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Als das Cello vom Himmel fiel
Als das Cello vom Himmel fiel
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Als das Cello vom Himmel fiel

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About this ebook

Joey, Automechaniker in der kanadischen Provinz, versteht die Welt nicht mehr: Seine Frau Allyson hat ihn verlassen. Sie lebt nun in Calgary mit einer Frau zusammen - mit Kathleen. Als Joey unverhofft Besitzer eines Cellos wird, nimmt sein Leben eine Wende. Er beschließt, im fernen Calgary Cellounterricht zu nehmen ...
Am Ende der Romans eröffnen sich für Joey wie auch für Allyson und Kathleen erstaunliche neue Perspektiven.
LanguageDeutsch
Release dateMay 19, 2016
ISBN9783959172004
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    Book preview

    Als das Cello vom Himmel fiel - Ivan E. Coyote

    FRAUEN IM SINN

    Verlag Krug & Schadenberg

    Literatur deutschsprachiger und internationaler

    Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

    historische Romane, Erzählungen)

    Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

    rund um das lesbische Leben

    Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

    Ivan E. Coyote

    Als das Cello vom Himmel fiel

    Roman

    Aus dem amerikanischen Englisch

    von Andrea Krug

    K&S digital

    Dieses Buch ist den Männern meiner Familie gewidmet.

    Insbesondere Dir, Dad.

    1

    Wenn ich geahnt hätte, was er damit vorhat, hätte ich ihm den Wagen gar nicht erst verkauft.

    Ich hatte ihn ab und zu in der Stadt gesehen, ein, zwei Mal im Café, wo er Kaffee trank, ohne Milch, ohne Zucker, aber nie etwas aß, und dann und wann in Idas kleinem Lebensmittelladen, wo er Cracker kaufte und Austern in der Dose und Konservensuppen, Junggesellenzeug eben. Ich weiß, wovon ich rede.

    Ein paar Mal hatte ich ihn mit ausgestrecktem Daumen am Highway stehen sehen, wenn ich in der Gegenrichtung unterwegs war. Nicht dass ich ihn sonst unbedingt mitgenommen hätte. Für gewöhnlich habe ich nämlich den großen Hund vorn auf dem Sitz neben mir, der ewig haart und eigentlich keinen Platz für einen weiteren Beifahrer lässt, worüber Allyson sich immer beschwert hat, bevor sie fortging. Ich schätze, ich habe die Abneigung gegen Anhalter von meinem Dad geerbt, und außerdem hatte ich auch nichts Gutes über den Typ gehört, wenn man glauben kann, was die Leute erzählen. Mein Kumpel Rick Davis hat ihm den Spitznamen Cowboy verpasst, eine Art sarkastischer Kommentar zu dem Strohhut, den er immer trägt, und dem dazu passenden Pferd, das ihm offensichtlich fehlt. Die Jungs, mit denen ich Hockey oder Poker spiele, mögen den Cowboy jedenfalls nicht besonders. Sie trauen ihm nicht. Rick sagt, es ist, weil der Typ allem Anschein nach keine reguläre Arbeit hat und allein in einem Schulbus lebt. Ich dachte insgeheim immer, dass er unbeliebt ist, weil er ziemlich gut aussieht, das sagen die Frauen zumindest, und ein Haufen dickwanstiger Pokerspieler mit beginnender Glatze findet es vermutlich nie gut, wenn ein ungebundener Mann in der Stadt auftaucht. Nick, der neue Zahnarzt, wurde jahrelang von niemandem zum Dinner eingeladen, bis er diese blonde Krankenschwester aus Edmonton importierte und sie, wie es sich gehört, heiratete und sie mitsamt ihrem Flügel bei ihm einzog. Jetzt ist er einer von den Jungs, als hätte er sein ganzes Leben hier in Drumheller verbracht, genau wie wir anderen.

    Als der Cowboy letzten Monat in die Werkstatt kam und sich nach dem Volvo erkundigte, wurde mir klar, dass ich ihn nie zuvor hatte reden hören. Kein netter Zug von mir, wenn man’s recht bedenkt. Er lebt inzwischen schon fast drei Jahre draußen auf Archies Farm, mindestens, und ich schätze, ich habe dem Mann noch nicht ein einziges Mal ordentlich guten Tag gesagt.

    »Carson mein Name. James oder Jim. Die Leute sagen beides. Hab den Wagen draußen gesehen, der zum Verkauf steht.«

    Seine langfingrige Pfote erschien in dem seitlichen Lichtviereck zwischen dem Betonboden und dem Chassis von Betty Makerewitschs Taurus. Ich lag auf dem Rücken darunter, auf dem Rollbrett, weil Franco die Hebebühne mit Beschlag belegt hatte. Ich kam unter dem Wagen hervorgerollt, um James oder Jim Carson die Hand zu schütteln.

    »Hab den Wagen vorne gesehen, der zum Verkauf steht«, wiederholte er. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand gleich zur Sache kommt. Bei dem Typ gab’s keine großen Vorreden, das lag klar auf der Hand. Manche Leute haben für müßiges Geschwätz nichts übrig. Es hat schon Tage gegeben, an denen ich mir gewünscht habe, Franco gehörte zu ihnen. Ich kam ebenfalls gleich zur Sache. Ich wischte meine ölverschmierte Flosse an meinem Overall ab und schüttelte dem Fremden zum ersten Mal die Hand. Sein Händedruck war fest, gehörte aber nicht zu der »Guck mal, wie kernig ich bin«-Sorte, die einem vorkommen wie der Auftakt zu einem Faustkampf. Einfach eine anständige Begrüßung.

    »Der Volvo«, sagte ich. »Den hab ich als Bezahlung für eine Reparatur bekommen. Hat Donny Nolans ältester Tochter gehört. Er hat ihn vor elf Jahren für sie gekauft – nagelneu. Also nur ein Vorbesitzer, von einer Frau gefahren. Hat allerdings hundertzwanzigtausend auf dem Buckel, weil sie immer zur Filmhochschule nach Winnipeg gefahren ist, wurde aber ordentlich gepflegt, das steht fest, und ist immer noch gut in Schuss. Solide Sache. Ich dachte an drei acht. Ich habe den Vergaser überholt und die Zylinderkopfdichtung ausgetauscht. Neue Batterie. Prima kleine Kiste. Hat auch noch viel Gummi auf den Reifen.«

    Wir traten durch das offene Rolltor auf den asphaltierten Hof vor der Werkstatt und gingen zu dem blauen Volvo hinüber. Carson blieb nicht stehen, um gegen die Reifen zu treten oder unter die Motorhaube zu gucken, sondern öffnete die Fahrertür und faltete seine lange Gestalt in das ledergepolsterte Wageninnere. Er strich mit den Händen über das Lenkrad und probierte die Gangschaltung aus. Er war ungefähr einen halben Kopf größer als ich und schob den Sitz zurück, um sich mehr Beinfreiheit zu verschaffen. Dann musterte er entweder sich selbst oder den leeren Fond im Rückspiegel, das war von da aus, wo ich stand, schwer zu sagen.

    »Wollen Sie eine Proberunde drehen?«

    Er schien meine Frage nicht gehört zu haben. »Drei acht wollen Sie dafür haben? Lassen Sie sich auf einen Tauschhandel ein?«

    Ich schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, ich habe ihn schon durch einen Tauschhandel bekommen. Irgendwie muss ich zusehen, dass ich flüssig bleibe.«

    Ich hatte mich in all den Jahren schon oft auf einen Tauschhandel eingelassen. In einer Stadt, in der hauptsächlich Farmer, Rancher und Jäger lebten, wurden mir statt Geld oft andere Dinge dafür angeboten, dass ich dieses oder jenes reparierte. Leider konnte ich mit tiefgefrorenem Rotwild oder ein paar Klaftern Feuerholz keine Ersatzteile kaufen und auch die Stromrechnung nicht bezahlen. Franco arbeitete auch nur gegen Geld.

    »Das Geld habe ich nicht«, sagte der Cowboy. Seine Hände lagen immer noch auf dem Lenkrad, auf zehn Uhr und zwei Uhr, wie mein Dad es mir vor vielen Jahren beigebracht hatte.

    »Sie könnten doch mit der Bank sprechen und um einen kleinen Kredit bitten?« Ich hob die Stimme am Ende des Satzes, um ihn halbwegs nach einer Frage klingen zu lassen. Ich wusste, dass der Typ keinen festen Job hatte. Er hatte eine mehr als anständige Veranda und einen Zaun für Mrs. Baker gebaut, als die das Geld von der Versicherung bekam, und er hat auf Archies Farm ausgeholfen, wo sein ausrangierter Schulbus stand, aber ich glaubte nicht, dass die Bank geneigt wäre, ihm einen Kredit zu geben.

    »Die Zeit habe ich nicht. Ich brauche den Wagen sofort. Ich brauche ihn morgen.«

    »Und was hätten Sie im Tausch anzubieten?« Ich hoffte, es würde etwas sein, das ich bereits besaß oder nicht brauchte, damit ich guten Gewissens nein sagen konnte. Geschäft ist Geschäft.

    »Ein handgefertigtes Cello.«

    »Wie bitte?«

    »Ein Cello. Ein Musikinstrument. Man spielt es mit einem Bogen, wie eine Geige, aber es ist viel größer. Es ist wunderschön gearbeitet und eine Menge mehr wert als dreitausendachthundert Dollar. Eher fünf- bis sechstausend.«

    »Ich spiele kein Instrument. Hab kein Händchen dafür. In der Highschool hab ich’s mit Trompetespielen versucht. Hat mir aber keinen Spaß gemacht.«

    »Streichinstrumente sind was anderes als Blechblasinstrumente.« Er zog ein plattgedrücktes Päckchen Player’s aus seiner Jeansjacke und drückte mit seinem breiten Daumen auf den Zigarettenanzünder. »Sie haben viel mehr Seele. Sie sollten darüber nachdenken. Ein neues Hobby. Um sich die Zeit zu vertreiben, wo Ihre Frau doch weg ist. Der Wagen braucht einen neuen Zigarettenanzünder.«

    Ich trat einen Schritt zurück. Ich erwog kurz, sauer zu sein, weil dieser Typ, den ich kaum kannte, mein Privatleben ins Spiel brachte, während wir über einen Gebrauchtwagen verhandelten, aber dann fiel mir ein, was meine Mom am Abend zuvor gesagt hatte. Als ich von meinem Spaziergang mit Buck Buck heimkam, saß sie hinterm Haus auf den Stufen meiner Veranda. Neben ihrem Hinterteil stand ein mit Frischhaltefolie abgedeckter Hackbraten.

    »Da bist du ja«, sagte sie und hievte sich hoch. »Hier – für dich. Deine Schwester und ich haben neulich über dich gesprochen. Wir machen uns Sorgen. Wir sind der Ansicht, dass du ein Hobby brauchst. Das Leben geht weiter. Du musst Allys Arbeitszimmer ausräumen und den Rest ihrer Sachen nach Calgary schicken. Sie kommt nicht zurück, Joseph. Zeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Du musst nach vorn schauen. Besorg dir ein Tagebuch oder bastel irgendwas in deiner Werkstatt – was auch immer. Ich muss los zum Bingo. Du musst zum Friseur.«

    Ich beschloss auf der Stelle, mich auf den Tauschhandel einzulassen und das Cello zu nehmen. Der Wagen stand jetzt schon seit sechs Wochen mit dem Schild »Zu verkaufen« hinter der Windschutzscheibe da, und niemand hatte mehr als ein flüchtiges Interesse daran gezeigt. Ich beschloss, mir ein neues Hobby zuzulegen und mir meine Mom und Sarah auf diese Weise eine Weile vom Leib zu halten. Alles, was es mich kosten würde, waren die Ersatzteile, die ich in Nolans Traktor eingebaut und die Arbeit, die ich in den Volvo gesteckt hatte. Es gefiel mir immer noch nicht, dass der Typ das Verschwinden meiner Frau so beiläufig zur Sprache gebracht hatte, aber ich musste ihn ja auch nicht mögen, um ein Geschäft mit ihm zu machen. Der Volvo konnte noch Monate da stehen; ich war Automechaniker, kein Autoverkäufer. Musikinstrumente waren teuer, das wusste ich, weil Rick Davis ewig darüber klagte, immer noch die Raten für das Baritonsaxofon seines ältesten Sohnes abstottern zu müssen, und dabei war der Junge schon seit letztem Juni mit der Schule fertig. Fünftausend Mäuse bedeuteten eine ganze Menge Cello.

    Ich schüttelte dem Cowboy zum zweiten und letzten Mal die Hand. »Bringen Sie das Ding morgen vorbei. Ich habe die Papiere für den Wagen in meinem Schreibtisch. Ich bin ab halb acht hier. Wollen Sie denn nun eine Proberunde drehen?«

    Er schüttelte den Kopf und zündete sich mit einem silbernen Aufblitzen seines Zippos eine zerdrückte Zigarette an. »Wenn Sie sagen, dass er in Ordnung ist – ich verlasse mich auf Ihr Wort.«

    Normalerweise hätte ich gesagt, dass Rauchen im Auto nicht erlaubt ist, aber dann dachte ich, was zum Teufel. Der Wagen gehörte jetzt schließlich ihm – er konnte darin so viel rauchen, wie er wollte. Ich rauche nie in meinem Pick-up, aber auch nur wegen dem Hund.

    James oder Jim Carson lehnte meine Einladung auf eine Tasse Kaffee ab. Er sagte, er hätte noch was zu erledigen und käme gleich am nächsten Morgen wieder. Ich kramte einen Kaufvertrag hervor, zog den Stecker des »Geöffnet«-Leuchtschilds heraus und schloss ab.

    Die Sonne arbeitete sich noch am Horizont hoch, als ich am nächsten Morgen die drei Straßen von meinem Haus zur Werkstatt hinüberging. Im Büro brannte schon Licht, und das »Geöffnet«-Schild leuchtete bereits. Der Volvo war weg.

    Franco saß auf seinem Stuhl auf der anderen Seite meines Schreibtischs und trank Kaffee. Das Cello lehnte in der Ecke und nahm viel zu viel Raum ein. Neben der staubigen Kaffeemaschine und den Wandkalendern, alten wie dem aktuellen, wirkte der schwarze, blankpolierte Koffer fehl am Platz. Die Kopien des Kaufvertrags, die für den Verkäufer gedacht waren, lagen säuberlich mitten auf meinem Schreibtisch. Buck Buck drehte sich unschlüssig um sich selbst; er wusste nicht recht, wo er sich niederlassen sollte, weil der Platz neben der Heizung besetzt war.

    Ich nahm das Cello und stellte es zu dem Besen und dem Vorrat an Druckerpapier in die Kammer.

    »Der Typ, der bei Archie in dem alten Schulbus wohnt, war vor einer halben Stunde hier«, sagte Franco und blätterte seine Zeitung um. »Ich habe bei dir angerufen, aber du warst wohl mit dem Hund draußen.« Er warf mir von seinem mit Klebeband geflickten Drehstuhl aus einen schrägen Blick zu. »Ich wusste zwar beim besten Willen nicht, wozu du ein Cello brauchen solltest, aber der Typ behauptete steif und fest, dass ihr euch einig geworden wärt. Es klang zu verrückt, um nicht wahr zu sein, wenn du verstehst, was ich meine. Er hat den Kaufvertrag ausgefüllt, und ich habe deine Unterschrift gefälscht, damit er den Wagen mitnehmen konnte. Er meinte, er hätte es eilig.«

    »Danke, Franco.« Ich schenkte mir einen Kaffee ein, gab ein Stück Zucker dazu und rührte ihn mit dem Stift aus meiner Brusttasche um.

    »Seit wann brauchst du ein Cello statt einen astreinen Wagen?«

    Ich holte langsam Luft. Wie gesagt, manchmal redet Franco zu viel.

    »Ich dachte, ich lege mir ein neues Hobby zu.«

    »Du kannst nicht mal pfeifen.«

    »Kann man nicht ab und zu mal was Neues ausprobieren?«

    »Du hörst reine Nachrichtensender. Ich hab noch nie erlebt, dass du die Stereoanlage angehabt hast. Ich hab dich eben nie für musikalisch gehalten, das ist alles.«

    »Ich weiß nicht, ob ich musikalisch bin, aber meine Mom sitzt mir im Nacken, ich soll mir ein Hobby zulegen, und der Mann brauchte einen Wagen, also habe ich das verdammte Cello genommen. Nun können alle glücklich und zufrieden sein. Vielleicht bin ich gut. Vielleicht bin ich Albertas nächster Ashley MacIsaac.«

    »Der stammt aus Nova Scotia. Und er spielt Geige. Und außerdem ist er ’ne Schwuchtel.« Franco schlug die Augen nieder, und ich sah zu, wie ihm die Röte in seine stoppeligen Wangen kroch. »Tut mir leid, Joey.«

    »Brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen, Franco.« Ich wusste, was er dachte. Er dachte an Allyson, die in Calgary mit einer anderen Frau zusammenlebte. Er dachte, dass er indirekt meine Frau, die Lesbe, beleidigt hätte, indem er Ashley MacIsaac eine Schwuchtel genannt hatte. Ich hatte es allmählich satt, dass alle Leute mein Privatleben zur Sprache brachten, als ginge es um die Hockey-Ergebnisse oder das Aktuelle vom Tage. Selbst ein Typ, der ohne Telefon in einem ausrangierten Schulbus auf einer Farm zwanzig Minuten außerhalb der Stadt lebte, hatte mitbekommen, dass meine Frau abgehauen war und mit wem. Das mochte zum Teil daran liegen, mit wessen Frau sie die Stadt verlassen hatte. Kathleen Sawyer. Mitch Sawyer ist der Besitzer der Esso-Tankstelle an der Fourth Avenue, und seine Frau war eine ziemlich unauffällige Kindergärtnerin gewesen, über die es nicht viel zu tratschen gegeben hatte, bis sie und Allyson Mitch und mir am selben Abend erzählt hatten, was Sache war.

    Das war jetzt gut ein Jahr her, und seitdem verbringt Mitch mindestens drei Abende in der Woche in der Lounge vom Capitol Hotel und erzählt allen, die sich auf ein Bier zu ihm gesellen, alles über seine Frau und meine Frau und ihr Künstlerloft in Calgary, das nur ein Schlafzimmer hat.

    Mitch Sawyer scheint zu denken, dass die Tatsache, dass Kathleen ihn wegen einer anderen Frau verlassen hat, mehr Saufen und Mitleid erfordert, als wenn sie sich mit seinem Bruder oder dem Briefträger davongemacht hätte, aber ich sehe es nicht so. Meine Frau, mit der ich fünf Jahre verheiratet war, hat mich verlassen, und es ist mir ziemlich egal, mit wem sie fort ist – ich weiß nur, dass sie fort ist, und das ist jetzt zwölfeinhalb Monate her, und es sieht nicht so aus, als würde sie zurückkommen. Trinken scheint auch nicht viel zu helfen, und so versuche ich meistens bloß Mitch Sawyer aus dem Weg zu gehen. Ich finde den Sprit bei Mohawk ohnehin besser, höhere Oktanzahl, und außerdem haben sie eine Videoausleihe direkt in der Tankstelle. Ich habe in letzter Zeit ziemlich viele Filme gesehen.

    Ich wechselte das Thema, indem ich mir das Klemmbrett mit den Arbeitsaufträgen schnappte, das an dem Nagel neben der Tür hing. »Willst du den Kühler bei dem F-150 austauschen oder dich um das Getriebe von dem Subaru kümmern?«

    »Bist du sauer auf mich, Joey? Ich finde es klasse, dass du ein Cello hast und spielen lernen willst. Das wird dich auf andere Gedanken bringen.«

    »Meine Gedanken sind meine Sache, Franco.«

    »Ich sage das ja nur, weil du für mich zur Familie gehörst. Ich habe deinem Vater versprochen, auf dich achtzugeben.«

    »Du hast ihm nichts dergleichen versprochen. Mein Vater war immer der Ansicht, jeder sollte sich um seinen eigenen Kram kümmern.«

    »Dein Vater hat mehr als eine Ansicht vertreten. Du vergisst, dass ich ihn schon kannte, bevor du überhaupt auf der Welt warst. Er war wie ein Bruder für mich. Er war nicht so wie du. Mit deinem Vater konnte man sich unterhalten. Er hat immer gesagt, dass dein Kopf so fest vernäht ist wie ein Baseball. Er hat nie gewusst, was in dir vorgeht.«

    »Getriebe oder Kühler, Franco?«

    »Du solltest ein bisschen lockerer werden, Joey. Am Ende kriegst du noch Prostatakrebs, so wie Archies kleiner Bruder. Vor lauter Stress.«

    »Dann also das Getriebe.« Es war acht Uhr. Ich stellte die Nachrichten lauter und verschwand unter der Kühlerhaube von dem Ford. Mit Franco wechselte ich kein Wort mehr, bis wir vier Stunden später Mittagspause machten. Wir zogen unsere Overalls aus und gingen ins Café hinüber, um einen Happen zu essen. Keiner von uns war dazu gekommen, sich etwas für die Mittagspause mitzunehmen.

    Während ich meinen Rindereintopf aß, redete Franco vom Angeln. Kein Wort über Frauen, weder seine noch meine. Francos Frau Claudia hatte ihn vor dreißig Jahren verlassen. Wegen seiner Trinkerei. Ich erinnerte mich noch genau daran. Es war in dem Sommer, als ich zehn wurde. 1974. Richard Nixon trat als Präsident der Vereinigten Staaten zurück; im Gymnasium zeigten sie uns am vorletzten Schultag einen traumatischen Film zum Thema Atomkrieg, und Francos Frau nahm die Kinder und zog in das Souterrain im Haus ihrer Schwester. Franco übernachtete drei Monate lang auf der Klappcouch in unserem Nähzimmer. Das

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