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Schattensicht
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Schattensicht

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About this ebook

Gewinner des PRG Reviewer's Choice Award for Best Paranormal Fantasy Novel und in der Endauswahl für Best Urban Fantasy Series.

Willkommen in Harborsmouth, wo Monster durch die Straßen laufen, ohne dass die Menschen sie erkennen ... mit Ausnahme jener, die über das zweite Gesicht verfügen, wie Ivy Granger.

Manche Dinge sollten lieber verborgen bleiben ...

Das zweite Gesicht von Ivy Granger gibt ihrem Leben endlich Sinn. Ivy und ihre beste Freundin Jinx schwimmen nicht gerade im Geld, aber ihr Detektivbüro für paranormale Fälle bringt genug ein, um die Rechnungen zu bezahlen – zumindest meistens. Ihre einzige Sorge sind die Langeweile eines Tages, an dem wenig los war, oder ein gelegentlicher verrückter Kunde. Aber dann betritt ein Dämon ihr Büro.

Dämonen sind nie ein gutes Zeichen ...

Ein Dämon als Anwalt für Wasser-Feenwesen? Es sind schon seltsamere Dinge geschehen. Und es wird sehr, sehr seltsam werden, da ein blutrünstiger Alptraum die Stadt Harborsmouth heimsucht.

Im Wasser fließt Blut ...

Man sagt, dass Kelpies Menschen fressen. Leider sind ihre Kunden Kelpies. Wenn ein so bösartiges Feenwesen des Unseligen Hofs in den Gewässern vor der Stadt lauert, muss man schwierige Entscheidungen treffen.

Das kleinere Übel ...

Schattensicht ist der erste Roman in der Ivy Granger Urban-Fantasy-Serie von E. J. Stevens. Die Welt von Ivy Granger, einschließlich der Serien Ivy Granger, Detektivin für paranormale Fälle und der Hunters'-Guild-Serie, bietet jede Menge Action, paranormale Fälle, Magie, schwarzen Humor, bizarre Charaktere, blutsaugende Vampire, flirtende Dämonen, sarkastische Gargoyles, aufreizende Formwandler, launenhafte Hexen, psychotische Feen und scharfzüngige, coole Heldinnen.

LanguageDeutsch
Release dateFeb 21, 2018
ISBN9781507143193
Schattensicht

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    Book preview

    Schattensicht - E.J. Stevens

    Einleitung

    Willkommen in Harborsmouth, wo Monster durch die Straßen laufen, ohne dass die Menschen sie erkennen ... mit Ausnahme jener, die über das zweite Gesicht verfügen.

    Ganz gleich, ob Sie unser modernes Geschäftsviertel besuchen oder die gepflasterten Gassen von Old Port, möchten wir, dass Sie Ihren Aufenthalt genießen. Wenn Sie heimkehren, können Sie Ihren Freunden von unsere wunderbaren Stadt erzählen – aber lassen Sie bitte etwaige übernatürliche Details aus.

    Keine Sorge – die meisten unserer Gäste erleben nie etwas Ungewöhnliches. Wesen aus der Anderwelt, wie Feen, Vampire und Ghule, können sich sehr geschickt im Schatten verbergen. Viele haben auch die Fähigkeit, Erinnerungen zu löschen. Sie wachen vielleicht nachts schreiend auf, aber sie werden sich nicht an den Grund erinnern. Seien Sie froh, dass sie sich nicht erinnern – in der Hinsicht haben Sie Glück gehabt.

    Wenn Sie auf etwas Ungewöhnliches stoßen, empfehlen wir die Dienste von Ivy Granger, Detektivin für paranormale Fälle. Ivy Granger ist die Mitbegründerin der Detektei Private Eye und erst seit kurzem Mitglied unserer kleinen Geschäftswelt. Sie finden ihr Büro in Water Street, im Herzen von Old Port.

    Miss Granger besitzt die erstaunliche Fähigkeit, Visionen zu empfangen, indem sie ein Objekt berührt. Dies ist bei ihrer Detektivarbeit sehr nützlich, vor allem bei der Suche verlorener Objekte. Ganz gleich, ob Sie eine verlorene Brosche oder eine vermisste Person suchen, ist kein Auftrag zu klein für Ivy Granger – sie ist immer über neue Kunden glücklich.

    Wir können Ihnen auch auf Anfrage eine Liste sehr renommierter Bestattungsunternehmen geben. Sollten Sie deren Dienste benötigen, möchten wir auch die Gräberverwaltung von Harborsmouth erwähnen. Es ist nie zu früh, mit ihr Kontakt aufzunehmen, da unser derartiger „Wohnmarkt" momentan einen Boom erlebt. Die Nachfrage nach örtlichen Grabstellen ist sehr hoch – viele brennen darauf, hier bleiben zu können.

    Kapitel 1

    Gespenstisches Licht leuchtete auf meiner Haut, als ich am Spiegel des Schranks vorbei ging. Ich zögerte, da ich nicht wusste, woher das Licht kam. Ich hob eine kleine, plumpe Hand an meine Wange und blickte das gespenstische Spiegelbild an, das die gleiche Bewegung durchführte. Es gab keinen Geist, nur mein eigenes Gesicht, das mich anstarrte. Als ich in den Korridor blickte, entdeckte ich die Quelle des unirdischen Lichts.

    Es war nur das Leuchten des abnehmenden Mondes, das durch das Oberlicht einströmte. Ich atmete keuchend aus und versuchte, mit den Schultern zu zucken. Ich war schon so oft durch diesen Korridor gelaufen, dass ich eine Spur im Teppichvorleger hinterlassen hatte. Ich war daheim und in Sicherheit. Es gab keinen Grund, mich zu fürchten.

    Es war ein normaler Schultag. Meine Mutter und mein Stiefvater schliefen noch, und ich musste mich mit dem Frühstück beeilen, wenn ich das Badezimmer danach für mich haben wollte. Ich schlich mich an dem schmalen Tisch mit den geschwungenen Beinen vorbei, auf dem ein Stapel Post und ein Porzellanschüsselchen voller Schlüssel und Kleingeld lagen. Auf dem Weg zu meinem Zimmer würde ich mir das Geld für mein Mittagessen nehmen.

    Ich holte mir eine Schüssel mit Frühstücksflocken und füllte den Napf meiner Katze mit frischem Futter. Fluffy war schon seit sechs Tagen verschwunden, fast eine ganze Woche. Wir ließen die Katze tagsüber in der Nachbarschaft herumstreifen, aber abends kam sie immer zur Küchentür und wartete auf ihr Abendessen. Als sie nicht vor Sonnenuntergang kam, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Fluffy war eine große und hungrige Katze und würde nie absichtlich eine Mahlzeit auslassen.

    Ich öffnete die Hintertür und klapperte mit dem Futternapf, aber Fluffy erschien nicht. Nachdem ich den Napf wieder auf den gefliesten Fußboden gestellt hatte, beschloss ich, meine Arbeiten zu erledigen, während meine Frühstücksflocken schön matschig wurden, wie ich das mochte. Ich hob den vollen Müllsack aus dem Mülleimer in der Küche, band ihn zu und stapfte durch die Küchentür.

    In der Nacht hatte es geregnet und die Treppe war feucht, aber ich musste nicht weit gehen. Die Mülleimer aus Metall waren wie Ritterrüstungen am Werkzeugschuppen meines Stiefvaters aufgereiht. Ich sprang über ein Stück nassen Rasen und zog den Müllsack hinter mir her. Glühwürmchen beleuchteten meinen Weg, und die Sonne stand noch nahe am Horizont.

    Ich hielt bei einem der leeren Mülleimer an und hob dessen Deckel. Meine Hand berührte das kühle, feuchte Metall, und ich stöhnte vor Schrecken, als eine Serie von Bildern in meinem Kopf erschienen. Es war, als ob ich in einem schockierenden Film gefangen wäre. Ich musste zusehen, konnte aber nichts tun, um die Dinge zu verhindern, die ich sah. Egal, wie gerne ich die Ereignisse verhindert hätte, spielten sie sich doch vor meinen Augen ab.

    Ich wusste damals nicht, was ich jetzt weiß. Vielleicht war das gut so. Damals konnte ich immer noch hoffen. Hoffen, dass ich träumte, und dass der Alptraum bald vorbei sein würde. Hoffen, dass ich ein Fieber hatte und dass Mama mich gesund machen würde. Hoffen, dass ich einfach zu viel Fantasie besaß. Ich schwor, dass ich nie wieder einen gruseligen Film ansehen würde. Das half nicht. Nichts half.

    Nichts hat je geholfen.

    In meiner Vision fuhr das Auto meiner Eltern rückwärts den Weg hinunter, als etwas hinter es sprang. Der alte Buick bremste schnell, aber es war zu spät. Mein Stiefvater stieg aus und entdeckte, dass er ein kleines und schwarzes Objekt überfahren hatte. Voller Entsetzen sah ich, wie er ein Handtuch aus dem Auto holte und meine tote Katze in ein kleines Bündel wickelte. Das trug er dann über den Rasen zu seinem Schuppen und legte es in den Mülleimer.

    Ich drückte meine Augen zu und schrie.

    Manche Wahrheiten sollten lieber verborgen bleiben. Die Notlüge, dass sich Fluffy vielleicht auf einem tollen Katzenabenteuer verlaufen hatte, war eine gute Tat gewesen.  Die Vision ihres Todes war etwas, dass kein Kind je sehen sollte.

    Ich träumte wieder diesen Traum.

    Nicht nur einen Traum, sondern den Alptraum.

    Das Schreien in meinem Kopf war nutzlos. Die Ereignisse des Traums wurden von meiner Erinnerung bestimmt, und man kann die Vergangenheit nicht ändern, egal wie sehr man sich bemüht.

    Die Psychometrie ist ein schreckliches Geschenk. Leider ist das kein Geschenk, das man umtauschen kann. Ich war eben ein Glückspilz.

    *****

    „Ivy, wach auf, sagte Jinx. „Du kommst zu spät zur Arbeit.

    „Noch fünf Minuten", murmelte ich.

    „Auf keinen Fall", sagte sie.

    Ich öffnete meine Augen und sah, dass meine Mitbewohnerin ihre Hände auf die Hüften stützte. Scheiße. Sie sah sehr entschlossen aus.

    „Müde", sagte ich weinerlich und zog ein Kissen über meinen Kopf.

    Nach dem Alptraum fühlte ich mich immer erschöpft. Ich glaube nicht, dass erwachsene Körper die Schrecken der Kindheit aushalten können.

    „Nein, nada, das geht nicht", sagte sie und zog flink das Kissen aus meinen vom Schlaf geschwächten Armen.

    „Ach komm schon, Jinx, sagte ich. „Noch fünf Minuten.

    Wie schon ihr Spitzname, das englische Wort für Pechvogel, vermuten ließ, hatte Jinx einfach kein Glück. Sie gewann nie etwas, und wenn sie ein Lotterielos kaufte, wurde ihr meistens ein zu hoher Preis dafür berechnet. Jess, oder Jinx, wie sie jeder nannte, war berüchtigt dafür, dass sie ohne jeden Grund auf den Hintern fiel. Als wir in unsere Loftwohnung einzogen, versuchte sie, ein glücksbringendes Hufeisen über der Kochnische aufzuhängen. Es fiel ihr auf den Kopf und hinterließ einen gemeinen Bluterguss und eine Schnittwunde, die genäht werden musste. Seitdem hatten wir unsere Regeln. Jinx durfte keine Hämmer oder sonstigen gefährlichen Werkzeuge verwenden. Nie.

    Dass ich ihren Spitznamen verwendete machte Jinx nur noch entschlossener. Sie riss mir die Decke weg, so dass die kalte Morgenluft ihre Wirkung zeigen konnte. Ich war in der Zeit aus dem Bett, die ich brauchte, um hochzuspringen, zu keuchen und zur warmen Dusche zu sprinten. Es war egal, dass Jinx zuerst dort gewesen war. Nachdem wir ein Jahr in der Wohnung gelebt hatten, wusste ich, dass Jinx immer das Pech hatte, sich kalt duschen zu müssen, egal, ob ich vor oder nach ihr duschte. Sie war wirklich das unglücklichste Mädchen auf diesem Planeten.

    Aber zum Glück für mich machte sie einen echt tollen Kaffee.

    Nach einer heißen Dusche kroch ich wie eine Schnecke zurück und ließ mich gegenüber von Jinx auf einen Barhocker fallen. Sie schob eine dampfende Tasse über die Theke, die die Küche vom Wohnzimmer trennte. Mmmmmm, gut und stark.

    „Bitteschön", sagte Jinx.

    „Danke, sagte ich. „Und was soll die Eile?

    „Du hast in einer Stunde einen Kunden. sagte Jinx. „Ich habe dir das gestern gesagt, aber du warst mit einem Fall beschäftigt. Ich wusste doch, dass du das vergessen würdest.

    Seit dem Tag meiner ersten Vision war viel passiert. Ich war nicht mehr das unschuldige Kind, das alles glaubte, was die Eltern erzählten, und das kleine blaue Sterne und rosa Herzen auf seine Turnschuhe klebte.

    Ja, ich erinnere mich an die Schuhe, die ich an jenem Tag trug – bevor ich sie vollkotzte. Manche Erinnerungen verschwinden nie. Nachdem ich nach Luft geschnappt und wegen meiner Katze geweint hatte, zog ich die süßen Kinderschuhe aus und warf sie weg, zusammen mit meiner Unschuld und der Person, die ich gewesen war. Ich warf meine verschmutzten Turnschuhe in die gleiche Mülltonne, die mir das grausame Geschenk des Schicksals gegeben hatte. Das Kind, das an diesem Morgen zur Mülltonne gegangen war, war voller Freude und Hoffnung gewesen. Das heimgesuchte Mädchen, das zum Haus zurückeilte, achtete auf seine Schritte und umarmte sich selbst, ein winziges, sich bewegendes Objekt, das sich vor einfachen Berührungen fürchtete – und dem Schrecken, den sie bringen konnten.

    Ich verwandelte mich von einem sorglosen Kind in eine introvertierte Einzelgängerin. Ich ließ mich nicht gerne berühren, und die Idee, etwas Neues anlangen zu müssen, versetzte mich in Schrecken. Haben Sie je gesehen, wie ein Kind vor Schrecken umkippt, wenn es sieht, dass beim Völkerball ein Ball auf es zufliegt? Also gut, vielleicht haben Sie das. Aber ich würde vor einem Bleistift zurückweichen, den jemand berührt hat, oder weitergereichten Zetteln, oder total ausflippen, wenn ich an einem neuen Schreibtisch sitzen musste. Daher wurde ich der Freak der Schule. Die Mittelstufe war die Hölle. Die High School war nicht viel besser.

    Aber da ich eine Einzelgängerin war, hatte ich Zeit für meine Forschungen und zum Experimentieren mit meinem Talent. Während einer dieser Experimente begegnete ich Jinx. Wie gesagt ist sie ein echter Unglücksrabe. An dem Tag hätte mich niemand überraschen sollen. Ich wusste, dass ich die Tür verschlossen hatte. Niemand hätte sehen sollten, wie ich einen alten Messingkompass hielt und mich auf dem Boden wand. Absolut niemand.

    Ich wusste von meinen Recherchen im Internet her, dass meine Begabung als Psychometrie bezeichnet wurde, die übernatürliche Fähigkeit, Ereignisse, oft traumatische, aus der Geschichte eines Objekts zu sehen. Jinx brachte mir bei, wie ich anderen mit meinem Talent helfen konnte. Mit ihrer Hilfe begann ich, an kleinen Fällen zu arbeiten. Jinx kann mit Leuten umgeben, und ich habe das grundlegende Talent. Nach viel Versuch und Irrtum gründeten wir schließlich Private Eye, unsere Detektei für paranormale Fälle.

    Private Eye mag albern klingen, aber unser Logo war super. Unser Freund Olly hatte es gezeichnet. Es zeigte einen Detektiv mit einem altmodischen Hut, auf dessen Stirn sich ein drittes Auge befand. Die Tatsache, dass wir eine Menge Stammkunden hatten, half natürlich unserem Geschäft. Ich meine nur, es gibt Leute, die mich für einen Spinner oder Scharlatan halten, aber diejenigen, die uns um Hilfe bitten und nicht abhauen, haben meist den Eindruck, dass ihr Geld gut angelegt war. Wie der Typ, dem ich gestern geholfen hatte.

    Ich versuchte, nicht zu schaudern. Ich wollte nicht meinen Kaffee verschütten. Der Fall war gruselig. Vertrauen Sie mir. Wenn ich einen Fall für unheimlich halte, dann ist er echt schräg.

    Ich war nicht überrascht, dass ich vergessen hatte, dass Jinx einen neuen Kunden erwähnt hatte. Es war besonders schwierig, bestimmte Objekte zu berühren, und mein Kopf war danach immer verschwommen. Nachdem ich dem gestrigen Kunden gesagt hatte, was er wissen musste und meine Gebühr erhalten hatte, war ich die Treppe zu unserem Loft hinauf gegangen und ins Bett gekrochen. Ich wachte nicht einmal auf, um mit Jinx zu Abend zu essen.

    Mein Magen knurrte, als mir klar wurde, dass ich seit dem gestrigen Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Jinx lachte und reichte mir eine dick mit Erdbeermarmelade bestrichene Scheibe Toast. Sie war echt super.

    Ich konnte nicht nur ein leckeres Frühstück essen und es mit starkem Kaffee hinunter waschen, ich musste dabei weder das Marmeladenglas noch die Brottüte berühren. Das war ein Bonus. Man konnte nie wissen, wer das eingepackt hatte, und unter welchen Umständen. Wenn auch nur ein dicker Mann das Marmeladenglas berührte, während er einen Herzinfarkt hatte, würde ich nach einem Bissen Toast wie ein Fisch aus dem Wasser nach Luft schnappen. Das machte keinen Spaß und war auch nicht gerade appetitfördernd. Jinx will mich immer dazu bringen, mehr zu essen, und einer ihrer neuen Tricks besteht darin, die Verpackung des Essens zu entfernen.

    „Wer ist denn heute unser Kunde?, fragte ich. „Kenne ich den?

    „Glaube ich nicht, sagte sie und trommelte mit ihren beringten Fingern gegen ihre Kaffeetasse. „Er war noch kein Kunde. Das habe ich nachgeprüft.

    „Weißt du, was er will?", fragte ich.

    „Nur die einzigartigen Dienste von Ivy Granger, Detektivin für paranormale Fälle, sagte sie und hob ihre Augenbrauen an. „Aber er sah toll aus.

    „Jetzt weiß ich, warum du vergessen hast, ihn danach zu fragen", sagte ich.

    „Mein Gehirn hat sich einen Moment lang in Pudding verwandelt, sagte sie und zwinkerte. „Er ist eine echte Augenweide. Groß, lächelt nett, und als er sich umdrehte ...

    „Okay, ich kapiere es, er sieht irre gut aus, sagte ich und rollte mit den Augen. „Hat Mr. Super auch einen Namen?

    „Das ist ja das Komische sagte Jinx und runzelte die Stirn. „Du weißt doch, wie organisiert ich bin, ja?

    Eher total und krankhaft ordnungsbedürftig. Ihr Terminkalender war ihre Bibel. Im Ernst.

    „Ja", sagte ich.

    „Na ja, irgendwie habe ich vergessen, seinen Namen aufzuschreiben, sagte sie und wurde rot. „Ich habe eben erst bemerkt, dass du einen Termin hast. Außerdem weiß ich, dass er mir seinen Namen gesagt hat, weil ich ihn in das System eingab, um zu sehen, ob er ein existierender Kunde war. Die Datenbank war leer.

    „So ähnlich wie dein Gehirn", sagte ich.

    „Genau wie mein Gehirn, sagte sie. „Seltsam, was?

    „Irre", sagte ich.

    Was wirklich bizarr war, war dass Jinx sich auf die Lippen biss, statt meinen Kommentaren zu widersprechen. Ich hatte sie mit der Bemerkung „wie dein Gehirn" aufziehen wollen. Sie musste sich wirklich Sorgen über ihre Vergesslichkeit machen.

    „Vielleicht solltest du Ginkgoextrakt einnehmen", sagte ich.

    Das chinesische Heilmittel sollte gedächtnisfördernd wirken, obwohl ich mir sicher war, dass das Gedächtnis meiner Freundin in Ordnung war. Sie konnte sich nur nicht konzentrierten, wenn gut aussehende Männer im Raum waren.

    „Verdammt, du weiß doch, dass ich immer vergesse, das zu nehmen", sagte Jinx und schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn.

    Es war ein alter Witz, und wir lachten. während ich meinen Teller im Spülbecken wusch und die letzten Tropfen meines Kaffees schluckte. Leider hatte ich nicht genug Zeit für eine weitere Tasse. Irgendwie fühlte ich, dass es ein sehr langer Tag werden würde.

    *****

    Ich zog meine Fahrradhandschuhe aus Leder an, nahm meine Schlüssel aus dem Schüsselchen neben der Tür und verließ das Loft, wobei ich Jinx zum Abschied zuwinkte. Als ich in das Treppenhaus trat, das zur Straße führte, waberte mir die Hitze entgegen. Das Treppenhaus roch immer alt und war eine Stratosphäre der Geschichte des Gebäudes. Die Augusthitze brachte Gerüche wie Curry, Gemüsesuppe, ungewaschene Körper, Tabak, Weichspüler, Schimmel und altes Holz heraus – ein beißendes Geruchsbild, wie ein Flickenteppich, zu dem jeder Mieter im Laufe der Jahre beigetragen hatte.

    Ich mochte unser Loft und unser Büro. Zum Glück für mich war dort nie etwas wirklich Schlimmes geschehen. Haben Sie sich je eine Wohnung angesehen und sich gefragt, was die Wände über die Vergangenheit der Wohnung sagen könnten? In meinem Fall können sie das. Ich musste nur meine Handschuhe ausziehen und meine Hand auf Verputz und Holz legen. Wenn hier etwas Schlimmes passiert war, würde ich das erfahren. Ein stinkendes Treppenhaus war etwas, an das sich ein Mädchen gewöhnen konnte. Alptraumhafte Visionen? Nicht so sehr.

    Ich nahm zwei Stufen gleichzeitig, und meine Stiefel trampelten gegen das hohle Holz. Das war ein weiterer Grund dafür, dass ich diese Wohnung mochte – es wäre schwierig, mich und Jinx zu überraschen. Ich machte mir zwar keine großen Sorgen in dieser Hinsicht, aber man sollte nie ein Risiko eingehen. Ich wusste, dass Monster auf diesen Straßen unterwegs waren. Nicht alle von ihnen waren Menschen – und das war ein weiteres Geschenk meiner paranormalen Fähigkeit.

    Als ob der Schrecken der Visionen von Tod und Verletzungen nicht genug wäre, durchdrang meine Fähigkeit auch den Schleier des Glamour, des Tarnzaubers, der viele Zauberwesen umgab ... und zeigte das monströse Gesicht dahinter. Warum? Wie gesagt ist das Schicksal eine flatterhafte Zicke.

    Ja, ich weiß also, dass Monster auf den Straßen unserer Stadt herumlaufen, und ich habe Maßnahmen ergriffen, um meine Sicherheit zu gewährleisten. Das alte eiserne Schloss an der Haustür war nur eine davon, aber eine wichtige.

    Ich drehte den Schlüssel mit einem satten Klicken nach rechts, zog ihn heraus und steckte ihn in meine Gesäßtasche. Aus der vorderen Tasche meiner Jeans zog ich ein Päckchen Salz heraus, das mit Kräutern vermischt war und streute das auf die Türschwelle.

    Ja, Jinx würde in etwa fünf Minuten herunter kommen und zur Bank gehen, damit unser Mietscheck gedeckt war. Und ja, sie würde die Tür wieder verschließen und die gleiche Mischung aus Salz und Kräutern unten an die Tür streuen. Waren wir zu vorsichtig? Vielleicht, aber das war unser Heim, und verdammt, wir würden keine ekligen Ungetüme einfach so hinein marschieren lassen. Ich weiß wie die Dinger aussehen. Vertrauen Sie mir. Die würden keine angenehmen Hausgäste sein.

    Nein, einige der Biester, die im Schatten lauerten, bevorzugten Menschenfleisch, und sie würden das bei dieser Adresse garantiert nicht bekommen. Ich wollte nicht heimkommen und sehen, wie ein großes Monster meine Möbel als Zahnstocher benutzte, nachdem es meine Mitbewohnerin verschlungen hatte. Ausgeschlossen.

    Nachdem ich das Ritual beendet hatte, ging ich zu unserem Bürofenster. Der Weg war nicht weit. Die Tür zu unserem Loft war etwa 35 Zentimeter von unserem Büro entfernt. Das war ein weiterer Vorteil dieser Wohnung. Ich war gerne hier.

    Als Jinx die tolle Wohnung und das unglaubliche Büro im Erdgeschoss gefunden hatte, ergriff ich die Gelegenheit beim Schopfe. Das war millionenfach besser, als daheim bei meinen Eltern zu wohnen. Mit Jinx zu leben bedeutete, dass ich die Schuldgefühle los wurde, die ich zuhause immer mit mir herum trug.

    Wieso waren diese Gefühle mit meinen Eltern verbunden? Gute Frage. Nach vier Jahren intensiver Therapie hatte ich einen perfekten Makkaroni-Jesus (ich nutzte die Kunsttherapie-Sitzungen dazu, um religiöse Bilder aus Pasta zu machen. Mein Therapeut flippte deswegen total aus), aber nur eine schwache Ahnung, warum ich mit der Beziehung zu meiner Familie solche Probleme hatte. Es war wohl schwierig, eine Tochter zu haben, die anfing zu schreien und zu sabbern, wenn man ihr ein Geburtstagsgeschenk gab ... oder die Post.

    Ich fühlte mich schuldig, in der Nähe meiner Eltern und ihrer nervösen, ängstlichen Blicke zu sein. Bei Jinx fühlte ich, dass ich wichtig war – akzeptiert und benötigt. Im Laufe der Zeit brachte sie mir bei, wieder ein Mensch zu sein. Jinx hat mich gerettet. Sie hat mir nicht nur geholfen, einen Lebenszweck zu finden, indem sie mich dazu brachte, meine Begabung dazu einzusetzen, um Fälle zu lösen und Leuten zu helfen, sie rettete mich auch vor mir selbst. Jinx tat etwas, das meine Eltern und die Kinder in meiner Schule nicht konnten, das selbst ich nicht konnte, seit ich neun Jahre alt gewesen war. Jinx akzeptierte mich, so wie ich war – einschließlich des unheimlichen übernatürlichen Talents. Dafür war ich ihr so dankbar.

    Jinx war auch eine fantastische Büro-Managerin. Man durfte sie nur nicht als meine Sekretärin bezeichnen. Das ärgert sie. Jinx spielte meistens die Türhüterin am Empfang, wo sie die Kunden begrüßte und sie auf mein schroffes Benehmen und meine Phobie vor Berührungen vorbereitete. Normalerweise wäre sie jetzt dort, aber unsere Miete war überfällig. Sie musste das Geld heute Morgen einzahlen, damit wir keinen Ärger mit dem Vermieter bekamen. Ich musste also dem attraktiven, mysteriösen Kunden alleine gegenüber treten. Man könnte meinen, dass Jinx das so eingerichtet hätte. Sie wollte mich immer mit jemandem verkuppeln. Man sollte denken, dass sie es inzwischen kapiert hätte.

    Mit einem Seufzer sah ich mein Spiegelbild im Bürofenster an. Schon als Teenager hatte ich vereinzelt weiße Haare bekommen. Angesichts der Dinge, die ich gesehen habe, ist das wohl keine Überraschung. Es war erstaunlich, dass mein Haar nicht ganz weiß war. Aber es gab einige weiße Stellen, und bei einer Vierundzwanzigjährigen sah das seltsam aus. Deshalb hatte Jinx letzte Woche mein rotbraunes Haar nachtschwarz gefärbt.

    Das Gesicht, das mich anstarrte, sah immer noch wie das einer Fremden aus. Ich glaube nicht, dass ich mich je an das rabenschwarze Haar gewöhnen würde. Dadurch standen meine blasse Haut und meine ungewöhnlichen, mandelförmigen Bernsteinaugen noch mehr hervor. Ich setzte eine dunkle Sonnenbrille auf, zog eine Baseballmütze aus meiner Gesäßtasche und warf sie auf meinen Kopf. Ich fühlte mich weniger auffällig und konnte dadurch leichter atmen. Ich hoffte, dass mich der Kunde nicht wegen der Jeans und des Tops für einen Jungen halten würde. Ich hatte weder die Kurven von Jinx, noch ihren femininen Rockabilly-Stil. Ich beneidete, wie fantastisch sie mit schulterfreien Kleidern, dem Haarstil der 50er Jahre und tollen Tattoos aussah.  Sogar ihre Retro-Brille mit dem dicken Rahmen sah echt süß aus.

    Mit süß wollte ich nichts zu tun haben, vor allem nicht so früh am Morgen.

    „Okay, genug mit der Hinhaltetaktik" murmelte ich meinem Spiegelbild zu.

    Ich schloss die Bürotür auf und schaltete die Deckenleuchten ein. Meine Augen blickten sich im Raum um, während die Leuchten mit leisem Klicken und Summen angingen. Der Phrenologie-Kopf mit dem altmodischen Herrenhut, der auf dem Aktenschrank stand, ließ mich immer erschrecken. Verdammt, Jinx, das Ding ist gruselig. Ich trat in den Raum und schob den Hut über die Augen des Kopfes. Ich sprang rückwärts in eine Hocke, als ein Kuli, den ich versehentlich angestoßen hatte, vom Schrank rollte und auf den Boden fiel.

    Ich hatte keine Ahnung, warum ich heute so nervös war, aber das war kein gutes Vorzeichen. Hoffentlich waren das nur die Nachwirkungen meines Alptraums. Der heutige Fall musste unbedingt reibungslos ablaufen.

    Ich lief durch den ganzen Raum und blickte in Ecken und Schatten, bis ich mir sicher war, dass ich allein war. Wir sollten hier wirklich mal aufräumen. Private Eye war mit einer seltsamen Sammlung okkulter Objekte und Memorabilien aus alten Krimis und der Film-Noir-Periode gefüllt.

    Meine Partnerin in der Verbrechensbekämpfung, oder zumindest bei der Suche nach Omas verlorener Katze, hatte eine Schwäche für Retro-Sachen. Das große, schwarze Telefon auf ihrem Schreibtisch sah authentisch aus, aber ich wusste, dass es ein Nachbau war. Ich hatte einmal einen Anruf damit entgegengenommen und keine ekelhaften Visionen aus dem letzten Jahrhundert gespürt. Ich sah mir die Wand hinter ihrem Schreibtisch an und grinste. Jinx hätte einer der Schauspielerinnen auf den Filmplakaten an der Wand sein können – wenn diese nur Tätowierungen und Piercings an der Nasenscheidewand gehabt hätten.

    Mein Schreibtisch

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