Ende gut – alles gut!?: Beiträge zur Eschatologie aus pfingstlicher Sicht
By Ole Dost, Hubert Jurgensen and Bernhard Olpen
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Wer sich jedoch ernsthaft mit den Aussagen der Bibel zur Endzeit befassen möchte, kommt an der Verkündigung Jesu und der Apostel nicht vorbei. Die erste Christenheit hoffte auf die nahe Wiederkunft Christi (1Thess 4,13ff), um an der Vollendung seiner messianischen Herrschaft teilzuhaben. Diese eschatologische (Nah-)Erwartung geriet im Laufe der Kirchengeschichte in den Hintergrund. Nur Randgruppen entdeckten sie wieder, darunter die frühe Pfingstbewegung, die erwartungsvoll und mit Glauben betete: "Herr, komme bald!"
Dieser Band soll dem Leser helfen: 1. die Endzeitbotschaft Jesu im Lichte des frühjüdischen Hintergrunds besser zu verstehen; 2. die lebhafte Erwartung der Wiederkunft Christi (Maranatha) als Kern der christlichen Hoffnung und Spiritualität neu zu würdigen; 3. dem "Verlust der Naherwartung der Wiederkunft Christi" (Olpen) in der westlichen Pfingstbewegung entgegenzuwirken und zu neuer Vitalität verhelfen. Schließlich soll auch ein Einblick in die Entwicklung der Eschatologie innerhalb der Pfingstbewegung gewährt werden. Der letzte Beitrag endet daher in einem Plädoyer für eine Erneuerung der eschatologischen "Naherwartung".
Mit Beiträgen von:
Ole Dost, Hubert Jurgensen und Bernhard Olpen
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Ende gut – alles gut!? - Ole Dost
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Vorwort
Die sogenannte Lehre von den „letzten Dingen" oder Eschatologie gehört zu den Grundanliegen der Pfingstbewegung seit ihren Anfängen.¹ Ihre auf die Wiederkunft Jesu ausgerichtete Theologie und Spiritualität wurzelt in den neuzeitlichen Erweckungsbewegungen, letztendlich jedoch auch in der Wiederentdeckung der „Naherwartung der ersten christlichen Gemeinde. Eine sorgfältige Lektüre der Briefe des NTs offenbart die „Maranatha-Eschatologie
² des Urchristentums, wenn auch Spuren der Ungeduld in der Erwartung der Wiederkunft Jesu in den Katholischen Briefen erkenntlich sind (2Petr 3,4). Erst später, in der nachapostolischen Zeit, geschah vermutlich eine grundlegende Abwendung von der „Naherwartung Christi (sog. „Enteschatologisierung
). Der Montanismus, der von Pepuza, einem kleinen Ort in Kleinasien, ausging und sich stark ab dem Ende des 2. Jahrhunderts verbreitete, ließ nochmals die „Naherwartung" der Wiederkunft Jesu aufflammen. Leider ist diese prophetische Bewegung in Spekulationen über den genauen Zeitpunkt und den Ort der Wiederkunft entgleist. Zahlreiche spätere Randbewegungen der Großkirchen sind dieser Versuchung auch zum Opfer gefallen und wurden wie der Montanismus als Häresien bekämpft (z. B. die Milleriten, Vorgänger der Adventisten und der Zeugen Jehovas, die im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten lebten, bilden eines der bekanntesten Beispiele; sie hatten den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi auf 1843 bzw. 1844–1845 festgelegt. Selbst der gelehrte schwäbische Pietist Johann Albrecht Bengel erwartete den Anfang vom ersten Millennium für den 18. Juni 1836; jedoch geschah auch nichts).
Die Pfingstbewegung und die sich anschließende charismatische Erneuerung sind nicht von eschatologischen Spekulationen verschont geblieben! Diese stehen häufig in Verbindung mit dem „Dispensationalismus"³, einer Nachfolgebewegung des englischen Darbysmus (Brüderbewegung), der die Wiederkunft Christi zur Entrückung der Gläubigen in das Tausendjährige Reich lehrt (Prämillenarismus). Die heilsgeschichtliche Auffassung dieser Bewegung steht jedoch in Konflikt mit dem Kern pfingstlicher Überzeugung, dass die Gnadengaben (Gr.: Charismata) aus 1Kor 12 heute noch wirksam sind. Das „Reden in neuen Zungen und der prophetische Dienst, die den Kern pfingstlicher Theologie und Spiritualität bilden, können nicht, wie behauptet wird, laut 1Kor 13,8ff („Cessationism
oder Cessationismus) überholt sein! Die Wurzeln der Pfingstbewegung liegen in der Überzeugung, dass Gott in den letzten Tagen sich noch in besonderer Weise offenbart und ein neues Pfingsten, eine Ausgießung des Heiligen Geistes in einer bis jetzt in der Kirchengeschichte ungekannten Weise schenkt. So ist die Überzeugung, dass wir in den „letzten Tagen" leben, Teil des Nährbodens der Pfingst- und charismatischen Kreise⁴. Die Eschatologie ist ultra-präsent, jedoch ohne dass sie zwingend in Spekulationen über Zeitpunkt oder Ort der Wiederkunft Christi ausartet.
Die Grundthese der Autoren dieses Bandes ist, dass die „Naherwartung der Wiederkunft Christi – so wie im Urchristentum – Teil eines lebendigen Christseins ist. Die versammelte christliche Gemeinde betet immer wieder das Maranatha-Gebet, ja, sie seufzt in der Erwartung, mit ihrem Herrn Jesus Christus wieder vereint zu werden: „beim Herrn zu sein
oder die Gemeinschaft mit Christus zu genießen, ist der Hoffnungshorizont der Pfingstler und der Heilige Geist das Angeld der verheißenen Wiederkunft. Die „Naherwartung" ist nicht wegzudenken, denn sie bildet ein Hauptmerkmal ihrer lebendigen Frömmigkeit. So ist die Eschatologie zwangsweise mehr als das letzte Kapitel der Dogmatik, vielmehr der Rahmen der gesamten christlichen Theologie. Die gesamte Heilsgeschichte der Menschheit baut auf der eschatologischen Erwartung der Vollendung auf, die von Christi messianischem Kommen und vom Versprechen seiner Wiederkunft gekennzeichnet ist! Das Reich Gottes ist in Christus angebrochen, jedoch bildet dies nur das Angeld auf die kommende Herrschaft Christi.⁵ Wenn die Theologie im Laufe der Jahrhunderte „enteschatologisiert wurde⁶, bzw. von der Eschatologie losgelöst und umgedeutet wurde, so können wir von einer Entfremdung oder einer Fälschung des Evangeliums Jesu Christi sprechen. Die Anhänger der Pfingst- und charismatischen Bewegungen haben dies wohl begriffen und sich davon distanziert. Ihre Gottesdienste und ihre Spiritualität insgesamt sind zutiefst geprägt von der „Naherwartung
– wie in der ersten Gemeinde. Der langjährige Beobachter des Pentekostalismus, Prof. Dr. i. R. Walter Hollenweger, hat daher mit Recht von einem „enthusiastischen Christentum" gesprochen.
Ein besonderer Dank geht an die Mitwirkenden dieses ersten Bandes zur Eschatologie⁷ in der Reihe des Forums Theologie & Gemeinde. Das Hauptziel ist zweifach: 1. wichtige Aspekte der neutestamentlichen Eschatologie (z. B. ihre Entstehung in der Spannung zwischen Spätjudentum und Verkündigung Jesu, das Kommen Christi und die Erwartung seiner Wiederkunft) zu beleuchten; 2. einen Überblick zur Geschichte und Hermeneutik der pfingstlichen Eschatologie zu vermitteln. In diesem ersten Band werden unveröffentlichte Beiträge sowie ein anderorts erschienener Artikel⁸ angeboten. Der Dipl.-Theol. Ole Dost, evangelischer Pfarrer und Ehemaliger des Theologischen Seminars BERÖA, befasst sich mit den spätjüdischen Wurzeln der christlichen Eschatologie und hilft dem Leser, den Hintergrund, nämlich die jüdische Apokalyptik, zu verstehen. Dr. Bernhard Olpen, Pastor und Historiker der Pfingstbewegung, bietet einen Einblick in die Eschatologie innerhalb der Pfingstbewegung an. Der Bandbegleiter, Dr. Hubert Jurgensen, fügt zwei bereits in englischer Sprache veröffentlichte Exegesen zu Kerntexten der christlichen „Naherwartung" (1Thess 4,13–18 und 5,1–11) hinzu. Der zweite Band wird u. a. einen Überblick zur Hermeneutik pfingstlicher Eschatologie sowie eine ausführliche Exegese zu Offb 21,1–22,5 (die neue Welt Gottes) aus pfingstlicher Sicht anbieten. Diese Beiträge sind für theologisch Gebildete und interessierte Laien gedacht. Die Exegesen setzen jedoch Grundkenntnisse der griechischen Sprache voraus.
Dr. Hubert Jurgensen, D.Th.,
Dozent i. R. des Theologischen Seminars BERÖA
1 Die „Azusa-Street-Revival" in Los Angeles (1906) unter der Leitung von William Seymour hatte schon diese eschatologische Ausprägung angenommen.
2 Ausdruck des Verfassers, der auf den Maranatha-Ausruf der frühen Christenheit zurückgeht. Der Begriff kommt aus dem Aramäischen: Marana-tha = unser Herr, komme! Oder Maran-atha = unser Herr ist gekommen! Das Erstere scheint eher ein Gebetsruf am Schluss des ersten Briefes an die Korinther (1Ko 16,22) zu sein. Es erinnert an das „Kyrie Eleison" vieler christlicher Liturgien.
3 Die Hermeneutik des Dispensationalismus (Aufteilung der Heilsgeschichte in sieben Dispensationen) wurde anhand der Scofield-Bibel verbreitet. Zahlreiche populäre Schriften über die Endzeit (Prä-Tribulationismus) haben auch die Eschatologie vieler Pfingstler maßgeblich geprägt. Siehe dazu insbesondere den Beitrag von Dr. Bernhard Olpen in diesem Band.
4 Am stärksten ausgeprägt ist diese in den Spätregen- und „Restoration"-Bewegungen.
5 Diese Spannung ist ein grundlegendes Merkmal der christlichen Eschatologie: Das Reich Gottes ist jetzt schon angebrochen, aber noch nicht vollendet. Nico Strobel hat in einem früheren Band diese Spannung und ihre Auswirkungen auf die Frage der „Zeichen und Wunder" der Krankenheilung ausführlich beschrieben.
Strobel, Nico: Die Spannung zwischen „Schon jetzt und „Noch nicht
. In: Denn es ging Kraft von Ihm aus! Beiträge zum Thema Heilung. Herausgegeben vom Bundes-Unterrichts-Werk des BFP. (Materialien zum geistlichen Dienst; 16). Erzhausen. 2010. S. 61–116.
6 Zahlreiche neuzeitliche Theologen haben diese Richtung eingeschlagen (siehe meine unveröffentlichte Doktorarbeit: Saint-Paul et la parousie, Université des Sciences Humaines de Strasbourg, 1992).
7 Dr. Bernhard Olpen und Dipl.-Theol. Ole Dost. Ein zweiter Band ist für 2017 geplant.
8 Dies gilt für den Artikel von Hubert Jurgensen, erschienen in englischer Sprache in Journal of Pentecostal Theology, 1994, 81-133.
A Endzeiterwartungen des Judentums zwischen dem Alten und dem Neuen Testament als Auslegungshilfe für die Verkündigung Jesu und der Apostel
Ole Dost
1 Einführung
1.1 Vorbemerkungen
Jesu Worte und Werke ereignen sich nicht in einem religiösen Vakuum. Seine Verkündigung trifft auf Erwartungen und Hoffnungen, die seine Zeitgenossen bezüglich des endzeitlichen Handelns Gottes hegten. Mit diesen Gedanken muss Jesu Auftreten in Zwiesprache treten, wenn er von seiner jüdischen Umwelt verstanden werden möchte. Und genau darum sind sie auch für uns der eingehenden Beschäftigung wert, wenn wir unsererseits die Botschaft Jesu und des Urchristentums erschließen wollen. Wenn wir uns mit der frühjüdischen Endzeiterwartung befassen, dann ist zunächst notwendig, den Zeitraum, die Gruppen und die Literatur zu betrachten, welche die Epoche „Frühjudentum" prägten. Die geschichtlichen Erfahrungen und ihre Verarbeitung führen nicht nur zur Ausbildung verschiedener jüdischer Gruppen, sondern auch zur Ausgestaltung und Gewichtung eschatologischer Erwartungen.
1.2 Was meint „Frühjudentum"?
Der Begriff „Frühjudentum hat sich in der deutschen Theologie in etwa seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eingebürgert. In älterer Literatur begegnet für denselben Zeitraum der Begriff „Spätjudentum
. Dieser Begriff wird heute nicht mehr verwendet, weil mit Blick auf das Israel der vorexilischen Zeit nicht von „Judentum geredet werden kann. Treffender als „Frühjudentum
ist der in der englischsprachigen Theologie verbreitete Ausdruck „Second Temple Judaism", weil diese Epoche in etwa mit dem Bestand des nachexilischen Tempels parallel verläuft. Gemeint ist die Zeit des frühesten Judentums während der Zeit der griechischen und römischen Oberherrschaft, die vom kurzen Intermezzo der israelitischen Königsdynastie der Hasmonäer 151¹ bzw. 161²–63 v. Chr. unterbrochen wurde, konkret also in etwa ein Zeitrahmen, der 332 v. Chr. mit der Einahme Jerusalems unter Alexander dem Großen beginnt und mit der Zerstörung des herodianischen Tempels 70 n. Chr. endet. Theologiegeschichtlich lässt sich diese Zeit noch bis zum Ende des zweiten jüdischen Aufstandes 135 n. Chr. verlängern. Ab dieser Zeit redet man vom rabbinischen Judentum, das aus der pharisäischen Gruppe hervorgeht, denn von den verschiedenen jüdischen Gruppierungen „überlebten nur die Pharisäer die Katastrophe des ersten jüdischen Krieges, die dann zu „Stammvätern
des rabbinischen Judentums wurden.
Gekennzeichnet wird das Ende der Epoche des Frühjudentums zudem durch den Abschied von der apokalyptischen Literatur, die angesichts der Katastrophen in Folge der jüdischen Aufstandsversuche gegen die Römerherrschaft aus dem Kanon jüdischer Lehrgrundlagen ausgeschlossen wurde – die apokalyptischen Erwartungen, die große Teile des Judentums erfüllt hatten, waren in ihrer fanatisierten Zuspitzung die Auslöser der Aufstände gewesen und wurden nun für das Elend der besiegten Juden verantwortlich gemacht. Und damit sind wir bei einem theologischen Kennzeichen: Das Frühjudentum ist eine Epoche, in der innerhalb des Judentums ganz verschiedene Gruppen mit sehr unterschiedlicher Auffassung gerade bezüglich endzeitlicher Erwartungen nebeneinander existieren. In einigen dieser Gruppen entsteht und blüht die apokalyptische Literatur, die uns das Denken und die endzeitlichen Erwartungen des Frühjudentums zugänglich macht.
Bei der Auslegung neutestamentlicher Texte nimmt die Literatur des Frühjudentums durch ihre Abfassungszeit eine nicht zu unterschätzende Brückenfunktion ein: Sie ist entscheidend beeinflusst vom AT einerseits; wir erfahren, wie die unterschiedlichen Verfasserkreise des Frühjudentums das AT in ihrer Zeit verstanden. Andererseits sind in der Spätzeit des Frühjudentums die Bücher des NT entstanden; diese zeigen folglich Spuren der Auseinandersetzung, die Jesus, die erste Jüngergeneration und Paulus mit der jüdischen Theologie ihrer Zeit zu führen hatten.
1.3 Entstehung und Eigenart der frühjüdischen Eschatologie
Die wesentlichen Grundzüge der frühjüdischen Enzeiterwartung stehen mit der geschichtlichen Erfahrung des Judentums in engem Zusammenhang. Es ist die Geschichte einer sehnsuchtsvollen Hoffnung und eines festen Vertrauens, die aus Desillusion und Verfolgung hervorgegangen waren.
Bereits die Prophetenbücher des AT bringen die tiefe Enttäuschung über das jüdäische Königtum der Davididen³ zum Ausdruck. Nach der Königsideologie Israels waren sie durch den Salbungsritus gewissermaßen Gottes Stellvertreter und hatten als solche das Volk Gottes zu führen. Bis auf wenige Ausnahmen, etwa Josia und Hiskia, versagten sie darin kläglich; nicht zuletzt auch aufgrund des Druckes, den die überlegenen Großmächte der Zeit in unterschiedlichem Maße aufbauten⁴. Beispielhaft ist die Klage in Ez 34 über die Roäh Jisrael⁵, die Hirten Israels, die bildhaft die Davididen-Könige Judas anspricht: Die Fürsorge dieser Hirten gilt nicht den ihnen anvertrauten Schafen; sie haben nur ihr eigenes Wohl im Blick und wenden sich den Schafen nur zu, um sie auszubeuten⁶. Hirtenlos sind die Schafe sich selbst überlassen und damit schutzlos den Beutegreifern⁷, sinnbildlich der Verführungsmacht fremder Gottheiten, ausgeliefert. Nach der Katastrophe von 587 v. Chr., als der Tempel zerstört und der letzte Davididen-König Zidkija mit der Oberschicht des Volkes ins Reich der neubabylonischen Eroberer deportiert wurde, war das Territorium des Gottesvolkes unter der Oberherrschaft sich abwechselnder Großmächte: Die Perser „erbten" mit dem Territorium der Neubabylonier auch das Gebiet des alten Israel, das durch Alexanders Feldzüge wiederum unter griechische Herrschaft geriet und als Zankapfel zweier Nachfolgereiche, der Ptolemäer und Seleukiden, knapp zwei Jahrhunderte hindurch auch blieb.
Der Untergang des Südreiches, der Davididenherrschaft und des Tempels konnten noch als gerechte Strafe für den Abfall von der Treue zum Gott Israels erklärt und verarbeitet werden. Schwerer schien es zu verstehen, warum es bei einer Jahrhunderte währenden Fremdherrschaft über dem Land blieb, das Gott seinem Eigentumsvolk zugedacht hatte. Der dauerhafte Verlust einer gerecht regierten israelischen Eigenstaatlichkeit und der Triumph der Verächter Israels und seines Gottes unter den Völkern war eine beständige Anfechtung des konservativen Judentums: „Weshalb ist Israel der Schande durch die Völker ausgeliefert, das Volk, das du liebst, gottlosen Stämmen?"⁸
Diese Erfahrung erlebte ihre Zuspitzung in der sogenannten „antiochenischen Krise: Seit 332 v. Chr. stand Palästina unter griechischer Herrschaft. Nach dem Tod Alexanders gehörte das Stammland des Judentums zuerst zum Nachfolgereich der von Ägypten aus herrschenden Ptolemäer, dann zum Herrschaftsgebiet der Seleukiden, die einen Großteil des persischen Achaimenidenreiches „geerbt
und ihr Machtzentrum in Syrien direkt neben dem altisraelitischen Gebiet hatten. Zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde die Vorherrschaft der Griechen im vorderen Orient und Nordafrika durch die Expansion der Römer in schwere Bedrängnis gebracht; nach dem Sieg der Römer über die Makedonier verblieben nur noch das Ptolemäer- und das Seleukidenreich als selbstständige griechische Staaten. Und diese Selbstständigkeit geriet unter den zunehmenden Druck der römischen Einflussnahme und Bedrohung. Durch die außenpolitische Gefährdung und jüdische Aufstandsversuche in Jerusalem sah sich der Seleukidenherrscher Antiochos IV. Epiphanes in einer Zwangslage, die ihn zu Strafaktionen führte, welche die jüdische Frömmigkeit im Kern traf. Unmittelbar vor Beginn der Aufstände in Palästina hatten die Römer Antiochios IV. gezwungen, einen erfolgreichen Eroberungsfeldzug im ptolemäischen Ägypten abzubrechen und Ägypten zu räumen. Gedemütigt und durch einen teuren, vergeblichen Feldzug ruiniert, hatte Antiochos