Ein Lied in meinem Hause: Eine Heinrich-Schütz-Erzählung
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About this ebook
Der sächsische Kurfürst Johann Georg I. erkannte, dass Schütz einer der bedeutendsten Musiker seiner Zeit war und rang darum, ihn als Hofkapellmeister am sächsischen Hof in Dresden einstellen zu können. In Dresden lernte Heinrich Schütz seine Frau Magdalena kennen und lieben.
Als die zweifache Mutter Magdalena nach sechsjähriger Ehe starb, war Heinrich untröstlich. Trost fand er in seiner Musik. Bald aber brachen die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges über Deutschland herein. Die Hofkapelle konnte nicht mehr finanziert werden und Heinrich Schütz folgte einer Einladung an den dänischen königlichen Hof in Kopenhagen.
Schütz war unermüdlich tätig. Er komponierte, gestaltete Hoffeierlichkeiten musikalisch aus, wurde von vielen Fürstenhöfen als Berater engagiert und reiste zwischen Dänemark und Dresden mehrfach hin und her. Seine Motetten, die geistliche Chormusik und Symphoniae sacrae faszinierten das Publikum in ganz Europa. Da er die italienische Musik mit der deutschen Musiktradition wirkungsvoll verband, galt er als Vater der damaligen modernen Musik.
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Book preview
Ein Lied in meinem Hause - Seidenbecher Erika
Erika Seidenbecher
Ein Lied in meinem Hause
Eine Erzählung über Heinrich Schütz
Impressum
© 2015 by ANTHEA VERLAG
Hubertusstraße 14
D-10365 Berlin
TEL: 030 993 93 16
FAX: 030 994 01888
eMail: info@anthea-verlag.de
Verlagsleitung: DETLEF W. STEIN
www.anthea-verlag.de
Illustrationen: Irina Fedorova
Korrektorat: Aleksander Abramović
Umschlaggestaltung: Thomas Seidel
Satz: Thomas Seidel
E-Book-Herstellung
: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-943583-79-3
1. Kindheit und Jugend
Es war Ende Juli des Jahres 1590. Der fünfzehnjährige Johannes ging mit seinem fünfjährigen Bruder Heinrich in dem kleinen Marktflecken Köstritz spazieren. Vertrauensvoll fasste Heinrich die Hand des Stiefbruders.
„Gehen wir durch den Park des Ritterguts zur Elster?"
„Ja, mein lieber Heinrich. Ich weiß doch, wie sehr du den Park liebst!"
„Dort kann ich den Gesang der Vögel vernehmen. Hör nur, wie schön sie zwitschern!"
Bei diesen Worten war der Fünfjährige stehen geblieben, hatte die Hand des Bruders losgelassen und lauschte andächtig dem Gesang einer Grasmücke.
Johannes sah den Bruder erstaunt an. Heinrichs braune Augen glänzten. Wie schön sah der zierliche Junge aus, wenn er so selbstvergessen die musikalischen Darbietungen der Singvögel genoss.
„Hörst du, Johannes, wie lieblich sie zwitschern! Gefallen die Melodien der kleinen Sänger dir nicht auch?"
„Ja, schön ist das, aber ich glaube, du hast ein besonderes musikalisches Ohr. Ich freue mich darüber, wie viel Freude dir jede Art von Musik bereitet, und obendrein kannst du auch noch bemerkenswert gut singen."
„Lob mich nicht nur allzu sehr. Aber es ist schon so, ich singe gern, und wenn ich singe, dann bin ich einfach froh und vergesse alles, was mich ärgert!"
„Beneidenswert! Das hast du von unserer Mutter!"
Johann ergriff die Hand des Bruders und zog ihn mit sich fort.
„Wir wollen weiter. Hier an den Elsterarmen brüten zwar viele Vögel, aber es ist nicht so schön wie am Hauptarm der Weißen Elster!"
Vor dem Ort floss der Fluss breit und majestätisch dahin. Die Sonne spiegelte sich in dem klaren sauberen Wasser und Heinrich stieß, als er sich dem Ufer des Flusses näherte, vor lauter Freude einen Jubelschrei aus.
„Lass uns hier ein wenig ruhen!", sagte Johannes und warf sich ins Gras. Wildenten flogen erschrocken auf.
„Komm Brüderchen, setz dich zu mir!"
Gehorsam folgte Heinrich der Aufforderung. Staunend betrachtete er die vielen kleinen Käfer, Bienen, Hummeln und Insekten, die sich an den Blumen und Gräsern labten.
„Köstritz ist sehr schön, und ich werde es vermissen, wenn wir nach Weißenfels ziehen", sagte Johannes.
„Warum wollen wir von Köstritz fort?", fragte Heinrich erstaunt.
„Unser Großvater in Weißenfels ist gestorben, und Vater erbt den Gasthof ‚Zum Goldenen Ring‘. Wir werden schon im Herbst nach Weißenfels ziehen!"
„Gibt es dort auch eine Elster?"
Johannes lachte aus vollem Hals. „Nein, eine Weiße Elster gibt es dort nicht, aber es gibt die Saale. Die ist noch breiter als die Weiße Elster, denn die Elster fließt in die Saale!"
Heinrich verstand das alles nicht so richtig, und er hatte auch keine Lust, sich vorzustellen, dass er bald nicht mehr in Köstritz wohnen würde. Johannes seufzte:
„Hier ist es so schön. Wenn ich an die Elster und an das Eleonorental denke, mit seinen herrlichen Wäldern, dann tut es mir doch recht leid, dass wir fortziehen."
„Ja, im Eleonorental ist es schön, bestätigte Heinrich. „Aber Hauptsache ist doch, dass man dort auch spazieren gehen kann. Auch in Weißenfels wird es Wälder und Vögel geben.
„Wenn wir nach Weißenfels ziehen, bist du dann auch groß genug, um Unterricht zu nehmen. Du wirst dann viel lernen."
„Werde ich auch Instrumente spielen lernen und Gesangsunterricht haben?"
„Jawohl, du kleiner Musikant!"
„Nein, ein Musikant werde ich sicher nicht, denn Vater sagt immer, dass das eine brotlose Kunst ist."
Johann aber hatte es plötzlich eilig.
„Komm Heinrich, lass uns nach Hause gehen. Mutter wartet bestimmt schon auf uns mit dem Abendbrot!"
Hand in Hand gingen die beiden Brüder zu dem stattlichen Gasthof „Zum goldenen Kranich, ihrem Vaterhaus, das sie nun bald verlassen würden. Vater war ein sehr angesehener und wohlhabender Gastwirt. Seit 1584 braute er mit eigener Braupfanne. Die anderen Wirtshäuser mussten ihr Bier aus Gera beziehen. Der „Goldene Kranich
war zudem Umspanngasthof an der verkehrsreichen Straße zwischen Zeitz und Gera. Die Wirtsfamilie Schütz beschäftigte zwei Köchinnen: Anne und Martha. Sie waren sehr tüchtig. Ihr stets schmackhaftes Essen mundete den Gästen vorzüglich. Im Haushalt sorgte die Magd Maria für Ordnung und Sauberkeit und Barbara, die Viehmagd, kümmerte sich um die Kleintiere. In der Gastwirtschaft aber half die Biermagd Dorothea.
Als die Jungen im Gasthof ankamen, waren alle Familienmitglieder, aber auch die Knechte und Mägde, im großen Gastzimmer der Wirtschaft anwesend. Das Abendbrot wurde serviert. Als es beendet war begann ein fröhliches Musizieren, denn die Musiker hatten ihre Instrumente mitgebracht. Es wurde gesungen und auch getanzt.
Heinrich hatte seine helle Freude daran, mit seiner schönen melodischen Stimme in den Gesang der Familie, der Bekannten und der Gäste einzustimmen.
Ein Gast bat Heinrich, er solle doch ein Solo singen. Der Junge ließ sich nicht lange bitten. Er stellte sich in Positur und sang ohne Scheu ein Frühlingslied.
Es war ihm aber fast peinlich, als alles klatschte und ihn lobte. Liebevoll betrachtete die Mutter ihren Sohn. Heinrich war ihr am ähnlichsten. Sie hatte sechs Kinder, drei Jungen aus der ersten Ehe ihres Mannes, den 15jährigen Johannes, den
13-jährigen
David und den
11-jährigen
Christof und drei eigene Kinder aus der gemeinsamen Ehe, die sechsjährige Dorothea, den sechsjährigen Heinrich und den dreijährigen Georg.
Als Heinrich am Sonntag in Köstritz neben der Mutter in der Kirche saß, war er glücklich. Die Orgel der Kirche St. Leonhard ertönte, und der Junge genoss die Klänge dieses so wundervollen Instrumentes. Vertrauensvoll schmiegte er sich an die Mutter.
Euphrosine dachte an ihre Heirat. Sie hatte Christof Schütz im Februar 1583 geheiratet. Als Tochter des jetzigen Geraer Bürgermeisters Bieger gehörte ihre Familie zu den wohlhabendsten und angesehensten Familien in Gera. Aber auch die Familie Schütz war reich und ehrbar. Ihr Mann Christof entstammte einer Chemnitzer Familie. Sein Vater war Amtsschreiber in Marienberg.
Ihr Gatte war, als sie ihn kennenlernte, Stadtschreiber in Gera gewesen. Christof war ein schöner stattlicher Mann, ehrbar, prinzipienfest, gebildet und fest im protestantischen Glauben.
Gern dachte Euphrosine an die großartige Hochzeitsfeier zurück. Die Familie hatte sich die Heirat etwas kosten lassen.
Euphrosine liebte ihren Mann. Er war zielstrebig, geschäftstüchtig und sehr angesehen. Er würde, sobald sie das Erbe seines Vaters in Weißenfels im Herbst antraten, sich in dem Ackerbürgerstädtchen mit Fleiß und Ehrbarkeit Ansehen und Wohlstand verschaffen. Er würde das Bürgerrecht erwerben und mit „Verehrungen" bedacht werden, die solche Personen erhielten, die für die Stadt bedeutsam waren.
Im September 1590 war es soweit. Die Familie zog nach Weißenfels. Wochenlang vorher waren Vorbereitungen getroffen worden, und erst, als in Weißenfels Gasthof und Wohnstätte für die Ankunft der Familie eingerichtet worden waren, fuhr Christof Schütz mit seiner Familie in die neue Heimat.
Durch das Südtor, das „Zeitzer Tor", erreichte das Fuhrwerk der Familie Schütz die Saalestadt.
„Willkommen im kurfürstlichen Sachsen! Unser Landesherr ist der Kurfürst von Sachsen, der in Dresden residiert.", rief Christof Schütz fröhlich aus.
Mutter Schütz stellte erstaunt fest: „Das Städtchen ist ja wie ausgestorben!"
Christof Schütz konnte es ihr erklären: „Ich meine, die Leute haben am frühen Nachmittag noch zu arbeiten, die Handwerker in ihren Werkstätten und die Bewohner von Weißenfels auf ihren Feldern und Weinbergen außerhalb der Stadtmauer. Weißenfels ist ein Ackerbürgerstädtchen und die Bürger der Stadt sind als Bürger entweder gleichzeitig Bauern oder Handwerker. Auch wir haben Land und einen Weinberg. Ich erbte die väterlichen Besitzungen in Uiteritz, jenseits der Saale, und wir werden uns tüchtig regen müssen, um Haus, Hof und Felder zu bewirtschaften."
Lachend erwiderte die Mutter: „Sei froh, dass du eine große Familie und Knechte und Mägde hast.
Du stehst nicht allein. Wir werden dir alle mit Fleiß zur Seite stehen."
„Vor allem aber habe ich eine tüchtige Frau, die meine fleißigen Helfer lenken und leiten, und die die Zügel fest in die Hand nehmen wird!"
Das Fuhrwerk bog unterdessen in die Jüdengasse ein, und nach wenigen Metern hielt es vor dem Gasthof „Zum Goldenen Ring".
Da standen die Großmutter, der Vetter Heinrich Colander, zwei Knechte, zwei Mägde und zwei Köchinnen zur Begrüßung der Familie Schütz, festlich angezogen, bereit.
„Willkommen in der neuen Heimat!"
Nach einer stürmischen Begrüßung schirrten die Pferdeknechte die Pferde aus und führten sie in den Stall, der sich gleich hinter der Toreinfahrt befand.
Der „Goldene Ring", in der Nähe des Saaletores gelegen, war ein zweistöckiges Haus mit den Gasträumen zur Straße und der Küche zum Hof hinaus. Die Gasträume lagen im Obergeschoss und die Wohnräume im Nebenhaus. Hinter dem Gasthof dehnte sich ein großer Garten aus, durch den der Greißlaubach floss. Begrenzt wurde das Grundstück von der Stadtmauer.
Heinrich Colander, Oberorganist von Weißenfels und ein Verwandter der Familie, schlug den Kindern vor, mit ihm gemeinsam die Stadt zu besichtigen. Großmutter nahm, als sie das hörte, sofort den dreijährigen Georg an die Hand und sagte: „Georg bleibt bei mir, solange ihr Weißenfels unsicher macht. Er ist noch zu klein, um den großen Geschwistern Schritt zu halten."
Heinrich Colander freute sich, den Kindern die Stadt zeigen zu können.
Johann nahm Heinrich und Dorothea an die Hand und Christof und David folgten ihm und dem väterlichen Freund Colander.
Die Stadt war recht klein. Von fünf parallel laufenden Straßen führten drei auf dem Marktplatz. Straßen und Gassen waren gepflastert, und ein Großteil der Häuser besaß Steinfundamente.
„Die Häuser außerhalb der Stadt sind kleiner als die städtischen Häuser. Sie sind, im Gegensatz zu den Häusern in der Stadt, noch mit Stroh gedeckt. Strohgedeckte Häuser findet ihr aber auch in den Seitengassen, nämlich dort, wo arme Menschen wohnen. Innerhalb der Stadtmauer wohnen etwa 2000 Einwohner und draußen, vor den Toren leben rund 800 Menschen. Weißenfels besitzt seit dem Mittelalter das Stadtrecht."
Die Schützschen Jungen waren für alle Mitteilungen dankbar. Sie wollten ja ihre neue Heimat kennen lernen. Staunend betrachteten sie den großen Marktplatz und die am Markt stehende Kirche St. Marien und die Klosterschule in der nahen Klostergasse.
„Die Marienkirche wurde im 13. Jahrhundert erbaut. Hier finden täglich protestantische Gottesdienste statt. Trotz Reformation gehen die Weißenfelser am Samstag zur Beichte und und sonntags gibt es zur gewohnten Zeit Gottesdienste, zu denen Kantor und Schulknaben für die musikalische Begleitung sorgen", erklärte der väterliche Freund.
„Gehen wir zur Saale hinunter!", schlug Christof vor, und Heinrich Colander führte die Kinder über die hölzerne Saalebrücke zum Saaletor. In der Saaleaue weideten Schafe, Fischer verkauften hier am Fluss ihren Fang und Töpfer schöpften Wasser, das sie zur Verarbeitung des Lehms dringend brauchten. Am Interessantesten war für Heinrich das Flößen des Holzes. Flößer gab es auf der Weißen Elster nicht. Aber für das Staunen über den regen Betrieb an und auf der Saale schien Christof kein Verständnis zu haben.
„Schaut euch mal um, forderte er seine Geschwister auf. „Von hier aus könnt ihr das Schloss recht gut sehen!
Ehrfürchtig betrachteten die Schützschen Kinder die ausgedehnte Schlossanlage, die wehrhaft ummauert auf felsigen Grund hoch über der Stadt stand.
„Das Schloss ist verwaist und unbewohnt, sagte Heinrich Colander. „Hier wohnt nur noch ein Amtmann, der die Regierung vertritt. Es gibt neben ihm aber noch einen hohen geistlichen Würdenträger, nämlich den Superintendenten, der dem Ephorat Weißenfels vorsteht. Sein Haus befindet sich direkt neben der Marienkirche.
Als die Schützschen Kinder in ihr neues Heimathaus zurückkehrten, waren in der Gastwirtschaft die Tische schon gedeckt. Gäste hatten sich eingefunden. Im Gasthaus wurde zu Abend für alle Gäste und Familienmitglieder gekocht, und die Familienmitglieder und Gäste saßen während der Mahlzeit einträchtig beieinander.
Heinrich fühlte sich wohl. Die neue Heimat gefiel ihm. Heinrich Colander hatte ihm versprochen, dass er bald Unterricht erhalten werde, auch Musikunterricht. Und als der väterliche Freund über die Weißenfelser Chorknaben gesprochen hatte, war sich Heinrich sicher gewesen, dass er bald zu ihnen gehören würde.
Als Heinrich sechs Jahre alt wurde, begann für ihn