Den Widerspruch zwischen Gelesenem und Gelebtem mit Geschriebenem lösen: Ausgewählte Aufsätze
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Über dieses E-Book
Klaus-Dieter Regenbrecht
Jahrgang 1950, ist der Autor von Tabu Litu - ein documentum fragmentum in neun Büchern (1985-1999), sowie einer Reihe von Romanen und Erzählungen. 2017 veröffentlichte er seine Autobiografie Paradise with Black Spots and Bruises (Englisch). 2014 gewann er den ersten Preis beim Landschreiber-Literatur-Wettbewerb. 2019 veröffentlichte er einen bemerkenswerten Essay zur Romantik: Ein Mythos wird vermessen, der Grundlage für den Roman Die selige Verzückung absehbarer Enttäuschung ist. Mit dem Roman über das Leben der Caroline Schlegel-Schelling Göttern und Menschen zum Troz ging es weiter. Danach folgte eine Biografie über AW Schlegel.
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Buchvorschau
Den Widerspruch zwischen Gelesenem und Gelebtem mit Geschriebenem lösen - Klaus-Dieter Regenbrecht
Von Klaus-Dieter Regenbrecht sind bisher erschienen
Tabu Litu - ein documentum fragmentum in neun Büchern
Continuity - Hitchcocks, Pocahontas
Das Camp - Acht neue Erzählungen
Die Reisen des Johannes
AmoRLauf - ein Bildungsroman
Transit Wirklichkeit
Im Goldpfad 10 - ein Schlüsselroman
Jonas von Dohms zu Brügge
Luhmen & Balder:
Minimal-invasive Eingriffe
Die Durchschlag-Strategie
Inhalt
Vorwort
Demagogie und Wahrheit
Der postmoderne Roman
Ein Mythos wird vermessen
A Portrait of the Artist as an (almost) Old Man
Karriereplanung für Schriftsteller und Autorinnen
Josefine die Sängerin und das Volk der Supermäuse
Das Dilemma der Perspektive
Political Correctness
Zum Streit Amazon vs Hachette
2010: 25 Jahre Tabu Litu, 60 Jahre KDR
Living on the Borderline
Der Gesang, das Quartett und der Schwafler
Kunst vs Kultur
Griechische Tragödie an kalifornischer Küste
San Miguel - Fluch und Segen der Insel
Schrödingers Katze und Blums Eichhörnchen
Von Zeichen und Gezeichnetsein: Einfalt geht vor Vielfalt
Das Geraune der Menschen am Feuer
Jenseits der Norm aber natürlich?
Besser schreiben als leiden
Die Cartoons finden Sie auf den Seiten →, →, →, →, →, → und →
Vorwort:
Den Widerspruch zwischen Gelesenem und Gelebtem mit Geschriebenem lösen … und mit dem Geschriebenen neuen Widerspruch erzeugen.
Alles Schreiben ist autobiografisch. Auch wer sich in fremde Personen, ferne Zeiten und Welten hineinversetzt, kann das nur aus dem eigenen Körper und Erleben heraus bewältigen. So betrachtet enthalten auch Einsteins Bücher über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie autobiografische Aspekte. Sie sind aus seinem Leben und Erleben heraus verfasst worden.
Mein Schreiben ist in meiner Biografie so verankert, dass es immer auch den literaturwissenschaftlichen Aspekt beinhaltet. Meine literarischen Arbeiten, so fiktiv sie auch sein mögen, transportieren persönliche Lebensinhalte und wissenschaftliche Erkenntnisse, häufig genug auch expressis verbis. Allein in dem Roman „Im Goldpfad 10" von 2013 habe ich mindestens vier Aufsätze verwendet, die zu völlig anderen Verwendungen geschrieben wurden und die bis in die 1970er Jahre zurückreichen. Die essayistischen Aufsätze wiederum sparen biografische und literarische Elemente nicht aus.
Die vorliegenden Aufsätze stammen aus den letzten zwanzig Jahren, sind nicht durchgängig chronologisch geordnet und folgen auch nur gelegentlich inhaltlich direkt aufeinander bezogen. Die Themen der Aufsätze sind aber nicht wirklich weit gestreut. Das liegt daran, dass zum einen viele aktuelle Erscheinungen, vor allem wenn es sich um aufgeregte Massenerscheinungen handelt, unterhalb meiner Wahrnehmungsschwelle sind und noch häufiger unterhalb der kritischen Schwelle, an der ich mich zu einer Äußerung veranlasst sähe.
Es gibt aber durchaus das, was man einen roten Faden nennt; es sind allerdings mehrere Fäden, denn nur so kommt eine Textur zustande.
Mir war immer daran gelegen, ein in sich geschlossenes Gesamtwerk mit einer unverwechselbar eigenen Sprache und Weltsicht vorzulegen.
An anderer Stelle habe ich gesagt: Wenn ich scheitere, dann an etwas Großem. Diese Sammlung von ausgewählten Aufsätzen mag dazu dienen, meine bisher vorgelegten Bücher miteinander zu verzahnen und so die Gesamtschau zu erleichtern.
Klaus-Dieter Regenbrecht
Koblenz im August 2016
Demagogie und Wahrheit
Es ist eine Dummheit zu glauben, Demagogen könne man daran erkennen, dass sie das Volk belügen. Man erkennt sie daran, wie sie mit der Wahrheit umgehen. Endlich sagt mal einer die Wahrheit, ist also nur die halbe Wahrheit.
Konkret: Sarrazins Buch¹ mag auf seinen über 400 Seiten nur wahre Fakten auflisten, es ist dennoch reine Demagogie. Endlich sagt mal einer die Wahrheit, drückt das Gefühl ziemlich genau aus. Man ist erleichtert, dass es jemand sagt, weil man weiß oder spürt, dass es doch nicht die ganze Wahrheit ist und man selbst sie deshalb auch nicht ausgesprochen hat, zumindest so nicht. Das mehr oder weniger dumpfe Gefühl, das ja auch von irrationalen Motiven durchtränkt ist, erfährt so eine öffentliche und vermeintlich objektive Aufwertung.
Das Problem mit Sarrazins wahrer Faktensammlung ist, dass er sich seine Wahrheiten aus sehr unterschiedlichen Quellen zusammensucht, um zu bestimmten Schlüssen kommen und Thesen aufstellen zu können. Diese Schlussfolgerungen und Thesen standen vorher fest und die Faktensuche war darauf fokussiert, sie möglichst drastisch beweisen zu können. Die klassisch dialektische Vorgehensweise wäre These, Antithese, Synthese. Es fehlt also die Antithese, es wird alles weggelassen, was nicht ins Bild passt. Das müsste jeder halbwegs gebildete Einheimische erkennen können.
Demagogie spricht Halbwahrheiten oder die Wahrheit aus, um eine These, die von Anfang an feststeht, zu untermauern. Als die Nazis vom Volk ohne Raum sprachen, wollten sie damit vorab eine Rechtfertigung, die vom Volk emotional mitgetragen wurde, für einen Krieg nach Außen, gegen die Nachbarn liefern. Wenn Sarrazin die Schlussfolgerung zieht, die Deutschen arbeiten und sterben aus, weil deren Geburtenrate zurückgeht, die überwiegend muslimischen Immigranten arbeiten nicht, integrieren sich nicht, vermehren sich aber hemmungslos, dann behauptet, schlussfolgert er, wird es bald ein Deutschland ohne Deutsche geben. Formuliert man diese Aussage um, kommt man zu der implizierten These: Deutscher Raum ohne deutsches Volk.
War die These von Volk ohne Raum Rechtfertigung für einen Krieg nach Außen, dürfte die These vom Raum ohne Volk auf eine Rechtfertigung eines Krieges nach Innen hinauslaufen. Nicht mehr und nicht weniger. Zu Volk ohne Raum allerdings waren die wahren Fakten noch dünner gesät und das dumpfe Gefühl dagegen noch breiter (basierend auf der historischen Erfahrung z. B. des verlorenen Ersten Weltkrieges).
In einer der entnervend vielen Talkshows zum Thema meinte jemand, dass Sarrazin zu lange in Berlin gelebt habe und seine Ansichten zu sehr von den dortigen Verhältnissen geprägt seien.
Das Problem mit der Integration ist ein Wahrnehmungsproblem: Man sieht sie nicht, wenn sie funktioniert. Meine Eltern waren Kriegsflüchtlinge, stammen aus (heute) Polen und Russland. Ich bin mittlerweile Sechzig, meine Eltern sind tot, und wenn ich es keinem auf die Nase binde, wird niemand die Möglichkeit haben, meinen Migrationshintergrund zu erkennen. Wahrgenommen wird Integration da, wo sie augenfällig gelingt, bei Fußballern wie Cacau etc., aber eben vor allem da, wo sie misslingt.
Ich lebe in Koblenz, am Rhein, „Vom Rhein - noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. So heißt es in „Des Teufels General
von Carl Zuckmayer, und so geht es da weiter: „Von der Kelter Europas! (Ruhiger) Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor - seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive,