »WAV oder MP3?«
Ich entscheide mich für eine Aufnahme in MP3. Midori hat versprochen, später für mich zu übersetzen.
Die ältere Dame mit der großen Brille rattert los, ich verstehe ebenso wenig wie beim ersten Mal. Midori nickt von Zeit zu Zeit und macht die Brummlaute der Zustimmung und Verwunderung, die in der japanischen Kommunikation Standard sind. Ich mache vorsichtshalber mit.
Zurück auf der Straße reckt und streckt sich Midori wie neugeboren. »Das hat mal wieder richtig gut getan!« Ich freue mich aufrichtig für sie. Obwohl ich dieses Gewerbe nach wie vor äußerst kritisch sehe, kann ich keinen Schaden in einer Sache sehen, die meine Freundin mit so viel Freude erfüllt. »Sie hat einige gute Sachen über dich gesagt«, sagt sie. »Sie schickt mir die Aufnahme, dann werde ich sie für dich übersetzen.«
Dieses nicht eingelöste Versprechen ist das Letzte, was ich von Midori höre. Nicht nur heute, diese Woche oder während dieses Japan-Aufenthalts, sondern überhaupt. Nach unserem Besuch des Wahrsager-Cafés verschwindet sie aus meinem Leben und mit ihr meine Zukunft.
Jetzt muss ich wohl selbst sehen, was kommt.
Das Blaue und das Rosa Zimmer, der LAN-Sexismus und sonstiger Müll
Im Jahr 2010 kann ich auf mehr Japan-Reisen zurückblicken, als ich zählen kann. Das klingt prahlerisch, fühlt sich aber nicht so an. Ich komme mir nach wie vor unterjapanisiert vor. Denn diese Reisen waren genau das: Reisen. Mit Airportshuttle, Hotelzimmer und Japan Rail Pass, quasi Interrail Fernost, Tourismus eben. Nun bin ich der Letzte, der etwas gegen Tourismus hätte. Touristen sind toll, allemal besser als die Stuben- und Stammtischhocker, die noch nie einen Touristen kennengelernt haben und trotzdem in einer Tour über »die ganzen Touris« schimpfen. Dennoch: Ich fühle mich Japan inzwischen so tief verbunden, dass es für mich etwas mehr sein darf! Leben! Alltag! Supermarkt, Mülltrennung, Stube und Stammtisch! Eigentlich könnte man auch sagen: Für mich soll es endlich etwas weniger sein als dieser Touri-Kram mit aufregenden Ausflügen zu sehenswerten Sehenswürdigkeiten. Für mich fortan bitte mehr Langeweile, über einen längeren Zeitraum, das wäre schön. Deshalb habe ich mich entschlossen, ein Sabbatical zu nehmen. Oder unbezahlten Sonderurlaub, wie man in früheren Generationen sagte. Drei Monate möchte ich in Tokio verbringen, in einer richtigen Wohnung in Sangenjaya, nicht in einem Hotel in Shinjuku oder sonst einem Stadtteil, von dem man schon mal etwas gehört hätte. Authentizität pur.
***
Als ich am Tag vor meiner Abreise in meinem Münchner Badezimmer beim Zähneputzen auf und ab gehe, ertappe ich mich bei dem Gedanken: Oh je, das ist bestimmt auf längere Sicht das letzte Mal, dass ich in einem Badezimmer auf und ab gehen kann. Denn nach dem Zähneputzen geht es ab nach Japan, und erst ein paar Tuben Zahnpasta später wieder zurück. Und wie die Wohnverhältnisse dort aussehen, weiß man ja.
Müssen Mädchen nicht ins Internet?
Tatsächlich kann man in meiner Tokioter Wohnung kaum von einem Badezimmer reden, eher von einem dreiteiligen Hygiene-Wellness-Flügel mit Bad, Toilette und Waschbereich getrennt. Dazwischen kann man wunderbar auf und ab gehen, im Rest der Wohnung sowieso. Ich kann mich gar nicht entscheiden, wohin mit meinem ganzen Zeug. Ich werde mir wohl noch mehr Zeug kaufen müssen. Ich habe zwei Zimmer, eines in Blau, eines in Rosa. Das Blaue Zimmer habe ich zum Wohnen und Arbeiten eingerichtet, das Rosa Zimmer nutze ich als Schlaf- und Ankleidezimmer. War ja klar, sagt der, der meine farblichen Vorlieben zu kennen glaubt. Ich aber sage: War ja gar nicht klar. Schließlich verbringt man im Wohn- und Arbeitszimmer viel mehr Zeit mit offenen Augen als im Schlafzimmer. Ich hätte lieber den ganzen Tag Rosa gesehen und mich blau gebettet. Es begibt sich aber leider, dass die Internetsteckdose im Blauen Zimmer ist.
Wenn man Gender studiert und mit rosa Schleifchen abgeschlossen hat, kann man am Herd stehen und vor Wut kochen angesichts so viel Sexismus: der Technikkram wie selbstverständlich im blauen Maskulisten-Zimmer. Und was sollen Mädchen den ganzen Tag tun? Ist im Rosa Zimmer etwa das Bügelbrett vorinstalliert? Nein, dort ist der Telefonanschluss. Noch ein Vorurteil bestätigt, das vom Weibchen und dem Telefon als von der Natur vorgesehene Symbiose.
Der deutsche Schrecken der Nachbarschaft
Mein neuer Nachbar ist ein junger Chinese, glaube ich (in Sachen »jung« bin ich mir sicher). Ich sehe ihn nur, wenn er draußen raucht und ich gucke, was denn da draußen jetzt schon wieder los ist. Ich möchte gerne ein authentischer japanischer Nachbar werden, deshalb interessiert mich immer sehr, was denn da draußen jetzt schon wieder los ist.
Apropos Nachbarn nah und fern: Eine Japanerin steckte mir einmal, sie wolle nicht in Deutschland leben, weil sie gehört hatte, dass man dort nach zehn Uhr abends zu Hause keinen Löffel mehr aus Versehen fallen lassen darf (gut, das war nur einer von Abertausend Gründen). Im Verhaltensreglement für meine Wohnung in Japan steht nun, dass ich hier bereits ab neun Uhr abends nichts mehr unangemeldet fallen lassen darf (gut, das steht da nur sinngemäß, ist auch ein bisschen Interpretationssache). Und trotzdem bin ich hier (gut, habe ich ja nicht vorher gewusst). Mal sehen,