Es steht alles auf der Kippe
By Quichotte
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Es steht alles auf der Kippe - Quichotte
Quichotte
DER VOGEL
Der Vogel vogelt durch die Nacht,
im Schnabel einen Tiger.
Ein Kampf ging diesem Flug voraus,
der Vogel war der Sieger.
So zeigt uns dieses Werke:
Man braucht für Poesie
nicht immer Kraft und Stärke.
Es reicht schon Fantasie.
LYRIK UND LANDLEBEN
Ich bin in einem idyllischen, kleinen Dorf auf dem Land aufgewachsen. Diese Ansammlung an Häusern und Scheunen war so klein, dass nach der Durchführung eines Klingelstreiches umgehend die Nachbarn bei uns zu Hause anriefen und sagten, dass ich das lassen solle. Jahrelang fragte ich mich, wie sie denn so schnell herausfinden konnten, dass ich der Übeltäter gewesen war. Irgendwann dämmerte mir, woran das gelegen hatte. Dabei mag der Umstand eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, dass ich schlicht und ergreifend lange das einzige Kind in ebendiesem Dorf war.
Wenn man nun auf dem Land aufwächst, im etwas größeren Nachbardorfverein Fußball spielt, sich an Trinkgelagen beteiligt und dann nachts über fremde Hecken springt, um zu gucken, welche Art von Boden auf der anderen Seite des Grundstücks ist, dann kommt man relativ schnell auf den Trichter, dass man sein Faible für Poesie unter Umständen besser geheim hält.
Man geht nämlich nicht hin, nach dem Fußballspiel, in die testosterongeschwängerte Mannschaftsdusche, und sagt so Sachen wie:
„Hört ihr, holde Kameraden,
wie die Tropfen plätschern?
Kühl und gar erquicklich
die verschwitzten Leiber tätscheln?
Fühlt ihr nicht wie ich
schon beim letzten Klang der Pfeife
das Verlangen nach der Seife?"
Das sagt man nicht. Weil es nicht in den Kontext passt. In den Mannschaftsduschen der Fußballvereine werden nämlich eher „Gedichte" laut wie:
„Scheiß die Wand an,
war ich gestern besoffen.
Man, wie besoffen war ich denn gestern.
Da bin ich beim Ficken eingepennt.
Aber die Olle ist trotzdem gekommen.
Man, war ich besoffen.
Scheiß die Wand noch mal an.
Scheiß der Hund ins Feuerzeug.
Ich brech’ ins Essen.
Alter Vatter."
Man mag diesen Zeilen entnehmen, dass ich eine ganz eigene Art von Poesie in meiner Jugend kennenlernte. Diese drückte sich nicht immer in Form von Gedichten aus, sondern kam auch durch den poetischen Zauber einiger Situationen zum Ausdruck. Als ich zum Beispiel meinen Kumpel Knolle kennenlernte, stand ich mit einem Gitarrenkoffer an der Ampel, da ich auf dem Weg zur Bandprobe war. Knolle kam von der Seite auf mich zu, musterte erst mich, dann den Gitarrenkoffer und sagte: „Hömma. Is’ da ’ne Gitarre drin? Das sind diese Momente, in denen man realisiert, dass da jemand nicht der allerlängste Pfeil im Köcher ist. In dieser Situation wollte ich aber nicht einfach sagen: „Ja.
Ich war doch der Meinung, dass mich da jemand veräppeln wollte. Deshalb erwiderte ich: „Nein. Der Koffer hier ist randvoll mit Kokain."
Ich hatte angenommen, dass spätestens jetzt beide Parteien in Gelächter ausbrechen würden, sich die Hand gäben und daraus eine Freundschaft für’s Leben erwachsen würde. Knolle jedoch musterte noch einmal den Gitarrenkoffer und sagte dann, ohne eine Miene zu verziehen: „Na, ja. Ist auch ein bisschen groß für ’ne Gitarre."
Ich pflege noch heute zu sagen, dass Knolle im Revolver der Intelligenz eher die Platzpatrone ist. Er heißt auch nur Knolle, weil er mal versucht hatte, ein halbes Kilo Gras von Amsterdam nach Gummersbach zu schmuggeln, wobei er erwischt wurde. Dabei hatte er sich einen tollen Plan ausgedacht. Er höhlte einfach 50 Knoblauchknollen komplett aus, um das Gras darin zu verstecken. Er meinte nämlich, dass der Knoblauchgeruch im Falle einer Grenzkontrolle die Polizeihunde sicherlich verwirren würde. An sich war das keine schlechte Idee. Dummerweise hatte er jedoch versäumt, sich eine gute Erklärung dafür zu überlegen, warum er mit 50 Knoblauchknollen auf der Rückbank von Amsterdam nach Gummersbach unterwegs war. Seine spontane Begründung bei der Grenzkon-trolle war also gewesen: „Um sie zu rauchen."
Seit er aus dem Knast ist, heißt er deswegen bei uns Knolle. Wie er vorher geheißen hat, weiß keiner mehr, aber nach einer derartigen Situation wird man ohnehin neu geboren. Auch ein Kirmeserlebnis mit Knolle bleibt unvergessen. Wir waren mit einem weiteren Freund zusammen dem Bier nicht abgeneigt gewesen und zwar ganz nach Knolles Motto: Alkohol – mäßig genossen – schadet auch in großen Mengen nicht. Schließlich kam die Frage auf, wie wir denn noch nach Hause kommen würden. Da wir mit dem Auto zur Kirmes gefahren waren und nicht laufen wollten, losten wir aus. Es traf, wie das Schicksal wollte, Knolle. An der zweiten Kreuzung wurde er von einem Polizeiauto angeheult und musste rechts heranfahren. Es war allerdings so, dass Knolle, während sich der Polizist noch unser Nummernschild notierte, einfach zu uns beiden auf die Rückbank gerutscht war. Der Polizist kam mit einer Taschenlampe zu unserem Auto, erblickte verdutzt den leeren Fahrersitz und klopfte an die Scheibe zur Rückbank. Wir kurbelten dieselbe hinunter und wenig später steckte der Polizist den Kopf in den Wagen. Mit hochgezogenen Augenbrauen sprach er: „Sehr witzig, Jungs. Wer ist gefahren?"
Knolle saß einfach nur da, zwischen uns beiden, und zuckte mit den Achseln: „Keine Ahnung wer gefahren ist, Herr Wachtmeister. Wir haben hier die ganze Fahrt über auf der Rückbank geschlafen."
Der Polizist war außer sich: „Ja, aber das Auto wurde doch bewegt, dann gibt es auch einen Fahrer."
Knolle blieb ruhig. „Ja, das stimmt. Das ist richtig. Aber der ist ... nun ja, wahrscheinlich geflohen. Weil er total betrunken war. Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Das Auto ist nämlich geklaut. Also das ist schon unser Auto. Aber der Typ hat es geklaut. Nur eben mit uns drin. Was im Übrigen auch der Grund dafür ist, dass wir das Auto bisher nicht als gestohlen gemeldet haben. Weil wir ja die ganze Zeit wussten, wo es sich befand. Aber Diebstahl ist das doch allemal.
Der Polizist war sichtlich erstaunt und meinte: „Das ist ja eine Unverschämtheit, Jungs."
Dann sagte er weiter, dass die Autodiebstähle in letzter Zeit deutlich zugenommen hätten. Besonders während