Flüchtige Nähe: Die Geschichte einer Nacht und andere Erzählungen
Von Peter Kislig
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Buchvorschau
Flüchtige Nähe - Peter Kislig
Peter Kislig
Flüchtige Nähe
Die Geschichte einer Nacht und andere
Erzählungen
Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
Impressum:
© 2010 Verlag Kern
© Inhaltliche Rechte bei Peter Kislig (Autor)
2. Auflage Mai 2011
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
Verlag und Herstellung: Verlag Kern
www.Verlag-Kern.de, Bayreuth
Lektorat: Sabine Greiner
www.texte-und-co.de
Umschlaggestaltung und Satz: www.winkler-layout.de
ISBN 9783939478638
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Der Barpianist
Mir träumte, ich wär ein Baum
Flüchtige Nähe
Die Unscheinbare
Die Schlangenfrau
Das große Gesetz
Weitere Highlights
Der Barpianist
Ein verhangener Herbsttag lag über Salzburg, als der Zug langsam in den Bahnhof einfuhr. Auf der Taxifahrt ins Hotel zogen hinter den glänzenden Scheiben pastellfarbene Häuserreihen vorbei. Die zielstrebigen Leute, die ihrer Arbeit nachgingen oder mit Einkäufen beschäftigt waren, machten mir bewusst, dass ich für ein paar Tage von diesen Alltagsfesseln befreit sein würde.
Beim Gedanken, keinem Bekannten zu begegnen, von keinem störenden Handy erreicht zu werden, im Müßiggang zwischen unbekannten Menschen durch eine fremde Stadt zu streifen und einladende Kneipen und Restaurants ausfindig zu machen, durchströmte mich ein tiefes Wohlbehagen.
Am Abend besuchte ich ein Dinnerkonzert im Stiftskeller St. Peter. Zwischen den Gängen unterhielten historisch gekleidete Musiker und Sänger das wohlgelaunte Publikum mit Ausschnitten aus Mozartopern.
Zurück im Hotel legte mir mein Verstand nahe, nach Reise, Konzert und üppigem Mahl, schlafenzugehen. Als ich aber die Krawatte nur zögerlich auszog, wurde klar, dass die Vernunft verloren hatte und ich noch die Bar aufsuchen würde.
Gründe gab es genug. Wenn wir mehrere Tage im selben Hotel verbringen, fühlen wir uns ein wenig zu Hause. Der Portier beim Eingang, die Leute an der Réception grüßen uns Gäste nach kurzer Zeit mit einem vertrauten Lächeln wie alte Bekannte. Allein aus diesem Grunde ist es verständlich, dass wir nach und nach die öffentlichen Räume unserer Herberge erkunden wollen. In der Bar, der intimsten Lokalität des Hotels, entscheidet sich oft, ob wir uns wohlfühlen oder Fremde auf der Durchreise bleiben.
Sachte floss das Klavierspiel des Pianisten durch die breiten offenen Doppeltüren in die Empfangshalle. Beim Betreten der Bar blieb ich für einen Moment stehen. Auf der linken Seite stand die langgezogene Bar, davor drei kleine Tische mit behaglich wirkenden Ledersesseln. Rechts saß der Pianist hinter dem Klavier, umrahmt von großzügigen Sofas und Fauteuils.
Ich setzte mich an den ersten Tisch und hatte damit freie Sicht auf das Geschehen an der Bar und auf den Pianisten.
An der Theke saß eine attraktive, junge blonde Frau in einem smaragdgrünen, tief ausgeschnittenen Kleid und schäkerte mit dem südländisch aussehenden Barmann. Sie beugte sich vor, sodass sich ihre Köpfe beinahe berührten. Aus Wortfetzen konnte ich entnehmen, dass sie sich ärgerlich und abschätzig über eine Person äußerte. Als sie während des Gesprächs zuerst mit einer schnellen Kopfbewegung, dann mit der Hand fast verächtlich zur linken Seite wies, fiel mir erst auf, dass vor dem freien Stuhl neben ihr, ein volles Weinglas stand. Nun war ich neugierig, wer da kommen würde ...
An einem Tisch vergnügten sich drei Italiener, die laut parlierten und viel lachten. Links von mir, in der Ecke saß ein verliebtes junges Paar, das nur Augen für sich selbst hatte, Händchen hielt und in einen tiefen Dialog verstrickt war.
Der Barpianist, der sehr gut spielte und mich beim Eintreten routinemäßig mit einem auf das Nötigste beschränkten Nicken begrüßt hatte, legte eine Pause ein und holte sich an der Bar ein kleines Bier, ohne nach links oder rechts zu schauen. Seine Kleider waren etwas zu groß geschnitten für den hageren Körper. Er mochte um die Sechzig sein. Die wildwüchsigen dichten Haare und die buschigen Brauen hätten eigentlich auf einen aktiven, willensstarken Menschen schließen lassen, wäre da nicht dieser seltsam resignierte Blick gewesen, der gar nicht zu seinem Äusseren passen wollte. Aber auch der leicht gebeugte Körper und der schleppende Gang deuteten darauf hin, dass er vom Schicksal nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst worden war. Seine Erscheinung wirkte mit Ausnahme der schwarz glänzenden Schuhe fremd in dem spiegelbesetzten Raum.
Als er sich wieder ans Klavier setzte und abwesend zu spielen begann, wurde mir plötzlich klar, was der üblichen Barharmonie widersprach. Durch die Verschlossenheit des Pianisten fehlte das Lockere, die Zwanglosigkeit. Er spielte, als wäre er allein im Raum, als würde er nur für sich selbst spielen. Barpianisten aber brauchen den Blickkontakt mit den Gästen, wie Pflanzen das Wasser. Sein erloschener Blick schaute niemanden an. Die müden Augen schweiften ohne Pause vom Klavier über altrosafarbene Tapeten und Vorhänge hin und her, wie Zierfische, die im Aquarium auf engem Raum ruhig hin- und herschwimmen, ohne jemals den Eindruck zu erwecken, aus dieser kleinen Welt ausbrechen zu wollen.
Eine leise Wehmut überkam mich, als mir bewusst wurde, dass die Zeiten endgültig vorbei sind, als die Barpianisten jedem Eintretenden in die Augen schauten, als alle Stammgäste mit ihnen befreundet sein wollten und ihnen mehr offeriert wurde, als sie trinken konnten.
Ich erinnerte mich an ein dunkles Lokal in Bern. Der Pianist war der Mittelpunkt einer immer vollbesetzten Bar. Es gab noch keine Handys, durch die ihre Träger bis in die intimsten Winkel verfolgt und erreicht werden konnten. So verlief jeder Abend, ohne dass jemand von außen gestört wurde, wie ein kleines Fest, an dem man nur allzu gerne die Zeit vergaß. Der Pianist spielte die Lieblingslieder der Stammgäste, erfüllte die Wünsche der Zwischenrufer, erhöhte den Rhythmus bei Neueintretenden, nickte ihnen wohlwollend zu und machte seine Faxen, damit die Spender nicht sahen, wie die offerierten, aber nur halbleer getrunkenen Gläser vom Kellner diskret hinter das Buffet getragen wurden.
Ich glaube, dass damals ein Barpianist, der während des Spiels alles übersah, über das Privatleben und die Affären der Stammgäste bestens Bescheid wusste.
Ich winkte dem Barmann, als er sich von der Frau in Grün löste, um den Italienern eine neue Runde zu bringen.
«Ja, bitte?», fragte er.
«Noch ein Glas Wein und fragen Sie bitte den Pianisten, was er trinken möchte.»
«Er nimmt ein Bier», sagte er selbstsicher und überzeugend.
Als er ihm das Glas aufs Klavier stellte und mit einer leichten Kopfbewegung auf mich zeigte, schaute der Pianist überrascht auf; er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ihm einer der Gäste Beachtung schenken würde. Die Frau an der Bar interessierte sich nur für den Barmann. Die Italiener diskutierten laut lachend und das Liebespaar befand sich in einer anderen Welt.
Er hob das Glas, bedankte sich mit einem ernsthaften Nicken und nach einem tiefen Schluck flatterten die weiten Ärmel zu einer beschwingten Straussmelodie.
Der Barmann sagte leise etwas zu der Frau und lehnte sich zurück. Sie setzte sich jählings auf, ohne sich umzudrehen, warf den Kopf zurück und musterte interessiert die Decke.
Ein gut gekleideter Herr betrat sicheren Schrittes den Raum, schaute prüfend über die anwesenden Gäste und steuerte auf die Bar zu. Als er an meinem Tisch vorbeikam, grüßte er freundlich.
Die Brauen über den zurückliegenden Augen bildeten zwei wie von einem Zirkel gezogene Halbkreise, die, zusammen mit der zu lang geratenen Nase, seinem Gesichtsausdruck etwas Eulenartiges verliehen.
Als er auf die Frau zuging, kam ein Zögern in seinen sicheren Schritt. Die Hand, die er ihr auf die Schulter legen wollte, zuckte im letzten Moment zurück.
«Hallo, mein Liebes», sagte er und strich ihr unnatürlich steif und fast ängstlich mit der Hand über das blonde Haar. Sie war sichtlich nicht erfreut und drehte sich unwirsch zu ihm.
«Musst du mich so erschrecken, ich dachte, du schaust dir das Fussballspiel an», sagte sie und blickte auf die Uhr.
«Das Spiel ist praktisch entschieden, die Spanier führen 2: 0», sagte er und setzte sich umständlich vor das verwaiste Glas. Er trank den Wein in kleinen Schlucken und sprach mit dem Barmann über das Spiel. Nun schaute sich die Frau erstmals im Raume um.
Ihr Blick blieb nachdenklich auf dem Pianisten hängen, wahrscheinlich ohne ihn wirklich zu sehen, wandte sich für einen Augenblick den Italienern zu, um müde über mich hinweg noch kurz das Liebespaar zu streifen. Sie interessierte sich nicht für das Sportgespräch ihres Mannes und tat mit einem künstlichen Gähnen hinter vorgehaltener Hand kund, wie langweilig für sie hier an der