Kurfürstenklinik 11 – Arztroman: Die Schöne von nebenan
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"Mein letzter Tag bei Ihnen, Herr Dr. Winter!" sagte Miriam Fechner und sah den jungen Notaufnahmechef der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg betrübt an. "Ich wäre gern noch länger geblieben, das wissen Sie ja – aber als nächstes werde ich in Ihrer Neurochirurgie eingesetzt. Ich soll das ganze Haus kennenlernen."
"Sie waren uns eine große Hilfe, Schwester Miriam", erwiderte Dr. Adrian Winter lächelnd. "Wir sind froh, daß Sie wenigstens eine Zeitlang unser Team verstärkt haben."
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Kurfürstenklinik 11 – Arztroman - Nina Kayser-Darius
Die Kurfürstenklinik –11–
Die Schöne von nebenan
Ihr Glück schien vollkommen
Roman von Nina Kayser-Darius
»Schön langsam, Cora!« rief Karl Zapfmann seiner munteren Dackeldame zu. »Du weißt, daß ich nicht mehr der Schnellste bin. Du bist bedeutend jünger als ich, vergiß das bitte nicht!«
Aber Cora war an diesem Morgen nicht zu bremsen. Es war schönes Wetter, die Welt war voller interessanter Hunde, die alle beschnüffelt werden wollten, und auch die anderen Gerüche, die ihr in die feine Nase stiegen, waren so verlockend, daß sie kaum auf ihr Herrchen hörte. Sie war sonst eigentlich sehr gehorsam, aber manchmal ging ihre Lebenslust mit ihr durch. So war es heute, und sie zog den fünfundsiebzigjährigen Karl Zapfmann unerbittlich mal hierhin, mal dorthin.
Er kam bereits ins Schwitzen. Wirklich, was dachte sich dieser Hund, ihn in den frühen Morgenstunden bereits so durch die Gegend zu hetzen? Er hatte noch nicht einmal gefrühstückt, weil Cora es nach einer langen Nacht immer besonders eilig hatte, nach draußen zu kommen. Sie verbanden deshalb ihren ersten Spaziergang des Tages mit einem Besuch beim Bäcker.
Dort waren sie zum Glück schon gewesen, jetzt näherten sie sich langsam wieder dem kleinen Haus, in dem er wohnte. Der neue weiße Anstrich war weithin sichtbar, und er war froh, daß er sich zu der Verschönerungskur entschlossen hatte. Es sah gut aus, und die leuchtendblauen Fensterläden kamen jetzt viel besser zur Geltung. Ja, er liebte sein kleines Haus sehr – sein Haus und seinen Garten, den Cora natürlich als ihr Revier betrachtete. Wehe, ein Unbekannter betrat ihn, dann wurde sie ganz wild und war überhaupt nicht wiederzuerkennen.
Karl Zapfmann sah zum Himmel und fragte sich, ob er wohl auf seiner Terrasse würde frühstücken können. Für diesen Morgen war Regen angekündigt worden – aber vielleicht klappte es ja noch.
Cora lief jetzt immer schneller – allerdings in eine Seitenstraße und keineswegs nach Hause – und er beschloß, nun doch durchzugreifen. Er durfte sie nicht allzu sehr verwöhnen und ihr alles durchgehen lassen. »Cora!« rief er energisch und zog die Leine kürzer. »Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich nicht so schnell kann! Hast du das nicht gehört?« Er blieb stehen, und notgedrungen tat Cora es ihm gleich.
In diesem Augenblick kam ein Radfahrer um die Ecke geschossen, der offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, zu dieser frühen Stunde in einer ruhigen Wohnstraße von Berlin-Pankow schon jemandem zu begegnen. Er sah Herrchen und Hund erst in letzter Sekunde und versuchte noch auszuweichen, jedoch vergebens, denn er hatte die Leine zwischen beiden übersehen. Er verlor die Kontrolle über sein Rad und stellte sich zu allem Unglück auch noch äußerst ungeschickt an. Er riß also nicht nur Karl Zapfmann von den Beinen, sondern flog auch selbst in hohem Bogen vom Rad.
Laut aufjaulend rannte Cora auf ihr Herrchen zu und leckte ihm das Gesicht. Doch er sagte nichts, sondern stöhnte nur, so benommen war er. Und so lief sie zu dem anderen Mann, der ebenfalls stöhnend auf dem Asphalt lag. Aber auch dieser reagierte nicht auf ihre laut gebellte Aufforderung, schnellstens aufzustehen und sich um ihr Herrchen zu kümmern. Noch ein paarmal lief Cora jaulend und winselnd zwischen den beiden Männern hin und her, dann beschloß sie, Hilfe herbeizubellen.
Und so kam es, daß es in dieser sonst so ruhigen Wohnstraße Berlins an diesem Morgen ausgesprochen unruhig zuging.
*
»Könnte es sein, Adrian, daß du noch nicht ganz ausgeschlafen bist?« erkundigte sich die Internistin Dr. Julia Martensen bei ihrem herzhaft gähnenden Kollegen, dem Unfallchirurgen Dr. Adrian Winter.
Dr. Winter leitete die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin, und Julia Martensen hatte nach längerer Zeit wieder einmal Dienst dort. Meistens arbeitete sie auf der Inneren Station. Sie freute sich auf die Zeit in der Notaufnahme, denn sie arbeitete gern mit Adrian zusammen. Er war viel jünger als sie, und um so mehr bewunderte sie seine Ruhe und Gelassenheit, die er vor allem im Umgang mit Patienten nie verlor. Sie selbst war sehr offen und sagte ihre Meinung immer ziemlich deutlich, was nicht jeder gut vertragen konnte, doch mit Adrian hatte sie deshalb noch nie Probleme gehabt. Er konnte auch mit Kritik gut umgehen, wenn sie ihm einleuchtend erschien.
Er war ein gutaussehender Mann von Mitte Dreißig, während sie selbst sich den Fünfzig näherte. Der Altersunterschied zwischen ihnen hatte ein gutes kollegiales, sogar freundschaftliches Verhältnis nicht verhindern können. Sie wußte das sehr zu schätzen, denn in anderen Abteilungen gab es durchaus Streit und Unstimmigkeiten, die sich negativ auf die Arbeit auswirkten.
»Esther war noch da gestern abend«, antwortete Adrian auf ihre Frage. »Frau Senftleben hatte uns beide zum Essen eingeladen, und du weißt ja, daß die Frau am liebsten die Nacht zum Tage machen würde. Je später es wird, desto munterer wird sie. Und ich habe völlig vergessen, auf die Uhr zu sehen, weil wir uns ausgesprochen gut unterhalten haben. Außerdem hatte sie wieder einmal einen hervorragenden Rotwein.« Er lächelte vielsagend.
Julia erwiderte sein Lächeln. Sie konnte sich den Verlauf des Abends lebhaft vorstellen. Esther war Adrians Zwillingsschwester, die ebenfalls Medizin studiert hatte – sie arbeitete als Kinderärztin an der Charité. Sie war viel quirliger und temperamentvoller als ihr ruhiger Bruder, und sie hatte sicherlich eine Menge zu erzählen gehabt, denn die beiden sahen sich nicht allzu oft. Ihr anstrengendes Berufsleben ließ das einfach nicht zu.
Frau Senftleben war Adrians Nachbarin, eine sehr interessante und liebenswürdige ältere Dame, die für ihr Leben gern kochte.
Adrian aß öfter bei ihr als bei sich zu Hause – und diese Regelung war ihnen beiden nur allzu recht. Carola Senftleben aß lieber in Gesellschaft, und das galt auch für Adrian. Außerdem kochte er nicht besonders gern, aber er liebte die Küche seiner Nachbarin…
»Ich habe also einfach zu wenig geschlafen, mehr gegessen als nötig und wahrscheinlich zwei Gläser Rotwein zuviel getrunken«, stellte Adrian fest. »Aber da ich außerordentlich gut gelaunt ins Bett gegangen bin, geht es mir heute morgen nicht besonders schlecht. Die Müdigkeit verfliegt sicher, sobald hier die übliche Hektik ausgebrochen ist.«
Wie aufs Stichwort erschien Schwester Monika und rief: »Wir bekommen Arbeit! Ein alter Mann ist von einem Radfahrer angefahren worden, beide sind verletzt. Sie werden jeden Augenblick hier sein.«
»Der Radfahrer ist auch verletzt?« vergewisserte sich Adrian, während er bereits mit Julia zu einer der Notfallkabinen lief, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.
»Ja, er hat den alten Mann zuerst umgefahren und ist dann auch selbst noch in hohem Bogen auf die Straße geflogen. Er muß ziemlich schnell gefahren sein. Außerdem hatte der alte Mann einen Hund bei sich, und der Radfahrer hat die Leine nicht gesehen…«
»Als gäbe es nicht ohnehin schon genug Unfälle«, seufzte
Adrian. »Da müssen die Leute auch noch unvernünftig und unachtsam sein. Hoffentlich sind die Verletzungen nicht so schlimm.«
Die Türen der Notaufnahme wurden aufgestoßen, und zwei Sanitäter brachten im Laufschritt einen älteren Mann herein, der sehr blaß war, aber die Augen geöffnet hielt. »Das ist Karl Zapfmann, der von dem Radfahrer umgefahren worden ist«, berichtete einer der Männer. »Er ist fünfundsiebzig Jahre alt, hat eine Kopfverletzung, Prellungen und Schürfwunden – und eine Hand ist verstaucht, vielleicht auch gebrochen. Wir bringen jetzt noch den Radfahrer, der hat eine leichte Gehirnerschütterung.«
»Wo ist Cora?« fragte