Unterirdisches Österreich: Vergessene Stollen - Geheime Projekte
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Book preview
Unterirdisches Österreich - Johannes Sachslehner
Robert Bouchal
Johannes Sachslehner
Unterirdisches
Österreich
Vergessene Stollen · Geheime Projekte
Die „Lehnersche Röhre im Zugangsbereich von „Bergkristall
.
Inhalt
Cover
Titel
Titelbild
Bilder zum Buch
VORWORT
I. KAPITEL:
DAS UNTERIRDISCHE ERBE
Ein kriminalistisches Lehrstück
Wir haben etwas, was wir nicht wollen
Die BIG, ein Mann und 290 Stollen
Kein Spielraum für Interpretationen
Das Millionengrab
Karl Lehner erhält Verstärkung
Explosive Entdeckungen am Petersberg
Ein „Pingenfall" in Villach
Die aktuelle Aufgabe heißt befunden und betreuen
II. KAPITEL:
DIE GROSSE FLUCHT VOR DEN BOMBERN
Der SS-Rüstungsmanager: Hans Kammler
DAS UNTERIRDISCHE AMPHITHEATER
Geheimprojekt „Zement" in Ebensee
Eine Rakete für das Reich
Die Teufelsfabrik: das Geheimobjekt „Schlier" in Redl-Zipf
Aus „Kalk wird „Zement
Bohren, Sprengen, Bohren, Sprengen
Schnecken statt Muscheln
Neue Pläne für „Zement"
Sterben wie die Ratten
Es gab weder Gnade noch Rettung
Ein Erinnerungsort: die Stollenlandschaft Ebensee heute
CODENAME „B8 BERGKRISTALL"
Das Stollenlabyrinth in St. Georgen an der Gusen
Es ist, als wenn ein Engel schiebt
Die Geschäfte der DEST und der Beginn von „Bergkristall"
Gusen II: The killing went on constantly
Karl Fiebinger, der Stollenbauer
Moder, Schweiß und Tod – der Alltag in den Stollen
In der Haft der SS: die Fiebinger-Baracke
Die ME 262 im Einsatz
Die Befreiung
Nutzen, Bewahren und Erinnern: „Bergkristall" von 1945 bis heute
Die Sicherungsmaßnahmen
Souverän gelöst
Viel Lärm um letzte Sicherungsmaßnahmen
Atom-Gerücht und „Schatten-Gusen"
Das „Kunst- und Nutzungsprojekt"
Begegnung mit „Bergkristall"
UNTER WASSER
Das Stollensystem Langenstein
Eine „Wasserbefahrung"
DECKNAME „KIESEL"
Der Grillstollen in Hallein
ÖSTERREICHISCHE STÄDTE IM LUFTKRIEG
„Luftnot" in Linz
Von einem Pferd , das fast versunken wäre
Beten in Bunker
III. KAPITEL:
HOTSPOTS VERSUS LOST PLACES: DIE STOLLEN HEUTE
IM STEIRISCHEN BERG DER DATEN
Vom Rüstungsprojekt „Syenit zu „ earthDATAsafe
WELCOME TO HELL
In der Klagenfurter Stollenwelt
DAS FLEDERMAUSKABARETT
Ein Lokalaugenschein in Wimpassing
Die Fledermäuse sind noch nicht ausgestorben
ENDZEITSTIMMUNG IN DER KREMSER UNTERWELT
ALS WÄRE DER KRIEG HIER GERADE ERST ZU ENDE GEGANGEN
EPILOG
QUELLEN UND LITERATUR
BILDNACHWEIS
NACHWORT DER AUTOREN
DANKSAGUNG
Weitere Bücher
Impressum
Durch Sprengung zerstörter Stollenabschnitt in St. Georgen an der Gusen.
Stollenanlage A in Ebensee: faszinierende Sinterröhrchen.
Im Grillstollen in Hallein.
Im Sommerauerstollen, Hallein.
VORWORT
Dieses Buch lädt ein zu Entdeckungen in einer anderen Welt. Österreichs idyllische Landschaft, so seine Botschaft, zeigt sich verblüffend doppelbödig, ist nicht immer nur das, was sie zu sein vorgibt. Unter pittoresken Wohnsiedlungen, Äckern, Wäldern und Wiesen existieren verborgene, unterirdische Orte, die einst im Mittelpunkt des Kriegsalltags standen. Im Grauen des Bombenkrieges wurden sie zur letzten Zuflucht für viele; andere mussten miterleben und miterleiden, wie hier der Terror des
NS-Regimes
knapp vor Kriegsende einen letzten wahnwitzigen Höhepunkt erreichte. Im Schutze riesiger Gangsysteme konzentrierten sich verzweifelte Bemühungen zum Bau der vielfach beschworenen „Wunderwaffen, mit deren Hilfe Adolf Hitler einen längst verlorenen Krieg doch noch gewinnen zu können glaubte. In taghell erleuchteten unterirdischen Hallen schufteten die „Sklaven
des Dritten Reiches:
KZ-Häftlinge
und Zwangsarbeiter aus ganz Europa bauten Motoren, Gewehre und montierten Hightech-Waffen wie den ersten Düsenjäger der Luftfahrtgeschichte, den legendären „Strahljäger" Me 262.
Lange Zeit blieb die Existenz dieser Stollenanlagen nahezu unbemerkt. Die Republik Österreich fühlte sich nicht zuständig. Erst ein Gerichtsurteil stellte das Eigentum der öffentlichen Hand an diesen unterirdischen Bauwerken fest. Nach Gründung der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) in ihrer heutigen Form zur Jahrtausendwende wurden sie dem noch jungen Unternehmen übereignet, das mit diesem Erbe eine große Herausforderung übernahm. Alleine die Sicherung der teilweise gesprengten und verfallenen Stollen hat bis heute mehr als 35 Millionen Euro verschlungen. Es wurden keine Mühen gescheut, um dieses Vermächtnis einer dunklen Zeit aufzuarbeiten. Nach über zehn Jahren sind nunmehr alle akut drohenden Gefahren für Menschen beseitigt. Sich auf den Erfolgen der vergangenen Jahre auszuruhen wäre aber trügerisch, denn absolute Sicherheit kann es aufgrund der Bewegungen im Gebirge niemals geben. Nach wie vor befinden sich mehr als 150 Stollen im Eigentum der BIG; alleine die laufende Instandhaltung dieser Bauwerke ist sehr aufwendig. Jährliche „Befahrungen" geben Aufschluss über ihren Zustand, den Befunden entsprechend werden weitere Arbeiten durchgeführt. Letztendlich ist die kontinuierliche Sicherung der Stollen eine Aufgabe im Dienste aller.
Exklusiv für dieses Buch, vor allem um diese unterirdische Welt auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat uns die BIG dankenswerterweise die Tore zu diesen Stollenanlagen geöffnet; es wurde uns so möglich, an Hand exemplarischer Beispiele in Wort und Bild dieses bewegende Kapitel Zeitgeschichte, das lange Zeit verdrängt und totgeschwiegen wurde, zu dokumentieren. Wir besuchen die Schauplätze und schildern dunkle Anderswelten, in denen einst Angst und Verzweiflung regierten, aber auch die Hoffnung auf ein Überleben. Wir sprechen mit Zeitzeugen und präsentieren überraschende Funde aus den Stollen, die in ihrer Unmittelbarkeit das dramatische Geschehen von einst eindringlich vor Augen führen. Und wir stellen uns schließlich auch der Frage der Nachnutzung der Stollen und ihrer Bedeutung heute: von neu geschaffenen Lebensräumen für Fledermäuse bis zur Gestaltung als Museums-, Gedächtnis- und Erinnerungsort.
Robert Bouchal · Johannes Sachslehner
Herbst 2013
Chaos im unterirdischen Labyrinth von St. Georgen an der Gusen.
I. Kapitel:
Das unterirdische Erbe
Die Stollenanlagen der
NS-Zeit
sind außergewöhnliche Objekte. „Nutzlose Immobilien, die keine Rendite bringen, ja, Geld verschlingen, „kostenintensive Löcher
. Unsichtbare Räume unter den Straßen der Städte, dunkle Röhren, einst kompromisslos vorgetrieben in den Fels der Berge und die Sande der Hügel. Nicht sichtbar, aber doch gegenwärtig, lost places der Nazi-Diktatur, eng verwoben mit der Landschaft, vielfach nur wenigen Eingeweihten bekannt. Architektur der Angst bar jeder Annehmlichkeit und des Gefühls von Geborgenheit, reduziert auf ihre Schutz- und Versteckfunktion, unterirdische Landschaften, die uns von der Zeit des „totalen Krieges" erzählen, von einer Welt, die kaum mehr bewohnbar war, in der es notwendig wurde, sich zu verkriechen, um zu leben, in der das Abnormale zur Normalität wurde.
Was der französische Philosoph Paul Virilio in seiner Bunkerarchäologie für die gigantischen Bunkerbauten des „Westwalls konstatierte, gilt auch für die Stollen: Sie künden von „der großen Verschmelzung des Militärischen und des Zivilen
, die für die Endphase des Zweiten Weltkrieges so typisch wurde; sie sind „Spiegelbild der Kriegsindustrie und unsrer eigenen „Todesmacht
und Destruktivität. Die „Kriegsmaschine, sagt Paul Virilio
mit Bezug auf die Bunkerbauten, ist der „Archetyp der industriellen Maschinen, nirgendwo sonst manifestiere sich der „prometheische Wille so machtvoll wie hier
– eine Feststellung, die auch für die
NS-Stollenanlagen
gilt: Sie sind geblieben als stumme Zeugnisse ungeheurer Versuche, unter den Bedingungen des Krieges Gegenwelten zu schaffen, in denen die natürlichen Bedingungen des Lebens in gewisser Weise überschritten werden: Hier gibt es weder Tag noch Nacht und hier hat das „unheilvolle Zauberspiel" der Bombardements seine Macht verloren. Neben der Hoffnung existieren hier aber auch nackte Brutalität, Terror und Tod. Die
SS-Leute
wissen es und nützen dies mit kaltem Zynismus: Allein das Wort „Stollen" löst bei vielen
KZ-Häftlingen
Angst und Schrecken aus; der Stollen wird zum Synonym für die Hölle schlechthin.
Ja, wer durch diese dunklen unterirdischen Gänge streift, gedacht einst als „Überlebensmaschinen (Paul Virilio) und letzte Rückzugsorte für wahnwitzige Rüstungsanstrengungen, wer innehält in der modrigfeuchten Stille, erhält tatsächlich so manche Antwort, mag etwas erspüren von der Verlorenheit und der Verzweiflung, die jene Menschen erfüllte, die hier Zuflucht vor den Bomben suchten, die hier unter den Peitschen und Tritten der Kapos für die „Wunderwaffen
der Nazis schufteten.
Es ist wohl kein Zufall, dass die österreichische Gesellschaft lange Zeit die Begegnung mit diesen Orten scheute und selbst die Republik absolut nichts mit ihnen zu tun haben wollte – man ging dem Blick in den Spiegel, von dem Paul Virilio spricht, aus dem Weg, weil er schmerzhaft gewesen wäre. Er hätte sich nicht vertragen mit der Lüge, auf der man den neuen Staat erbaute: Der Blick auf die Stollen erinnert daran, dass Österreich keinesfalls hilfloses „Opfer" des
NS-Regimes
war, sondern dessen Anhänger die Herrschaft des „Führers herbeisehnten und herbeibombten, die Aufnahme ins „Tausendjährige Reich
begeistert feierten und im Gefolge der neuen Herren zu skrupellosen Mördern und Henkern wurden. Die
NS-Stollenanlagen
sind zu Mahnmalen dieser unbequemen Wahrheit geworden. Als Relikte des Dritten Reiches zeugen sie in Stein und Beton vom tödlichen Zynismus, mit dem die
NS-Führung
ihre pervertierte Ideologie bis in den Untergang verfolgte. Es waren Schicksalsorte für Zehntausende von Menschen, getränkt von Schweiß, Blut und Tränen, und sind heute zweifellos Orte der Erinnerung geworden, Plätze, die dazu beitragen können, dass sich aus dem beinahe instinktiven Impuls vieler Österreicherinnen und Österreicher zum „Nicht-Wissen (Wolfgang Sofsky) über die Nazi-Vergangenheit doch die Bereitschaft zum „Wissen
herauskristallisiert. Denn das Wissen um jene ungeheuren Verbrechen ist eine Voraussetzung dafür, dass wir sie in Zukunft vermeiden können. So mag so manch Unsichtbares zu Sichtbarem werden, so manch Dunkles in das helle Licht des Nachforschens und Nacherzählens treten.
Stein und Beton zeugen vom tödlichen Zynismus des
NS-Regimes
: der Grillstollen in Hallein.
Ein kriminalistisches Lehrstück
Beginnen wir unsere Reise im Jahre 1945, der angeblichen „Stunde null": Mit der Befreiung des Landes durch alliierte Truppen endet die Arbeit an den Stollen, Zwangsarbeiter und
KZ-Häftlinge
ziehen ab, unterirdische Montagestrecken werden von Amerikanern und Russen demontiert, Luftschutzräume nicht mehr genutzt. Unmittelbar nach Kriegsende zeigt die wiedererstandene Republik noch ein gewisses Interesse an den zahlreichen
NS-Stollenanlagen
. Noch ist die Erinnerung an das Grauen der Bombennächte frisch und an den ungeheuren Einsatz, mit dem die Nazis bis zum Untergang an diesen Flucht- und Gegenwelten arbeiten ließen. Und es geht immerhin um „Vermögenssicherung und um die Frage des „Deutschen Eigentums
. So sieht sich der Bund als Verwalter der Stollen, der im Rahmen von Mietverträgen Rechtstitel für Nutzungen durch Private vergibt, etwa für die Lagerung bestimmter Güter oder das Züchten von Champignons. Dringend notwendige erste Sicherungsmaßnahmen werden daher aus Bundesmitteln finanziert; die Aufwendungen sind zum Teil beträchtlich, so dokumentiert ein Schreiben des Tiroler Landesbauamtes an die Bundesgebäudeverwaltung vom 7. Juli 1948, dass allein die Kosten für „Baumaßnahmen an Luftschutzstollen und Stolleneinbrüchen" im Raum Innsbruck für den Zeitraum Mai 1945 bis Ende Juni 1948 584.000 Schilling betragen haben.
Stand noch lange nach Kriegsende offen: der Bahnstolleneingang Nr. 5 zu „Bergkristall".
Aufnahme um 1970, Archiv Heimatverein St. Georgen an der Gusen.
Das ändert sich 1948 grundsätzlich, ja, es erfolgt geradezu ein Paradigmenwechsel in der Behandlung der Stollenfrage: Nun stellt sich die Bundesverwaltung auf den Standpunkt, dass sie für den Zustand der Stollen keinerlei Verantwortung trage, da auch keine Rechtsnachfolge vorliege. Die spitzfindige Begründung: Bei den Stollenbauten habe es sich um „hoheitliche Eingriffe" des Dritten Reiches gehandelt, mit dem Untergang dieses Staates seien auch die entsprechenden Rechtstitel erloschen. Und für jene Luftschutzbauten, die von Gemeinden oder Betrieben errichtet worden seien, käme eine Rechtsnachfolge sowieso nicht in Frage.
Die neue Formel lautet: Der Bund ist nicht Eigentümer der Stollen, er trägt daher keine Verantwortung für sie und kann daher auch keine Kosten für Sanierung und Sicherung übernehmen. Eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vom 5. Jänner 1949, erhalten im Tiroler Landesarchiv (ATLR IX d 3591 – 13), lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Kosten der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Stollen treffen den Eigentümer. Weder das ho. Bundesministerium noch irgendeine andere österreichische Stelle ist verpflichtet, für Luftschutzstollen Aufwendungen zu machen. Mittel sind nicht vorgesehen." Mit dieser Antwort wird die Bitte eines Oberliegers um Sicherung eines unter seinem Grund befindlichen Stollens einfach vom Tisch gefegt.
Bleibt die Frage: Wer ist tatsächlich Eigentümer und wer muss daher zahlen?
Die Gemeinden? Die Kommunen weisen die Argumentation des Bundes mit leichter Hand zurück: Sie hätten nur die Bauführung im Auftrag des Dritten Reiches geleitet, Bauherr sei daher der
NS-Staat
gewesen, von einer Rechtsnachfolge könne keine Rede sein. Private Liegenschaftseigentümer? Auch sie gehen meist davon aus, dass sie für den Zustand des Stollens auf ihrem Grundstück keine Verantwortung zu tragen hätten. Bei etwaigen Problemen, wie z. B. Stolleneinbrüchen, versuchen sie diese an den Bund oder die Gemeinde zu delegieren. Das Argument: Das Grundstück sei zwar ihr Eigentum, nicht aber der Stollen darunter.
Betrachten wir dazu den Punkt „Rechtsnachfolge genauer: Unumstritten ist, dass das Dritte Reich der Bauherr der öffentlichen Luftschutzanlagen, aber auch der für Rüstungsbetriebe vorgesehenen Stollenanlagen war. Die Entscheidung über den Bau eines Luftschutzstollens wurde vom jeweils zuständigen „Luftgaukommando
gefällt; das Dritte Reich finanzierte die Errichtung des Stollens und wurde zu seinem Eigentümer. Die Gemeinden sorgten vielfach für die Abwicklung: Das zuständige Bauamt projektierte die Anlage, schloss Verträge mit den Baufirmen ab und überwachte die Durchführung der Arbeiten – bezahlt wurden die Rechnungen der Firmen jedoch vom Reich, und zwar über die „Polizeikasse, das heißt, der zuständige Polizeipräsident – er war zugleich der „Luftschutzleiter
eines „Luftschutzortes – prüfte die eingehenden Forderungen und sorgte aus dem Etat der „Kriegsausgabemittel
für die Überweisungen. Kommunale Dienststellen waren tatsächlich nur ausführende Organe. Kurios ist ein Fall aus Innsbruck: Beim Bau des Stipplerstollens (Höttinger Au – Schererschlössl, T002), einer Anlage, die immerhin 1.250 Menschen Schutz bieten sollte, speiste man die ausführende Baufirma mit einem bloßen Versprechen ab: „Bezahlung erfolgt nach dem Endsieg!"
Eine wichtige gesetzliche Grundlage für die Errichtung von Luftschutzanlagen bildete das sogenannte „Reichsleistungsgesetz aus dem Jahre 1939, das es im § 10 erlaubte, dass „Grundstücke und Gebäude betreten oder sonst benutzt werden
, falls es die Bekämpfung eines „Notstandes verlangte. Der Grundeigentümer musste also dulden, dass auf seinem Grundstück gearbeitet wurde, dass Geräte, Vorrichtungen und Anlagen angebracht oder Aushub- und Baumaterial gelagert wurden. All dies bedeutete jedoch nicht Enteignung, die nach einer Sonderregelung des Luftschutzgesetzes nur in besonderen Fällen notwendig wurde. Leistungen dieser Art – die Inanspruchnahme eines oder mehrerer fremder Grundstücke – konnten von allen staatlichen Stellen, aber auch von der Wehrmacht und der SS verlangt werden. Das Reichsleistungsgesetz definierte also eine Art von staatlichem „Nutzungsrecht
für private Liegenschaften.
Stollen sind nun, wie jedoch erstmals der Oberste Gerichtshof in einer Erkenntnis vom 22. März 1993, der sogenannten „ersten Grillstollenentscheidung, ausspricht, zweifellos „Bauwerke
: Sie werden unter dem Einsatz von Arbeit und unter Verwendung von Materialien hergestellt. Das Gesetz, in diesem Fall das ABGB, § 435, definiert sie aber als ganz besondere Bauwerke: Es seien sogenannte „Superädifikate, also „Bauwerke, die auf fremdem Grund in der Absicht aufgeführt sind, dass sie nicht stets darauf bleiben sollen
, ob nun ober- oder unterirdisch, tut dabei nichts zur Sache. Die Beschränkung des Grundnutzungsrechtes, so die Meinung der Juristen, sei mit dem Ende der „Luftkriegsgefährdung gegeben, damit liege eindeutig der „mangelnde Belassungswille
vor. Das gelte sowohl für Stollenanlagen zum Schutz der Öffentlichkeit als auch für unterirdische Komplexe, die im Hinblick auf Rüstungsprojekte errichtet worden seien.
Mit 8. Mai 1945 traten nun gemäß Kundmachung der Provisorischen Staatsregierung (StGBl 1945/52) alle Gesetze und Verordnungen des Dritten Reiches zum Luftschutz außer Kraft. Für die Stollenanlagen bedeutete dies, dass sie nun ihrem Charakter nach nicht mehr Luftschutzstollen waren, sondern Bauwerke, die an diesem 8. Mai 1945 zum Finanzvermögen des Dritten Reiches zählten; die „Nutzungskategorie Luftschutz existierte ja nicht mehr. Noch aber war Österreich völkerrechtlich kein freies Land und besaß daher auch kein Eigentumsrecht an den Stollen: Für die alliierten Siegermächte waren die unterirdischen Anlagen Teil der „Deutschen Vermögenswerte
bzw. „Deutsches Eigentum, das grundsätzlich, wie im Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 festgelegt, von der jeweiligen Besatzungsmacht für sich beansprucht werden konnte. Erst der Österreichische Staatsvertrag, unterzeichnet am 15. Mai 1955, brachte dann die entscheidende Änderung: Im Artikel 22, Absatz 6 und Absatz 1, verzichteten die Alliierten auf das „Deutsche Eigentum
in Österreich und übertrugen die diesbezüglichen Vermögensrechte auf die Republik Österreich, präziser gesagt auf den Bund, da die Republik als völkerrechtliches Subjekt keine Privatrechtssubjektivität besitzt.
Folge dieses Übergangs war, dass nun die Sorgfaltspflicht beim Bund lag, er haftete gemäß § 1319 ABGB für etwaige Schäden, verursacht z. B. durch den Einsturz eines Stollens (die sogenannte Gebäudehalterhaftung). Der betreffende Passus des Schadenersatzrechtes: „Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatze verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe." Die Beweislast liegt also beim Besitzer – er muss beweisen, dass die gebotene Sorgfaltspflicht nicht verletzt worden ist. Im Falle der Stollenanlagen kann dieser Beweis nur in folgende zwei Richtungen gehen: Die Gefahr war nicht abzusehen oder sie wäre auch durch zumutbare Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht zu verhindern gewesen.
Tatsächlich war es so, dass sich der Bund auch nach 1955 über Jahrzehnte hinweg nicht um die Stollen kümmerte, konnte doch niemand ahnen, dass sie der Oberste Gerichtshof knapp vier Jahrzehnte später als ehemaliges „Deutsches Eigentum qualifizieren würde. Den ersten Anstoß für eine völlig neue Regelung des „Stollenproblems
gab eine für den Bund richtungweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. November 1997 zur Rechtslage beim sogenannten „Grill-Stollen" in Hallein, der 1944 im Auftrag und auf Rechnung der Organisation Todt von der Eugen Grill Werke GmbH errichtet worden war. Nach Kriegsende wurde das Stollensystem zunächst von den Alliierten genutzt und in weiterer Folge auf Grund sicherheitspolizeilicher Anordnung von der Gemeinde Hallein zugemauert. Ein privater Kläger, unter dessen Grundstück sich das Stollensystem befindet, hatte