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Froschmaedchen lieben anders
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Ebook450 pages6 hours

Froschmaedchen lieben anders

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Die Sage vom Froschmädchen geistert seit Jahrhunderten durch das Kloster Himmelskrone. Sie soll die Tochter einer Hexe gewesen sein, der die Liebe zum Abt des Klosters zum Verhängnis wurde. Seitdem ist sie zum Symbol für Gefahr und Verführung geworden. Als Frater Drickes die alte Sage für die Touristen mit neuem prallen Leben füllt, weckt das einiges Kopfschütteln unter den Mönchen, vor allem "Mustermönch" Cyrillus ist nicht begeistert. Die Froschmädchen-Touren finden ein jähes Ende, als zwei tote Mönche gefunden werden auf deren Brust kleine Frösche deponiert wurden. Außerdem fehlen die Geschlechtsteile, was die Polizei auf eine Täterin schließen lässt. Doch Frater Cyrillus plagen andere Sorgen: Sein Mitbruder und Freund Konrad, der die ewigen Weihen empfangen soll, befindet sich im Gewissenskonflikt. Plötzlich werden bei Cyrillus selber alte Erinnerungen an eine Frau wach.
LanguageDeutsch
PublisherISEGRIM
Release dateJul 30, 2015
ISBN9783954528080
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    Froschmaedchen lieben anders - Angelika Puerzer

    53

    Froschmädchen!

    Aus der Chronik des Klosters Himmelskrone von Christoph Melchior Barth (erschienen in Bayreuth, 1632):

    Anno Domini 1430 fielen die böhmischen Ketzer noch während der ärgsten Winterkälte im Lande ein, welches sie auf das grausamste verheerten und plünderten und insonderheit die Kirchen und Klöster nicht verschonten, und so geschah es, daß auch das ehrwürdigste und weithin berühmte Kloster Himmelskrone samt seiner Ländereien den Hussen anheimfiel. Das Wehklagen war groß allerorten und was nicht aufgepackt werden konnte, schlugen die Frevler in Stücke und hausten diese nicht anders als gemeine Söldlinge in unseren Tagen, wo das Kriegsgebrüll allerorten nicht enden will und das Elend der Menschen zum Himmel schreit wie nur je und führten jene doch in ketzerischem Hochmut unseren Heiland als Zeichen. So schrecklich wüteten sie, daß die Kinder ihren Müttern aus den Armen gerissen und dem Tode überlassen wurden und fielen nicht wenige der Weiber und Kinder den Kriegsknechten anheim. Wie die Plagen Ägyptens zogen sie durchs Land und erstürmten auch die festen Städte Bayreuth und Kulmbach, in deren wüsten Trümmern die Menschen hernach schlimmer hausten als das Vieh.

    Die Hand Gottes lag schwer auf dem Land in jenen Tagen; und war des Unheils mit den mordenden Hussiten noch nicht genug, wenn auch Markgraf Friedrich VI. mit seinem Vertrag von Beheimstein die Gegend von den Ketzern erlöste; denn der Frühling kam spät und der Regen fiel so unaufhörlich, daß Mensch und Vieh an allerlei Seuchen zugrunde gingen und nur des Bösen liebste Gespielen, die Ratten und Fliegen, sich mehrten und fett wurden von all dem Unheil und waren diese nur die Vorboten für das übelste Gezücht, die Hexen, die aus ihren Löchern krochen und den Schaden mehrten an Leib und Seelenheil und Hab und Gut der Menschen. So konnte der schwere Pfingsthagel einem Weibe mit Namen Margret Reutterin nachgewiesen werden und war diese in ihrer Verworfenheit so weit gegangen, den schwersten Hagel direkt auf die Benediktinerkirche in Himmelskrone zu lenken, wie denn auch das Dach der Kirche davon völlig abgedeckt ward und ein großer Schaden von dem üblen Treiben entstand. Auch die Schwarze Bärbel, die Tochter des bösen Weibes, stand in schlechtem Ruf und war wiewohl lieblich von Angesicht und Wohlgestalt, doch als Hexe angesehen. Insonderheit war diese den Fröschen und Kröten zugetan, welches Getier im Schmutze kriecht und sich von Fliegen nährt und so, leicht erkennbar, den Geschöpfen des Bösen zuzurechnen ist und auch von den zauberkräftigen Männern und Weibern für allerlei Tränke gebraucht wird, weshalb sie auch die Fröschin genannt wurde. Sogar der im tadellosen Ruf stehende Abt des Klosters soll ihren Teufelskünsten erlegen sein, worauf das böse Mädchen umgekommen ist.

    Bis in unsere Tage hinein rächt sich dieses böse Mädchen froschköpfig von Gestalt an Mönchen, die wider das sechste Gebot sich versündigt haben, wie die Geschichte zeigt von dem abtrünnigen Mönch, der die Tochter des Müllers angesehen, daraufhin schreiend auf dem Kirchenboden aufgefunden wurde, während Scharen von Fröschen aus seinem Mund herausquollen. Der Mönch bekam den Teufel im Leib ausgetrieben und hat nie mehr eine Frau auch bloß angesehen.

    Beiträge zur Kulturgeschichte des Fichtelgebirges, Jahrgang 1974, Heft 2:

    Von Bezirksheimatpfleger Dr. Hans Bitterlein:

    Eine genaue wissenschaftliche Recherche über das Phänomen des Froschmädchens oder der Fröschin, wie es von Christoph Melchior Barth im Jahre 1632 beschrieben wurde, hat folgendes gezeigt:

    Es ist nicht erwiesen, daß der frevelhafte Abt mit dem Tode der Schwarzen Bärbel in Verbindung zu bringen ist. - Zur Zeit der Hussitenkriege war es üblich, Kritik an der Kirche zu üben. - Das Mädchen flüchtete wahrscheinlich in Männerkleidung in den Gästebereich des Klosters, um sich vor der wütenden Menge zu schützen. - Aufgrund einer Notiz und einer urkundlichen Erwähnung in einem Nachbarort dürfte die Schwarze Bärbel identisch gewesen sein mit der zauberkundigen Frau des Schäfers.

    Zur Zeit der Wirren und Hexengläubigkeit des Dreißigjährigen Krieges war es sehr beliebt, das Feuer der Scheiterhaufen mit derartigen Gerüchten zu schüren. Es gibt zahlreiche Hinweise, daß über die Jahrhunderte hinweg ängstliche oder abergläubische Mönche den Geist des Froschmädchens froschköpfig im Kloster Himmelskrone umherirren sahen und an den Rande des Wahnsinns getrieben wurden, vor allem Mönche, die wider das sechste Gebot der Keuschheit gesündigt hatten. Nach heutigem Kenntnisstand müssen diese Geschichten jedoch als Legenden eingestuft werden.

    Zusammenfassung des Haushaltsberichts für Februar 2003, Kloster Himmelskrone:

    Aufgrund unvorhergesehener Schäden und dringend notwendiger Reparaturarbeiten an der Außenfassade des Klosters, an den berühmten Engelsfiguren vor dem Klosterportal sowie den vielen anderen beschädigten Kunstgegenständen (siehe beigefügte Aufstellung) und einer Ablehnung finanzieller Unterstützung von Seiten der Landesregierung sieht sich das Kloster gezwungen, drastische Einsparungen vorzunehmen, die vor allem das tägliche Leben der Klosterbrüder einschränken werden. Wegen der finanziellen Misere wird eine Dringlichkeitssitzung vorgeschlagen ...

    Frater Cyrillus hielt mit dem Schreiben inne und blickte hoch. »Das Haushaltsloch klafft immer tiefer«, seufzte er, »ich kann jeden Cent dreimal umdrehen. Es reicht trotzdem nicht. Kloster Himmelskrone hat ein ernstes Problem. Aber du hörst mir gar nicht zu, Frater Drickes. Du unterhältst die Gäste und ihr alle fragt nie danach, woher der schnöde Mammon eigentlich kommt. Hauptsache, es geht uns gut.« Der so Gescholtene hob den Kopf und legte behutsam das dicke, schwere Buch zur Seite, sorgfältig darauf bedacht, keine Seite abzuknicken. Zahlreiche Stellen waren eingemerkt, einige schwarz unterstrichen.

    »Ich höre dir sehr genau zu, lieber Frater Cyrillus«, sagte er und blinzelte dem Mitbruder zu, »du bist unser Cellerar, unser Verwalter, und wir machen uns mehr Gedanken um dich und wollen dir vielleicht mehr im Tragen unserer aller Lasten helfen, als du es wahrhaben willst.« Cyrillus schwieg. Nach einer Pause sagte er: »Na ja, wie hättest du mir auch helfen können.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Da kann uns nur noch der liebe Gott helfen«, murmelte er. Schon im Laufen streifte er seinen Habit zurecht.

    »Vielleicht können wir dem lieben Gott auch ein bisschen nachhelfen«, hörte er Frater Drickes lachen, als er schon draußen auf dem Gang stand. Als Frater Cyrillus wenige Zeit später in das Büro zurückkehrte, bemerkte er einige hastig hingeworfene Zeilen auf einem Blatt Papier, das auf dem Tisch lag. »Jeder lässt hier seine Sachen stehen und liegen wie es ihm beliebt«, schimpfte der Mönch und las:

    ... Im Kloster Himmelskrone lebte für ein Jahr und drei Monate ein Mädchen versteckt. Sie war des schlimmsten Verbrechens angeklagt, ihre Nachbarn und Freunde mit unerlaubten Mitteln und Methoden zu tyrannisieren, wie es nur Hexen können. Schon als Kind soll sie mit unbekannten Salben und Kräutern nässende Wunden, Hautjucken, Gliederschmerzen, Schmerzen aller Art geheilt haben. Frauen suchten sie auch auf, wenn ihr Kinderwunsch kein Gehör vor Gott fand. Alle suchten sie auf, meistens heimlich … Bis eines Nachts ein junger Mann verschwand.

    Die junge Hexe stand vor allem in dem Ruf, eine besondere Beziehung zu Fröschen zu haben. Die Leute gingen davon aus, dass sie in ihren Salben besonders die Heilkraft von Fröschen benutzte. Wessen beschuldigte man sie nicht alles im Ort:

    »Die Frösche tanzen in ihrer Gegenwart.«

    »Wenn sie eine Feuerkugel ins Zimmer wirft, brennt das Haus nicht.«

    »Sie verhext unsere Männer. Seit mein Mann bei ihr war, meidet er mein Bett.«

    »Sie ist nicht schön und trotzdem ist mein Mann von ihr verhext, kommt nachts nicht mehr heim.«

    »Wenn sie an unserem Haus vorbeigeht, gibt meine Kuh an diesem Tag keine Milch.«

    »Sie schminkt sich wie eine Hure. Sie trägt das Teufelsmal zwischen ihren Schulterblättern.«

    Das Froschmädchen, wie die junge Hexe spöttisch beschimpft wurde, soll im Kloster Unterschlupf gefunden haben. Angeblich hätte sie dort ein Onkel unter Gefährdung des eigenen Lebens und des Lebens der anderen Mönche versteckt. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Aber die Legende sagt, sie sei schwanger geworden von einem Mönch oder gar vom Abt des Klosters. Sie habe das Kind nicht ausgetragen, habe eine Weile im Kloster gelebt, sei aber keines natürlichen Todes gestorben. »Verlorene Seelen«, so der Volksmund, »finden keine Ruhe und geistern so lange umher, bis die Schuld abgetragen ist ...«

    Frater Cyrillus lächelte. Der Mitbruder und seine Leidenschaft für alte Klostergeschichten waren bekannt oder besser gesagt berüchtigt. Trotzdem war es schön, dass es im Kloster jemand gab, der sich nicht von den Alltagssorgen auffressen ließ, wie er selbst es tat. Frater Cyrillus dachte sich auch nichts weiter dabei, als er ein paar Tage später ein Plakat auf dem Bürotisch liegen sah. Ein Frosch war darauf abgebildet. In schwarzen fetten Buchstaben stand geschrieben:

    Froschmädchentour

    Machen Sie mit uns eine Zeitreise zu Froschmädchen und alten Klostergängen ... Lassen Sie sich verzaubern! ...

    Er wollte Frater Drickes, der gerade an ihm vorbeieilte, fragen, was das bedeute, aber dieser antwortete ausweichend: »Eine Werbekampagne vom Fremdenverkehrsamt oder so ähnlich.« Er wunderte sich ein wenig, als er am nächsten Tag einer Führung begegnete. »Abt Adelgot will dich dringend sprechen«, versuchte der Pförtner ihn aufzuhalten. »Morgen, Pater Hieronymus«, rief er und drehte den Kopf für einen Augenblick zu ihm hin, »morgen.« Um was es denn gehe, fragte er ihn schon wieder im Laufschritt ... diese mysteriösen Führungen? … Die seien wohl eine Schnapsidee von Frater Drickes … Ja, ja, er werde sich darum kümmern. Dann eilte er weiter und landete direkt in den Armen der Hexe Elsa. »Warum denn so stürmisch, junger Mann?«, lachte sie.

    1.

    »Kloster Himmelskrone scheint plötzlich Tummelplatz geheimnisvoller Hexen zu werden«, brummte Frater Cyrillus und wollte sich an Elsa Wittner vorbeidrücken. Diese sagte schnell: »Ich habe Ihre Karten ausgewertet.« Sie hielt ihm einen Computerausdruck hin. Cyrillus griff nach dem Stück Papier und wollte es gerade in der Tasche seines Habits verschwinden lassen, da packte Elsa ihn energisch am Ärmel und zischte:

    »Glauben Sie wirklich, ich setze mich die halbe Nacht hin, mache mir diese ganze Arbeit und sie verschwindet dann bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in irgendeiner Klosterkutte, Sie Undankbarer ...« Die Hexe riss Cyrillus das Papier aus der Hand, strich es liebevoll glatt und begann, stichpunktartig vorzulesen. An die Ohren des Mönchs drangen nur Wortfetzen wie Unruhe ... Gefahr ... Unerklärliches kommt auf Sie zu ... Magie ... Sie fliehen ... eine schwere Krise ... Sie müssen sich stellen ... Erkenntnis tieferer Art ... Lösung ... Wohlbefinden ... »Schon gut«, murmelte er. »Ich werde es in meinem Zimmer durchlesen und nicht, wenn jeden Moment einer meiner Mitbrüder um die Ecke kommen kann. Was sollen die denken, wenn ...« Zu spät. Frater Drickes hatte sie entdeckt und baute sich vor ihnen auf. Die Brust nach vorne gedrückt und die geballten Fäuste in die Seiten seiner stämmigen Figur gerammt, wirkte er noch kugeliger und kleiner, trotz der Drohgebärde. Cyrillus musste wider Willen lächeln.

    »Na, da schau mal an. Unsere Elsa dringt schon bis an die Klausurtüre vor. Was habt ihr denn da?« Neugierig beugte sich Frater Drickes über das Blatt. Cyrillus nahm es jetzt endgültig an sich und steckte es in die Tasche des Habits. Frater Drickes grinste. »Verstehe, ist wohl geheim?« Er blickte hoch, aber Elsa hatte sich bereits unbemerkt entfernt. Spöttisch fügte er hinzu:

    »Seit wann lässt du dir denn von dieser Hexe wahrsagen?«

    »Ich lasse mir nicht wahrsagen«, fuhr Cyrillus erbost auf. »Du kennst sie doch. Sie lässt dir keine Ruhe. Weiß Gott, welche Geheimnisse sie aus meinen Karten herausgelesen hat. Übrigens«, lenkte er ab, »was hat denn dieses mysteriöse Plakat zu bedeuten, das du anscheinend im Büro vergessen hast? Eine Froschmädchentour? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«

    »Selbst eine Hexe in Anspruch nehmen und mir vielleicht noch Vorwürfe machen, nein, so geht es nicht, mein Lieber«, ereiferte sich Frater Drickes, warf den massigen, roten Kopf nach hinten und rauschte davon. Cyrillus zuckte mit den schmächtigen Schultern und eilte in die andere Richtung davon. Im Vergleich zu dem Mitbruder kam er sich wie ein Fliegengewicht vor.

    Elsa spähte vorsichtig um die Ecke und vergewisserte sich, dass die beiden Mönche gegangen waren. Sie wusste, wo das Büro des Klosters lag. Von welchem Plakat hatte Frater Cyrillus wohl gesprochen? Neugierig streckte sie den dunklen Kopf durch die Bürotüre, lugte nach links und rechts. Das Zimmer schien leer zu sein. Auf Zehenspitzen trippelte die Hexe zum Tisch und sah es liegen: Froschmädchentour ... Elsa lächelte und las einige Zeilen. Dann drehte sie sich um und huschte lautlos den langen Flur zurück, die Steintreppen hinab, öffnete die schwere Eisentür und trat auf die Straße. Sie schüttelte den Kopf, zuerst ungläubig, ärgerlich, dann zornig:

    »Dieses Kloster Himmelskrone und seine extravaganten Bewohner!«, schimpfte sie leise beim Gehen. »Immer müssen sie auffallen. Sollen sie auffallen!« Elsa hielt den Atem an. Ein boshaftes Lächeln machte ihr ältliches, geschminktes Gesicht für einen Augenblick fast schön. Dann rannte sie zu ihrem Auto, sprang hinein und schoss davon. »Eine Unverschämtheit, mich völlig umsonst hinfahren zu lassen. Als ob das Benzin nichts kosten würde.« Mit steigender Wut beschleunigte sie das Tempo ihres Wagens. Immerhin hatte sie angerufen und sich angemeldet und trotzdem hatte der alte Grantler Pater Hieronymus sie eiskalt abgewiesen. Die ganzen fünfzig Kilometer nach Hause brodelte es in ihr. Erinnerungen stiegen hoch.

    Elsa parkte den Wagen vor einer schmutzig gelben Villa mit schmiedeeisernen Gittern an den Fenstern und schmiedeeisernem Geländer an einem baufällig aussehenden Balkon, der nicht gerade zum Verweilen einlud. Es war das letzte Haus am Ortsrand, in einer Senke gelegen. In ein, zwei Monaten, wenn die Sträucher und Bäume in vollem Saft standen, würde die Villa wohl hinter der ungezügelten Natur verschwunden sein; die noch weitestgehend entlaubten Äste und Zweige schienen wie gierige Geisterhände nur darauf zu warten, von der Villa und ihren Bewohnern endgültig Besitz ergreifen zu können. Elsa stieß das nur angelehnte Gartentürchen auf und klapperte auf den bereits von Unkraut überwucherten Steinplatten Richtung Eingangstüre. Während des Laufens griff sie tief in die ausgebeulte Tasche ihres dunklen Mantels, zog zuerst ein Taschentuch, dann einen Beutel mit kleinen weißen Kügelchen hervor und fluchte, bis die knochigen Finger endlich einen langen, dünnen Metallschlüssel ertasteten. Sie balancierte die vorderste Rundung des Schlüsselbartes in dem ausgeleierten Schloss hin und her. Ein Klicken und die Tür sprang auf. Dann eilte sie ins Haus, vorbei an dem schwarzen Pudel, der kopfschüttelnd hinter ihr ins Zimmer sprang, auf eine Kommode in der Ecke zu. Ein Fach war herausgezogen.

    Elsa griff ganz nach hinten und holte ein Foto hervor: Eine Gruppe von Mönchen, alle mit todernsten Mienen bis auf einige wenige. Ihr Blick blieb an einem Gesicht hängen und ihre Stirn runzelte sich: Frater Cyrillus. Wie sehr er doch seiner Schwester oder - sie lächelte - seiner Halbschwester glich! Derselbe Unschuldsblick, derselbe Ausdruck in den Augen, wenn sie sich auch sonst nicht gerade ähnlich sahen. Erneut stieg Zorn in ihr hoch. Dann schnippte sie verächtlich mit den Fingern. Der Tod dieses Mädchens war fast dreißig Jahre her. Sie kniff die Augen zusammen. Ihre Aufmerksamkeit galt jetzt dem Mönch, der neben Frater Cyrillus stand. Elsas Hand fuhr durch die fettigen, dunklen Strähnen, die in ihr geschminktes Gesicht hingen. Typisch, wie der auf ihr Unschuldsgehabe hereingefallen war. Elsa spuckte auf das Bild und kratzte schließlich an dem verhassten Gesicht herum.

    »Eine kleine Heilige, dass ich nicht lache«, lästerte sie, »ein raffiniertes kleines Luderchen war sie.« Sie drehte das Foto um: ›Die Mönche des Klosters Himmelskrone‹, stand dort geschrieben. Ja, ja, ihr machten sie Vorwürfe, sie wäre aufs Geld aus wie der Teufel, und selbst? Alles schamlos vermarkten! Dafür waren Hexen immer gut. »Geldsorgen«, sagte sie laut, »dass ich nicht lache. Die stinken doch alle vor Geld.« Für eine Weile stand Elsa reglos da, Schultern und Kopf hingen herab. Plötzlich schnellten die fettigen Strähnen nach oben, zwei schwarze Augen flackerten übermütig. Ja, sie wollte sich einen Spaß erlauben. Heute war Freitag. Heute war Venustag!

    Die Hexe fühlte sich mit einem Schlag ganz ruhig. Sie zog die geblümten Vorhänge zu, legte ein indigoblaues Tuch auf den Altar, stellte links und rechts außen eine weiße Altarkerze auf, in die Mitte eine Kupferschale, links und rechts davon eine blaue Wunsch- und eine blaue Zielkerze. Dann ging sie erneut zur Kommode, holte getrocknete Rosenblätter und Gewürznelken aus einem Säckchen, überlegte einen Moment und drehte zwei Päckchen zwischen ihren Fingern. Mädesüß oder die Teufelskralle? Sie lächelte. Warum nicht ihre neu gemischte Liebesräucherung ausprobieren? Sie zündete die vier Kerzen an. Die Holzkohle in der Schale fing langsam an, durchzuglühen. Jetzt brauchte sie nur noch ... Elsa kaute auf ihren Lippen. Plötzlich lief sie auf den Gang hinaus, kramte in ihrem großen Wandschrank und fand, was sie suchte. Die Feier konnte beginnen.

    Sorgfältig schnitt die Hexe aus dem Foto die Gestalt von Frater Cyrillus heraus und legte den Stofffrosch eng daneben. Elsa machte einen Schritt zur Seite, heraus aus dem magischen Kreis, den sie mit einer Schnur zuvor gezogen hatte, zeichnete mit der linken Hand das Pentagramm in die mit Rauch geschwängerte Luft und murmelte:

    »Hiermit weihe ich diesen Raum für mein Venus-Ritual.«

    Sie breitete die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet, schloss die Augen und konzentrierte sich, die Kraft des Bodens in sich aufsaugend, spürte, wie die Kraft in ihrer Wirbelsäule hochstieg. Sofort trat sie in den Kreis zurück, kniete sich hin, streute die Liebesräucherung auf die Holzkohle, verbeugte sich und begrüßte Venus. Dann ging sie in den Schneidersitz, konzentrierte sich wieder, schaufelte den Rauch in Richtung ihres Nabels, ihres Herzens und ihrer Nase. Elsa legte den rechten Unterarm flach auf die Brust, darüber gekreuzt den linken, die Hände flach auf die gegenüberliegenden Oberarme, sog tief den schweren, süßlichen Duft der Kräuter ein und sagte beschwörend, das ausgeschnittene Foto von Frater Cyrillus fixierend:

    »Mögest du, Frater Cyrillus, eine enge Verbindung zu diesem Froschmädchen hier eingehen. Liebe es von ganzem Herzen.« Die Hexe griff nach dem Frosch und blickte ihm in die roten Glasaugen.

    »Mögest du, Froschmädchen, eine enge Verbindung zu diesem Mönch hier eingehen. Liebe ihn von ganzem Herzen.« Elsa murmelte noch eine Weile vor sich hin, beschwor Bilder von Liebe und Eintracht, eine Klosterzelle, einen Mönch, eine blühende Frau in seinen Armen ..., legte Foto und Frosch aufeinander, ein rot ausgemaltes Herz dazu, streute einige getrocknete Jasminblüten darüber und umwickelte das ganze Bündel fest mit einem Faden. Dann zögerte sie für einen Moment. Der schwarze Pudel hatte während des ganzen Rituals neben ihr gelegen und sie nicht aus den Augen gelassen. Hexe und Hund blickten sich an und sie besiegelte ihren boshaften Bund mit sieben festen Knoten.

    Elsa atmete tief aus, schloss für einen Moment die Augen und trat aus dem magischen Kreis heraus. Der Pudel sprang hinterher. Geschwind löschte sie die Kerzen, öffnete eine Schublade, legte das umwickelte Bündel hinein, ging langsam zum Fenster und zog die schweren Vorhänge zurück. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen. Eine Spur schlechten Gewissens meldete sich.

    »Das hättest du nicht tun dürfen«, sagte es. »Sie wollen es nicht anders«, antwortete Elsa und warf ihren Kopf zurück in die Stille des finsteren Raumes. Die fettigen Strähnen flogen aus dem Gesicht.

    2.

    Staatsanwältin Bitterlein hielt die Vermisstenanzeige, die gerade auf ihren Bürotisch geflattert kam, unschlüssig in der Hand. Sie erinnerte sich gut an das Treffen vor drei Wochen mit ihrer Freundin, ihrer einzigen Freundin. Wie begeistert diese ihr ihre Liebe zu einem Mönch, Frater Martin, gebeichtet hatte. Ihre verbotenen, heimlichen Treffen seit einem Jahr und ihre Träumen. »Träume«, hatte sie der Freundin nur geantwortet, »alles nur Träume … Aber du doch nicht!« Diese Geschichten gingen nie gut aus, hatte sie die Freundin eindringlich gemahnt. Diese hatte sie nur ausgelacht. Sie würde immer alles schwarz sehen, wäre ein Eiszapfen, der endlich einmal auftauen müsse.

    Frau Bitterlein legte die Vermisstenanzeige zur Seite. Sie würde die Freundin anrufen und ihr sagen, dass Frater Martin ganz sicher strafversetzt worden sei, wie es in allen diesen Fällen eben passierte. Der Stapel auf ihrem Schreibtisch wuchs. Sie nahm das oberste Blatt zur Hand: Angebliche sexuelle Belästigung ... Die Staatsbeamtin lehnte sich mit einem Seufzer auf dem Holzstuhl zurück und verkrampfte sich. Es wurde höchste Zeit, dass der bequeme Bürostuhl, den sie sich erkämpft hatte, endlich eintraf. Sparmaßnahmen auf Kosten ihrer Gesundheit? Energisch schüttelte sie den Kopf. Das durch das Fenster hereinfallende Sonnenlicht hinterließ tanzende Lichtreflexe und ließ die schulterlangen blonden Haare aufleuchten. Die hohe Stirn in dem ebenmäßigen blassen Gesicht legte sich für einen Moment in leichte Falten. Dafür hatte sie nicht geschuftet. Sie war stolz darauf, die jüngste Staatsanwältin in ganz Bayern zu sein. Ihre Gedanken schweiften ab ...

    Ihr Leben lief in geordneten Bahnen. Sie war glücklich verheiratet. »Bei den Alten bist du gut gehalten«, dachte sie und die fein geschwungenen Lippen pressten sich zusammen. Bloß keine Bitterkeit aufkommen lassen. Ihre Mutter hatte damals nur unverständig den Kopf geschüttelt, als sie ihr den um dreißig Jahre älteren, vorzeitig pensionierten Bezirksheimatpfleger Dr. Hans Bitterlein vorstellte - wie immer, wenn ihrer Tochter etwas am Herzen lag. »Dein Schwiegersohn«, hatte diese leise gesagt. »Du musst wissen, was du tust, Mädchen«, hatte die Mutter geistesabwesend geantwortet. Ihre Gedanken waren wie immer woanders. Abwehr. Unverständnis. Damit war die Angelegenheit für sie erledigt gewesen. »Warum nur erinnerte alles immer an die Vergangenheit?«, überlegte die Staatsanwältin. Warum konnte man sie nicht einfach mit einem Kopfschütteln abtun?«

    »Es reicht!«, entschied sie leise und stand auf. Ihre Gesichtszüge entspannten sich wieder. Sie lächelte, blickte auf die Uhr, griff entschlossen nach ihrer Tasche und eilte zur Sitzung.

    Ein Jahr später:

    Die Reifen quietschten, als der kobaltblaue Porsche gerade noch die Haarnadelkurve meisterte. Am Sonntagmorgen gab es normalerweise keinen Gegenverkehr. Auch kein Strafzettel für zu schnelles Fahren war zu befürchten. Trotzdem, der Mann hinter dem schwarzen ledernen Steuerrad zwang sich zur Ruhe. Er blickte hastig nach rechts und links. Bäume, nichts als Bäume. Im nebeligen Dunst, der sich um diese frühe Morgenstunde erst hie und da zu lichten begann, wirkten sie wie Himmelsboten einer noch fernen Zeit. Er zwickte die Augen zusammen. Die Linien und Konturen verschwammen zu einem Aquarell in Blaugraugrün; helle Flächen schwammen dazwischen wie wässerige Inseln, formierten sich zu sagenhaften Gestalten, zu Feen mit ihren Gefolgstieren, zu Moosweiblein, Zauberern .... Der Archäologe lächelte. Wie aus dem Werbeprospekt: Besuchen Sie das Land der Wichtel und Zauberer. Begeben Sie sich auf einen mitternächtlichen Tanz mit Hexen und Teufelsaustreibern. Reiten Sie mit wilden Jägern oder gehen Sie auf Goldsuche mit den Venedigern!

    Zufrieden sog Dr. Wolfgang Lamprecht die frische Morgenluft ein, sein Brustkorb hob sich, die Nasenflügel blähten sich genüsslich auseinander. Genau das würde er tun. Das heißt, noch viel revolutionärer: Er und sein Team waren dabei, den historischen Blick auf das Fichtelgebirge, auf das ganze waldreiche Gebiet bis nach Böhmen hinein, neu zu definieren, »vorausgesetzt, die Ausgrabung stellt sich als Erfolg heraus«, fügte er vorsichtshalber in Gedanken hinzu. Er und sein Team? Genau genommen war es das Team von Prof. Sommer, Leiter der Forschungsgruppe früher slawischer Spuren. Um vier Wochen hatte sich der Beginn der Ausgrabung verzögert, und ausgerechnet gestern musste sich der Arme einen komplizierten Knöchelbruch zuziehen. »Sie bleiben im Bett oder ich binde Sie eigenhändig fest«, hatte der Arzt augenzwinkernd angeordnet. »Er hat mich verhext«, war der trockene Kommentar seines Chefs gewesen. Er, damit war der wohlmeinende Kollege Dr. Wintrich gemeint, der sie alle als Spinner bezeichnete. Neid, Intrigen ... auch oder gerade in der Wissenschaft ihr tägliches Brot. Das auf dem Armaturenbrett liegende Handy summte, Dr. Lamprecht meldete sich.

    »Ich grüße Sie, Prof. Sommer ... bin unterwegs ... der Wagen läuft bestens ... ich halte Sie auf dem Laufenden ... Glück können wir brauchen.« Abrupt trat er auf die Bremse. Die Straße endete an einer Waldlichtung. Den Rest des Weges würde er wohl oder übel zu Fuß zurücklegen müssen. »Ich bin da«, sagte er feierlich. »Ich werde für kurze Zeit ausschalten.« Gut gelaunt wünschte Prof. Sommer ihnen allen viel Glück. Der Wissenschaftler drückte auf den Aus-Knopf und steckte das Handy in seine Jackentasche. In nur wenigen Minuten würde er die ersten Spatenstiche setzen, um eine slawische Opferstätte nach über tausend Jahren ans Tageslicht zu heben. Seine Finger zitterten, als er den Wagen mit der Fernbedienung verriegelte. Dann eilte er den Waldweg entlang. Schon von weitem wunderte er sich. Seine Studenten und das ganze Grabungsteam standen unschlüssig herum und begrüßten ihn mit einem gedämpften »Hallo«. Etwas sei nicht so wie erwartet. Die Erde sei erst vor kurzem frisch aufgeschüttet worden, berichteten sie.

    »Jemand muss vor uns da gewesen sein«, meinte jemand. Dr. Lamprecht starrte den Boden an, als ob er ihm ein düsteres Geheimnis abringen könnte, griff langsam in die Jackentasche und wählte die Nummer seines Chefs. Ein Zugang zu dem unterirdischen Höhlenlabyrinth war schnell freigelegt, zu leicht und zu schnell ... Gebückt trat er einen Schritt nach vorn. Es dauerte nicht lange, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, als plötzlich sein Blut stockte, er sich blitzartig umdrehte und übergab. Es war nicht nur der nackte Körper, der ihn so aus der Fassung brachte. »Sagen Sie doch schon, jetzt sagen Sie, was Sie gefunden haben«, hörte er die heisere Stimme von Prof. Sommer durch das Rauschen des Handys. Eine Weile war es mäuschenstill.

    »Eine Leiche, statt Spuren. Entschuldigung, mein Frühstück ...« »Was sagen Sie da, Leichenfrühstück«, schrie die Stimme aus dem Hörer. »Mein Gott, da ist ja noch eine«, hörte Dr. Lamprecht neben sich einen Kollegen aufgeregt rufen, »oder das, was von ihr übrig geblieben ist.«

    Hauptkommissar Ulrich Friedel stand vor dem Spiegel, massierte seine Wangen, zog einen akkuraten Scheitel und kämmte die dunklen, kurz geschnittenen Haare, sodass sie streng am Kopf anlagen, spülte den Mund mit lautem Gurgeln durch, spuckte grünliches Wasser aus und horchte nach draußen. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit. Ein Lächeln huschte über sein müde wirkendes Gesicht, als er Lena an der geöffneten Kühlschranktür stehen sah. Bewundernd stieß er die angehaltene Luft aus. Jedes Mal wieder wurden ihm die Knie weich, war er wie vor den Kopf geschlagen. Wie schaffte die Frau es nur, schon frühmorgens so gut auszusehen, ganz besonders in diesem dunklen Spitzenhöschen ... ! »Alles in Ordnung, Liebes?«, brummte er und trat ins Zimmer.

    »Schafskäse, griechischer Joghurt, Spinat, Wasserkefir ...« Lena schüttelte sich und drehte sich zu ihm um. »Hast du auch etwas Essbares?« Die feine Braue über dem linken Auge zog sich ironisch nach oben. Ihre hellwachen Augen streiften ihn mit einem raschen Blick. »Deine langen Angoraunterhosen kannst du auch bald im Schrank lassen.« Dann verschwand sie im Zimmer nebenan. »Kaffee«, hörte er sie nachrufen, »heute gibts Kaffee, Rührei, Schinken ...« Er betrachtete sich in dem bis zum Boden reichenden Wandspiegel und lächelte. Fältchen umspielten zwei lustige, graue Augen. Für seine vierzig Jahre hatte er sich eine drahtige Figur erhalten, muskulös und knochig. Trotz des zurückliegenden Winters war sein Körper noch gut gebräunt, das schwarze Haar an den Schläfen grau meliert, leichte Geheimratsecken; man musste schon genau hinschauen, tröstete er sich. Mit flinken Bewegungen streifte er sich Hose und Pullover vom Vortag über, sowie die ausgetretenen Schuhe. Seine Eine-Welt-Klamotten, wie Lena sagte. Lena stand fertig angezogen in der Tür. Sexy sah sie heute wieder aus. Er eilte auf sie zu und wollte sie in die Arme nehmen, aber sie stieß ihn mit beiden Händen von sich weg, hielt ihn auf Abstand und musterte ihn spöttisch von oben bis unten.

    »Zu viel Grün kann auch langweilig werden«, meinte sie und fügte mit einem Seufzer hinzu: »Wenn ich daran denke, wie elegant du ausgesehen hast.«

    »Ich gehe nicht ins Theater, sondern zur Arbeit«, stellte er klar und machte sich an seinen Schuhen zu schaffen.

    »Trotzdem«, beharrte sie, »man verliebt sich in eine elegante Erscheinung, dann stellt sich heraus ...«

    »... dass man es mit so einem Langweiler zu tun hat, wie ich es bin, sag es gleich.« Friedel lief zum Fenster und riss es weit auf. Er hörte die Eier in der Pfanne brutzeln und sah ihr zu, wie sie den Schinken auspackte. Frischer Kaffeeduft drang in seine Nase. »Ich bin da auf alte Klosterrezepte gestoßen«, sagte er und warf sich auf einen Stuhl, »eine Erbsensuppe aus der Rezeptsammlung des Klosterkochs von Frauenkirchen im Burgenland. Man braucht dazu Erbsen, eine Speckschwarte, Mehl, die ganz kleinen Zwiebeln, Öl und ein Lorbeerblatt. Das ist alles. Die Erbsen müssen über Nacht eingeweicht und mit etwas Salz, Zucker und den anderen Gewürzen in einem Liter Wasser weich gekocht werden. Während des Kochens wird die Speckschwarte zugegeben ...« »Das ist ja hier wie im Eisschrank«, unterbrach Lena seine Begeisterung und schloss energisch das Fenster. Friedel griff nach der bereitliegenden Zeitung und las die Überschriften: Neuer Fall von Pädophilie, von der Kirche vertuscht ...

    »Schon wieder. Typisch Kirche«, murmelte er. Er blätterte weiter: Jede dritte Ehe geschieden ... »Ich muss noch mit dir reden«, unterbrach ihn Lena. Das Telefon klingelte. Friedel streckte den Arm aus und nahm den Hörer ab. Für eine Weile hörte man nichts außer einigen »Mmm … Mmm …«, dazwischen das Klappern der Gabeln auf den Tellern. Plötzlich sprang er auf, rief »Scheiße« und blickte hektisch auf seine Armbanduhr. »Ich nehme Oberkommissar Huber mit.« Friedel warf den Hörer auf die Gabel. »Ich wollte ...«, Lena probierte es ein zweites Mal. »Heute Abend. Eine Leiche, nein, zwei ...«

    »Zum Teufel mit deinen ewigen Leichen«, schimpfte die Freundin jetzt los, stand entschlossen auf und griff nach ihrem Mantel. »Heute Abend bin ich im Theater.« »Davon weiß ich gar nichts.« »Wenn du zuhören würdest, wüsstest du es.« Die Türe schlug hinter Lena ins Schloss.

    Oberkommissar Wolfram Huber wartete schon am Straßenrand. Friedel trat auf die Bremse und öffnete ihm die Tür von innen. Kaum war der Kollege auf den Sitz gerutscht, brauste er davon. »Wir haben es aber heute wieder eilig«, brummte Huber und mühte sich mit dem Gurt ab, der nicht einschnappen wollte.

    »Leichenfund im Fichtelgebirge, nahe Waldstein«, sagte Friedel kurz angebunden. »Ob das die richtigen Schuhe für so einen Ort sind?«, fragte Huber vorsichtig und warf einen skeptischen Blick auf Friedels Gesundheitssandalen. »Wenn die Füße einmal ruiniert sind, Huber, ist es zu spät.« Dieser grinste nur. »Was macht die neue Freundin?« »Sie geht heute Abend ins Theater.« »Achso«, sagte Huber.

    »Ich glaube, dieses Mal ist es die Richtige«, sinnierte Friedel vor sich hin. Huber blickte ihn nur von der Seite an.

    3.

    Die Beamten der Kriminalpolizei schnauften schwer, bis sie am Fundort angekommen waren. »Leichenfrühstück«, kommentierte Hauptkommissar Friedel trocken und versuchte, seinen linken Fuß aus dem Matsch zu befreien. »Hätte ich gar nicht gedacht, dass man hier so tief einsinken kann.« Er ging in die Hocke und putzte an seinen hellen Baumwollsocken herum. »Unverschämt kühl heute Morgen«, sagte ein junger Beamter neben ihm. Er nickte. »Und später wird es wieder so heiß, dass man meinen könnte, man sei in den Tropen. Total verrücktes Wetter.« »Die Welt ist schlecht.« Der junge Polizeibeamte blickte angewidert zur Seite und stammelte etwas wie »unglaublich«. Friedel stutzte. Er solle nur hinschauen oder gleich zu den Wirtschaftskriminalern gehen. Dann fügte er mit einem Achselzucken hinzu: »Er muss es lernen, oder er ist hier fehl am Platz.«

    »Es ist nicht jeder so abgebrüht wie Sie«, hielt Huber ihm entgegen und schimpfte: »Ausgerechnet jetzt, wo zum Personalabbau auch noch zwei in Urlaub sind.« Friedel überhörte das Geplänkel seines Kollegen und wies über Funk an:

    »Wir brauchen Feuerwehr und Leitern. Verständigen Sie die Frau Staatsanwältin und tragen Sie um Himmels willen Gummistiefel. Ziehen Sie unbedingt Gummistiefel an, sonst versinken Sie in diesem Gelände, bevor Sie überhaupt ankommen. Verständigen Sie den Fotografen und unseren Doktor. Der wird seine Freude haben.« Er wandte sich Huber zu und ordnete an: »Nehmen Sie das Protokoll auf.« »Immer ich«, murrte dieser. Friedel grinste: »Wer denn sonst?« Er machte eine Pause. »Bin ich wirklich abgebrüht?«

    »Kalt wie ein Fisch«, präzisierte Huber, dann diktierte er in seine Stenorette: »Fundort Waldsteingebirge, in unmittelbarer Nähe des Teufelstisches; gefunden wurden in einem freigelegten unterirdischen Höhlengelände voraussichtlich zwei männliche Leichen, auf dem Rücken liegend.« Er ergänzte: »von einem Archäologenteam freigelegt ...«

    Der Fundort war mittlerweile fachkundig abgesperrt worden. Die Wissenschaftler standen unschlüssig herum. Hauptkommissar Friedel gab ihnen mit bestimmtem Tonfall zu verstehen, ja nichts anzurühren .»Aufräumen tun wir selbst«, sagte er, »wir haben

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