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Sitzend sammeln für Schüler und Sieche: Die Almosenstühle der Handwerksmeister in den Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz zu Nürnberg
Sitzend sammeln für Schüler und Sieche: Die Almosenstühle der Handwerksmeister in den Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz zu Nürnberg
Sitzend sammeln für Schüler und Sieche: Die Almosenstühle der Handwerksmeister in den Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz zu Nürnberg
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Sitzend sammeln für Schüler und Sieche: Die Almosenstühle der Handwerksmeister in den Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz zu Nürnberg

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Als der Kleine Rat der Freien Reichsstadt Nürnberg 1588 durch einen Ratserlass die Meister von acht Handwerken dazu verpflichtete, mit "zinnernen Schüsseln" in der Hand an ihren jeweiligen Kirchentüren zu stehen und Almosen für arme Schüler und später für Arme schlechthin zu sammeln, hat niemand voraussehen können, dass aus der Befolgung dieses "Noterlasses" eine fast dreihundert Jahre dauernde Erfüllung einer Ehrenpflicht werden sollte.
Anfangs schien den "ehrbaren" Handwerksmeistern die auferlegte Sammlung eher einem Bettelärgernis zu entsprechen, als dem persönlichen Ansehen nützlich zu sein. Diese Einstellung änderte sich aber schon bald, als die sammelnden Meister erkannten, dass ihr Tun nicht nur der damals äußerst wichtigen Ehrbarkeit des einzelnen Sammlers, sondern auch der Reputation des gesamten Gewerbes und schließlich sogar dem Renommee aller Handwerker nachhaltig dienen konnte. Da wollte schließlich kaum noch ein Handwerk zurückstehen. Heute würden wir sagen: Almosensammeln wurde in!
Stehend gesammelt wurde jedoch schon bald nicht mehr und aus den zunächst einfachen Kirchenstühlen wurden im Wettbewerb der Handwerke gegeneinander die Stühle immer prächtiger bis manche von ihnen eher Thronen glichen als simplen Sitzgelegenheiten. So erhielten sie auch ihren Beinamen: Profanthrone.
Das gesammelte Geld floss in den "Gemeinen Kasten" der Stadt Nürnberg und wurde von dort durch den Almosenherrn und seine Diener an Bedürftige verteilt. So war das Almosensitzen der Handwerksmeister über Jahrhunderte ein integraler Bestandteil der städtischen Armenfürsorge.
LanguageDeutsch
Release dateMay 23, 2016
ISBN9783741217746
Sitzend sammeln für Schüler und Sieche: Die Almosenstühle der Handwerksmeister in den Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz zu Nürnberg
Author

Adalbert Ruschel

Adalbert Ruschel war 25 Jahre Professor für Personalwirtschaft und Berufs- und Arbeitspädagogik und zuletzt Dekan an der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Georg Simon Ohm TH in Nürnberg. Über ihn und seine Veröffentlichungen informiert seine Website www.adalbert-ruschel.de ausführlich.

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    Sitzend sammeln für Schüler und Sieche - Adalbert Ruschel

    Ruschel

    1. Geschichtlicher Hintergrund

    Eine der großen Plagen des Mittelalters und weit in die Neuzeit hinein war das Bettel(un)wesen. Betteln galt jahrhundertelang als eine legitime Form der Unterhaltssicherung. Arme, Kranke, körperlich Behinderte und Kriegsinvaliden waren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit für ihren Lebensunterhalt meistens auf Almosen angewiesen. Zusammen mit ihren Kindern und anderen Bettlern lagerten sie an Stadteingängen und Kirchentoren, klopften an Haustüren und Klosterpforten und belästigten Bürgerinnen und Bürger auf Straßen und Plätzen, um von ihnen Almosen zu erhalten.

    Nur eine sehr kleine Oberschicht lebte im Mittelalter und weit in die Neuzeit hinein ohne Nahrungssorgen. Wenn in den städtischen Urkunden nicht selten die Formel wir Bürger reich und arm auftaucht, macht das schon deutlich, dass es jenseits von reich nur noch arm gibt. Alle nicht reichen Menschen lebten von der Hand in den Mund, waren demnach streng genommen arm, weil sie sich Vorratshaltung nicht leisten konnten. Jede Krise, ob Krieg, Unwetter, Missernte, Seuche, Arbeitsunfähigkeit, Feuersbrünste, Überschwemmungen, Teuerung, machte aus diesen Armen Hungernde und aus Hungrigen Bettler. Wie so oft sind es Sprichwörter, die Erfahrungen weitertragen. "Hungersnot geht über alle andere Not."¹

    Angesichts der bis heute fortwährenden Existenz von Armut² in der Realität menschlicher Gesellschaften, kann es nicht verwundern, dass Fragen nach ihren Ursachen und nach Art und Weise der Versorgung von Armen Gegenstand theoretischer Betrachtungen und schließlich rechtlicher Regelungen waren und noch immer sind. Der Flüchtlingsstrom von heute hatte bereits im 11. bis 14. Jahrhundert seinen Vorläufer, wenn auch regional enger, die Landflucht. Die daraus entstandenen Probleme waren den heutigen sehr ähnlich und führten zu vergleichbaren Reaktionen und Lösungsvorschlägen. Das macht die Beschäftigung mit den geschichtlichen Ereignissen hochinteressant und nutzbringend.

    Aus einer Reihe sich überlagernder Gründe hat sich in damaliger Zeit die Bevölkerung im Gebiet des heutigen Deutschlands mehr als verdoppelt. Ein großer Teil des ländlichen Bevölkerungsüberschusses wanderte in die Städte ab, deren Zahl sich in derselben Zeit fast verzehnfachte. Auch die Zahl der Armen und Bettler stieg unaufhörlich. Bereits kurz nach den Kreuzzügen³ begannen deshalb zunächst die Städte, sich nachhaltig mit dem Bettelwesen und mit der Armenfürsorge zu beschäftigen. Das fand Ausdruck im Erlass von Bettel- und Almosenordnungen und in der Errichtung städtischer Hospitäler, Siechen- und Findelhäuser, aber auch von Kornhäusern, um die Brotpreise regulieren zu können.

    Diese städtischen Bemühungen wurden nicht zuletzt wegen der zunehmenden Armutswanderung erforderlich. Vor allem bei Klöstern wussten Bettler von vornherein, wann jeweils eine Verteilung von Almosen stattfinden würde, z.B. an bestimmten Festtagen. Das zog Bettler von weither an. Für sie ergaben sich auf diese Weise zeitlich eine Art von Reisekalender und regional immer gleiche Marschrouten von Kloster zu Kloster, bei denen sie auf angemessene Zuwendung rechnen konnten. Andererseits verstärkten viele Städte in Europa die Mobilität der Menschen, indem sie mit erheblichen propagandistischen Unternehmungen versuchten Pilgerströme anzuziehen. Die in diesen mitreisenden Armutspilger wurden jedoch bald lästig und beeinträchtigten das Erscheinungsbild der Städte negativ.

    Die Mobilität bisher unbekannten Ausmaßes führte nicht nur zu ökonomischem Aufschwung in den Städten, sie brachte in ihrem Gefolge auch neue Formen sozialer Unsicherheit. Wer seinen Geburtsort, seine Heimat verließ, verließ damit auch die Verbände, die ihm Schutz und Hilfe in Notlagen gewährten: die Familie und die Grundherrschaft.⁴ Die neuen Armen brachten nicht nur nichts mit als ihre Arbeitskraft (primäre Armut), ihnen gelang auch nur in den seltensten Fällen die Integration in die bestehende Standesgesellschaft (sekundäre Armut). Selbst wenn sie hier und da Arbeit fanden, reichte das daraus bezogene Einkommen oft zum Leben nicht aus - und bei geringsten sozio-ökonomischen Veränderungen drohte ihnen der Verlust des Arbeitsplatzes.

    Nach damaliger allgemeiner Vorstellung musste es Arme und Bettler geben, die dem braven Christenmenschen immer wieder Gelegenheit gaben, gute Werke zu tun. In den Predigten des Dominikanerpaters Giordano da Rivalto aus Pisa (1260-1311) wurde das Almosen ausdrücklich als Tausch- und Vertragsverhältnis bezeichnet: Im Austausch für diesseitige Güter bietet der Bettler seinem Wohltäter das Gebet an, und er ist auch verpflichtet, den Vertrag auf Gegenseitigkeit zu erfüllen. Das schlägt sich schließlich in der Haltung der Bettler selbst nieder, die sich ihrer Nützlichkeit bewusst sind. Innerhalb der gesellschaftlichen Aufgaben- und Arbeitsteilung finden die Bettler so die äußeren Formen ihrer Existenz. Auf eine sehr subtile Art und Weise war es sogar verlockend, das Betteln zu seiner Lebensweise zu machen.⁵ Mancherorts waren Bettler gar eine anerkannte Berufsgruppe wie andere auch. In manchen Städten sind sie zu regelrechten Zünften zusammengeschlossen, und es ist zwar nicht häufig, aber keineswegs ungewöhnlich, dass Bettler über ein zu versteuerndes Vermögen verfügen.

    Durch das Wirken der Bettelmönche wurde Betteln sogar zur Tugend erhoben, die dann von Müßiggängern nur allzu gern praktiziert wurde. Für den gläubigen Christen war die Versorgung der Bettler auch ein Werk der Barmherzigkeit, also allgemeine Christenpflicht und das Betteln stand auch noch unter dem Schutz der Kirche. Stiftungen zugunsten der Armen, wie ganze Hospitäler, Geld- und Materialspenden und Gaben an Arme und Bettler jeglicher Art, gehörten zum mittelalterlichen Leben ganz selbstverständlich dazu. Die religiös-ethische Pflicht zum Almosengeben ist jedoch unabhängig von jeglicher Verknüpfung mit dem Bußsakrament zu sehen.

    Dem bildlichen Verständnis der Heilslehre entsprach damals die Vorstellung, dass am Jüngsten Tag die Seelenwaage über die ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis jedes Einzelnen entscheiden wird. Wenn dabei die Sünden eines Menschen auf der einen Seite der Waage nach unten zogen, dann konnten auf der anderen Seite seine guten Werke für Ausgleich sorgen. Almosen waren somit eine Art Schlüssel für das Tor zum Leben und zu ewiger Seligkeit.

    Almosen und Spenden⁷ wurden demnach nicht in erster Linie aus Mitleid gegeben, sondern im Hinblick auf das eigene Leben nach dem Tod. Die Gabe selbst, das Almosen, muss aus Mitleiden und um Gottes Willen heraus erfolgen, um verdienstlich zu sein. In der Soziallehre des Thomas von Aquin (um 1225 bei Aquino in Italien bis 1274) findet sich jedoch schon die Betonung der Arbeitspflicht der Armen und die scharfe Ablehnung des Bettelns aus Faulheit.⁸ Grundsätzlich sollten die Armen ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit sicherstellen. Nur wenn sie unverschuldet in eine echte Notlage gerieten, sollte ein Anspruch auf Almosen bestehen. Zwar ist echte Not Voraussetzung für ein Almosen, eine Pflicht des Helfenden, die Bedürftigkeit zu überprüfen, lässt sich jedoch nicht immer und kaum hinreichend erkennen. Auf jeden Fall ist das Geben von Almosen eine individuelle und nicht eine soziale Tat, die standesgemäß und allein durch christliche Nächstenliebe motiviert sein soll. Erfolgt die Almosengabe unter den aufgezeigten Voraussetzungen, so erfolgt sie nach zeitgenössischem Verständnis als angemessen. Das Almosen ist aus diesen Beweggründen heraus während des gesamten Mittelalters eine Massenerscheinung, es wurde sowohl von Klöstern und Herrschern, aber auch zunehmend von wohlhabenden Bürgern verteilt.⁹


    ¹ Eduard Graf, Matthias Dietherr: Deutsche Rechtssprichwörter, Nördlingen (Beck) 1864, Seite 389. Dort zitiert aus Reinke de Voss: ...des hungers nôt geit boven alle nôt.

    ² Das Wort Armut hat seine sprachliche Wurzel im 8. Jahrhundert: ahd. armuoti n. bzw. armuotī f. bedeutet nhd. Elend, Mangel, Not. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961. Abgerufen von der Online-Version am 03.01.2016. Der mittelalterliche Begriff Armut war vielschichtig und wurde nicht nur ökonomisch gesehen. Das Neue Testament verknüpfte Armut mit Heilserwartung: "Glückselig im Geiste sind die Armen" (aramäisch) / Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr ... u.a.

    ³ Während des Kreuzzugs der Armen (1096) gaben Bettler ein sehr unrühmliches Bild ab. Sie zogen sengend und brennend den Rhein aufwärts und hinterließen dabei eine Spur der Verwüstung.

    ⁴ Sachße, Christoph, Tennstedt, Florian: Vom Almosen zur frühmodernen Sozialpolitik : Armut und Armenfürsorge im Spätmittelalter. In: dieselben (Hrsg.): Bettler, Gauner und Proleten : Armut und Armenfürsorge in der deutschen Geschichte. Frankfurt a.M. 1998, S. 40

    ⁵ Bronislaw Geremek: Geschichte der Armut. Elend und Barmherzigkeit in Europa. München. 1988, S. 54

    ⁶ Christoph Sachße, Florian Tennstedt, S. 29f.

    2. Träger der Armenfürsorge im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit

    Im Früh- und Hochmittelalter sorgten die Städte als geschlossene, meistens sogar ummauerte Gesellschafts- und gleichzeitig Wirtschaftsverbände für ihre Einwohner und besonders für ihre Bürger. Den standesgemäßen Unterhalt sicherten Zünfte, Gilden und Bruderschaften. Sie trugen z.B. im Todesfall die Begräbniskosten und versorgten Witwen und Waisen. Bei Krankheiten sorgten sie für Ärzte, Medikamente und notwendige Aufenthalte in Spitälern. Bei Feuer- oder Wassernot organisierten sie Hilfe.

    Die größte Last der Sozialfürsorge trug bis zur Reformation sicherlich die Kirche. Sie war allerdings wegen der vielen ihr zufließenden Spenden auch am besten dafür ausgestattet. Für die christliche Tradition und damit für das gesamte Mittelalter ist Armut nicht bloß ein soziales Problem sondern ein Element der Religion. Das anerkannte Modell eines christlichen Lebens bestand im Mittelalter darin, dass man sich das Heil erwarb, indem man die Kirche unterstützte, für neue Gotteshäuser spendete und kirchlichen Einrichtungen Schenkungen machte. Während die freiwillige Armut, wie sie von Priestern, Mönchen und Nonnen aus religiösen Gründen praktiziert wurde, hochgeachtet war, blieb die unfreiwillige Armut im Mittelalter, wie es schon in der Antike der Fall war, mit negativen Wertungen behaftet: Armut wurde von den Reichen und Einflussreichen mit Unmoral, Dummheit, Unehrlichkeit identifiziert. Zu den klassischen Gruppen der Armen gehörten Witwen, Waisen und Gefangene, aber auch Pilger und nicht zuletzt Fremde.

    Im christlichen Mittelalter war Armut aber nicht nur ein in Demut zu ertragendes Los der Armen, sondern auch eine gottgewollte Möglichkeit für die Reichen, ihre irdischen Sünden abzubüßen und sich so den Himmel zu verdienen. Armut galt dann nicht mehr als selbstverschuldete Schande, sondern als gottgegebenes Los und als Himmelsleiter sowohl für die Armen als auch für jene, die ihnen freigiebig halfen. Parallel und komplementär zu dieser Lehre von der Armut ist das Lob der Barmherzigkeit, die als Kardinaltugend und damit als allgemeine Plicht aufgefasst wird. Die Gebete, Messen und Fürbitten, die in den frommen Stiftungen, Vermächtnissen und Jahresgedächtnissen den Begünstigten aufgetragen wurden, wurden Seelengeräte¹⁰ genannt, die quasi mechanisch das Seelenheil der Spender und Stifter, insbesondere ihr beschleunigtes Aufsteigen aus dem gefürchteten Fegefeuer in den Himmel befördern sollten. Als Sammelbegriff dient das Wort für alle Guten Werke, mit denen man sich schon auf Erden im Himmel einen Schatz erwerben konnte.

    Interessant war die ambivalente Rolle der Kirche als Institution, die einerseits als Vermittler zwischen Arm und Reich auftrat, andererseits aber auch selbst Almosen verteilte. Das ging so weit, dass sich sogar die Bettelorden bildeten, die vor allem in den Städten wirkten, dort ihre spartanischen Kirchen errichteten und damit ihre Ordensarmut demonstrierten. In ihnen manifestierte sich die freiwilligen Armut aus religiösen Gründen. Sie wollten nicht nur die individuelle Armut des einzelnen Mönchs verwirklichen, sondern praktizierten darüber hinaus, zumindest in ihren Anfängen, eine weitgehende Armut der ganzen klösterlichen Gemeinschaft und des Ordens.

    Während die traditionellen Klöster eher weit weg von den aufstrebenden Städten und ihren immer selbstbewusster werdenden Bürgern lebten und daher für die veränderten sozialen und religiösen Probleme der neuen Zeit keine Lösungen hatten, ließen sich die neu gegründeten Bettelorden bewusst

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