Die digitale Mobilitätsrevolution: Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten
By Weert Canzler and Andreas Knie
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Weert Canzler
Der Sozialwissenschaftler Weert Canzler leitet zusammen mit Andreas Knie die Forschungsgruppe »Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung« am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Er ist zudem Sprecher des »Leibniz Forschungsverbundes Energiewende«.
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Book preview
Die digitale Mobilitätsrevolution - Weert Canzler
Weert Canzler, Andreas Knie
Die digitale
Mobilitätsrevolution
Vom Ende des Verkehrs,
wie wir ihn kannten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 oekom verlag, München
Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,
Waltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Anke Oxenfarth, oekom verlag
Korrektorat: Silvia Stammen, München
Umschlaggestaltung: Elisabeth Fürnstein, oekom verlag
Umschlagillustration: © JENS – Fotolia.com
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-86581-969-7
1 Nichts bleibt mehr so, wie es war
Digitale Neuerfindungen * Geräte verlieren an Bedeutung * Verschiebungen der Präferenzen
2 Das Internet im Auto oder das Auto im Internet?
Zukunftstechnologie Verbrennungsmotor? * Der Geräteblick dominiert * Die Nutzer auf dem Fahrersitz
3 Digitale Fahrscheine für Busse und Bahnen
Der Geist aus der Flasche * Probleme der digitalen Neuerfindung
Einblicke in die digitale Verkehrswelt I: Apps und Tracking-Instrumente
Digitale Selbstbestimmtheit
4 Der Neue Verkehr
Speicher auf Rädern * Digitalisierung im ländlichen Raum
Einblicke in die digitale Verkehrswelt II: Vorreiter des »Hub-and-spoke-Konzeptes«
Elemente eines Schlauen Netzes
Einblicke in die digitale Verkehrswelt III: Die Akteure der Energie- und Verkehrswende
5 Gesetze und Verordnungen aus längst vergangener Zeit
Die Geburt des Autolandes Deutschland * Vom Himmel fällt die vernetzte Elektromobilität nicht
6 Mit Hurra in den digitalen Überwachungsstaat?
Die Schattenseiten der digitalen Verkehrswelt * Gefangen in der digitalen Zwangsjacke * Relativierungen * Opfergaben an die digitale Moderne
Literatur und Quellen
Über die Autoren
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden in diesem Buch meistens die männlichen Formen verwendet, die weiblichen Formen sind aber ausdrücklich immer mitgedacht.
1
Nichts bleibt mehr so,
wie es war
Wir diskutieren über den Sinn und Unsinn des Internets und der digitalen Welt, als ob es da noch etwas zu beschließen oder zu entscheiden gäbe. War es in den 1990er-Jahren noch eine geheimnisvolle Welt von wenigen Eingeweihten, von denen wohl einige auf einen neuen globalen Kommunitarismus gehofft hatten, auf ein globales, digitales Dorf, das seine Zugänge und Verkehrsformen selbst bestimmen kann, so wurden diese elitären Gedanken durch die Googles, Facebooks und Twitters einfach überrollt. Stattdessen begann nun eine Debatte mit dem Tenor, dass eigentlich alles des Teufels ist im Internet und dass die kalifornischen Datenkraken alles und jeden kontrollieren. Das Auf und Ab in den Wahrnehmungs- und Deutungskonjunkturen hat uns jedoch blind dafür gemacht, wie alltäglich, umfassend und folgenreich das Internet und seine digitalen Spielarten bereits jetzt in unserem beruflichen und privaten Leben etabliert sind. Das Interessante an alledem: Wir sind es selbst, die aktiv die Digitalisierung betreiben. Gerade erst fangen wir an, die subtile Durchdringung aller Lebensbereiche durch das Digitale zu erkennen, ohne wirklich die Konsequenzen für unsere individuelle und soziale Verfasstheit absehen zu können. Auf großer publizistischer Bühne wird zugleich plakativ über die Gefahren debattiert.
Die digitale Durchdringung vollzieht sich schleichender, als uns lieb ist. Sie wird derzeit überlagert von großen Überschriften wie »Industrie 4.0« und spektakulären Ankündigungen vom »Internet der Dinge«, die mit Krawall in den Medien bemüht und als Ausblick auf den anstehenden Zeitenwandel dramatisiert werden. Die Digitalisierung nimmt vielmehr ganz leise und auf subtile Weise Besitz von uns, ohne dass wir die Folgen für unser Zusammenleben, unser geschäftliches Tun oder die Art und Weise, wie wir denken und handeln, erkennen können. Dafür drei Beispiele:
Zwei Wissenschaftler fahren zu einem Kongress nach Rostock, die Jüngere soll sich um die Hotelbuchung kümmern, hat damit aber Probleme. Auf der Autofahrt dorthin verweist der Ältere beim Erreichen der ersten Vororte auf die vielen aufgestellten Schilder »Zimmer frei« oder die Verweise »Appartement zu mieten«. Darauf antwortet die Jüngere: »Die kommen in meiner Welt nicht mehr vor!« Und dies war nicht als Witz gemeint, sondern als schlichte Tatsache einer völlig neuen Wahrnehmungs- und Entscheidungsform. Zweites Beispiel: Ein ICE, der in Kassel längst wieder Richtung Frankfurt hätte abfahren sollen, verharrt noch im Bahnhof. Die drei Männer im Abteil der ersten Klasse werden bereits nervös, beginnen über verpasste Anschlusstermine nachzudenken und die Verbindung zu ihren Sekretariaten für Planänderungen vorzubereiten. Einer der im Abteil Sitzenden bricht in die leicht spannungsgeladene Situation mit den Worten ein: »Ich schau mal auf dem DB-Zugradar nach, was denn eigentlich los ist.« Er macht sich an seinem iPhone zu schaffen, um in der nächsten Sekunde bereits erfreut auszurufen: »Oh, im DB-Zugradar sind wir schon wieder unterwegs.« Nachdem die interessierten Herren neugierig die App in Augenschein genommen haben, erhellen sich die Mienen und es tritt eine Entspannung der Situation ein. Man zeigt sich erleichtert, dass es doch nun wirklich vorangehe, es ist ja auch deutlich erkennbar, wie sich das kleine Zugsymbol weiterbewegt und fast schon Fulda erreicht hat. Tatsächlich steht der Zug immer noch im Bahnhof Kassel. Aber die Überzeugungskraft der App ist so groß, dass physische Restriktionen nicht mehr als ernsthafte Bedrohung gesehen werden. Die Männer vertiefen sich wieder beruhigt in ihre Lektüre. Schließlich noch ein drittes Beispiel: Ein junger Mann, etwas über 30 Jahre alt, hat sich beim Carsharing-Anbieter Drive Now angemeldet, um ab und zu mal ein »wirklich gutes Fahrzeug« nutzen zu können. Besonders das Mini Cabrio gefällt ihm und da einige davon in der Stadt verfügbar sind, ist er gleich Clubmitglied geworden. Rund vier Monate nach dem Eintritt erneut befragt, äußert sich der junge Mann auch tatsächlich sehr zufrieden, das Fahren mit dem Mini und auch den anderen BMW-Produkten mache wirklich Spaß, allerdings habe er sich noch bei Car2Go, bei Flinkster und bei zwei weiteren Unternehmen angemeldet. Denn – so sein Kommentar – »schon nach ein paar Wochen war es mir eigentlich völlig egal, ob tatsächlich ein Mini verfügbar war. Ich wollte jetzt, hier und sofort ein Fahrzeug haben und nicht lange nur nach einen BMW suchen müssen. Es war mir auch völlig gleich, welche Marke es war, es hätte auch ein Opel sein können.« Aus diesem Grunde habe er sich auch bei den anderen Anbietern angemeldet, um wirklich sicherzugehen, dass »jederzeit etwas verfügbar ist«.
Digitale Neuerfindungen
Die kurzen Episoden zeigen, wie bedeutungsvoll das Digitale bereits in unserem Alltag ist und unsere Entscheidungen beeinflusst. Im ersten Beispiel wird deutlich, dass frühere Dienstleistungen wie eine Hotel- und Zimmersuche in weiten Teilen der jüngeren Generation völlig selbstverständlich ausschließlich über digitale Medien vorgenommen werden, weil es einfach und bequem ist und der gesamte Buchungsprozess vom Nutzer in allen Etappen beherrscht wird. Er oder sie entscheidet, wann was und wie gesucht wird. Die Nutzung dieses digitalen Kanals hat gravierende Folgen: Wer im Internet auf dem neuen digitalen Marktplatz nicht präsent ist, kommt bereits jetzt bei den sogenannten Digital Natives nicht mehr vor. Zukünftig wird dies für alle gelten. Was nicht digital nutzbar ist, existiert einfach nicht mehr. Egal welche Marke oder Marktpräsenz genutzt werden soll, der digitale Layer – also die Repräsentation auf einem »persönlichen Bildschirm« – wirkt als faktische Kraft, weil er die Konsumenten in eine anscheinend souveräne Position des Auswählenden und des Bestimmenden setzt. Entscheidend ist dabei nicht nur die generelle Präsenz auf dem digitalen Marktplatz, sondern eine diesen Medien gemäße Darstellung. Da reicht es nicht